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Evidenzbasierte Empfehlungen zur Diagnose von Gicht

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ARS MEDICI 19 2007 F O R T B I L D U N G

Obwohl Gicht bei vielen Erwachsenen auftritt, wird sie häufig fehldiagnostiziert, erst spät erkannt oder unzureichend therapiert.

Daher hat ein Arbeitskreis internationaler Experten im Auftrag der European League Against Rheumatism (EULAR) zehn evidenz- basierte Empfehlungen zur Diagnose von Gicht erarbeitet.

A N N A L S O F R H E U M AT I C D I S EA S E S

Gicht ist eine Erkrankung, die aus der Ablagerung von Uratkris- tallen in Gelenken resultiert. 1 bis 2 Prozent aller Erwachsenen sind davon betroffen. Die Prävalenz nimmt mit dem Alter zu, 7 Prozent der Männer über 65 und 3 Prozent der Frauen über 85 leiden unter Gicht. Bei Männern ist Gicht die häufigste Form der entzündlichen Arthritis.

Obwohl die Pathogenese gut bekannt ist und wirksame Thera- pieoptionen zur Verfügung stehen, wird Gicht häufig fehldia- gnostiziert, erst spät im Krankheitsverlauf festgestellt oder, selbst bei richtiger Diagnose, suboptimal therapiert.

Daher beauftragte die European League Against Rheumatism (EULAR) eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung von evidenzba- sierten Empfehlungen zur Diagnose von Gicht. Der interdis- ziplinäre Kreis bestand aus 19 Rheumatologen und 1 Experten für evidenzbasierte Medizin aus insgesamt 13 europäischen Ländern.

Durch Annäherungsverfahren mithilfe der Delphi-Konsens-Me- thode bestimmte die Expertengruppe zunächst in drei Runden zehn Schlüsselvorschläge zur Diagnose von Gicht. Für jedes ausgewählte Diagnoseverfahren wurde dann systematisch die durch Studien belegte Evidenz ermittelt und bewertet. Ab- schliessend erarbeitete die Gruppe ihre Empfehlungen, basie- rend auf der Verknüpfung der am besten verfügbaren wissen- schaftlichen Evidenz und den Expertenmeinungen.

Schlüsselempfehlungen zur Diagnose von Gicht Die diagnostischen Empfehlungen der Expertengruppe bezie- hen sich auf klinische Manifestationen der Gicht, den Nachweis von Uratkristallen, biochemische Verfahren, Röntgenuntersu- chungen sowie auf Risikofaktoren und Komorbiditäten, die mit Gicht verbunden sind. Alle zehn Empfehlungen wurden mit ausführlichen Kommentaren versehen, deren Kernaussagen hier jeweils im Anschluss kursiv wiedergegeben werden.

1. Eine rasche Entwicklung von starken Schmerzen, Schwel- lungen und Druckempfindlichkeit während eines akuten An- falls, die den Höhepunkt innerhalb von sechs bis zwölf Stunden erreicht, weist deutlich auf eine Entzündung durch Kristalle hin, vor allem in Verbindung mit Rötung, ist jedoch nicht spe- zifisch für Gicht.

Plötzlich einsetzende starke Schmerzen in Verbindung mit Schwellungen und Rötungen können auch bei anderen kristall- assoziierten Synovitissyndromen, beispielsweise aufgrund von Kalziumpyrophosphatdihydrat-Kristallen oder Pseudogicht so- wie bei septischer oder reaktiver Arthritis auftreten und sind daher für die Diagnose Gicht nur von begrenzter Aussagekraft.

Für eine definitive Diagnose ist zusätzlich der Nachweis von Uratkristallen erforderlich.

2. Bei typischen Manifestationen der Gicht, wie wiederkehren- dem Podagra, verbunden mit Hyperurikämie, ist eine klinische Diagnose ausreichend genau. Ohne Kristallnachweis ist sie jedoch nicht gesichert.

