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Archiv "Krebsforschung in Deutschland: „Wir müssen völlig neue Allianzen schaffen“" (17.03.2006)

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s gibt in Deutschland in der Krebsforschung viele strukturelle Schwachpunkte: Junge Ärzte fin- den beispielsweise neben der Kran- kenversorgung zu wenig Zeit für die patientenbezogene Forschung. Klini- sche Studien in der Onkologie wer- den fast ausschließ-

lich von der Deut- schen Krebshilfe fi- nanziert. Und viel ver- sprechende innovati- ve Forschungsansätze gelangen nicht rasch genug in die Praxis.

Doch wenn die betei- ligten Akteure stär- ker als bisher koope- rierten, ließen sich ei- nige strukturelle De- fizite in der Krebs- forschung trotz knap-

per finanzieller Ressourcen beheben.

Zu diesem Ergebnis gelangten Fach- leute am 9. März 2006 in Berlin im Rahmen der ersten Diskussionsver- anstaltung „Ärzteblatt-Wortwechsel“, die dem Thema „Klinische Krebsfor- schung“ gewidmet war.

Während die Grundlagenforschung in Deutschland einen hohen Stellen- wert besitzt und in bestimmten Gebie- ten sogar Weltmaßstäbe setzt, fristet die klinische Forschung im internatio- nalen Vergleich ein Schattendasein.

Die Mehrzahl der global bedeutenden, patientenorientierten Studien wird entweder von Ärzten aus anderen Ländern geleitet, oder die Durch- führung erfolgt ohne jede deutsche Be- teiligung – obwohl hierzulande lei- stungsfähige medizinische Versorgungs- einrichtungen vorhanden sind, die gute Voraussetzungen für die ergebnisori- entierte Forschung besitzen.

Aus medizinischer Sicht ist die klini- sche Forschung für den Erkenntnisge- winn unabdingbar, eröffnet sie doch völlig neue Therapiemöglichkeiten oder erweitert bestehende. Sie verschafft den Patienten nicht nur eine intensive medi- zinische Betreuung und den frühen Zu- gang zu innovativen Arzneimitteln, son- dern bietet teilneh- menden Ärzten die Chance, sich umge- hend mit neuen The- rapieansätzen zu be- fassen, und sorgt so- mit für einen hohen Behandlungsstandard.

Daher wird die an- wendungsorientierte Forschung als ein wichtiger Motor so- wohl für den Wissen- schafts- als auch für den Wirtschafts- standort eines Landes angesehen.

Die Gründe für das Defizit sind viel- schichtig: mangelnde Interaktion zwi- schen Universitäten und außeruniver- sitären Einrichtungen, das Fehlen lang- fristiger Förderprogramme zur Finan- zierung klinischer Studien und eine zu geringe Synergienutzung der vorhan- denen Strukturen. Die in Berlin ver- sammelten 60 Gäste waren sich einig in der Einschätzung, dass die Ursachen für das Defizit längst erkannt und viel- fach benannt worden sind. Die Zeit sei nun überfällig, diese zu beheben.

„Dafür genügt es allerdings nicht, hin und wieder ein paar pfiffige Köpfe zu- sammenzubringen“, betonte der Hei- delberger Forscher Wiestler. Notwen- dig sei vielmehr eine konzertierte Akti- on von Forschung, Medizin und Wirt- schaft: „Wir müssen völlig neue Allian-

zen schaffen.“

P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 11⏐⏐17. März 2006 AA659

Krebsforschung in Deutschland

„Wir müssen völlig neue Allianzen schaffen“

Diskussionsveranstaltung „Ärzteblatt-Wortwechsel“: Plädoyer für eine konzertierte Aktion aller Akteure aus Forschung, Medizin und Wirtschaft

Zur 1. Diskussionsveranstaltung „Ärzte- blatt-Wortwechsel“ hatten die Deutsche Krebshilfe und das Deutsche Ärzteblatt Fachleute unterschiedlicher Disziplinen nach Berlin geladen. Hintergrund der Dis- kussion „Stagnation oder Fortschritt – Wir haben die Wahl!“ist die Tatsache,

dass die klinische Forschung in der Onkolo- gie in weiten Teilen brachliegt und die Deutsche Krebshilfe mittlerweile fast allei- niger Geldgeber von industrieunabhängi- gen Forschungsprojekten geworden ist. Ziel des „Wortwechsels“ war, Handlungsansät- ze für eine langfristige Verbesserung der kli- nischen Krebsforschung zu erarbeiten.

