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Archiv "Neumond" (03.02.1977)

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Die Information:

Bericht und Meinung SATIRE

„Wenn ich in schweigender Gedan- ken Rat

Erinnerung des Vergangenen treu- lich lade

Beseufzend was entflohen und nie mehr naht. . ."

Der Mond-Ärzte-Bund (MÄB) befin- det sich in finanziellen Schwierig- keiten und hat sich an den Vorstand des Weltärztebundes (WÄB) ge- wandt mit der Bitte, im nächsten Jahr nur einen Teil der vereinbarten Beiträge zahlen zu müssen. Er steht in seinem Unglück nicht allein da.

Sechs Monate, nachdem diese Bitte eingegangen war, wurde dieses Pro- blem auf der nächsten Vorstandsit- zung besprochen, und der Vorstand antwortete mit einer vorsichtig aus- gedrückten Botschaft der Bereitwil- ligkeit, verbunden mit dem noch vorsichtiger umschriebenen Aus- druck des Bedauerns über die Situa- tion des MÄB. Der Vorstand verlieh seinem vollen Verständnis und Mit- gefühl Ausdruck. Der MÄB wird die volle Mitgliedschaft im WÄB behal- ten, was wir gerne hören, aber na- türlich wird seine Delegation eine dementsprechende Anzahl von Stimmen in der Generalversamm- lung einbüßen müssen. Dies war der einzig mögliche Kompromiß, und der Vorstand ging hurtig zum näch- sten Thema der übervollen Tages- ordnung über, die letztlich dazu führte, daß zwei Kilogramm Doku- mentation gesichtet, getippt, über- setzt, vervielfältigt und an die natio- nalen Ärzteverbände verteilt wur- den, von den zwei oder drei Stand- haften, die das Sekretariat bilden (ohne das sehr strenge, oder viel- mehr ruchlose Redigieren, in dessen Verlauf zahllose Leckerbissen, Ge- klatsch und Spannungsmomente für

immer für die Nachwelt verlorengin- gen, wären es fünf Kilo gewesen).

Die Situation, in der sich unsere Kol- legen des MÄB befinden, ist, leider Gottes, vielen von uns vertraut, so daß die Lehre, die daraus gezogen werden kann, allgemein anwendbar ist. Alles begann natürlich damit, daß die Mondbevölkerung eines Nachts aufwachte und feststellte, daß im Schutze des Tages ein prak- tisch unblutiger demokratischer Staatsstreich stattgefunden hatte und daß sie von der Atheistischen Liberal-Sozialistischen Volkspartei (ALSOVOP) befreit worden waren und daß von diesem Moment an alle Mondmänner und sogar alle Mond- frauen gleich seien. Die einzige Gruppe in der Gemeinschaft, für die das hätte Probleme aufwerfen kön- nen, waren die Gynäkologen, aber dieses unerwartete Hindernis wurde schnell dadurch überwunden, daß man sie fortan Poloilogen nannte (nach dem griechischen hoi poloi, das Volk). Die einzigen Poloi, die nicht gleich sein würden, waren solche, die ein gehobenes Mond (Hochmond, Königsmond, Oxford- mond) sprachen, und da eine ziem- liche Anzahl der Mondärzte sich noch in dieser Gruppe befanden, war es nur natürlich, daß den Mit- gliedern des MÄB besondere Auf- merksamkeit zugewendet wurde.

An dieser Stelle sollte vielleicht er- klärt werden, daß, in Übereinstim- mung mit der flexiblen Neuen Se- mantik, das Volk ein Terminus ist, der spezifisch und ausschließlich Arbeiter umfaßt, während der Termi- nus Arbeiter noch spezifischer und ausschließlicher ist, indem er nur die einbezieht, deren Kenntnisse und Arbeit manuell sind. Es wäre ein Fehler zu glauben, daß, nur weil ein

Der Weltärztebund lebt nicht im Elfenbeinturm. In seiner Zeitschrift ist in Form einer Satire im letzten Leitartikel des Jahres 1976 geschildert, wie die politische Entwicklung eines Landes sich ausnimmt, wenn sie von der hohen Warte einer übernationalen Organi- sation aus (oder aber auch von jedem anderen Stand- punkt außerhalb der Grenzen des betroffenen Landes) be- trachtet wird. Motto und Nachsatz übrigens sind die Eingangs- und Schlußzeilen des 30. Sonetts von William Shakespeare.

