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Geordnete Mengen

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KAPITEL 4

Geordnete Mengen

W¨ahrend bisher algebraische Beschreibungen von kombinatorischen Konfi- gurationen untersucht wurden, konzentrieren wir uns nun auf ordnungstheo- retische Aspekte. ( ¨Uber die Inzidenzalgebrakann diese Betrachtungsweise allerdings oft vorteilhaft wieder in einen algebraischen Rahmen gebracht werden (s. Abschnitt 2).)

Die MengeMheisst bzgl. der (bin¨aren) Relation

”≤“(teilweise oder halb-) geordnet, falls f¨ur allex, y, z ∈M gilt:

(O.1) x≤x

(O.2) x≤yundy≤x ⇐⇒ x=y.

(O.3) x≤yundy≤z =⇒ x≤z.

In diesem Fall nennen wir P = (M,≤) eineHalbordnung1 (oder einfach eineOrdnung). Man notiert abk¨urzend

x < y ⇐⇒ x≤yundx6=y . Gilt zus¨atzlich zu (O.1)-(O.3) f¨ur allex, y ∈M:

(O.4) x≤yodery≤x,

so istM (bzgl.P)linear(odertotalbzw.vollst¨andig) geordnet.P wird dann auchKette(oderTurm) genannt.

EX. 4.1. Die MengeNder nat¨urlichen Zahlen ist z.B. (total) geordnet durch die ¨ubliche Gr¨ossenbeziehung

m≤n :⇐⇒ n−mist positiv.

Eine andere wichtige Ordnungrelation aufNist durch die Teilbarkeit gege- ben:

m≤n :⇐⇒ mteiltn (symbolisch:m|n).

In Bezug auf die Teilbarkeitsordnung sind z.B. die Zahlen 3 und 5 nicht vergleichbar, da keine die jeweils andere teilt. Diese Relation erf¨ullt also (O.4) nicht.

1fortschrittliche Zeitgenossen benutzen auch gerne die im Englischen ¨ubliche Abk¨urzung

poset“ (=partially ordered set), die sich im Deutschen aber recht merkw¨urdig ausnimmt.

55

(2)

EX. 4.2. Ist Mein System von Teilmengen einer Menge M, so tr¨agtM eine nat¨urliche Ordnung durch die Enhaltenseinsrelation:

S ≤T :⇐⇒ S ⊆T . Auch hier ist (O.4) im allgemeinen nicht erf¨ullt.

EX. 4.3. Sei M ⊆ Qn eine Menge von n-dimensionalen Koordinaten- vektoren. Dann kann man M als durch Komponentenvergleich geordnet auffassen:

(x1, . . . , xn)≤(y1, . . . , yn) :⇐⇒ xi ≤yi (i= 1, . . . , n). Wiederum gilt typischerweise (O.4) nicht (wie man z.B. anhand von x = (10,2)undy= (−1,3)inQ2 sofort sieht) .

Gilt f¨ur die Elemente x, y ∈ P weder x ≤ y nochy ≤ x, so heissen sie unvergleichbar. Eine Menge, die nur aus paarweise unvergleichbaren Ele- menten besteht, ist eine sog.Antikette. Offenbar kann manjedeMenge zu einer Halbordnung machen, indem man einfach jedes Paar von Elementen als”unvergleichbar“ erk¨art (d.h.

”trivial ordnet“).

1. Darstellung von Ordnungen

Als Beispiele von Ordnungen haben wir oben Mengensysteme bzgl. der Enthaltenseinsrelation gegeben. In einem gewissen Sinn sind diese

”typisch“, da man jede OrdnungP = (M,≤)so darstellen kann:

Zu jedemx∈M definieren wir das vonxerzeugteIdealals Id(x) = {y∈M |y≤x}

und betrachtenM={Id(x)|x∈M}. Dann ist klar:

y≤xin(M,≤) ⇐⇒ Id(y)⊆Id(x)in(M,⊆).

Ist dieP zugrunde liegende MengeM endlich, so bieten sich auch andere Darstellungm¨oglichkeiten an.

Inzidenzmatrix.Man repr¨asentiertP = (M,≤)durch dieInzidenzmatrix AP = (aij)∈QM×M, wobei

aij =

(1 fallsi≤j inP , 0 sonst.

