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Archiv "Mehr Macht für die Gewerkschaften und ihre Funktionäre" (02.05.1974)

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Die Information:

Bericht und Meinung THEMEN DER ZEIT

Dr. Piaty sieht in allen mitteleuro- päischen Ländern eine gleichartige Tendenz ("heute sagt man Trend"): eine Politik im Gesundheitswesen, die nicht am Wohle des Patienten orientiert ist, sondern an dem Ziel, einen "syndikalistischen Macht- staat" zu schaffen. Piaty konstatier- te, daß solche Politik voller Unauf- richtigkeiten sei: Man beklage den Mangel an praktischen Ärzten und vermeide gleichzeitig doch sorgfäl- tig jede Maßnahme, die die Tätig- keit des praktischen Arztes erleich- tern könnte. Man verlange mehr psychologische Behandlung, ze- mentiere aber ein System, in dem es für solche Behandlungen immer weniger Zeit gebe. Man predige Mitbestimmung - nur nicht da, wo die Machtstrukturen in dieser Poli- tik betroffen sein könnten. Piaty rief die Ärzte auf, sich dieser Entwicklung entgegenzustemmen durch das Gewinnen der Patienten als Verbündete.

Auch die Ausführungen von Prof.

Schretzenmayr, dem Vorsitzenden des Deutschen Senats für ärztliche Fortbildung, mündeten in einem Appell. Er forderte die Ärzte auf, die noch bestehende Freiheit der. Fortbildung zu nutzen. Vor dem Hintergrund verschiedener Äuße- rungen in Politik und Publizistik sieht Schretzenmayr die Gefahr, daß staatliche Zwangsfortbildung verordnet werden und damit ein neuer Machtapparat über den noch freien Berufsstand der Ärzte Ge- walt gewinnen könnte. Wie anders sei es zu verstehen, wenn bei- spielsweise Prof. Sigusch in einer Illustrierten die Allgemeinärzte we- gen angeblicher Unwissenheit als

"potentiell gemeingefährlich" hin- stellt? Diese, ebenso wie viele andere Äußerungen, wertet Prof.

Schretzenmayr als bewußt aufge- bautes "Alibi für den Staatsdirigis- mus".

Das bunte und vielfältige Angebot - so sagte zu diesem Thema bei Eröffnung des Kongresses Dr.

Lienhoop, Präsident der Ärztekam- mer Bremen und offizieller Dele- gierter des Vorstandes der Bun- desärztekammer in Meran - , wie

es ein solcher Kongreß ausbreitet, die Mannigfaltigkeit der Themen und der Seminare geben dem fort- bildungswilligen Arzt die Möglich- keit, sich diejenigen Informationen

?:U beschaffen, die er wirklich braucht. Dies sei bei weitem bes- ser als die "schulische Ordnung"

einer Zwangsfortbildung.

Dem Beobachter scheint die Tatsa- che, daß der große neue Saal des Kurzentrums in Meran bei dieser Kongreßeröffnung fast völlig be- setzt war (obwohl solch eine Ver- anstaltung ja doch kaum eine wis- senschaftlich-fortbildende Stunde sein sollte), ein augenfälliger Be- weis dafür zu sein, daß die Ärzte sich der Zusammenhänge zwi- schen der Fortbildung und den Be- dingungen ihrer Berufsausübung sehr wohl bewußt sind. Und er stellt die Frage: Kann ein freier Ärztestand mithelfen, den Kultur- pessimismus zu widerlegen? bt

Mehr Macht

für die Gewerkschaften und ihre Funktionäre

Das Mitbestimmungs-Konzept der Bundesregierung

Die paritätische Mitbestimmung wird auf weitere Sicht unsere Wirt- schafts- und damit auch unsere po- litische Ordnung verändern. Die Bundesregierung hat die Weichen in Richtung auf eine syndikalisti- sche Funktionärs-Wirtschaft ge- stellt. Unternehmerisches Handeln wird künftig in vielen Fällen durch das Arrangement von Unterneh- mern und Gewerkschaftern er- setzt. Der Macht des Kapitals wird die Übermacht der Gewerkschaften gegenübergestellt; die Eigentümer verlieren ihre Rechte oder Vorrech- te, ganz wie man will; die Arbeit- nehmer dürfen Wahlmänner be- stimmen, die wiederum die Arbeit- nehmerbank im paritätisch besetz- ten Aufsichtsrat besetzen. Die "De- mokratisierung" der Wirtschaft en- det allerdings, wo Gewerkschafts-

1292 Heft 18 vom 2. Mai 1974 DEUTSCHES ARZTEBLA'IT

interessen gefährdet werden könn- ten; die Gewerkschaften trauen sich jedenfalls die Urwahl der Auf- sichtsratmitglieder nicht zu.

Die Entscheidung der Regierung hat weitreichende wirtschaftspoliti- sche Konsequenzen, aber auch vielschichtige politische Folgen.

Hier die Daten, die für die Unter- nehmen gesetzt werden sollen:

~ in allen Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten werden von 1975 an die Aufsichtsräte paritä- tisch mit Vertretern der Anteilseig- ner und der Arbeitnehmer besetzt.

ln Unternehmen mit mehr als 20 000 Beschäftigten zählt zum Bei- spiel der Aufsichtsrat künftig 20 Mitglieder: davon vertreten zehn die Interessen der Eigentümer und zehn die Interessen der Arbeitneh- mer. Auf dieser Arbeitnehmerbank sitzen auf jeden Fall drei Gewerk- schaftsfunktionäre und mindestens je ein Arbeiter, Angestellter und lei- tender Angestellter.

~ Alle Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer werden durch Wahl- männer gewählt. Die Wahlmänner werden von der Belegschaft in ge- meinsamer Wahl nach den Grund- sätzen der Verhältniswahl gewählt.

Den einzelnen Gruppen wird ein Minderheitenschutz eingeräumt. Die Kandidaten können jeweils von ei- nem Zehntel der Gruppenangehöri- gen nominiert werden; in jedem Fall reichen 100 Unterschriften aus.

Da die Wahlmänner in den Betrie- ben gemeinsam gewählt werden, haben auch Kandidaten eine Chan-

ce, die von Minderheiten der Grup-

pe gestellt werden. Die leitenden Angestellten haben damit keine Gewähr, daß sie im Wahlmänner- Gremium von Leuten ihres Vertrau- ens vertreten werden.

~ Das gilt in noch höherem Maße für die Wahl der Aufsichtsratmit- glieder. Das Vorschlagsrecht ist hier zwar den Gruppen vorbehalten.

Da aber die Wahlvorschläge nur von 20 Prozent der Gruppenange- hörigen oder von 100 ihrer Mitglie- der getragen werden müssen, kön- nen auch hier die Kandidaten der

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Minderheit der Gruppe zum Zuge kommen. Das ganze Wahlverfahren begünstigt eindeutig die stärkste Gruppierung im Unternehmen; das ist im Regelfall die zuständige DGB-Gewerkschaft. Das Wahlver- fahren wirkt wie ein Filter, in dem die Aufsichtsratkandidaten hängen- bleiben, die den Gewerkschaften nicht genehm sind. Deshlab ist es auch falsch, von einer unabhängi- gen Repräsentation der Gruppe der leitenden Angestellten im Aufsichts- rat zu sprechen. Karrierebewußte leitende Angestellte wissen nun, an wen sie sich künftig zu halten ha- ben.

..,. Die Handlungsfähigkeit der Un- ternehmensleitungen könnte durch diese Mitbestimmungsregelung be- einträchtigt werden. Es gibt prak- tisch keine Möglichkeit, eine Ent- scheidungsblockade im paritätisch besetzten Aufsichtsrat rasch zu überwinden. Bei zustimmungs- pflichtigen Geschäften bleibt dem Vorstand im Fall des Patt im Auf- sichtsrat nur die Möglichkeit, die Hauptversammlung anzurufen, die dann mit Dreiviertelmehrheit ent- scheiden muß. Zumindest in den großen Publikumsgesellschaften scheidet dies als Druckmittel ge- gen die Arbeitnehmerbank aus.

Noch komplizierter ist das Verfah-

ren, wenn sich Eigentümer und Ar-

beitnehmer im Aufsichtsrat nicht über die Bestellung des Vorstandes einigen. Dann kann es zu vier Wahlgängen mit zwischengeschal- teten Einigungsverfahren kommen, ehe die Hauptversammlung das letzte Wort hat. Einem solchen Ver- fahren dürfte sich kaum ein qualifi- zierter Kandidat für den Vorstand aussetzen, zumal er dann mit Si- cherheit später ständig von der Ar- beitnehmerbank in seiner Arbeit behindert würde. Das Ergebnis dürfte in einer Vielzahl von Fällen sein, daß der Grundsatz der Parität vom Aufsichtsrat auf den Vorstand übertragen wird.