Arzt im Regelfalle am Tage achtzehn Stunden oder mehr arbeitet, oft in einer Siebentagewoche, das ganze Jahr hindurch, sein ganzes Arbeitsleben lang, er sich vielleicht dazu berechtigt fühlen könnte, den Status des Arbeiters für sich in An- spruch zu nehmen; die ALSOVOP entschied, daß er so vorzuzeigen ist wie er sei — ein selbstsüchtiger hab- gieriger Klassensnob, zynisch gleichgültig gegenüber den Nöten der Patienten, nurdarauf bedacht. sie wie Kühe zu melken, sich an der Gesellschaft mästend und aus dem Unglück anderer Kapital schlagend;

kein Wunder, daß der Arzt, der MÄB und der WÄB daran interessiert seien, den Status quo zu erhalten, aber die ALSOVOP würde das schon schnell bereinigen.

Da der erste Schritt, einen Gegner zu schwächen, der ist, ihm das Sym- bol der Macht, nämlich Geld, zu ent- ziehen, nützte die ALSOVOP die Tat- sache gründlich aus, daß Medizin eine Berufung sei und als solche we- nig, wenn überhaupt, weitere Beloh- nung brauche: die Befriedung durch die Arbeit ist ihre eigene Belohnung.

Hier trat die ALSOVOP in die Fuß- stapfen Ungarns, wo Bergarbeiter einen höheren Lohn erhalten als Ärzte. Aber wer könnte heute, in die- ser Zeit der Energiekrisen und Be- völkerungsexplosionen, über solche Logik streiten?

Neumond

Leitartikel des World Medical Journal, Heft 6 vom November/Dezember 1976

284 Heft 5 vom 3. Februar 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung

World Medical Journal

Die ALSOVOP rückte mit all ihren neuen Ideen bald die Prioritäten zu- recht; 50 Prozent des Bruttosozial- produktes sollten dazu verwendet werden, die Verteidigungskräfte des Mondes zu stärken, indem man sie mit defensiven Raketen ausstattete (ein Wunder der modernen Tech- nik), die den Feind völlig in der Ferne vernichten können, sogar be- vor er sich als solcher zu erkennen gegeben hat; 40 Prozent sollten für Beamtengehälter verwendet wer- den; 10 Prozent sollen von den Lohnempfängern zurückbehalten werden, um so ausgegeben zu wer- den wie es ihnen gefällt — Nahrung, Kleidung, ein neues Dach, alles x- beliebige, der Lohnempfänger könnte es sich kaufen; die restlichen 50 Prozent sollten der Sozialen Si- cherheit zukommen, in der das Bud- get für das Gesundheitswesen ein- geschlossen ist, für das eine großar- tige neue Mammutverwaltung er- richtet wurde, die herzlich wenig Kleingeld für die tatsächliche ärzt- liche Versorgung übrigließ. Daher bestand die dringende Notwendig- keit, jedwegliche übermäßige Forde- rung der hochnäsigen Ärzte zu un- terdrücken, die naiv genug waren zu glauben, daß ihr Arbeitsvertrag für beide Seiten verbindlich sei.

Ist es Ihnen aufgefallen, daß in der Addierung der Prozentsätze irgend- wo ein Rechenfehler steckt? Nun ja, die ALSOVOP überwand dieses Hin- dernis ganz einfach dadurch, daß sie mehr Geld druckte. Schlau. nicht wahr? Das einzig Ärgerliche daran war, daß dies die Schweiz insofern in Schwierigkeiten brachte, als daß es ihren Franken so verflixt stark machte. Auch die Briten bekümmer- te es sehr, an alle die Mondpoloi zu denken, die unter der sich daraus ergebenden lunaren Arbeitslosigkeit litten, und so gaben sie an alle Pässe heraus, die nach Großbritannien kommen und mit den britischen Ar- beitslosen in Konkurrenz treten wollten, sei es bei der Arbeitssuche oder bei ihrer Klagerei, was von bei- dem sich auch immer als das Lukra- tivere herausstellen möge. Und noch mehr, den internationalen Kodex über Fremdarbeiter mißachtend.

