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Bericht und Meinung TAGUNGSBERICHT
Bemühungen um die Gesund- heitserziehung können nur dann Erfolg haben, wenn Gesundheit in der Gesellschaft einen neuen Gel- tungswert erhält. Nur wenn Ge- sundheit mit positiven Werten wie Spaß und Lebensfreude assoziiert wird, kann es gelingen, eine Ver- haltensänderung auf breiter Basis herbeizuführen. Trotz vielfältiger Versuche ist es bislang noch nicht gelungen, das Ziel einer mögli- chen Gesundheit in künftigen Jah- ren so attraktiv zu machen, daß der Mensch heute bereits sein Ge- sundheitsverhalten ändert.
Die notwendige aktive Mitarbeit des Patienten setzt auch ein Um- denken der Ärzte zum „Team- work" mit dem Patienten und den assistierenden Berufen in der Ge- sundheitserziehung voraus.
Mit Strukturen, Psychologie und Didaktik der interdisziplinären Ge- sundheitserziehung befaßte sich der achte Wochenlehrgang der Rentenversicherungsträger für Chef- und Oberärzte an der Kurkli- nik Bad Oeynhausen. Gastweise waren erstmals Psychologen und Soziologen dabei.
Verhaltenssteuerung durch Lust und Prestige
Populär formuliert: Krankheiten entstehen auf zwei Wegen, gene- tisch oder durch Umwelt bedingt, unterstrich Prof. Dr. med. Hans Schäfer, Heidelberg. Die großen
„Killer" der Gegenwart könnten durch Verhaltenssteuerung beein- flußt werden. Da Verhaltensweisen aber lustbezogen und damit so
schwer zu ändern sind, muß das Lustprinzip umgekoppelt werden.
Wissen allein ändert nichts. Eine mögliche Gesundheit in zehn Jah- ren gilt für das Verhalten von heu- te nicht als erstrebenswertes Ziel, unterstrich Dipl.-Psychologe H. D.
Kijanski, BfA, Berlin. Risikoreiches Verhalten sei ein echtes menschli- ches Bedürfnis, gelte als interes- sant und selbstwerterhöhend und werde wie kein anderes von der Gesellschaft toleriert. Dies zeige sich im Straßenverkehr, wo Sank- tionen auf falsches Verhalten so- fort erfolgen, die Gefahr jedoch tagtäglich wieder in Kauf genom- men wird. Als Fundament ei- ner Gesundheitsmotivation seien Angst und Sanktionen unwirksam:
„Es muß gelingen, daß die Ge- sundheit in der Gesellschaft ein neues Sozialprestige erhält." Die Definition der WHO sei dafür un- brauchbar, da es danach keinen gesunden Menschen gebe.
Die offensichtliche Diskrepanz zwischen Wissen und Verhalten (90 Prozent der Bevölkerung be- trachtet Gesundheit als das höch- ste Gut, aber 75 Prozent nehmen durch Rauchen, Trinken, Überge- wicht oder Streßsucht bewußt das Risiko in Kauf) führte Kijanski auch auf die „gelernte Hilflosig- keit" des Bürgers angesichts der Überfülle an Theorien und Pro- grammen zurück. „Im Konflikt zwi- schen 100 Möglichkeiten ent- scheidet sich der Bürger schließ- lich für das, was am meisten Spaß macht."
Einen Wendepunkt im Bild vom Patienten und vom Arzt sah Privat-
dozent Dr. med. habil. Erhard Ell- wanger, LVA Württemberg, Stutt- gart. Zivilisationskrankheiten und die psychosomatischen Erkran- kungen hätten die kurative Medi- zin an ihre Grenzen gebracht. Dies bedeute, daß der Arzt den Patien- ten zur Mitarbeit gewinnen müsse in einer partnerschaftlichen Bezie- hung, einer „Team-Arbeit" zwi- schen Arzt und Patient. Eigene Untersuchungen hätten eine bis- her klägliche Handhabung der Ge- sundheitserziehung ergeben. Der Verband der Rentenversiche- rungsträger habe deshalb eine Projektgruppe Gesundheitserzie- hung aufgebaut. Voraussetzung dafür sei zum einen, daß Ärzte di- daktisch in der Aufbereitung und im Vermitteln des notwendigen Wissens geschult werden, zum an- deren, daß Gesundheitserziehung rezeptierbar gemacht werde, wie Massage oder Bäder.
Die Kurkliniken bieten sich nach Ellwanger für ein geschlossenes Programm interdisziplinärer Ge- sundheitsmotivation besonders an, da der Patient hier die Ruhe habe, sich über längere Zeit mit seiner Gesundheit zu befassen und im „Interessens-Verbund"
Unterstützung und Bestätigung finde.
Gesundheitsbildung — mehr als Gesellschaftssport Die Kurklinik Bad Oeynhausen, die hier erstmals ihr Modell einer in- terdisziplinären Gesundheitsbil- dung vorstellte, bietet acht „Trai- ningsprogramme" an: Bewe- gungs-, Ernährungs-, Fasten-, Darm-, Schlaf-, Nichtraucher- und Alkoholtraining sowie autogenes Training. Für die Abendstunden stehen drei Freizeitgestalter be- reit. Chefarzt Dr. med. Bert Saur- bier findet sich von Mitarbeitern und Patienten bestätigt: „Mit Si- cherheit erreichen wir eine neue Einstellung zur Gesundheit und ein Bewußtwerden der Probleme."
Ursula Schuster Fasanenhofstraße 15 7000 Stuttgart 80
„Das Lustprinzip umkoppeln"
Gesundheitserziehung — auch eine ärztliche Aufgabe
Vom achten Lehrgang der Rentenversicherungsträger für Ärzte und Assistenzberufe
1732 Heft 30 vom 27. Juli 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT