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Mehrdeutigkeit durch Ebenen religioser Begrifflichkeit Birgit Mayer-Kdnig

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Mehrdeutigkeit durch Ebenen religioser Begrifflichkeit

Birgit Mayer-Kdnig

In der tiiglichen Ubersetzungsarbeit werden wir mit vielerlei Problemen kon- frontiert. Neben der Textiiberlieferung sind dies vor allem die Schwierigkeiten, die sich durch Mehrdeutigkeiten ergeben.l Vier Typen solcher Mehrdeutigkei- ten werde ich im Folgenden unterscheiden und an Beispielen aus der religicisen Literatur Indiens veranschaulichen. Die Beispiele stammen aus unterschiedli- chen religicisen Traditionen, ndmlich dem Sufismus und den tantrischen Tradi- tionen des Buddhismus und des Sivaismus. Die Sprachen der Originaltexte s i n d U r d u . S a n s k r i t u n d A l t - B e n c a l i s c h . 2

Tlp I

Standige Begleiter der Ubersetzungst:itigkeit sind die Probleme. die durch die Bedeutungsf-elder der einzelnen Worte bedingt sind, welche in der Uberset- zungssprache von der Sprache der Vorlage abweichen. Selten ist ein bestimm- tes Wort der Sprache A in seiner Bedeutung deckungsgleich mit ernem bestimmten anderen Wort der Sprache B. Vielmehr ist es meist so, dass ein Wort mehrere Fiirbungen hat, die mehr oder weniger feine Unterschiede auf- weisen. Manchmal gehen die Bedeutungen eines einzigen Wortes je nach Kon- text sogar weit auseinander. Die Nuancen der in Frage kommenden Wtirter der

Die allgemeine Problematik der Mehrdeutigkeit stcht allen Ubersetzern stiindig vor A u g e n u n d i s t v i e l f a c h b e s c h r i e b e n w o r d c n . E i n e I i n g u i s t i s c h e A n a l y s e m i t B e i s p i e l e n a u s d e m E n g l i s c h e n u n d e i n e m B l i c k a u f d i e K o n s e q u e n z e n f i i r d i e e l e k t r o n i s c h e n U b e r - setzungsprogramme bietet Graeme Htnsl, .lernarrtlt' interpretation arul the resolution oJ amhiguit,-, London et al.: Cambridge University Press 1987. Philosophische Aspekte der Ubersetzungsprozesse und spezielle Probleme bei der Ubertragung philosophischer Texte untersuchen die Beitriige in Giinter Anal (Hrsg.), [)u.s Pn,hlem der 0herset:ung, Schriftenreihe des Frankreich-Zentrums der Technischen Universitrit Berlin, Bd. I, Ber- l i n : B e r l i n V e r l a g A r n o S p i t z , B a d e n - B a d e n : N o m o s 1 9 9 9 .

Die im Folgenden vorgebrachten Beispiele kdnnten selbstverstiindlich durch zahlreiche weitere auch aus anderen Sprachen ergiinzt werden.

Aus Gri.inden der Lesbarkeit wird darauf verzichtet, jeweils die maskulinen und femini- n e n F o r m e n v o n P e r s o n e n g r u p p e n z u n e n n e n (. . U b e r s e t z e r u n d U b e r s e t z e r i n n e n " , . . L e : e r u n d L e s e r i n n e n " u s w . ) , s o n d e r n n u r d a s M a s k u l i n u m i m S i n n e d e s G e n u s v e r w e n d e t . Alle Beispiele sind eigene Ubersetzungen aus den Originalsprachen unter Beriicksichti- gung der vorhandenen Kommentare und Ubersetzungen wie im Einzelnen angegeber,.

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Original- und der Zielsprache kcinnen in Art und Umt-ang stark divergieren.

Daher muss bei einer Ubersetzung in jedem einzelnen Fall die spezielle Kon- notation ausgemacht und eine passende Entsprechung in der anderen Sprache gefunden werden.

Hierzu ein Beispiel aus dem Sanskrit. ln Kallvilasatantra Vl.gr wird der Typ des Helden charakterisiert. Es heiflt dort vtt'u.{ coddhutu-nanasah - ,Ein Hel<l ist einer, dessen nutnus udtlhutu ist". Fi.ir nuttttts grbt es vielerlei Uberset- zungsmoglichkeiten: Geist, Seele, Verstand, Gedanke, Vorstellung. Absicht, Wunsch, Wille, Stimmung. Cesinnung ut*.t Auch uddhutc kann Unterschied- liches bedeuten, so: erregt, heftig, iibermiitig, stolz (Mylius), erhaben, arrogant, aufgeregt (zusdtzlich nach Monier-Williums).5 Ubersetzungstechnisch sind da- her recht verschiedene Wiedergabcn rnoglich, z.B. wohlwollend ,,ein Held ist einer, dessen Geist erhaben ist" oder ablehnend ,.einer, dessen Gcsinnung arro- gant ist" - die Entscheidung liegt letztlich beirn Ubersetzer. Dabci zeigt sich auch das Problcrn der Ubertragung eigener Vtrstellungen auf das Textntaterial.

Tvp 2

Andere Ubersetzungsproblcrne ergeben sich durch grarnrnatikalischc Mehr- deutigkeiten des Originals, 2..8. durch die arnbivalente Stcllung von Subjekt und Priidikatsnomcn oder unterschiedlich aullosbare Wortbildungen. Diese Fdlle kdnncn wie diejenigen des Typs I ebenfalls speziell iibersetzungsbedingt s c i n (T y p 2 . 1 ) , n i i m l i c h d a n n , w e n n m a n d a v o n a u s g e h e n k a n n , d a s s d i e O r i g i - nalsprecher (im Gegcnsatz zum Uhersetzer) die grarnrnatikalischen Gegeben- heitcn sofilrt klar und eindeutig erkannten bzw. crkennen. Mdgliche Unsicherheitcn kdnnen also durch grol3e Uhersetzungspraxis beseitigt tldcr zu- rnindest reduzicrt werden.

D i e s m u s s a b e r n i c h t in j c d e m F a l l s o s e i n . A l s T y p 2 . 2 k l a s s i f i z i c r e i c h Mehrdeutigkciten, die bereits irn Original eingebaut sind. Dies kann zum e inctt unbewusst geschehen (Typ 2.2.1 ). weil die intendierte Aussage zwar dern Au- tor selbstverstaindlich war. eventuell in der Rezitation auch durch die Betonung deutlich blieb. bei der Lekttire aber Fragen aufwirfi. Diese Schwierigkeiten fal- len unter die allgerneinen Konrmunikations- und Stilprobleme. sie sind nicht

t .(rnu bhau-tru.tun dayi dit,.t'a-vrnt-ltttiu-kranrut / div.t'a.i (a .lara-r'ut-pro.to vtnt.i trxl- Llhutu-nfinusah // KVT Yl.9 /l KAlrvila:;utentra, ed. by ParvatT Charana TARKArIRrlll\

( A r t h u r Av,cloN, chief ed.). Tantrik Texts Vol. .5, London: Luzac and Co. 1917.

I Myr.rus, Klaus. Wiirterhuth Sunskrit-l)eul.\(h, LeipLiE, tserlin. Miinchen: Langenscheidt ( t 9 1 5 \ 1992.

t M o N r s n - W r L l r e t r s , S i r M o n i e r . A S t u t s k r i t - F ) t g l i s h D i t ' t i o n u r y , 1 8 9 9 . N a c h d r u c k D e l h i e t a l . : M o t i l a l B a n a r s i d a s 1 9 8 . 1 .

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B i rg it M a,- e r- Kdni g : M e h rde ut i g ke i t du rc h E b e ne n re I i g i o s e r B e g r ffi ic hke it

iibersetzungsspezifisch. Zum anderen kcinnen solche Mehrdeutigkeiten aber auch bewusst eingesetzt werden, etwa zur Demonstration poetischer Kunstfer- tigkeit (Typ 2.2.2).Diese beiden Untergruppen lassen sich zwar theoretisch gut auseinanderhalten, aber in der praktischen Ubersetzungsarbeit kann oft nicht entschieden werden, ob eine solche Mehrdeutigkeit beabsichtigt oder unbeab- sichtigt ist; das spielt auch keine groBe Rolle, denn der Ubersetzer muss sich in jedem Fall bei der Arbeit fiir eine bestimmte Lesart entscheiden. Wissenschaft-

ler greifen hier zu Anmerkungen und Angaben von Ubersetzungsvarianten.

Das folgende Beispiel aus dem Sanskrit wirfi Fragen auf, die das Verhdltnis zwischen Subjekt und Prtidikatsnomen betreffen; es birgt eine gewisse Brisanz, da hier die Beziehung zwischen der gebundenen Seele (paiu)bz.w. der befrei- ten Seele Qrali) einerseits und dem Konsum von Fleisch und Alkohol anderer- seits erldutert wird. Wird dieser Konsum nun, wie man vielleicht auf dem Hintergrund eines oberfltichlichen Wissens iiber Ethik in Indien erwarten wiir- de, als Abstieg in niederere Sphiiren der Existenz verworfen, oder wird er, ganz im Gegenteil, als Aufstieg in den Zustand der Befieitheit gepriesen'?

lm Kularnavatantra lX.546 ist zu kliiren, welches Wort jeweils in den Vers- zeilen ab und cd Subjekt und welches Prddikatsnomen ist, niimlich paiu, die gebundene Seele (wcirtlich auch ,,Vieh"), oder paiu-pati, der Herr iiber die ge- bundene Seele (gemeint ist Siva). Aus der Wortstellung im Satz ist dies nicht ableitbar, da im Sanskrit-Vers poetische Freiheit hcrrscht. Metrische Crtinde beeinflussen die Wortstellung. So kann das Subjekt dem Prddikatsnomen nach- fblgen oder vorausgehen. Daher stellt sich die Frage, ob die folgende Variante A d e r U b e r s e t z u n g r i c h t i g i s t :

. . S o l a n g e d e r ( i e r u c h v o n A l k o h o l b e s t e h t , i s t s c l b s t d e r H e r r i i b e r d i c g e b u n d e n e n S e e l e n I n u r l e i n e g e b u n d e n e S e e l e : o h n e d e n C e r u c h v o n A l k o h o l u n d F l e i s c h is t d i e g e b u n d e n e S e c l e [aberl wirklich der Herr iibcr die gebundenen S e e l e n . "

Oder lautet es etwa andersherum (Variante B):

,,Solange der Ceruch von Alkohol besteht, ist die gebundene Sccle selbst der Herr iibcr d i e g e b u n d e n e n S e e l e n ; o h n e d e n G e r u c h v o n A l k o h o l u n d F l e i s c h is t d e r H e r r i i b e r d i e g e b u n d e n e n S e e l e n w i r k l i c h Inur] eine gebundene S e e l e . "

Die tatsiichliche Aussage dieses Verses bliebe ungekldrt, ltise man ihn nicht in seinem speziellen Kontext. Im vorausgehenden Vers wird niimlich erkleirt, was denn eine gebundene Seele (paJtr) kennzeichne:

6 amisusava-saurabhya-hrnam yasya nrukham bhavet I prayaiciltt sa varjyai ca pasur eva na santia-r-ah // KT IX.53 // t,avad asat,a-gandhah syat paiuh paiu-patih svavant lvinali' ntamsa-gandhena saksat paiu-patih paluh l/ KT [X.54 ll Kularnavatanlrn, also known as 0rdht,amna,-atantra. Sanskrit Text ed. by Tdrdnatha VIDYARATNA, with an English introduction bv Arthur AvALoN. Tantrik Texts Vol. V., London: Luzac and Co. 1917.

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,,Derjenige, dessen Mund ohne den Wohlgeruch von Fleisch und Alkohol bleibt. ist je- mand, der eine SUhne ableistet und soll gemieden werden; er ist eine gebundene Seele, dartiber besteht kein Zweifel (KT IX.53)."

Damit wird nun unmissverstdndlich klar, dass der Konsum von Fleisch und Al- kohol hier positiv bewertet wird, wdhrend man denjenigen, die einen solchen Konsum ablehnen, misstraut und sie sogar verddchtigt, ein schlimmes Verbre- chen begangen zu haben, das sie nun durch besondere BuBen abgelten mtissen.

Kulturpolitisch gesehen ist diese Aussage ein klarer Hieb der freiziigigeren Tantriker gegen die traditionsstrengen Brahmanen, die aus Griinden der rituel- len Reinheit zahllosen Verhaltens- und Diatvorschriften unterliegen. Zusam- men mit Vers 53 gilt also fijr die Ubersetzung des Verses 54 eindeutig die oben angeftihrte Variante B.

Wie dieses Beispiel zeigt, ist beim Suchen nach der richtigen Ubersetzung der direkte Textzusammenhang wichtig, dariiber hinaus auch die breite Kennt- nis des Gesamtkontextes einer Aussage. Die einzelne Feststellung wird erst verstdndlich, wenn man sich daran erinnert, dass nach der hier zugrunde lie- genden tantrischen Lehre eben die Gebundenheit der Seele nicht nur durch Wiinsche und mangelnde Selbstkontrolle definiert wird. Sie zeigt sich niimlich ferner darin. dass ein solcher Mensch in seinem Bewusstsein durch Vorstellun- gen aller Art gefesselt ist, so dass er z.B. die Dinge nach rein und unrein, an- genehm und widerlich unterscheidet. Auch Vorschriften basieren auf dichotomen Vorstellungen und gelten deshalb als Kennzeichen des gebunde- nen Zustandes. Die befieite Seele kenntjedoch keinerlei Beschrtinkungen und daher per deflnitonem auch keine Vorschriften. Entsprechend wird der befieite Zustand, auch als ,,der Zustand des Herrn iiber die gebundenen Seelen" be- zeichnet; in ihm sind die brahmanischen Reinheitsgeltibde nichtig; der Kon- sum von Fleisch und Alkohol soll diese Uberlegenheit deutlich machen.

lYp 3

Mehrdeutigkeit gibt es aber nicht nur bei den bereits aufgezeigten semanti- schen Abweichungen der Wortfelder zwischen den verschiedenen Sprachen (Typ l) oder bei gewissen morphologischen und syntaktischen Besonderheiten (Typ 2). Mehrdeutigkeit ist bekanntlich auch hdufig durch eine poetische Aus- drucksweise bedingt, hier klassifiziert als Typ 3.

(3.1) Die poetische Ausdrucksweise verwendet gerne Vergleiche, Gleichnis- se, Metaphern und Wortspiele. Diese kijnnen im Allgemeinen durch eigenes Nachdenken oder kurze Anleitungen leicht erschlossen werden. (Gerade in die- ser einfachen ErschlieBbarkeit unterscheiden sie sich vom Typ 4.) Der Uberset- zer wird sich in diesen Fdllen meist an die wcirtlichen Bedeutungen halten. Als

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B i rgit M ave r- Kdni g : M e h rde ut i gke it durc h Ebe ne n re li giose r Be g rffi ic hke it

Beisprele denke man an die Gleichnisse aus dem Neuen Testament oder die kunstvollen Beschreibungen in den verschiedenen Sanskrit-Dichtungen aus dem Mittelalter, z.B. bei dem beriihmten Dichter Kalidasa (ca. 5. Jh. n. Chr.).

