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Archiv "Gesundheitsförderung: Zu einseitig, zu pauschal, zu polemisch" (24.08.2009)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 34–35

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24. August 2009 A 1671 Seit einiger Zeit wird die Gesund-

heitsförderung gelegentlich mit den Mitteln der Diskursanalyse kritisch hinterfragt, meist in Anlehnung an Michel Foucault. Das ist zu begrü- ßen, denn allzu unbedarft wird die Gesundheitsförderung in vielen Büchern und vielen Projekten als

„das Gute und Wünschenswerte“

schlechthin betrachtet, das keine Schattenseite hat. Leicht

wird daraus die Pflicht zur Gesundheit für die ins Visier genommenen Ziel- gruppen, leicht verbirgt sich dahinter ein biopoli - tischer Zugriff auf das Verhalten der Menschen.

Die Frage, ob es in der Gesundheitsförderung nur um Gesundheit oder auch um Moral und um den Mustermenschen geht, ist durchaus berechtigt. Der

„Kampf gegen den Speck“ und die manch- mal mehr den rauchenden Menschen als dem Rau- chen geltenden Anti- Tabak-Kampagnen mögen dafür als Beispiele ge - nügen. Die Tabakindustrie hat die Chance, dem - gegenüber als Pate der Freiheit auf- zutreten, auch dankbar ergriffen.

Schon 1993 hat Hagen Kühn mit seinem Buch „Healthismus“

eine fundierte und noch immer le- senswerte Kritik an einer verhal- tensnormierenden Gesundheitsför- derung vorgelegt. Fast zeitgleich, 1992, hatte Christa Sonnenfeld mit ihrem leider kaum bekannten Buch

„. . . aber die Verantwortung liegt doch bei Dir!“ den Selbstverant- wortungsdiskurs in der Prävention diskutiert – unter Berufung auf Mi- chel Foucault. Und vor Kurzem haben Bettina Schmidt („Eigenver- antwortung haben immer die An- deren“) und Ulrich Bröckling („Das unternehmerische Selbst“) sehr aufschlussreiche und reflexi- onsstarke Analysen zum Präventi- onsdiskurs veröffentlicht. Es ist al-

so nicht so, dass es keine kriti- schen Stimmen gäbe.

In diese Debatte hat sich jetzt auch Christoph Klotter, Ernäh- rungspsychologe aus Fulda, mit ei- ner „Streitschrift zur Gesundheits- förderung“ eingemischt. Das Buch hinterlässt einen zwiespältigen Ein- druck. Klotter kritisiert missionari- sche Tendenzen an der Gesund- heitsförderung, er tut dies in missionarischem Ton- fall. Er wirft der Gesund- heitsförderung vor, un - reflektiert das Erbe der Aufklärung weiterzutra- gen, und will doch selbst aufklären. Er bemängelt die Kampfmetaphern et- wa in den Adipositas- Kampagnen und schreibt dann Sätze wie diesen:

„Der neue Gesundheits - förderungsfundamentalis - mus schürt Hass und Verachtung“ oder „Der- gestalt ist Gesundheits- förderung ein Triumph des terroristischen Über- Ichs, das im Grunde nur eines will: nämlich ver- nichten“. Das trifft weder die Funktion des Über- Ichs in der Psychoanalyse noch die der Gesundheitsförderung. Der Au- tor blickt mit dem Buch, wie er schreibt, auch auf sein eigenes frü- heres Engagement in der Gesund- heitsförderung zurück, er hat früher selbst Gesundheitsförderkurse kon- zipiert. Dem Thema ist diese Form der Vergangenheitsbewältigung nicht bekommen. Das Buch erin- nert stellenweise an die ebenfalls aus persönlicher Enttäuschung mo- tivierte Abrechnung mit der Ge- sundheitsförderung, die ein anderer Gesundheitswissenschaftler, Rolf Weitkunat, in der Zeitschrift „Prä- vention“ 4/2004 formuliert hat – bevor er kurz darauf zur Tabakin- dustrie gewechselt ist.

Christoph Klotter hätte es besser gekonnt. Das zeigt die Zusammen- fassung seines Buches. Diese letz-

ten acht Seiten sind durchaus le- senswert. Interessant wäre es auch gewesen, hätte er die eine oder an- dere These ausgearbeitet, statt sie nur als rhetorische Munition zu be- nutzen. Möglicherweise ließe sich zum Beispiel aus der Idee, die Ge- sundheitsförderung trage das ratio- nalistische Erbe der Aufklärung weiter, zur Aufklärung gehöre aber als Gegenbewegung die Romantik mit ihrer Sympathie für das Unein- deutige, Unsystematische und Un- fertige, eine kluge Analyse biopoli- tischer Aspekte in der Gesundheits- förderung entwickeln. Klotter tut dies nicht, er analysiert nicht, er knüpft auch nicht wirklich an früher formulierte kritische Beiträge an (die eingangs genannten Veröffent- lichungen werden bei ihm nicht ein- mal zitiert), er will eben streiten.

Dieses Motiv lässt das Buch auch in anderer Hinsicht oberflächlich wer- den. Das Kapitel über Evaluation in der Gesundheitsförderung kann man im Grunde mit dem Satz zu- sammenfassen, dass die Evaluation in der Gesundheitsförderung bisher nicht weit gekommen ist. In dieser pauschalen Form ist das kein Er- kenntnisgewinn. Manchmal infor- miert der Autor auch sachlich schlicht falsch, zum Beispiel, wenn er behauptet, es seien bisher keine nationalen Gesundheitsziele be- nannt worden. Auf der Website gesundheitsziele.de kann man seit Jahren den nationalen Gesundheits- ziele-Prozess nachverfolgen. Dass seine Wirksamkeit gering ist, steht auf einem anderen Blatt.

Anzumerken bleibt noch, dass der Buchtitel wohl eher dem Mar- keting dienen soll und im Buch kaum eine Rolle spielt (abgesehen von dem wiederholten Hinweis Klotters, dass wir vielleicht einfach nicht gesund sein wollen und zum Beispiel Rauchen inzwischen etwas Ähnliches sei wie das Molo- towcocktailwerfen der 68er-Gene- ration). Fazit zu diesem Buch: inte- ressante Ansätze, aber zu einseitig, zu pauschal, zu polemisch. Eine zweite überarbeitete Auflage sollte rhetorisch ab- und analytisch nach- gerüstet werden, damit etwas mehr Licht der Aufklärung auf den Sach- verhalt fällt. Joseph Kuhn

GESUNDHEITSFÖRDERUNG

Zu einseitig, zu pauschal, zu polemisch

Christoph Klotter: Warum wir es schaffen, nicht gesund zu bleiben. Reinhardt, München 2009, 163 Seiten, kartoniert, 16,90 Euro

M E D I E N

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