Hassediagramm.Wir sagenx∈P ist ein obererNachbarvony∈P, falls y≤xgilt, es aberkeinElementzgibt mit der Eigenschaft

y < z < x .

(3)

1. DARSTELLUNG VON ORDNUNGEN 57

Das Hassediagramm vonP = (M,≤) ist nun die MatrixHP = (aij) ∈ QM×M, wobei

aij :=

(1 fallsj oberer Nachbar voniinP , 0 sonst.

Wir beobachten im endlichen Fall: x < y gilt in P genau dann, wenn es Elemente x = z0 < z1 < . . . < zk = y gibt derart, dass zi+1 oberer Nachbar vonzi ist. (Im unendlichen Fall gilt dies nicht unbedingt, wie das BeispielP = (Q,≤)sofort zeigt.)

BEMERKUNG. Das Hassediagramm einer endlichen Ordnung wird oft bildlich dargestellt, indem man die Elemente als Punkte zeichnet und Paare von Nachbarn mit (gerichteten) Pfeilen verbindet.

Zeichnet man so geschickt, dass ein

”oberer Nachbar“ auch bildlich immer

”¨uber“ sei- nen unteren Nachbarn angesiedelt ist, so kann man im Hassediagramm statt Pfeilen einfach Liniensegmente nehmen. Beispiel (Kette):

o

| o ... o

| o

1.1. Lineare Erweiterungen. Sei wiederM eine endliche Menge mit

|M| =nElementen. Eine Permutationπ der Elemente vonM k¨onnen wir uns einfach als gewisse

”lineare“ Anordnung (

”Liste“ ) der Elemente von M bzw. eine bijektive Abbildung

π :M → {1,2, . . . , n}

vorstellen, bei derπ(x)angibt, an welcher Stelle der Listexauftritt.

Haben wir nun k solcher Listen π1, . . . , πk, so ordnen wir jedem x ∈ M den Vektor

x= (π1(x), . . . , πk(x))∈Qk

zu. Durch die komponentenweise genommene Ordnung dieser Vektoren wird eine HalbordnungP = (M,≤)aufM induziert:

y≤x :⇐⇒ πi(y)≤πi(x) (i= 1, . . . , k).

In diesem Sinn ergibt sichP als der sog.Durchschnittder linearen Ordnun- genπ1, . . . , πkaufM.

(4)

BEMERKUNG.Der Durchschnitt von Ordnungen hat durchaus eine mengentheo- retische Interpretation: Die Ordnungen P1 = (M,≤1) und P2 = (M,≤2) re- pr¨asentieren wir durch die Mengen der jeweils vergleichbaren Paare

Pi={(x, y)|x≤i y} (i= 1,2) und definieren

x≤y ⇐⇒(x, y)∈ P1∩ P2 (d.h.:x≤1yundx≤2 y). Man sieht leicht:P = (M,≤)ist eine Ordnung mit

P ={(x, y)|x≤y}=P1∩ P2 .

Wir wollen nun zeigen:Jede endliche OrdnungP = (M,≤)ist ein Durch- schnitt von endlich vielen linearen Ordnungen. Dazu betrachten wir sog.

lineare ErweiterungenvonP, n¨amlich Bijektionenπ :M → {1,2, . . . , n}

mit der Eigenschaft

x≤yinP =⇒ π(x)≤π(y)inQ.

Ist π eine lineare Erweiterung von P und erf¨ullt x ∈ M die Bedingung π(x) = 1, so mussxnotwendigerweise einminimalesElement vonP sein (d.h. es gibt keinymity < xinP). Damit ist klar, wie man lineare Erwei- terungenπkonstruiert:

• Man beginnt mit irgendeinem minimalen Element x von P und setztπ(x) := 1

• Dann w¨ahlt man irgendein minimales Element y der von P auf M \ {x}induziertenTeilordnungund setztπ(y) := 2usw. bis alle Elemente zugewiesen sind.

LEMMA 4.1. P = (M,≤)ist der Durchschnitt aller linearen Erweiterun- genπvonP.