(3.2) Manchmal stehen in der poetischen Ausdrucksweise nicht die seman- tischen, sondern die lautlichen Effekte im Mittelpunkt. Auf deren Nachahmung muss der Ubersetzer meist bedauernd verzichten. Die onomatopoetischen Ef- fekte gehen in der Ubersetzung verloren. Diejenigen Traditionen, die die Wer- tigkeit der Laute (und nicht die Bedeutungen der Worte) in den Vordergrund stellen, halten strikt am Urtext fest. Sie werden Ubersetzungen nie als gleich- wertig anerkennen, sondern mciglicherweise sogar grundsdtzlich ablehnen.

Beispiele fiir die Dominanz der Lautwertigkeit sind neben vielen Namen und Interjektionen insbesondere die Sanskrit-Texte mit den ,,Mantra" genannten Gebetsformeln sowie der Koran.

Tvp 4

Unter Typ 4 der Mehrdeutigkeiten fallen schliefllich solche, die auf unter- schiedlichen Ebenen der religicisen Begrifllichkeit liegen und dabei durch aus- geprdgte Codierung aufTallen. Im Vergleich zu der hier unter Typ 3 erfassten poetischen Sprache der Vergleiche und Metaphern besticht Typ 4 durch einen hohen Grad der begrifflichen Normierung, die sich im Laufe der Zeit verfestig- te und nicht ohne Weiteres verstiindlich ist. So kcinnen sich Metaphern, die zu- niichst in einem Einzelfall oder von einem einzelnen Dichter verwendet wurden, schliel3lich durch Verbreitung und Standardisierung zu festen Termini entwickeln; das Ganze ist ein dynamischer Prozess. Im Laufe der Entwicklung entsteht eine eigentiimliche Begritflichkeit, die gezielt eine Mehrdeutigkeit in Kauf nimmt oder sogar intendiert. Wenn die Zuhcirer, Leser und natiirlich auch die Ubersetzer die Hintergriindigkeit solcher Begriffe nicht erkennen, werden sie zu einseitigen Interpretationen verleitet, die nicht selten Fehlinterpretatio- nen sind. Ohne eine tief'e Vertrautheit mit dem speziellen kulturellen und reli- gicisen Kontext ist eine Decodierung nicht mdglich. Dementsprechend wird bei Texten, die eine solche Begrifflichkeit verwenden, in der Regel eine Belehrung oder Einweihung vorausgesetzt, um die technische Bedeutung bzw. den inten- dierten Sinn zu verstehen. In allen diesen Fdllen gibt es auch das Problem, zu beurteilen, ob das Textmaterial nun weltlich ist oder religitis.

Wie bei Typ 3 wird man bei der Ubersetzung meist auf eine mdglichst wtirt- liche Bedeutung zuriickgreifen. Dabei kann es allerdings manchmal vorkom- men, dass der Text wirr zu sein scheint, eher ein sinnloses Geplapper oder phantasiereiches Dichten statt Ausdruck tiefer Erkenntnis. Wo mdglich, ist man dann geneigt, bei der Ubersetzung auf die intendierte Bedeutung auszu-

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weichen. Doch woher weiB man, was der Autor in der Tat beabsichtigte, und weshalb hat er das nicht selbst klar ausgedriickt? Die hier beschriebene obskure Mehrdeutigkeit besteht ja bereits im Original; sie ist keine Besonderheit, die rm Ubersetzungsprozess in eine andere Sprache entsteht. Bereits der Quelltext ist auf verschiedenen Ebenen zu lesen, was groBe Tticken birgt. Eine erste Lekttire kann auch in der Originalsprache Ratlosigkeit hervorrufen. Um den Sinn zu er- hellen, mt.isste eine Interpretationsanleitung, ein Kommentar mitgeliefert wer- den. Kenntnis des speziellen kulturellen Umfeldes und Insiderwissen werden gefordert. Wer zwar die Grammatik und das Vokabular solcher Texte be- herrscht, jedoch die Lehre nicht kennt, versteht nur die wcirtliche Bedeutung;

die geheimen Aussagen bleiben verschlossen; die Tief'en der bildhafien Aus- drt,icke bleiben unerkannt.

Derartige Entwicklungen spezieller Ausdrucksweisen oder Begritllichkei- ten sind aus mehreren Traditionen bekannt. Die folgenden Beispiele stammen aus zwei unterschiedlichen religiiisen Traditionen Indiens.

Ghazal

Zunrichst ein Beispiel aus dem Islam, genauer dem Sufismus, der Mystik des lslam. Diese rcligicise Richtung hat eine reichc Literatur hervorgebracht, unter anderem auch in der Sprache Urdu in lndien. Dort hat sich seit dem I 8. Jh. erne bestimmte Form der Poesie ausgebreitet, die sich noch heute in ganz Stidasien in allen Bevdlkerungsschichten ungeachtet der Religionszugehcirigkeit breiter Beliebtheit erfreut. Die Rede ist vom Ghazal.

Urspriinglich auf Dichterversammlungen gesungen oder rezitiert, ist der Ghazal heutzutage als schmachtender Liebesschlager im Radio beliebt, als Filmmusik in Kino und Fernsehen. Gespickt mit poetischen Bildern und Meta- phern ist er ein Paradebeispiel fiir eine Literatur, die auf verschiedenen Ebenen interpretiert werden kann, ndmlich weltlich und mystisch. Die Ambiguitiit ist hier beabsichtigt, ist doch die Liebe zu einem Menschen nach Ansicht mancher Ghazal-Dichter nur ein Spiegelbild fijr die Liebe zu Gott. So sagt der Dichter W a l i M o h a m m e d W a l i ( 1 6 6 7 - l l 0 1 ) 1 :

,,Unter allen Beschiifiigungen ist die Liebe am besten. was heiBt da wahre oder unwah- r e !"

i K e N o e , K . C . 1 9 9 2 . M a s t e r p i e c e s o J ' U r d u G h u : . a l f r o m l T t h n 2 0 t h C e n t u n ' , N e w D e l h i : Sterling Paperbacks, Zitat S. 6. lagal bihtar hai 'ilq

baztko / xv\d haqrqt va lg'o majuzr ka // lch danke Christina Oesterheld (Heidelberg) fiir niitzliche Hinweise.

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Birgit Maver-Kcinig: Mehrdeutigkeit durch Ebenen religi6ser Begrffiichkeit

Die romantische Liebe und die mystische werden einander nicht kontrastiv ge- geniibergestellt, sondern vielmehr als verwandt empfunden. (Das zeigt sich be- reits in der Wortwahl maiaztheiBt ,,metaphorisch, unwahr, profan, weltlich" - die weltliche Liebe ist eine Metapher fiir die Liebe zu der letzten Wahrheit).

Hier darf von uns die gesellschaftliche Seite nicht vergessen werden: Der Ver- haltenskodex der vornehmen Gesellschaft in Delhi und andernorts machte eine physische Begegnung mit der Angebeteten so gut wie unmrjglich; ihre Blicke unterm Schleier versetzten den Dichter in Glut, aber fiir den von Sehnsucht er- fiillten und vom Liebesschmerz geplagten Ghazal-Dichter blieb sie doch uner- reichbar. Diese Situation diente dem Mystiker als Vergleich fiir seine Sehnsucht nach Gott, dessen Schiinheit dem Dichter in verschiedenen Situatio- nen des alltaglichen Lebens immer wieder offenbar wurde und ihn in Begeiste- rung versetzte, wdhrend Gott in seiner Transzendenz fiir ihn unfassbar blieb."

Ein weiteres Thema der Ghazal-Dichtung ist der Schmerz iiber die Vergdng- lichkeit der Welt.