Auf dem Podium diskutierten (von links) Moderator Stefan Schulze-Hausmann (3sat Wissenschaftsmagazin „nano“), Prof. Dr.

med. Jörg-Dietrich Hoppe (Präsident der Bundesärztekammer), Dr. rer. nat. Petra Hintze (Programmdirektorin der Deutschen Forschungsgemeinschaft), Prof. Dr. med. Ot- mar Wiestler (Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums und Vorsitzender des Beirats Deutsche Krebs- hilfe), Priv.-Doz. Dr. Peter Lange (Ministeri- aldirigent im Bundesforschungsministeri- um) sowie Prof. Dr. med. Wolfgang Hidde- mann (Vorsitzender Fachausschuss „Thera- piestudien“ Deutsche Krebshilfe).

Fotos:Georg J.Lopata

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Als einen zukunftsweisenden Ansatz bezeichnete Wiestler die Einrichtung ei- ner begrenzten Anzahl von onkologi- schen Spitzenzentren nach US-amerika- nischem Vorbild der „Comprehensive Cancer Center“. Diesem entspricht das neu geschaffene „Nationale Tumorzen- trum Heidelberg“, in dem – gefördert vom Bundesforschungsministerium – die übergreifende (translationale) For- schung einen Schwer-

punkt darstellt. Bereits Anfang der 90er-Jahre habe der Bund ver- sucht, Forschungspro- jekte nicht nur inhalt- lich zu fördern, son- dern gleichzeitig mit der Förderung be-

stimmte Strukturen voranzubringen, sag- te Lange: „Viele unserer Maßnahmen zielten auf strukturelle Veränderungen.

Doch wir müssen ernüchternd zur Kenntnis nehmen, dass sich die verschie- denen Akteure schwer tun, zu einer ge- meinsamen Strategie zu kommen.“

Prof. Dr. med. Wolfgang Hiddemann begrüßte die eingeleiteten Fördermaß- nahmen durch den Bund als Schritte in die richtige Richtung. Dies lasse sich an der Etablierung der Interdisziplinären Zentren für Klinische Forschung (IZKF), den Koordinierungszentren für Klinische

Studien (KKS), den Kompetenznetzen in der Medizin und der Telematikplatt- form für Medizinische Forschungsnetze (TMF) ablesen. Nach einer großzügigen Anschubfinanzierung versiegten die Mit- tel jedoch abrupt, und man überlasse die Wissenschaftler ihrem Schicksal. Lange entgegnete, dass der Bund keine Dauer-

finanzierung leisten könne: „Es müssen auch andere Finanziers mit an den Tisch.“

Insbesondere Therapievergleichsstudien sollten von den Krankenkassen mitfinan- ziert werden. Dann wäre auch der Bund bereit, sich an den Kosten zu beteiligen.

„Aber an diesem Punkt kommen wir in Gesprächen nicht weiter“, so Lange.

Deswegen liegt das Augenmerk auf der Deutschen Krebshilfe. Doch Hid- demann hält es für absurd, „dass indu- strieunabhängige on- kologische Studien in Deutschland fast aus- schließlich von einer gemeinnützigen Orga- nisation gefördert wer- den.“ Allein 2005 habe die Deutsche Krebshilfe 12,5 Millionen Euro in Therapiestudien investiert. Nach der Novellierung des Arzneimittelgeset- zes von 2004 ist ihre Durchführung je- doch erheblich erschwert worden. „Die erhöhten Auflagen hinsichtlich Doku- mentation und Standardisierung steigern die Patientensicherheit und die Qualität von klinischen Studien, sind aber perso- nalintensiver und gehen mit einem deut- lich höheren Kostenaufwand einher, der von der Deutschen Krebshilfe allein fi- nanziell nicht mehr gestemmt werden kann“, sagte Hiddemann. Er appellierte

an den Bund und die Kostenträger, sich an der Finanzierung von klinischen Stu- dien zu beteiligen, um die Qualität der Krebsbehandlung in Deutschland lang- fristig zu sichern. „Aufgrund ihrer Ver- trauensposition erhält die Deutsche Krebshilfe Spendengelder in Millionen- höhe. Die Kehrseite davon ist, dass die

Verantwortung für die klinische For- schung auf sie geschoben wird“, bestätig- te Dr. Heinrich Höfer vom Bundesver- band der Deutschen Industrie (BDI).