Beweis. Von der Definition her ist klar, dass P im Durchschnitt aller linearen Erweiterungen liegt. W¨are nunP ungleich dem Durchschnitt, so g¨abe es Elemente x 6= y ∈ M, die inP zwar unvergleichbar sind aber dennoch die Eigenschaft haben

π(x)< π(y) f¨ur alle linearen Erweiterungenπ.

Das ist jedoch unm¨oglich, wie man leicht per Induktion einsieht. Ist n¨amlichxdas einzige minimale Element vonP, so giltx < y. Gibt es ein minimales Element z6=x, so gibt es auch eine lineare Erweiterung, die mitzbeginnt. Insbesondere ist z6=y. Also folgt die Behauptung schon aus der Induktionsannahme bzgl.P\ {z}.

(5)

1. DARSTELLUNG VON ORDNUNGEN 59

Ordnungsdimension. Wir definieren nun als die (Ordnungs-)Dimension der OrdnungP = (M,≤)die Zahl

dimP = min{k |P ist Durchschnitt vonklinearen Erweiterungen}. dimP = 1 bedeutet also gerade, dassP eine Kette ist. Eine Antikette A mitn ≥ 2Elementen hat immer Ordnungsdimension dimA = 2, dennA ist offenbar ein Durchschnitt von

π1 = (x1, x2, . . . , xn−1, xn) und π2 = (xn, xn−1, . . . , x2, x1). BEMERKUNG.IstP ⊆Qkeine endliche Teilmenge mit der komponentenweisen Ordnung, so gilt

dimP ≤ k ,

wie man durch die Projektionen vonP auf diekKoordinatenachsen vonQkerken- nen kann. Folglich ist allgemeindimPauch die kleinste (Vektorraum-) Dimension k, die eine ordnungserhaltende Einbettung einer OrdnungP = (M ≤)inQkge- stattet (Details in den ¨Ubungen).

Das Stanley-Polyeder. Wir fassen nun die endliche Grundmenge M = {1,2, . . . , n} als Indexmenge des Vektorraums Rn auf. Dann ist das sog.

Stanley-Polyederder OrdnungP = (M,≤P)

Π(P) = {(x1, . . . , xn)∈Rn |i≤P j =⇒ 0≤xi ≤xj ≤1}. Π(P)ist also die L¨osungsmenge des linearen Ungleichungssystems

xi−xj ≤ 0 wennimmeri≤P j xi ≤ 1

xi ≥ 0

und damit eine Teilmenge des n-dimensionalen W¨urfels [0,1]n der Sei- tenl¨ange 1 und des Volumens 1. Zu einer beliebigen Permutation π von M betrachten wir

Π(π) ={(x1, . . . , xn)∈Rn|π(i)≤π(j) =⇒ 0≤xi ≤xj ≤1}. Da eine Permutation der Koordinaten die Volumina unver¨andert l¨asst, zer- legen die PolyederΠ(π)den W¨urfel[0,1]n inn!Teile gleichen Volumens.

Also gilt

volΠ(π) = 1 n! .

BEMERKUNG.Sindπ 6=π0verschiedene Permutationen der Elemente vonM, so existiereni, j∈Mmitπ(i)< π(j)aberπ0(i)> π0(j). Also gilt f¨ur alle Vektoren x= (x1, . . . , xn)∈Π(π)∩Π(π0):

xi=xj .

(6)

D.h.: Π(π)∩Π(π0)liegt in der Hyperebene{x∈ Rn|xi =xj}und hat deshalb vol(Π(π)∩Π(π0)) = 0.

Insbesondere erhalten wir Π(P) = [

{Π(π)|πlineare Erweiterung vonP} und damit die Darstellung von Stanley:

(9) Anzahl der linearen Erweiterungen vonP = n!volΠ(P)

BEMERKUNG.Die Stanleybeziehung (9) f¨uhrt die Bestimmung der Anzahl der li- nearen Erweiterungen einer endlichen Ordnung auf die Berechnung des Volumens eines scheinbar einfachen Polyeders zur¨uck.

Allerdings ist gegenw¨artig kein allgemeines algorithmisches Verfahren bekannt, mit dem die Anzahl der linearen Erweiterungen einer Ordnung effizient berechnet werden k¨onnte. Daraus folgt:Es ist kein allgemeines Verfahren zur effizienten Be- rechnung von Volumina von Polyedern bekannt. (Es gibt nat¨urlich viele spezielle Polyeder (W¨urfel, Quader, Parallelepipede, Dreiecke,. . .), deren Volumen effizient ermittelt werden kann.)