Die meisten Metaphern der Ghazal-Dichtung sind aus der Literatur Persi- ens entlehnt. Einige der persischen Stilmittel gehen ihrerseits auf arabische Vorbilder zuriick. Sie sind daher in der muslimischen Welt weit verbreitet. Im- mer wieder sieht man folgende Metaphern: Rose und Nachtigall, Motte und Kerze, Wein und Mundschenk, Boot und Unwetter, Meer und Ufer, Kiifig und Nest usw.e Ansdtze zu einer systematischen Entschliisselung dieser Termini finden sich hier und dort.r0 Obwohl die Materie vielschichtig und komplex ist, sind die Metaphern hier doch in so hohem MaBe standardisien, dass stark ver- ki.irzt Folgendes gilt: Die Nachtigall versinnbildlicht die Seele; sie erfreut sich an der Rose, deren Schcjnheit sie zum Gesang inspiriert. Die Motte symboli- siert den oder die Wahrheitssuchende(n); sie strebt zum Licht der Kerze, Sinn- bild fiir die Wahrheit, aber in dem Moment, wo sie sie ganz erftihrt, muss sie sterben. Die Trunkenheit bezeichnet die mystische Ekstase, der Wein ist dabei die Wahrheit, nach der sich der Dichter sehnt oder die GlUcksenergie, die den Weintrinker durchstrcimt. Er ist auch eine Metapher ftir das Blut, da beide rot 8 Vgl. ,,This object of desire may be human (female or male), divine, abstract, or ambi- guous; its defining trait is its inaccessibility" in: S.R. FenuQt und F.W. PntrcHerr, ,,Lyric Poetry in Urdu: Ghazal and Nazm", Journal of South Asian Literature (Michigan)' XIX/

2 . 1 9 8 4 , S . I I l - 1 2 7 . D a r i n S . I I l . '' Siehe K.C. KeNor 1992, S. 12.

r0 Einen Uberblick iiber die wissenschaftlichen Untersuchungen dazu und zahlreiche Beispiele in Ubersetzung bietet ScntunarL, Annemarie, Stern und Blume. Die Bilder- welt tler persischen Poesie, Wiesbaden: Otto Harrassowilz 1984. Zusammenfassende Erlduterungen verschiedener Metaphern liefert RoruPN-Duss, Ursula (Hrsg.), AI lnhs indischer Garten. Ein Lesebuch der Urdu-Literalur, Frauenfeld: Verlag im Waldgut

r 989.

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sind' Der Mundschenk (saql) verweist letztlich auf Gott, die Macht, die alres verteilt, insbesondere die belebende Essenz, den wein. Der Fromme erfdhrt Gott (bzw. die Angebetete) ars die voilkommene Liebe und Schcinheit. Nach_

dem er einen Blick darauferhascht hat, strebt er nun hingebungsvo, nach wei_

teren Begegnungen; in der Sprache des Dichters wird

", ,.rr Trunkenbold (iardbt), der nichts anderes mehr im sinn hat, als sich in der Erfahrung dieser Schcinheit zu vergessen.

In einem Ghazal beschreibt Khwaja Mir Dard (1720-17g4)seine Gefi.ihre, Einsichten und Sehnsuchte wie fbrgt, wobei zu beachten wrire, dass im Urdu die dritte Person Singular im pronomen Feminium unci Maskurinum gleichrau_

tend ist und sich der Text daher sowohl auf eine Geriebte ars auch auf einen Ge_

liebten bzw. auf Gott beziehen kann:rl

, , 1 . H a s t D u j e d a s H e r z eines Trunkenboldes z u f i i c d e n g e s t e l l t . l V e r b i n d e , o h M u n d s c h e n k , m e i n e n M u n t l und den der Weinflasche.

2 N i c n r a l s b l e i b t e r ( / s i e ) - e i n e n r D u l i g r e i c h - h i n t e r e t n e m v r r h a n g v c r b ' r g e n . e r , t J e r ( / s i e ' die) R.senbemrnterte, a e r ( / d i e ) F r c u a e an der Llnverhtiiltheit g e f u n < l e n - h a t . 3 S c h n e l l e r

a r s e i n B r i t z r a u s c h t das Lcben dahin. werche Arbeit uns auch vurn Schick_

sal iibertragen war, sie war ein Eilauftrag.

4 w e m a u c h intnrer ich mein ergenes Hcrzcleid rnitteilen wolltc in tlieser w c l t , f r n g a n , d i c C e s c h i c h t e s e i n e r e i g c n c n S c h w i e r i g k c i t c n z u c r z l i h l c n .

-5 ()h Dard. die Zersr(irungskrafi des wertcnraur.s hast du iiberhaupt nicht errahren. Sie h a t d a s B r u t eincs.ieden T r u n k c n b o r t . l s w i e e i n e w e i n l r a s c h e in tren Staub gegosscn...

Die,intendierte Ausdrucksweise, im Tantrismus

D i e M e h r d e u t i g k e i t d e r B i l d e r w u r d e - zumindest w a s r n d i e n b e t r i * i - in vielen literarischen Traditionen bewusst aufgenommen. Neben den Ghazar_

Dichtern trifft dies auf die religicise Schure der ars ,,sicrcrhtt,. bezeichneren Meister zu, die im fitihen Mittelarter in Nordostindien wirkten und trern Bud_

d h i s m u s z u g e r e c h n e t w e r d e n . Z u i h n e n ziihren u.a. Kanhu (Kanha, Krsndcarya), Kukkuri (Kukkuripa), Lui (Luipa), Birua (Virupa) _ bis auf drei werden sie aile in der beriihmten tibetischln Legendensammruns der g4 1r Khwaja Mir Dano zirierr nach K.c. KeNoe ( | 992, s. 4445): ( I ) kabht khu.i bhr kiva hui

dil kist rind-i-iarahr ka / hhira de ntunh se munh saqt hantara aur gurabt ka , ,tri*ir"

hargiz na nmsl-i-bfr w'ah pardfi ke chupu'e se / mazah pana hai ji gur-pairahan ko be- hiiabt ka // (3) iarar-o-barq kt st bht nahi yti /ursat-i-hastt / lataii ni no'm ko sdipa kant .io kuch tha iitubt ka // (4) mdi apnd clartr-i-ttit caha kahi jis pas ,orant nfi / havt karne laga qissah wah apnt ht xarabl ka // (5) zantane to no a"tLt irr:.i rir, i"ra iii nn, t miloyq masli-nttnd xak md xun har iarafi ka //

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Birgit Ma.te r-Kdnig: Mehrdeutigkeit durch Ebenen religidser Be grffiichke it

Meister beschrieben.12 Sie gelten als die Autoren der Caryapada-Lieder (auch Caryaglta bzw. Caryagtti genannt), die auf Alt-Bengalischrr erhalten sind. Die Datierung ist problematisch; die meisten Verse scheinen aus dem

I I . Jh. zu stammen, einige kcinnen dlter sein.ra Es handelt sich dabei prim:ir um eine orale Tradition, die erst sekunddr schriftlich aufgezeichnet wurde.