Evidenzbasierte Empfehlungen zur Diagnose von Gicht

Eine Richtlinie der European League Against Rheumatism (EULAR)

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■ Die klassischen Symptome Podagra und Tophi haben die grösste Bedeutung zur klinischen Diagnose von Gicht.

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■ Der Nachweis von Uratkristallen in der Synovial- flüssigkeit gilt als Goldstandard für die definitive Diagnose der Gicht.

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■ Hyperurikämie ist der bedeutendste Risikofaktor für Gicht.

■■

■ Röntgenuntersuchungen sind vor allem zur Diffe- renzialdiagnose anderer Gelenkerkrankungen zweckmässig.

M M M

M e e e e rr rr k k k k ss ss ä ä ä ä tt tt zz zz e e e e

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Im Gegensatz zu Schmerzen, Schwellungen und Rötungen weist das Podagra sowohl eine hohe Sensitivität als auch eine hohe Spezifität auf. Daher ist das klassische Podagra ein exzellenter klinischer Marker für den akuten Gichtanfall. Dennoch ist die Bestätigung der Diagnose durch den Nachweis von Uratkristal- len als Goldstandard erforderlich. Zur Aussagekraft der Kombi- nation von Podagra und Hyperurikämie liegen keine Daten vor, das Wahrscheinlichkeitsverhältnis dürfte jedoch höher sein als das von Podagra als einzigem Merkmal.

3. Der Nachweis von Mononatriumurat-Kristallen in der Syno- vialflüssigkeit oder im Tophusaspirat ermöglicht eine definitive Diagnose der Gicht.

Der Nachweis von Uratkristallen wird in vielen Studien als Goldstandard für die Diagnose von Gicht angesehen. Die Unter- suchung ist sehr verlässlich, jedoch nur, wenn sie von einem erfahrenen Experten durchgeführt wird.

4. Für alle Synovialflüssigkeits-Proben aus undiagnostizierten entzündeten Gelenken wird eine Routineuntersuchung auf Mononatriumuratkristalle empfohlen.

Obwohl es keine direkten Vergleichsstudien dazu gibt, sollte bei einer undiagnostizierten entzündlichen Arthritis eine Untersu- chung auf Uratkristalle in der Synovialflüssigkeit vorgenom- men werden, da Gicht eine prävalente Ursache von Gelenkent- zündungen darstellt und sich auch atypisch präsentieren kann.

5. Die Identifizierung von Mononatriumuratkristallen aus asymptomatischen Gelenken ermöglicht die definitive Dia- gnose in symptomfreien Zeiträumen.

In zahlreichen Fallstudien konnten Natriumuratkristalle in der Synovialflüssigkeit von Patienten mit diagnostizierter Gicht in der symptomfreien Phase nachgewiesen werden, sogar in Gelen- ken, die noch nicht von einer Gichtattacke betroffen waren. Bei medikamentös behandelten Gichtpatienten mit normalen oder niedrigen Serumuratwerten hängt die Nachweisrate von der Dauer und der Wirksamkeit der harnsäuresenkenden Therapie ab.

6. Gicht und Sepsis können gleichzeitig auftreten. Wird eine septische Arthritis vermutet, sollte eine Gramfärbung durchge- führt und eine Kultur der Synovialflüssigkeit angelegt werden, auch wenn Natriumuratkristalle nachgewiesen wurden.

Die septische Arthritis ist Ursache einer rapiden Gelenkzerstö- rung, die signifikant mit Morbidität und Mortalität assoziiert ist. Daher sollte bereits bei einer entsprechenden Vermutung das komplette Untersuchungsprogramm auf Sepsis durchge- führt werden, auch bei gesicherter Diagnose einer Gicht.

7. Obwohl Serumurat der wichtigste Risikofaktor für Gicht ist, können Harnsäurewerte im Blut eine Gicht weder bestätigen noch widerlegen, da viele Patienten mit Hyperurikämie keine Gicht entwickeln und Serumuratwerte während eines akuten Anfalls normal sein können.