gingen die Briten so weit, auch die

Familien der Immigranten zuzulas- sen. Diese Politik gegenüber der neuen „Sklavenwelle" führte zu gro- ßen Fortschritten in der Disziplin der transkultu reifen Psychiatrie (Ge- naueres darüber nachher), aber auch zu gewissen Sprachschwierig- keiten.

Das Endresultat dieser ganzen trau- rigen Geschichte ist dies: Die Mit- glieder des MÄB waren derartig von einem unsozial langen Arbeitstag in Anspruch genommen, daß die Ma- schinerie der Gesundheitspolitik so vor sich hin laufen konnte, ohne ir- gendeine Einmischung von seiten

der Ärzte selbst, die in jedem Fall so sehr von Armut heimgesucht gewe- sen waren, daß sie gar nicht am Ent- scheidungsprozeß hatten teilneh- men können, während derweil eine Diktatur aufgebaut wurde. Auf diese Weise wurden die wichtigen Ent- scheidungen für die Zukunft mit der stillschweigenden Zustimmung der- jenigen getroffen, die die Leistung erbringen sollen. Neben anderen Reformen hat dies bedeutet, daß nach der Nationalisierung der Phar- maindustrie, der Umsetzung ihres ärztlichen und Forschungsstabes und der Reduzierung der Tätigkeit der Firmen auf die Produktion eini- ger bewährter Galenica und mit der daraus folgenden Abschaffung der Profitmacherei und der Finanzie- rung einer unabhängigen For- schung, ärztlicher Symposia und Kongresse, es für die ALSOVOP ein leichtes gewesen ist, das ganze Ge-

biet der medizinischen Ausbildung zu übernehmen, so daß die Partei aus dieser Ecke nichts mehr zu be- fürchten hat.

Es ist jedoch nicht alles so betrüb- lich, wie es aussieht. Schon jetzt gibt es Anzeichen dafür, daß der MÄB für sich eine neue Rolle findet. Er ist beispielsweise in der Lage, mit der ALSOVOP zu kooperieren, indem er Ratschläge gibt, ob ein Gefangener so weit gesund ist, daß man das Ver- hör wiederaufnehmen kann. oder welche elektrische Spannung man vernünftigerweise durch seine Geni- talien jagen kann, um die gewünsch- te Antwort aus ihm herauszulocken.

Sie war auch schon in der Lage, politische Dissidenten als gei- steskrank zu erklären (was sie in ge- wissen Ländern ganz unbestreitbar sein müssen).

Der MÄB war auch fähig, für die stark benötigte chirurgische Ge- schicklichkeit zu sorgen, um die Be- handlung von Dieben, die in einigen islamischen Ländern vom Gesetz vorgeschrieben ist — Amputation der leichtsinnigen Hand — human aus- führen zu können. Seit der MÄB die Verantwortung für diesen Zweig der sozialen Wohlfahrt übernommen hat, sind die Krankheits- und Sterb- lichkeitsziffern von Blutsturz, Sep- sis, Neuromen usw. merklich zu- rückgegangen. Als Gegenleistung für diese Beispiele guten Willens ge- genüber dem neuen Regime und der Bereitwilligkeit zur Kooperation wird die ALSOVOP die Mitgliedschaft im MÄB immerhin nicht für illegal erklären.

Nichtsdestoweniger bedauern wir, daß die finanzielle Schwäche es den Delegierten des MÄB unmöglich macht, unsere nächste Versamm- lung zu besuchen, aber in jedem Fall hätten leicht Visaschwierigkeiten auftreten können, und es ist wesent- lich angenehmer, wenn niemand den Finger in die Wunde steckt.

„ . Doch, teurer Freund! Gedenk ich dein dabei,

ersetzt ist alles, und ich atme frei. — WMJ

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 5 vom 3. Februar 1977 285

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