Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 42|
17. Oktober 2014 A 1769W
enn die „Bild“-Zeitung so etwas wie ein Pe - gelstandsmesser der deutschen Meinung ist, kann man Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gratulieren: „Alles wird besser für Kassen - patienten!“, titelte das Blatt zum Arbeitsentwurf des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes.Ob der jetzt kursierende erste Arbeitsentwurf dieser
„Bild“-Meinung gerecht wird, ist sehr fraglich. Was ab- sehbar ist: Die Forderungen des Gesetzgebers an die
„Exekutive“ des Gesundheitswesens bringen zunächst jede Menge Arbeit. Erst die aus den Verhandlungen zwischen Ärzten und Krankenkassen oder aus dem Ge- meinsamen Bundesausschuss resultierenden Lösungs- ansätze werden aufzeigen, ob der Wurf des Gesetzge- bers diesmal tatsächlich zu den Größeren gehört.
Vieles von dem, was das Ministerium eingebracht und „Bild“ dann stark vereinfachend kolportiert hat, ist ein Konglomerat ausformulierter Forderungen des Re- gierungsprogramms der Koalition. Aber es hilft nichts:
Was in dem 140-Seiten-Papier steht, muss von Ärzten und Krankenkassen methodisch durchdacht und zu praktikablen Regelungen ausgearbeitet werden. Bedau- erlich: Hier kommt auch vieles auf den Verhandlungs- tisch, was den Alltag im Gesundheitswesen bürokra- tisch eher be- als entlastet.
Ob es um Facharzttermine, Zweitmeinung oder Ver- sorgung auf dem Land geht: Pragmatischer wird der Alltag in den Praxen und Kliniken durch gesetzlich ver- ordnetes „Patchworking“ nicht. Wer weiterhin „den Wunschtermin beim Wunscharzt“ will, so hat es die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf den Punkt ge- bracht, dem wird der Zwang des Gesetzgebers nichts nutzen. Aber genau dieses Recht wollen die meisten Menschen in diesem Gesundheitssystem, das übrigens im internationalen Vergleich mehr als vorzeigbar ist.
Und in Sachen Unter- oder Überkapazitäten? Selbst für eine bessere Versorgung auf dem Land ist der Gesetzent- wurf eher Denksport als Lösungsansatz: Aufkaufen von Praxen in überversorgten Gebieten, Einkaufen von Ärz- ten in unterversorgten – wenn es denn so einfach wäre.
Vielleicht hat ja sogar eine der großen Krankenkas- sen, die aktuell ihre Befragung von 2 000 Bürgern ver- öffentlicht hat, eine realistischere Einschätzung als
„Bild“ über das, was Deutschlands Patienten wirklich meinen: Da gibt es (für Fachkundige alles andere als überraschend) dickes Lob für die eigenen Ärzte und Zufriedenheit mit dem deutschen Gesundheitssystem bei drei Vierteln aller Befragten – die ansonsten alles andere als unkritisch sind, wenn es um ihre gesundheit- liche Versorgung geht. Jeder zweite Befragte bezwei- felt, dass das gegenwärtige Gesundheitssystem sich dauerhaft finanzieren lässt. Eine große Mehrheit glaubt, dass die Krankenkassenbeiträge weiter steigen.
Rigoroses Sparen würde die Bevölkerung aber auch nicht stützen: Für medizinischen Fortschritt sind viele Menschen bereit, mehr zu bezahlen.
Sicher, diese Einstellungen sind nicht neu. Um so mehr verwundert es, wenn Deutschlands gewählte Poli- tiker auf diese Einschätzungen immer wieder mit noch mehr Bürokratie, noch umfassenderem Controlling und ausgesuchten „Wellness“-Angeboten für Dinge außer- halb jeder politischen Problemzone antworten.
Die kommenden Monate und Jahre werden zeigen, was wirklich in dem Versorgungsstärkungsgesetz steckt – und vor allem, was sich daraus in pragmatischer Um- setzung noch machen lässt.
GKV-VERSORGUNGSSTÄRKUNGSGESETZ
Jede Menge Arbeit
Egbert Maibach-Nagel
Egbert Maibach-Nagel Chefredakteur