Ein paar Beispiele von interessanten Ordnungen mit kleiner Ordnungsdimen- sion folgen.

1.1.1. Serienparallele Ordnungen. F¨ur die OrdnungenP1 = (M1,≤1) undP2 = (M2,≤2)auf den disjunkten MengenM1 undM2 definieren wir aufM =M1∪M2die sog.Serienverkn¨upfungP1⊕P2durch die Festlegung

x≤y :⇐⇒





x, y ∈M1 undx≤1 y, x, y ∈M2 undx≤2 y, x∈M1 undy∈M2.

DieParallelverkn¨upfungP1kP2 ist aufM1∪M2definiert durch x≤y :⇐⇒

(x, y ∈M1undx≤1 y, x, y ∈M2undx≤2 y.

Bei der Parallelverkn¨upfung bleiben also Elemente ausM1 undM2 unver- gleichbar. Bei der Serienverkn¨upfungen sind alle Elemente ausM2 gr¨osser als die Elemente ausM1. Ansonsten werden die Ordnungsrelationen vonP1 undP2beibehalten.

Per Definition ist eine 1-elementige Ordnung (die man sowohl als

”Ket- te“ als auch als

”Antikette“ auffassen k¨onnte)serien-parallel. Rekursiv de- finieren wir nun P als serien-parallel, falls es serien-parallele Ordnungen

(7)

1. DARSTELLUNG VON ORDNUNGEN 61

P1 undP2gibt mit der Eigenschaft

P =P1⊕P2 oder P =P1kP2 .

Per Induktion ist nun bei endlichen OrdnungenP leicht einzusehen (Details in den ¨Ubungen):

P serienparallel =⇒ dimP ≤2. BEMERKUNG(

”N“).Nicht jede2-dimensionale Ordnung ist serien-parallel, wie das sog.N, d.h. die folgende Ordnung auf4Elementen zeigt:

c d

↑ - ↑

a b

(d.h. a < c, b < c, b < d)

Jede serienparallele Ordnung ist N-frei, d.h. kann keinN als induzierte Teilord- nung besitzen, da weder die Serien- noch die Parallelverkn¨upfung von N-freien Ordnungen einN erzeugen kann.

Tats¨achlich stellt sich heraus, dass

”N-frei“ und

”serienparallel“ dasselbe bedeutet, dass also serienparallele Ordnungen durch verbotene Unterstruk- turen charakterisiert werden k¨onnen.

PROPOSITION 4.1. Die endliche Ordnung P istN-frei genau dann, wenn P serienparallel ist.

Beweis. Wir haben schon gesehen, dass eine serienparalle OrdnungN-frei ist. Sei alsoP N-frei. Wir argumentieren per Induktion und betrachten zu jedemx ∈ P die Menge allerNachfolger

N(x) :={y|x < y}.

Sind nunaundbzwei minimale (und damit inbesondere unvergleichbare) Elemen- te vonP, so muss gelten

N(a)∩N(b) =∅ oder N(a) =N(b).

Denn g¨abe es einc ∈ N(a)∩N(b)und etwa eind∈ N(b)\N(a), dann h¨atten wir ja einN als Teilordnung vorliegen.

Hat nunP genau ein einziges minimales Elementa, so istP offensichtlich eine Serienverkn¨upfung von a und P0 = P \ {a}. Da auch P0 N-frei ist, folgt die Behauptung per Induktion ¨uber die Anzahl der Elemente vonP.

Gibt es zwei minimale ElementeaundbmitN(a) =N(b), so k¨onnen wiraundb zu einem Elementa0 ={a, b}verschmelzen, um eine OrdnungP0 zu erhalten, die wiederN-frei ist. Per Induktionsvoraussetzung kannP0 entweder in eine Serien- oder eine Parallelverkn¨upfung zerlegt werden. Diese Zerlegung liefert offenbar ei- ne entsprechende Zerlegung vonP.

(8)

Im letzten verbleibenden Fall gibt es minimale Elementea1, . . . , akmitk≥2und N(ai)∩N(aj) =∅f¨ur allei6=j. Folglich zerf¨alltPparallel in:

P = {a1} ∪N(a1)

k {a2} ∪N(a2)

k. . .k {ak} ∪N(ak) .