Als Lieder wurden - und werden sie noch heutels - ijffentlich mitgeteilt und auf diese Weise von den unterschiedlichsten Leuten gehcirt' Die Caryapada- Lieder weisen eine stark bildhafte Ausdrucksweise auf, die auf mehreren Ebenen deutbar ist; sie sind teilweise vordergriindig erotisch, die Meta-Ebe- ne ist absichtlich schwer erkennbar. Die Metaphern bezeichnen u.a. be- stimmte Tiere, Musikinstrumente, Himmelskcirper, Naturerscheinungen oder Personen in Verwandtschaftsbeziehungen (2. B. eine Schwiegermutter) b z w . in b e s t i m m t e n F u n k t i o n e n ( 2 . B . a l s y o g i n t l . t 6 N u r w e n i g e n M e n s c h e n

l ) D i c s e r T e x t h e i R t a u l T i b e t i s c h g r r l b th o b h r g ' u d h c u t s a h ; h i ' i l o r g 1 ' u s u n d w u r d e I 9 I 6 von Af bert Gn|Nwsltt t- unter dem Titel Die Geschichten der vierurulochtiig Zuuberer iibersetzt. Inzwischen liegt im Diederichs-Verlag eine neuere Bearbeitung vor von Keith DOWMAN. Die Meister tler Mahamudru. Lehen, Legenden und Lieder der vierundacht:.ig Erleuchteten. Miinchen 1991. Die drei dort unerwiihnt gebliebencn Meister heiBen D h c n d h a n a , T a r a k a u n d c a t i l a . Z u d e n N a m e n i m E i n z e l n e n u n d d e r u b e r r ' i n s t i m r n u n g der Mcister aus dem obcn genanntcn Buch s. Per KVAERNE, An Anthologt rl Butldhist Thntrit' Songs. A Stutlt, of the Ca4,ugiti. Oslo: The Norwegian Research Council for Sci- c n c e a n d H u m a n i t i e s 1 9 7 7 , s . 4 5 . I c h d a n k e R a h u l P e t e r D a s ( H a l l c ) f i i r z a h l r c i c h e n t . i t z l i c h e A n r e g u n g e n u n d H i n w e i s e .

Dic Sprache der Camapada ist linguistisch nicht eindeutig gekldrt. Sie wird nicht nur als , A l r - B e n g a l i s c h . (H a r a p r a s a d S a s l r i l 9 l 6 ) b e z e i c h n e t . s o n d e r n a u c h a l s , A l t - M a i t h i l i "

, A l t - B i h a r i ' u n d , A l t - O r i y a ' , a l l e s H i n w e i s e a u f e i n e g e m e i n s a m e F r i i h s t u f - e d e r s p i i t c r c n S p e z i a l c n t w i c k l u n g e n . A u c h d i e B e z e i c h n u n g e n , h a k r i t ' u n d , A p a b h r a r l s a ' s i n d z u f i n - den, aber abzulehnen, da syntaktische Partikel in diesen Sprachstuf'en noch nicht, aber in den Liedern schon. vorkommen.

N a c h P e r K v , c e n N n 1 9 7 7 , S . 7 , r n i t D . L . S N e l t . c n o v e , T h e H e v a i r a T a n l r a I , L o n d o n t 9 5 9 . S . I l - 1 8 .

N i i m l i c h i n N e p a l u n d T i b e t . D o r t w u r d e n v o n A r n o l d B a k e u n d S h a s h i b h u s a n f ) a s - g u p t a m e h r a l s 1 0 0 s o l c h e r L i e d e r a u f T o n b a n d a u f g e n o m m e n , v o n d e n e n e i n T e i l 1 9 8 9 i n C a l c u t t a v e r d f f e n t l i c h t w u r d e n . V g l . R a h u l P e t e r D n s , , , Z u e i n e r n e u e n C a r y a p a d a - Sammlung". ln: Zeitschrift der tleutschen morgenliintlist'hen Gesell,st'haft' Bd. 146' H e f t l , 1 9 9 6 , S . 1 2 8 - 1 3 8 . Z u r V e r b r e i t u n g im m o d e r n e n B e n g a l e n v g l . d i e L i e d e r d e r B a u l s , e i n e r s y n k r e t i s t i s c h e n G r u p p e d i e s e r R e g i o n , d i e d e n S u f i s z u g e r e c h n e t w i r d . Eine detaillierte Beschreibung ihrer Lehren und Praktiken bietet Krishna Cgetrope- DHy^v,The World of M.ystics. A Comparative Studl- of Baul, Sufi and Sikh M,-sticism, Calcutta: Rk Prakashan 1993. Die besondere Rolle der Bauls in der modernen Kultur Bengalens beleuchtet Hugh B. UneeN, ,,The Politics of Madness. The Construction and M a n i p u l a t i o n o f t h e , B a u l ' I m a g e i n M o d e r n B e n g a l " . I n : . S o u t h A s l a , X X I I / l ' 1 9 9 9 ' S .

t346.

Ausfiihrlich bei Per KveEnNe 1977, S. 37-60.

l l

t +

(10)

waren oder sind die technischen Interpretationen der Bilder bekannt, welche bestimmte feinstoffl ich-psychische Prozesse im Bewusstsein eines Adepten oder auch verschliisselte Ritualanweisungen liefern kcinnen. So bestehen ne- beneinander mehrere Ebenen, diese Verse zu interpretieren.lT Daher bliebe eine Decodierung mit dem Anspruch, eindeutig und monolateral zu sein, un- vollstiindig; sie wtirde die Vielschichtigkeit der Bedeutungen unangemessen verktirzen. Fiir das Verstdndnis dieser Texte in einem bestimmten techni- schen Sinne ist in der Regel eine Einweihung Voraussetzung. Dies macht es nicht nur fiir die allgemeine Zuhcirerschaft in Indien schwierig, wenn nicht unmriglich, die Bildsprache der Caryapada zu entzifTern, sondern auch fiir die Wissenschaftler, und hier natt.irlich besonders ftir diejenigen, die in gro- Bem zeitlichem Abstand zu den Autoren und auBerhalb des speziellen kultu- rellen Umf'eldes stehen. Daher ist es angebracht, neben den Kommentaren auf Sanskrit und Tibetisch auch die Untersuchungen solcher Gelehrter zu be- riicksichtigen, die mit der Tradition eine enge Verbindung hatten oder sogar e i n g e w e i h t w a r e n b z w . s i n d . r 8 I m v o r l i e g e n d e n B e i t r a g s o l l e n e i n i g e w i c h t i - ge Aspekte und Ebenen der Mehrdeutigkeit aufgezeigt werden; eine einzelne Interpretation oder Ubersetzung als die ,,korrekte" herauszugreifen kann zwar im Hinblick auf eine besondere Adressatengruppe gut begri.indet sein, sie bliebe aber aus den oben senannten Grt.inden inssesamt unvollstiindie und daher fiagwiirdig.

ln der tantrischen Literatur ist die besondere Begrifflichkeit, die mehrere Bedeutungsebenen in sich vereinigt, unter dem Namen samdha-bhu.su (sandha-bhasa-) bekannt, zu Deutsch ,intendierte Ausdrucksweise' oder ,ab- sichtliche Rede' (engl. ,intentional language'). Dieser Terminus hat sich mit Pandit Vidhushekhar Bhattacharya (1928) und dem l99l verstorbenen, aus Osteneich stammenden, namhaften Agehananda Bharati durchgesetzt, w;ih- rend einige fri.ihe Gelehrte, die tantrische Lehren untersuchten, darunter Maha- mahopddhyaya Pandit Hara Prasad Shastri (1916), den Terminus sandhya-

17 Roger R. Jncrsor unterscheidet ,,at least four possible levels of interpretation" in:

,,Ambiguous Sexuality: Imagery and Interpretation in Tantric Buddhism", Religion ( 1 9 9 2 ) 2 2 . S . 8 5 - 1 0 0 . D a r i n S . 8 5 .