Die Deutsche Forschungsgemein- schaft (DFG) stellte sich der Kritik, bei der Mittelvergabe die Neurowissen- schaften zulasten der Krebsforschung zu bevorzugen: „Die DGF legt nicht a priori fest, wie viel Prozent der Gelder in welche Töpfe zu gehen haben“, entgeg- nete Programmdirektorin Hintze. Man fördere die Onkologie mit jährlich 60 Millionen Euro. Das entspricht 12,5 Pro- zent des Budgets für die Lebenswissen- schaften. Einen Automatismus, wonach patientenbezogene onkologische Pro- jekte direkt an die Deutsche Krebshilfe weitergereicht würden, gebe es nicht.

Hintze regte an, stärker als bisher in Verbünden zu arbeiten und sich im Rah- men der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern um Förderung zu be- mühen. Aus Sicht der in der Krebsfor- schung engagierten Wissenschaftler ist es bedauerlich, dass sich in der ersten Runde der Vorauswahl für die Exzel- lenzcluster die beiden einzigen Anträge mit dem Schwerpunkt „Krebsforschung“

nicht durchsetzen konnten.

„Die Kassen gehören mit an den Tisch“, betonte Prof. Dr. med. Wolff Schmiegel (Ruhr-Universität Bochum)

– zumal in der Onkologie ein Paradig- menwechsel stattgefunden habe: „Krebs ist heute eine chronische Erkrankung mit einer Vervierfachung der Lebensdauer.“

Diese Lebensverlängerung gehe aller- dings mit einer Verhundertfachung der Kosten einher. Das Ziel aller Akteure im Gesundheitswesen müsse es daher sein, P O L I T I K

A

A660 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 11⏐⏐17. März 2006

„Die verschiedenen Akteure tun sich schwer,

zu einer gemeinsamen Strategie zu kommen.“

Priv.-Doz. Dr. Peter Lange

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Wege zu finden, den Patienten trotz knapper Ressourcen medizinische Fort- schritte zugänglich zu machen.

Dass dies möglich ist, sieht Prof. Dr.

med. Dr. h. c. Günter Henze (Charité Ber- lin) durch die Erfolge in der pädiatrischen Onkologie bestätigt: „Hier wurde mit- hilfe der Förderung durch die Deutsche Krebshilfe in den letzten 20 Jahren eine Studienkultur geschaffen, um die man Deutschland weltweit beneidet“: So sei es erst mithilfe der Therapiestudien, in denen über 90 Prozent der Betroffenen behandelt werden, aber auch des vom Bund geförderten „Kompetenznetzes Pädiatrische Onkologie“ möglich gewor- den, krebskranke Kinder bundesweit flächendeckend nach einheitlichen The- rapieprotokollen zu behandeln.

Henze gab zu bedenken, dass der pa- tientenorientierten Forschung – im Ge- gensatz zur Grundlagenforschung – im- mer noch das Vorurteil anhafte, keine

„klassische“ Wissenschaft zu sein. Dabei seien entscheidende Verbesserungen der Patientenversorgung gerade aus an- wendungsorientierten Studien abgelei- tet worden. Prof. Dr. med. Thomas Weihrauch (Bayer AG, Wuppertal) be- nannte als markante Beispiele aus dem kardiologischen Alltag, die zu einer Ver- änderung der Lehrmeinung geführt ha- ben, die Effektivität der Kalzium-

antagonisten bei Hypertonus sowie die der ACE-Hemmer bei Herzinsuffizienz.