Den Gewerkschaften geht dies al- les nicht weit genug. Sie lehnen die Einbeziehung der leitenden Ange- stellten, vor allem aber den letzten Stichentscheid der Hauptversamm-

lung ab. Für sie ist das keine Pari- tät mehr. Diese Kritik ist von der SPD-Fraktion aufgenommen wor- den, die den Regierungsentwurf nur "zur Kenntnis" genommen hat und im Laufe des parlamentari- schen Verfahrens Änderungen durchbringen will. Für die FDP ha- ben die Spitzenpolitiker Genscher und Riemer deutlich gemacht, daß sich bei wichtigen Änderungen für die FDP die Koalitionsfrage stellen könne. Aber wie geschlossen ope- riert die FDP? Die Jungdemokraten haben jedenfalls wissen lassen, daß sie SPD und DGB unterstützen werden. Der Entwurf ist auf den

ZITAT

Sozialpolitik am Scheideweg

"Bei der Vorlage des Sozial·

berichtes erklärte der Ar- beitsminister, stets darauf zu achten, daß die arbeitenden Menschen nicht überlastet werden: ,Der Zuwachs der Arbeitseinkommen darf durch Abgaben und Preise nicht aufgezehrt werden.' Das ist bei weitem eine Untertrei- bung. Denn nicht erst, wenn Lohnerhöhungen netto und real keine nennenswerte Ein- kommensverbesserung mehr bedeuten, ist Gefahr im Ver- zuge. Es genügt, daß der So- zialaufwand schneller wächst als die Arbeitsentgelte, um die Sozialpolitik an den Scheideweg zu bringen. Von da ab kann die vernünftigere Devise nur auf Durchrationa- lisierung der Bestände und Gewichtsverlagerung zugun- sten jener Sicherungsaufga- ben lauten, die tatsächlich für die Zukunft dringlich sind.

Zweifellos ,ist diese Situation bei uns jetzt erreicht ... "

Prof. Dr. Bruno Molitor, Di- rektor des Instituts für Vertei- lungstheorie und Sozialpoli- tik an der Universität Würz- burg, in "Die Zeit"

Die Information:

Bericht und Meinung

parlamentarischen Beratungsweg gebracht. Was daraus wird, läßt sich kaum voraussagen, zumal der Bundesrat auf seinem Mitsprache- recht besteht und das Bundesar- beitsgericht inzwischen eine Defi- nition des Leitenden Angestellten gegeben hat, die dem Koalitions- kompromiß widerspricht.

Für die SPD steht das Verhältnis zu den Gewerkschaften auf dem Spiel, das ohnehin durch die jüngsten Tarifabschlüsse, insbesondere im öffentlichen Dienst, getrübt ist.

Brandt fühlt sich hier von den Ge- nossen in den Gewerkschaften im Stich gelassen. Für die FDP geht es um die schon angeschlagene politische Glaubwürdigkeit. Zu sehr hat sich in der Öffentlicheil der Eindruck festgesetzt, daß Scheel und Genscher um ihrer persönli- chen Ambitionen willen zunächst zu lasch verhandelt hatten, was dann später nur unter erheblicher Belastung der Koalition auszubü- geln war. Für die FDP bleibt es ohnehin schwierig, den Kamprarniß zu tragen und politisch zu verkraf- ten. Zu deutlich ist der Machtzu- wachs für die Gewerkschaften.

Um ihre Glaubwürdigkeit wird al- lerdings auch die CDU zu ringen haben. Ihr Hamburger Mitbestim- mungs-Modell liegt auf der Linie des Regierungsentwurfs. Es gibt nur zwei wichtige Abweichungen:

Die CDU setzt sich für die Urwahl der Aufsichtsratmitglieder und für eine selbständige Vertretung der leitenden Angestellten ein. Aber dem linken Flügel geht dies wie- derum nicht weit genug. Werden Katzer und Blüm, verschworene Anhänger der Parität, im Parlament die DGB-Linie verfechten? Die Fra- ge stellt sich ebenso wie die Frage, ob denn der größere Teil der CDU möglicherweise der FDP den Rük- ken stärken kann.

So zeigt sich, daß die Mitbestim- mung nicht nur die Koalition einer Zerreißprobe unterwirft, sondern alle drei Parteien schwer belastet.

Der Sache kann das nicht förder- lich sein. Die Frage ist ohnehin

schwierig genug. wst

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT

Heft 18 vom 2. Mai 1974 1293

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