'* Hierzu geh<irt ausdri.icklich Jayadhan StMue (s.u.). Per KvesnNu 1977 bietet neben dem Alt-Bengali-Text und seiner tibetischen Ubersetz.ung auch den Sanskrit-Kommentar M u n i d a t t a s m i t e i n e r ti b e t i s c h e n U b e r s e t z u n g d e s s e l b e n l d a r t i b e r h i n a u s b e r i i c k s i c h t i g t e r sinnvoller Weise ausfi.ihrlich die Sekundiirliteratur der bengalischen Gelehrten. Neben der Auswertung primiirer und sekundiirer Textquellen wiire es mriglicherweise auch auf- schlussreich, in der Tradition stehende Zeitgenossen zu interviewen, obgleich auch hier eine Entwicklung und Verlinderung der Lehre zu beriicksichtigen bliebe, abgesehen von den Problemen der Interviewsituation z.B. die unbeabsichtigte Beeinflussung der Infor- manten.

40

(11)

Birgit Maysv-l<(inig: Mehrdeutigkeit durch Ebenen religibser Begrffiichkeit

hha;a,,Zwielicht-Sprache', fiir den gleichen Sachverhalt verwendeten.re In dieser Ausdrucksweise werden Codes benutzt, die bestimmte Funktionen aus- i.iben sollen. Dadurch, dass ein und dasselbe Wort unterschiedlich verstanden werden kann, bleiben bestimmte Lehren von der allgemeinen Zuhcirerschaft unbemerkt. Durch die Verschliisselung kann trotz der groBen Offentlichkeit. in der die Caryapada-Lieder vorgetragen werden, die Geheimhaltung der verbor- genen Lehren bewahrt bleiben. Einpraigsame Worte werden als Symbole ge- nutzt, um schwer- bzw. unbeschreibbare Zusammenhdnge zu beschreiben,20 dartiber hinaus wird der Adept durch die Paradoxitdt der Sprachlichkeit mit der Durchdrungenheit der verschiedenen Existenz- und Bedeutungsebenen kon- frontiert.

Der alrbengalische Grundtext des Caryapada ist zusammen mit dem auf'- schlussreichen Sanskrit-Kommentar des Munidatta aus dem 13. Jh. u. Z. und seiner tibetischen Ubersetzung, die bereits vor 1334 erfolgte2r, erhalten; alles zusammen liegt in einer iibersichtlichen Verciffentlichung mit detaillierten Er- lduterungen von Per Kvaerne vor, der verschiedene fiiihere Editionen und In- terpretationen vergleicht.22

Im nachfblgenden Liedbeispiel ist der zentrale Terminus der intendierten Ausdrucksweise die Maus (nrusara, Sanskrit: musaka). Der Kommentator Mu- nidatta paraphrasiert diesen Begriff mit citta, also ,Geist' (oder auch ,Denken', ,Bewusstsein', ,Wille' etc. vgl. oben, Mehrdeutigkeiten Typ l) bzw. citta-pa- vana,wortlich ,Atem cles Geistes'.:t Auf der verborgenen Ebene beschreibt das Lied bestimmte innere Bewegungen der geistigen Energie. Der Adept lenkt sie in besonderen Ubuncen. die nur angedeutet werden, durch die f'einstofflichen

Ie Zur Bestimmung der Begriff-e und den Funktionen dieser Ausdruc'ksweise vgl. u.a. Sdnti Bhiksu Sastrt in seinem ,,Preface" in Prabodh Chandra BeccHt, Carydglti-Kosa ol Bud- dhist Siddhas, edited and annotated in collaboration with Santi Bhiksu Sastri, 1956' San- tiniketan: Visva-Bharati, S. xi-xiii. Ferner: Agehananda Buraart, Tuntric Traditktns.

(Reyiserl and Enlarged Edition ol'fhe Tantric Traditktn), Delhi: Hindustan Publishing C o r p o r a t i o n 1 9 9 3 . F r i i h e r e A u f l a g e 1 9 6 - 5 . S . 1 6 4 - 1 8 4 . U n d P e r K v . c s R N e ( 1 9 7 7 , S . 3 7 - 4l ). Weitere Behandlungen werden dort genannt.

r 0 P r a b o d h C h a n d r a B A G C H I l i e f ' e r t i n s e i n e r E i n l e i t u n g ( l 9 5 6 , S . x v i i - x x x ) u . a . i n t e r e s s a n t e Erkl?irungen zu zahlreichen Metaphem. Weitere Beipiele bietet BHARATI (1965/1993, S . 1 7 4 - 1 7 9 ) m i t S u r H t o u l l e s u n d E t . l r o E . E i n e s y s t e m a t i s c h e B e h a n d l u n g li e f e r t P e r K v A E R N E ( 1 9 7 7 , S . 3 7 * 6 0 ) .

r r P e r K v e e n N E 1 9 7 7 , 5 . 2 . 2 r V g l . A n m . 1 2 .

:r Die Interpretation der Maus als t'itta wird auch von SIrylue, Jayadhai (Bauddha-gun' me tdntrik' siddhanta'. Ph.D. Dissertation der Ramkrsna Universitiit von Madhubani [Dar'bhanga, Bihar, Indien] in Maithili-Sprache. Madhubani: Dr. Sri Jayadhari Simha) w i e d e r h o l t ( S . 1 2 2 - 1 2 3 . l8 l ) .

(12)

Zentren und macht dabei verschiedene geistige Erfahrungen, stets auf der Su- che nach der Befreiung.

Caryapada Nr. 2 I, Lied von Bhusuku2a

. . 1 . I n d e r D u n k e l h e i t d e r N a c h t [ g i b t e s ] d a s H u s c h e n d e r M a u s . D i e M a u s s p e i s t a l s Nahrung den INektar der] Unsterblichkeit.

( / l n d e r B e h i n d e r u n g , w e l c h e d i e N a c h t i s t , b e w e g t s i c h d e r G e i s t ( / L e b e n s e n e r g i e , A t e m ) . E r n i m m t d i e h i j c h s t e E r k e n n t n i s a u f a l s N a h r u n g . )

2 . O h Y o g i n , t ( i t e d i e M a u s , w e l c h c d e r L e b e n s a t e m i s t , d u r c h w e l c h e n d a s K o m m e n u n d G e h c n lim Ceburtenkreislaul-l n i c h t b e e n d e t i s t .

3. Die Maus zerstdrt die Existenz, sie griibt ein Loch; die unruhige Maus zerstcirt die K n o s p e n .

4 . D i e M a u s i s t s c h w a r z , lsie hat wederl Merkmal noch Farbe; zum Himmel aufgestic- gcn, erndhrt sie sich l'on ungcdroschenem Reis.

( / D e r G e i s t i s t u n s i c h t b a r , l h a t w e d e r i M c r k n r a l n o c h F a r b e ; z u m h c i c h s t e n O r t a u f g e - s t i e g c n , m e d i t i e r t e r v o r s t e l l u n g s l r e i . )

5 . S o d a n n s o l l s t d u d i e u n r u h i g e u n d w c c h s e l h a f i e M a u s n a c h d e r A n w e i s u n g d e s w a h r - hatien Lehrers bewegungslos machen.

6. Wenn die Bewegung der Maus beendct ist, ist dic F'csse | [an den Geburtenkreislaufl g e l i i s t , s a g t B h u s u k u . "

In einem anderen Lied des Caryapada wird die Metapher der Vrna verwendet, eines der Laute vergleichbaren, mit der Sitar verwandten Saiteninstrumentes.

Dieses Musikinstrurnent kann den mit f'einen Kan:ilen ausgestatteten psy- chisch-geistigen Kdrper symbolisieren. Demnach kann das fblgende Lied im Sinne f'einstofflicher Prozesse im Inneren des Adepten, die dazu ftihren, dass er innere Kkinge hdrt und in Verziickung gertit, gedeutet werden. Doch kann man es auch als Ritualanweisung interpretieren. Nach dem Kommentator Mu- nidatta ist der Elef'ant (Strophe 3) eine Metapher ftir den Geist(citta). Trotz die- ses Kommentars, der erst mit dem zweiten Vers beginnt, bleiben viele Stellen dieses Liedes obskur.