Hyperurikämie ist ein wichtiger Risikofaktor für Gicht. Die De- finition einer Hyperurikämie variiert jedoch zwischen verschie- denen Populationen, und Männer weisen meist höhere Serum- uratwerte auf als Frauen. Zur Diagnose sollten daher Normal- werte für die lokale Bevölkerung zur Ermittlung einer Hyperurikämie herangezogen werden. Während einer Gichtat- tacke sind die Harnsäurespiegel oft erniedrigt. Bei Patienten mit

erhöhtem Spiegel können die Werte zum Zeitpunkt des Arztbe- suches daher normal sein. Zudem können Serumuratkonzen- trationen auch durch Absetzen von Diuretika, den Abbau von Übergewicht oder die Einstellung des Bierkonsums gesenkt wer- den. Der Serumuratwert hat daher nur eine begrenzte Aussage- kraft für die Diagnose von Gicht.

8. Bei bestimmten Gichtpatienten, vor allem bei Patienten mit früh auftretender familiärer Gicht, bei Auftreten von Gicht unter 25 Jahren und bei Patienten mit Nierensteinen, sollte die renale Harnsäureexkretion bestimmt werden.

Tests zur Bestimmung der Harnsäureexkretion können zur Dia- gnose einer behandlungsbedürftigen erhöhten Ausscheidung sinnvoll sein.

9. Röntgenuntersuchungen sind zweckmässig zur Differenzial- diagnose und um typische Anzeichen einer chronischen Gicht sichtbar zu machen. Zur Bestätigung einer Diagnose von Gicht im Frühstadium oder von akuter Gicht sind sie jedoch nicht ge- eignet.

Röntgenuntersuchungen spielen zur Diagnose von Gicht eine untergeordnete Rolle.

10. Bei der Diagnose sollten alle Risikofaktoren für Gicht sowie assoziierte Komorbiditäten inklusive Anzeichen eines metabo- lischen Syndroms wie Übergewicht und Adipositas, Hyperglyk- ämie, Hyperlipidämie und Bluthochdruck erhoben werden.

Im Zusammenhang mit Gicht wurden eine Reihe von Risiko- faktoren und Komorbiditäten identifiziert. Wegen ihrer Präva- lenz, ihrer Auswirkungen auf den Verlauf der Gicht und wegen der Behandlungsbedürftigkeit der Faktoren selbst, sollten sie bei der Therapie der Gicht berücksichtigt werden. Zu gut doku- mentierten Risikofaktoren für Gicht gehören neben den oben ge- nannten Faktoren auch männliches Geschlecht, der Gebrauch von Diuretika, purinreiche Ernährung und Alkoholkonsum.

Häufige Komorbiditäten sind Diabetes, koronare Herzerkran- kungen und chronische Niereninsuffizienz.

Zhang W., Doherty M. et al.: EULAR evidence based recommendations for gout. Part I:

Diagnosis. Report of a task force of the standing committee for international clinical studies including therapeutics (ESCISIT), Ann Rheum Dis, 2006, 65, 1301–1311.

Interessenkonflikte: keine

Petra Stölting F O R T B I L D U N G

F O R T B I L D U N G

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ARS MEDICI 19 2007

Wer macht die EULAR-Empfehlungen?

Wie bei der Erstellung früherer EULAR-Empfehlungen wurde die wissenschaftliche Evidenz erhoben und mit der Meinung der Experten kombiniert. Ein weiteres wichtiges Element der evidenzbasierten Medizin, die Meinung des Patienten, wurde jedoch nicht berücksichtigt.

Der Arbeitskreis bestand ausschliesslich aus Rheumatologen.

Allgemeinmediziner, die den Grossteil der Gichtpatienten in Europa managen, waren nicht repräsentiert. Daher kann die Generalisierbarkeit der Empfehlungen eingeschränkt sein.

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