1.1.2. Intervallordnungen. Die Ordnung P = (M,≤P) heisst Inter- vallordnung, wenn wir jedem x ∈ M ein Intervall (ax, bx)von rationalen Zahlen zuordnen k¨onnen derart, dass gilt

x <P y ⇐⇒ bx < ay , wenn also dasxzugeordnete Intervall ganz

”vor“ demy-Intervall liegt.

BEMERKUNG. Intervallordnungen treten typisch in derMesstheorie auf: Jedem Elementxeiner MengeMsei ein Parameterwertf(x)∈Qzugeordnet. Wir wollen die Elemente vonM nach ihren Parameterwerten ordnen.

Wennf(x) im Rahmen der Messgenauigkeit nur durch eine Untergrenzeax und eine Obergrenzebxpr¨azisiert werden kann, so kannx < ynur dann mit Sicherheit behauptet werden, wennbx < ay gilt. D.h.: AufM wird durch die Messungenau- igkeit bzgl. derf-Parameter eine Intervallordnung induziert.

Betrachten wir die NachfolgermengenN(x) = {y | x < y} der Intervall- ordnungP, so beobachten wir nun f¨ur allex, y:

(10) N(x)⊆N(y) oder N(y)⊆N(x),

je nach dem, obby ≤bxoderbx ≤bygilt. Wir k¨onnen uns also die Elemente der endlichen GrundmengeM ={x1, . . . , xn}so numeriert vorstellen, dass gilt

N(x1)⊇N(x2)⊇. . .⊇N(xn).

Die Eigenschaft (10) ist ¨aquivalent mit der Forderung, dass P nicht die folgende (4-elementige) Ordnung als Teilordnung enth¨alt:

(11)

c d

| |

a b

(a < c, b < d).

Damit lassen sich auch Intervallordnungen durch verbotene Unterstrukturen charakterisieren.

PROPOSITION 4.2. Die endliche Ordnung P = (M,≤)ist eine Intervall- ordnung genau dann, wennP nicht (11) als induzierte Teilordnung besitzt (bzw. wenn Eigenschaft (10) vorliegt).

(9)

2. INZIDENZALGEBRA 63

Beweis. Es habeP die Eigenschaft (10). Wir zeigen (per Induktion ¨uber|P|, dass P eine Intervallordnung ist. Im1-elementigen Fall|P| = 1ist das klar. Sei also

|P| ≥2.

Wir betrachten ein minimales Elementx1undP0=P\{x1}. Nach Induktionsvor- aussetzung istP0 eine Intervallordnung. Sicherlich k¨onnen wir bei der Intervall- darstellung von P0 annehmen, dass die den minimalen Elementen zugeordneten Intervalle alle denselben Anfangspunkt, sagen wir

”0“, haben.

Wir weisen nun x1 das Intervall (ax1, bx1) = (−3,−1)zu. Das entspr¨ache der Serienverkn¨upfung vonx1 undP0. Gibt es minimale Elementey inP0, die inP nicht mitx1vergleichbar sind, so modifizieren wir deshalb die Anfangspunkte der Intervalle(ay, by)vonay = 0inay =−2(und belassenbyjeweils wie es war).

WegenN(x1) ⊇N(x2) ⊇. . .haben wir nach dieser Modifikation eine Intervall- darstellung vonP erreicht.

BEMERKUNG. Der obige Beweis zeigt, dass eine Intervallordnung immer mit Intervallen, deren Endpunkte ganzzahlig sind, dargestellt werden kann.

Semiordnungen.Eine Intervallordnung P heisstSemiordnung, wenn eine Intervalldarstellung existiert, bei der alle Intervalle dieselbe L¨ange haben.

Man kann zeigen, dass die Dimension einer Semiordnung P h¨ochstens 3 ist (Details als ¨Ubung). (Ohne Beweis: Es ist bekannt, dass die Dimension von Intervallordnungen schlechthin nicht durch eine allgemeine Konstante beschr¨ankt werden kann.)

