Drei Nöldeke-Briefe
Herausgegeben von Enno Littmann, Tübingen
Herr G. von Selle hatte die Freundlichkeit, mir zwei Briefe zuzu¬
senden, die ihm in Göttingen durch Zufall in die Hände gekommen
waren. Es handelt sich um Briefe von H. L. Fleischer (1801—1888)
und J. VON Hammer-Purgstall (1774—1856), die dem jungen Doktor
Th. Nöldeke (1836—1930) für die Zusendung seiner Dissertation
dankten. Diese Disseitation war zugleich eine Preisarbeit der Göttinger
Universität; sie erschien im Jahre 1856 unter dem Titel De origine et
comfositione Surarum qoranicarum ipsiusque Qorani und bildete den
Grundstock für seine berühmte Oeschichte des Qoräns, eine von der Pariser
Academie des Inscriptions gekrönte Pieisschrift, die 1860 erschien. Der
Brief von Fleischer liegt mir im Original vor ; der Brief von Hammer-
Purgstall war in arabischer Sprache abgefaßt, und von ihm enthält
das mir vorliegende Dokument eine Abschrift und Übersetzung von
Nöldeke. Ich gebe beide Briefe sowie die Übersetzung des zweiten Briefes
in der Orthographie der Originale wieder. Aber das Arabisch von Ham¬
mer-Purgstall ist fehlerhaft, wie ja auch seine gedruckten Werke
manche Fehler enthalten. Ich hielt es für unangebracht, den arabischen
Stil des Briefes zu verbessern ; nur in sechs Fällen habe ich Verbesserungen
angebracht und angegeben, in denen es sich wahrscheinlich um Schreib¬
fehler handelt. Diese Schreibfehler könnten Nöldeke bei der Abschrift
untergelaufen sein, wo es sich um Auslassung eines Punktes oder eines
Buchstabens handelt; aber ^^»J für U^lSj wird sicher ein Fehler
des Briefschreibers sein, doch ich konnte die Form, die einen ganz
anderen Sinn ergibt, nicht im Texte stehen lassen.
Beide Briefe füluen uns in die Blütezeit der deutschen Arabistik;
Fleischer wurde 1864 von dem bedeutenden englischen Orientalisten
Wm. Wright als the greatest of European Arabists bezeichnet.
I.
Leipzig, d. 29. März 1856.
Geehrter Herr,
Ihre Preisschrift, für deren Zusendung ich Ihnen hiermit bestens
danke, hat mich während meiner Ferienmuße in Dresden und Pirna,
wohin ich sie mitgenommen hatte, auf das Angenehmste beschäftigt,
und ich habe daraus die Überzeugung gewonnen, daß Sie zu denjenigen
jungen Männern gehören, die wirklich zu der Fortbildung unserer
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Wissenschaft berufen sind. Sie müssen schon auf der Schule das Ara¬
bische tüchtig getrieben haben, um so bald nach dem Antritt Ihres
Universitäts-Studiums eine solche Arbeit liefern zu können. Daß Sie
Ihre Meinung, wo sie von der anderer Leute abweicht, gerade heraus
und ohne Complimente gesagt haben, wird kein Vernünftiger mißbilligen;
es ist ein großer Unterschied zwischen dieser männhch schlichten und
bestimmten Aussprache wohlerworbener Überzeugung und der hoch¬
fahrenden Rechthaberei der Eitelkeit oder Selbstverblendung.
Wenn Sie einmal Gtelegenheit haben, den KaäÄäf Zamachschari's zu
lesen, so werden Sie zahlreiche und wichtige Beiträge zur Geschichte der
Textgestaltung des Korans vor der Feststellung der sieben Haupt-
recensionen finden, welche im Ganzen und Wesentlichen denselben
Text geben, während die von Zamachschari aufbewahrten Varianten
uns einen Rückblick in die Zeit gestatten, wo man noch weit von einer
solchen Übereinstimmung entfernt war.
Ich möchte Sie wohl bitten, den wichtigen Gegenstand, an welchem
Sie Ihre Sporen verdient haben, auch fernerhin im Auge zu behalten
und das, was von Ihrer Leetüre weiter für denselben abfallen wird, zu
einer künftigen erweiterten Behandlung der ganzen Koranfrage zu be¬
nutzen. Ich habe selbst Manches dafür gesammelt; gern werde ich Ihnen
das für Sie Brauchbare davon mittheilen, wenn Sie mir einst melden
können, daß die Zeit dazu gekommen ist.
Mit aufrichtiger Hochachtung Ihr ergebenster
Fleischer.
II.
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E. Littmann, Drei Nöldeke-Briefe 65
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Übersetzung.
Zuvor ein Gruß mit dem lieblichsten der Blumendüfte und dem wohl¬
riechendsten der Morgenlüfte an den Studierenden der Sprachen des
Orients, der da zieht den Nutzen des Occidents Nöldeke ; der Segen Gottes
komme auf Dich ! Du hast in der glücklichsten Zeit und in der gesegnet¬
sten Zeit uns die scharfsinnige Abhandlung und das herrliche Buch ge¬
sandt und wir haben aus seinem edlen Inhalt Nutzen gezogen und
senden Dir zum Gegengeschenk die Abhandlung über die Synonyma,
die das Kameel bezeichnen, mit vollständiger Übersicht, worüber noch
keiner der orientalischen oder occidentalischen Grammatiker oder Lexiko¬
graphen Untersuchungen angestellt hat. Und dies ist Gnade von Grott,
wie es heißt: ,, Nicht wir führten sie, sondern wir wurden hierdurch ge¬
führt" und wir bitten den allmächtigen, allgewaltigen Gott, daß er Euch
bewahre vor allen Gefahren.