)a ( l ) nisi andharr nrusIra tura / ania bhakhaa nrusa karaa ahara // (2) mura re.joia must) pabana /.je na tutaa abana gabana // (3) bhaba bindaraa nusu khanaa gatl / taicalo nusa kalid naiaka thqtl // (4) kala musa uha na bana / gaane uthi caraa amana dhana //

(5) taba se musa uiicala paicala / sadguru hohe kariha so niccala // (6) jab4 musaera cara tutaa / Bhusuku bhanaa tabd bandhana phitaa // Text nach Per Kv,qpnNE 1977.

S. 163. [] Erglinzung. (/) Alternative Wiedergabe.

42

(13)

B i rg i t M ave r- Kdni g : M e hrdeuti gke it durc h Ebenen re I i gid se r B e g rffi ic hke it

Caryapada Nr. I7"

,,1. Der Tonktjrper war die Sonne, die angehefteten Saiten der Mond, der Hals der unge- schlagene Ton, der Kreis wurde mit der uwlhiltnln vereint.

2 . O h F r e u n d . d i e V l l a d e s H e r u k a e r k l i n g t . D e r T o n d e r S a i t e n d e r L e e r c lc i n t m i t e i n e m Summen (/mit Mitgefi.ihl).

3. Nachdem er die Essenz der Vokale und Konsonanten gehiirt hat, vervielfacht der Beste d e r E l e f a n t e n d i e V e r e i n i g u n g I u n d ] G l e i c h s t i m m u n g .

4. Wenn der Bauch lder Vtryol von der Hand dcs hellen Lichts beriihrt wird. durchdringt d e r K l a n g d e r 3 2 S a i t e n a l l e s .

5 . D e r V a j r a t r i i g c r ta n z t , d i e G ( i t t i n s i n g t . [ J n v e r g l c i c h l i c h is t d e r T a n z d e s E r w a c h - t e n . " 2 7

Die Erklrirungen des Sanskrit-Kommentars Munidattas, die von Prabodh Chandra Bagchi und Per Kvaerne fiir die Interpretation herangezogen wur- den,28 sind durchweg von grolJer Abstraktion gepragt und leider nicht imrner so ausfi.ihrlich, wie es zur Klarung aller grammatikalischen und semantischen Probleme n6tig wrire. Meist krjnnen sie als Hinweise fiir die Praxis eines Me- ditationsstils, der ohne duBere Hilf.smittel auskommt, verstanden werden. In- ncrliche, mriglicherweise als psychisch zu erkliirende Energieprozesse werden beschrieben. Bestimmte Energiestrdrne des f'einstofllichen Kcirpers werden durch mentale Konzentration durch bestimmte fcinstoflliche Kantile und Zen- tren gelenkt. Diese religidse Praxis ist traditionell als Kundalint-Yoga (kuryqla-

25 1 t 1 sula lau sasi lagcli nnti / anaha dandl cuki kiata uhodhiltt // (2) bujai alo sahi herua btna /.suna tanti dhani bilaso'i runu // (3) ali kuli heni .sari sunii / guabara sanlur0\a s0ntlhi gunia // (4).jube kukuha kurahakale cOpiu / batiiu tunti dhani saelu biipiu // (5) nut'anti bujila gunti dehl / buddha nutaku hisann htti // Text nach Per KvAERNE 1977, S . 1 4 6 . In r L i e d w i r d d e r A u t o r n i c h t g e n a n n t ; P r a b o d h C h a n d r a B e r ; t : r r r ( 1 9 5 6 , S . x v i i i ) u . a . b e z e i c h n e n i h n a l s , , S i d d h a V i n a p a d a " .

1 b Avadhutrkann nach Per KvaEnNE (1977, S.35 36.43) mitder.iiiununtadla' 'Siegel dcs Wissens', identifiziert werden, gleichbedeutend mit der dharntantudra, ,Siegel des Dharma', auBerdem mit dem zentralcn psychischen oder f'einstofl'lichen Kanal (rru7i) (,,central psychic channel", S. 43), der im lnnern der Wirbelsiiule gelegen verschiedcne itinstoffliche Zentren (r'rrfuzr) durchdringt, dartiber hinaus mit einer Ritualpartnerin des A d e p t e n . A g e h a n a n d a B u , q n e t t ( 1 9 6 5 / 1 9 9 3 , S . l 7 - 5 ) e r l ? i u t e r t d i e s e n B e g r i l I n a c h d e m H evaj ra Tantra als,,female ascetic" mit der Beschreibung ,,she is devoid of the condition of subject and object", f'erner als ,,the transcendence of prajiia and upava. the Void" und als,,the central artery of the yoga body, i.e. the Hindu susumnu''.

)7 Fldr bisanrI vgl. Munidatta buddha-natakam viiista-adhimAtam sattvanlm nirvinunr bhavati iti /. Per Kv,qenNE dagegen iibersetzt mit ,,difficult" in Anlehnung an die Uber- setzung des Ca4,apodo im tibetischen Tanjur.

r8 In Zweifelsfdllen bevorzugt Per Kvesnne gegeniiber dem Sanskrit-Kommentar oft die V a r i a n t e n i n d e s s e n t i b e t i s c h e r U b e r s e t z u n g .

(14)

linr-iakti-sadhana) bekannt. Das Ziel ist die Erfahrung der hdchsten Erkenntnis, synonym mit der Erfahrung der Nicht-Zweiheit, die als sehr be- gliickend beschrieben wird.2e

Diese Interpretation auf der Basis von Munidatta ist jedoch keineswegs erschdpfend, wie Jayadharl Simha, ein indischer Gelehrter, der nicht nur eine akademische Ausbildung hat, sondern dariiber hinaus in eine tantrische Schule eingeweiht ist,l in seiner 1969 verdffentlichten Forschungsarbeit deutlich macht.lr Simha erkliirt in vielen Details, dass die,intendierte Aus- drucksweise' (sandha-bhasa) nicht nur auf der wtirtlichen und der abstrakt- spirituellen Interpretationsebene verstanden werden kann, sondern auch als Anweisung fiir Ritualpraktiker. Anhdnger dieser Richtungen fiihren geheime Rituale mit duBeren, sinnlich greifbaren Substanzen durch. Dabei gibt es un- terschiedliche Praktiken. Die Substanzen kcinnen nach orthodoxer Auflhs- s u n g r e i n s e i n ( 2 . B . M i l c h ) o d e r u n r e i n (2 . B . A l k o h o l ) ; e s g i b t a u c h d e n rituellen Geschlechtsverkehr mit einer Frau. In diesem Fall b^edeutet ^{akri dann nicht ,Energie', sondern eine leibhaftige Ritualpartnerin." Diese Rich- tung wird mit verschiedenen Namen bezeichnet, nrimlich als svaiakti- sudhana (,Praktik mit der eigenen Ritualpartnerin') oder narl-sadhana (,Praktik mit einer Frau'), aber auch als maha-mudra-sadhana3t, denn maha- mudra muss nicht einen bestimmten Bewusstseinszustand bezeichnen,v son- dern kann auch eine Ritualpartnerin meinen, wie bereits schon mudra, ein Wort, das mit ,Freude gebend'ls umschrieben wird. In anderen Zusammen- hdngen hat mudrabekanntlich die Bedeutung ,Geste', ,Gestik' oder aber ,ge- rostete Getreidekcirner' (denen eine aphrodisische Wirkung zugedacht wird)s - der Sinn ,Ritualpartnerin' ist in der langen Liste der Bedeutungen

to Stvu,t, Jayadhan 1969, S. 30-32, besonders die Abslitze 100, l0l, 106-108.