2. Inzidenzalgebra

Das Modell geordneter Mengen erlaubt eine direkte Verallgemeinerung des Ringes der formalen Potenzreihen. Dazu betrachten wir eine OrdnungP = (M,≤), wobei wir annehmen: JedesIntervallbzgl.P

[x, y] := {z∈M |x≤z ≤y} ist immer eine endliche Teilmenge. EX. 4.4. IstM endlich, so nat¨urlich auch jedes Intervall[x, y]bzgl.P. Sei nun speziellM =N\ {0}. IstP = (N,≤)die gew¨ohnliche Ordnungsrela- tion, so besteht[x, y]gerade aus den Zahlen, die zwischenxundyliegen.

IstP = (M,|)die Teilbarkeitsordnung, so umfasst[x, y]genau die nat¨urli- chen Zahlen , die Vielfache vonxund gleichzeitig Teiler vonysind.

Sei nunKein K¨orper (z.B.K =Qoder allgemeinerK =C). DieInziden- zalgebraI(P)besteht per Definition aus allen Funktionenϕ:M×M →K mit der Eigenschaft

ϕ(x, y) = 0 falls x6≤y .

(10)

Sindϕ, ψ∈ I(P)undλ∈K, so nat¨urlich auchϕ+ψundλϕ. Wir definie- ren das Produktρ=ϕ∗ψ durch die folgende naheliegende Verallgemeine- rung der Konvolution

ρ(x, y) = X

x≤z≤y

ϕ(x, z)·ψ(z, y),

die wegen der obigen Endlichkeitsannahme ¨uber die Intervalle bzgl.P wohl- definiert ist. Damit istI(P)ein Ring mit Einselementδ, wobei

δ(x, y) =

(1 fallsx=y, 0 sonst.

BEMERKUNG. I(P)verallgemeinert die formalen Potenzreihen z.B. im folgen- den Sinn. Wir betrachtenP = (N,≤)mit der gew¨ohnlichen Ordnungsrelation. Der Potenzreihe

f(x) =

X

k=0

akxk (ak∈K)

ordnen wir die Funktionϕf ∈ I(N,≤)zu, die so definiert ist

ϕf(m, n) =

(an−m fallsm≤n,

0 sonst.

Es gilt immer ϕf(m, n) = ϕf(0, n−m). Ist g(x) = P

k=0bkxk eine weitere Potenzreihe, so ergibt die Konvolution

ϕf∗ϕg(0, n) = X

0≤k≤n

ϕf(0, k)ϕg(k, n) = X

0≤k≤n

akbn−k

und stimmt mit der entsprechenden Konvolution der Potenzreihen ¨uberein.

ζ-Funktion und M¨obiusfunktion.Fundamental inI(P)ist dieZeta-Funk- tionζ (die einfach die Idee der Inzidenzmatrix vonP verallgemeinert):

ζ(x, y) =

(1 fallsx≤y, 0 sonst.

Die Funktion ζ ist inI(P)invertierbar. Das heisst: Es gibt eine Funktion µ∈ I(P)mit der Eigenschaft

µ∗ζ =δ .

Die Existenz vonµersieht man aus der Eigenschaft, dieµhaben m¨usste:

X

x≤z≤y

µ(x, z) =δ(x, y).

(11)

2. INZIDENZALGEBRA 65

Wir definieren nun einfachµ(x, x) = 1f¨ur allex∈ P und erhalten im Fall x < ywegenδ(x, y) = 0die rekursive Beziehung

µ(x, y) = − X

x≤z<y

µ(x, z),

die den Wertµ(x, y)eindeutig festlegt. Ist z.B.yein oberer Nachbar vonx inP, so ist[x, y] ={x, y}und wir erhalten

(12) µ(x, y) =−µ(x, x) =−1.

Ist[x, y] ={x=x0 < x1 < . . . < xk =y}eine Kette mitk ≥2, so finden wir allgemeiner rekursiv:

µ(x0, x0) = 1 µ(x0, x1) = −1 µ(x0, x2) = 0

... µ(x0, xk) = 0

Die zuζinverse Funktionµ∈ I(P)ist alsM¨obiusfunktionbekannt.

Produkte von Ordnungen. Nehmen wir an, wir haben zwei Ordnungen P1 = (M1,≤1)undP2 = (M2,≤2)und definieren auf dem direkten Pro- duktM =M1×M2 die OrdnungP =P1×P2 = (M1×M2,≤)(kompo- nentenweise) ¨uber

(x1, x2)≤(y1, y2) ⇐⇒ x11 y1undx22 y2 .