Dr. pharm. Siegfried Throm (Ver- band der Forschenden Arzneimittelher- steller, VFA ) bestätigte dies: „Große Fortschritte der chemotherapeutischen Behandlung haben sich für die Patien- ten erst ergeben, als man durch Thera-

pieoptimierungsstudien erkannte, wel- che Kombinationen von Präparaten am erfolgversprechendsten sind.“ Nun sei- en wieder innovative Mittel auf dem Markt, und erneut stelle sich die Frage, wie man diese Präparate optimal dosie- re und kombiniere. Diese für die Patien- ten wesentlichen Fragen könnten nur mithilfe von Therapieoptimierungsstu- dien beantwortet werden.

Allerdings müssen sich Patienten auch dazu bereit erklären, an klinischen Studi- en teilzunehmen. Diese Bereitschaft ist nach Ansicht der Dis-

kutanten hierzulande geringer ausgeprägt als in anderen Ländern, da die Patienten befürch- ten, statt im begehrten Verumarm in der un- geliebten Placebogrup- pe zu „landen“.

Wiestler wiederum wies darauf hin, dass die klinische Forschung lange Zeit als „industrieverseucht“ und für junge Ärzte als „karrierehemmend“ galt. Im Hinblick auf die zwiespältige Einstel- lung mancher Forscher zur Industrie be- tonte er, dass komplexe medizinische Fragestellungen heute nicht mehr ohne flexible Strukturen und eine kritische Masse zu bearbeiten seien. Dazu gehör- ten auch Kooperationen mit der Indu-

strie, so dies sinnvoll erscheint. Wiestler nannte als Beispiel die kürzlich verein- barte Allianz des Deutschen Krebsfor- schungszentrums mit Siemens Medical Solutions auf dem Gebiet der onkologi- schen Radiologie: „Basis dafür waren mehrjährige vertrauensvolle Kontakte.“

Aus der Perspektive eines „global play-

ers“ bestätigte Dr. med. Wolfgang Diet- rich, Leiter des Geschäftsbereichs On- kologie bei Hoffmann-La Roche, dass das Geschäftsmodell der Industrie heu- te „auf zwei Säulen“ stehe – die eigene Forschung stärken und kooperieren.

Dies sei auch die Philosophie in Penz- berg, wo Roche eines der größten Bio- technologie-Zentren Europas betreibt.

Der Präsident der Bundesärztekam- mer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hop- pe, wiederum räumte mit Blick in die Zukunft ein, dass die „Dreieinigkeit“

von Forschung, Leh- re und Krankenver- sorgung für die jun- ge Ärztegeneration wohl nicht mehr zeit- gemäß sei: „Wahr- scheinlich ist die Zeit überschritten für ei- ne derartige Aufga- benkombination.“ Die Selbstverwal- tung müsse Forderungen nachkommen, diese drei Felder anders zu gestalten. Ei- nen eigenen zukunftsweisenden Beitrag will die Bundesärztekammer mit einer Förderinitiative zur Versorgungsfor- schung leisten, die eine Laufzeit von sechs Jahren hat. Wie Hoppe berichtete, zielt diese darauf ab, „unter sich verän- dernden Rahmenbedingungen konkre- te Lösungen für eine verbesserte Patien- tenversorgung – und somit auch für eine adäquate ärztliche Berufsausübung – aufzuzeigen“. Aus 180 eingegangenen Projektan- trägen werde Ende März die Endauswahl getroffen.

„Wir müssen in klinische Forschung investieren, um Krankheiten besser verste- hen und behandeln zu können. Das sind wir unse- ren Patienten schuldig“, verlangte Hoppe.

Fazit der Diskussionsver- anstaltung: Die fördernden Organisationen – Deutsche Krebshilfe, Deutsche Forschungsge- meinschaft, Bundesforschungsministe- rium – werden künftig enger zusammen- arbeiten, um Synergien zu schaffen und die klinische Krebsforschung konzer- tiert voranzubringen.

Sabine Rieser

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 11⏐⏐17. März 2006 AA661

„Wir müssen in die klini- sche Forschung investie- ren, das sind wir unseren

Patienten schuldig.“

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe

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