Hammer-Purgstall In der Stadt Wien, die Gott bis in
reinen Herzens. alle Ewigkeit beschützen möge.
Monat Scha'bän 1272
(Mai 1856.) III.
Während die beiden ersten Briefe aus der Jugendzeit unseres großen
Orientalisten stammen, führt uns ein dritter Brief in sein hohes Alter.
Es ist ein Dankesbrief des greisen Gelehrten an H. Scheel, der ihm seine
türkische Dissertation zugesandt hatte. Der Brief ist datiert vom
15. November 1930 aus Karlsruhe, wo Nöldeke, nachdem er Straßburg
hatte verlassen müssen, seit 1920 lebte und am 25. Dezember 1930 ent¬
schlief. Es ist einer der allerletzten Briefe aus seiner Hand; hier ist ein
Faksimile davon mitgeteilt. Über seine türkischen Studien und seinen
Aufenthalt in Wien, von denen Nöldeke in diesem Briefe spricht,
hat er mir in Straßburg manchmal ähnlich berichtet.
5 ZDMG Heft 1
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Die Klassenelemente der Zahlwörter des Ful
Von August Klingenheben, Hamburg
1. Das in Westafrika von Senegambien bis nach Bagirmi hin ver¬
breitete Ful ist eine Klassensprache, d. h. seine Substantiva zerfallen
in eine größere Anzahl grammatischer Kategorien, die den morpho¬
logischen Aufbau der Sprache wesentlich bestimmen. Am Nomen, Sub¬
stantivum wie Adjektivum, kommt die Klassenzugehörigkeit einerseits
durch ein für jede Klasse charakteristisches Klassensuffix zum Ausdruck,
das in vier Formen, „Suffixstufen", auftritt, andererseits durch eine be¬
stimmte Anlautform, die, wie ich in meinem Aufsatz „Die Präfixklassen
des Ful" im XIV. Bande der Zeitschrift für Eingeborenensprachen in
ÜbereiiLstimmung mit Gaden, Le Poular, Bd. 1, gezeigt habe, gesetz¬
mäßig je nach der Suffixklasse entweder frikativ, explosiv oder eine
Nasal ver bindung ist. Dieser „Permutation", d. h. dem grammatischen
Wechsel der drei Anlautformen, der „Permutationsstufen", sind jedoch
nicht sämtliche Laute des Ful, sondern nur die ,,permutierbaren" unter¬
worfen. Zu den die ,, Konkordanz" konstituierenden Faktoren des fu-
lischen Klassensystems gehört ferner ein jeder Klasse eigentümliches
Klassenpronomen nebst einer größeren Zahl von diesem abgeleiteter
pronominaler Paradigmen. Die Benennung einer Klasse erfolgt am ein¬
fachsten nach dem kürzesten Klassenpronomen, sofern sich nicht bei
einzelnen von ihnen ein klar zutage tretender begrifflicher Inhalt der
Klasse hierfür bietet i).
2. Auch bei den Zahlwörtern des Ful, die teils als Substantiva, teils
als Adjektiva verwendet werden, finden sich Formelemente, die die
Konkordanz mit dem Gezählten zum Ausdruck bringen. Diese decken
sich in manchen der Formenparadigmen mit den Formelementen des
allgemeinen nominalen Klassensystems des Ful, weichen in anderen
1) Eine Üliersichtstabelle über die Gnindelemente der Ful-Klassen nebst
ihrer Funlction und Verbreitung sowie die — urfulisohe — Gestalt der Suffixstufen habe ioh in meinen „Suffixlilassen des Ful" § 57 gegeben. Zu den 25 dort für das Gesamtgebiet des Ful aufgezählten Nominalklassen muß ioh jetzt nooh die singu¬
larische T^grt-Klasse des Eula, des Fuldialektgebiets von Französisch-Guinea (Futa
Dschalon), hinzufügen, die bei explosiver Anlautform die Suffixstufen -i, -wi
(urfulisch -yi), -gi und -rjgt aufweist, ferner die junge deminutive pluralische jfcoi-Klasse des Oberniger-Ful, s. unten § 15, und schließlich die singularische deminutive jyg'Mm-Klasse des Ful von Adamaua, von der mir aber nur das Taylor, A Fulani-English Dictionary, S. 68, mitgeteilte Substantivum 'birjgum „Kindchen"
und das Klassenpronomen rjgum bekannt sind. Damit erhöht sich die Gesamtzahl
der Nominalklassen für das ganze Ful-Sprachgebiet auf 28. — Uber die permu-
tierbaren Laute des Ful und ihre lautliche Gestalt in den einzelnen Dialekten der Sprache vgl. meine ..Laute des Ful", § 91—103.