L Dazu Sn Ramnatha Jha in seinem Vorwort 6hamika) zu Jayadhdri Sruue 1969, S. ka.

r r vgl. Anm. 23.

rr Dies ist z.B. bei den Bauls der Fall, vgl. Rahul Peter Drs, ,,Problematic aspects of the sexual rituals of the Bauls of Bengal". ln: Jourrutl of the American Oriental Societv l12/

1992, S. 388-432. Wie Des zeigt, gibt es fiir zahllose Metaphem eine Interpretation aus dem Kontext des sexuellen Rituals.

t t Sruue 1969, S . 3 1 , A b s a t z l 0 l , u n d S . 5 3 , A b s a t z 1 9 6 .

x Fiir eine nicht-ritualistische Erliiuterung des Konzeptes von mahamudra vide Herbert voN Guerutuen, Yuganacldha. The Tantic View of Life. The Chowkhamba Sanskrit Stud- ies vol. IIl. Second edition. Varanasi: Chowkhamba Sanskrit Series Office ( 1952) 1969.

D a r i n S . l 3 3 , , T h e G r e a t M u d r d i s a s t a t e o f c o m p l e t e i n n e r a w a r e n e s s , w h i c h i s s o d i f f i - cult to be formulated in words, because it is not a light that one sees, but the light and

freedom by which one sees and lives."

rs StMsn 1969, S. 53, Absatz 195. Er bezieht sich auf Kularnavatantra XVI|.57 16 Agehananda Buenert 1965/1993, 5. 242.

44

(15)

Birg,it Mat'er-Kdnig: Mehrdeutigkeit durch Ebenen religi6ser Begrifflit'hkeit

des weitverbreiteten Sanskrit-Englisch-Lexikons von Monier-Williams gar nicht aufgefiihrt.3T

Wenn nun in einem Vers die Rede davon ist, dass ein Adept ,die mudra er- fahren soll', so ist es fi.ir den Ubersetzer auch unter Berticksichtigung des Kon- textes sehr schwierig, wenn nicht unm<iglich, zu entscheiden, in welchem

Sinne mudra dabei aufzufassen ist. Was soll denn nun der Adept praktisch aus- fiihren? Soll er in einer bestimmten Korper- und Geisteshaltung mit kompli- ziert verschrdnkten Fingern meditieren'l Soll er Getreidekcirner essen - aus welchem Grund auch immer? Oder soll er seine Partnerin als Hilfsmittel zum Gliick benutzen'? Derartige Verstdndnisschwierigkeiten treten allerdings nicht erst bei der Ubersetzung auf, wie schon oben erldutert, sie sind dem Original bereits immanent. und das auch noch mit Absicht.

S c h l u s s

Die hier aufgezeigten Typen der Mehrdeutigkeit ktjnnen zwar theoretisch un- terschieden werden, in der Praxis kommen sie aber gern nicht einzeln, sondern durchmischt, iiberlagert oder verkniipfi vor. Zumindest die Typen eins bis drei findet man in der belletristischen Literatur ebenso wie in der religitisen. Im Vcrgleich der beiden Literaturbereiche gibt es allerdings bei den religi<isen Texten noch zusiitzliche Erschwernisse.

Eine religidse Aussage ist in ihren Nuancen ofi besonders f'ein. Die Nuan- cen in der Ubersetzung zu trefTen, erfordert groBe Sprachsicherheit und Ein- fiihlungsvermcigen. Schon beim Ubersetzen von Lyrik stellen sich fast uniiberwindliche Htirden, da die Feinheiten der Stimmungen und Aussagen rm fremden Sprachmedium kaum zu f'assen sind, geschweige denn der urspri.ing- liche Sprachfluss, die Melodie und der Rhythmus des Originals. Je weiter die Ubersetzungssprache von der Ursprungssprache linguistisch und kulturell ent- t'ernt ist, desto griiBer sind die Ubertragungsprobleme.

Wiihrend sich diese Schwierigkeiten bereits in der Lyrik zeigen, bekommen sie bei den religirisen, aber auch bei den philosophischen Texten ein besonderes Gewicht, da hier die Aussagen eine zunehmend existenzielle Bedeutung ge- winnen. Es gibt also eine gewisse Steigerung der Problematik. Ob man ,,er ging weg" oder ,,er begab sich hinaus" Ubersetzt, wird den intendierten Sinn einer belletristischen Geschichte kaum sttiren. Verwendet man aber ,,Verstand" statt ,,Herz" oder ,,Alkohol" statt ,,innerer Gli.ickseligkeit", so ist die ganze Aussage

17 Eine interessante Listung der Bedeutungen von mudra Imntortalit,- and Freedom. Erstausgabe auf Franz6sisch U n i v e r s i t y P r e s s 1 9 6 9 . D a r i n S . 4 0 5 4 0 7 .

bietet Mircea Elt,roe, laga.

1 9 5 4 . E n g l . 2 . E d . P r i n c e t o n :

(16)

erheblich verhndert.s8 ,,Er wusste die Wahrheit in seinem Herzen" bleibt etwas anderes als ,,er erkannte den Zustand mit seinem Verstand". Oder: ,,Vergiss die Welt und trinke den Alkohol" entspricht wcirtlich genommen kaum den Erwar- tungen, die man an einen religirisen Text herantrrigt. Deutet man ,,Alkohol"

aber als eine Metapher fiir die berauschende Freude mystischer Ekstase, so ist das etwas qualitativ anderes.

Wenn man bedenkt, dass religicise Texte normativ korrektes Verhalten mit- teilen wollen oder zur Festigung bestimmter Gedanken dienen, so kann man sich leicht vorstellen, welche ungliicklichen Folgen falsche Ubersetzungen hervorrufen kcinnen. SchlieBlich verfolgen religiose Texte einen bestimmten Zweck, der tiber eine angenehme Unterhaltung weit hinaus geht.

Ein groBes Problem, das viel zu wenig beachtet wird, bleibt schlielSlich die Frage, was denn nun ein religiriser Text sei, was nicht. Steht das Hohe Lied nun berechtigterweise in der Bibel oder etwa doch nicht? Wer geniel3t ein Ghazal- [-ied als schmachtendes l,iebeslied. wer sieht in ihm eine Wahrheit. die ihn die Ndhe Gottes erahnen ldsst'l Liegt die Einschiitzung nicht letztlich weniger im Textmaterial als in der subjektiven Empfindung des Rezipienten'l Das Gleiche gilt fiir die Lieder rJes Car-,-apada, die urspri.inglich von buddhistischen Leh- rern stammen. aber heute in Bengalen besonders von den Bauls gesungen wer- den, einer synkretistischen Gruppe, die den Sufls und damit den Muslimen zugerechnet wird.r" Die Trennung zwischen religids und profan ist hier kiinst- lich und falsch. Viele Religionen machen eine solche Unterscheidung nicht, da ftir sie alles miteinander zusammenhdngt und deshalb sogar geringflgige Klei- nigkeiten eine fi-ir das Lebensziel wichtige Bedeutung haben kcinnen. Ihnen kommt die Mehrdeutigkeit als bewusst eingesetztes Stilelement gerade recht.

V g l . d e n S a n s k r i t - T e r m i n u s n r r r z l r ' r r . d e r w o r t l i c h , A l k o h o l ' b e d e u t e t u n d i m [ i b e r t r a g e n e n Sinn ,,the nectarine stream issuing from the cavity of the brain where the soul resides"

(nach dem lganasara mit D. N. BosE. Tantras Their Philosophit'ul antl Occult S e c r e l . r , C a l c u t t a l9 - 5 6 , S . 1 3 7 , z i t i e r t n a c h A . B H , q n n r t 1 9 6 5 / 1 9 9 3 , S . 1 7 0 ) .

V g l . A n m . l 5 u . 3 2 .

46

Referenzen

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