Dann erhalten wir die M¨obiusfunktionµ∈ I(P1×P2)als das Produkt der M¨obiusfunktionenµ1 ∈ I(P1)undµ2 ∈ I(P2):

(13) µ[(x1, x2),(y1, y2)] = µ1(x1, y1)·µ2(x2, y2) .

Im Fall(x1, x2) = (y1, y2)hat das Produkt ja den Wert1. Im Fall(x1, x2)<

(y1, y2)rechenen wir einfach nach:

X

(x1,x2)≤(z1,z2)≤(y1,y2)

µ1(x1, z12(z2, y2)

= X

x11z11y1

X

x22z22y2

µ1(x1, z12(z2, y2)

= X

x11z11y1

µ1(x1, z1) X

x22z22y2

µ2(z2, y2)

= 0 .

(12)

wie es die rekursive Eigenschaft der M¨obiusfunktion verlangt. Aus der mul- tiplikativen Eigenschaft (13) kann man in vielen F¨allen die M¨obiusfunktion explizit berechnen. Wir betrachten zwei Beispiele.

EX. 4.5 (Potenzmenge). SeiM eine Menge mit |M| = n Elementen und der PotenzmengeP ot(M). Wir betrachten die OrdnungP = (P ot(M),⊆) der Enthaltenseinsrelation auf der Menge aller Teilmengen vonM.

Die Darstellung der Teilmengen durch ihre charakteristischen Vektoren, d.h. die Identifizierung

P ot(M) ←→ {0,1}n ={0,1} × {0,1} ×. . .× {0,1}

zeigt sofort:

µ(∅, M) = µ(0,1)n= (−1)|M|.

Sind allgemeiner S ⊆ T Teilmengen von M, so entspricht das Intervall [S, T] in P im wesentlichen der Potenzmenge der DifferenzmengeT \ S.

Wir schliessen deshalb:

(14) µ(S, T) = µ(∅, T \S) = (−1)|T|−|S|

EX. 4.6 (Multimengen). Das vorangehende Beispiel k¨onnen wir sofort ver- allgemeinern mit der OrdnungP = (Nn,≤), d.h.

Nn=N×N×. . .×N

mit der komponentenweisen Ordnung der Vektoren x = (x1, . . . , xn) ∈ Nn. Ein solcher Vektor x kann als Multimenge ¨uber einer n-elementigen Grundmenge aufgefasst werden, wobei das erste Elementx1mal, das zweite Elementx2 mal usw. ausgew¨ahlt wird.

Jedes Intervall bzgl. P ist ein Produkt von Ketten (n¨amlich Intervallen in N):

[x,y] = [x1, y1]×[x2, y2]×. . .×[xn, yn] Deshalb giltµ(x,y) =µ(x1, y1)µ(x2, y2). . . µ(xn, yn), d.h.

µ(x,y) =

(0 falls einiexistiert mityi−xi ≥2, Qn

i=1(−1)yi−xi sonst.

Wir beobachten: µ(x,y) = µ(0,y−x), d.h. der Wert µ(x,y)h¨angt nur vom Differenzvektory−xab.

(13)

2. INZIDENZALGEBRA 67

EX. 4.7 (Teilerverband). Wir betrachten nun die nat¨urlichen Zahlen (ohne 0) mit der Teilbarkeitsordnung:P = (N\ {0},|). Stellen wir die nat¨urliche Zahln ≥1als Produkt von Primzahlenpi dar:

n =pα11pα22. . . pαkki ∈N),

so ergeben sich die Teiler dvon n (d.h. die Elemente des Intervalls[1, n]) genau als die Zahlen der Form

d=pβ11pβ22. . . pβkk (0≤βi ≤αi).

Schreiben wir y = (α1, . . . , αk), so entsprechen den Teilern d von n die Vektoren x = (β1, . . . , βk) mit x ≤ y (als

”Multimengen“ betrachtet).

Folglich berechnet sich die M¨obiusfunktion wie bei Multimengen:

(15) µ(1, n) =





1 fallsn = 1,

0 falls einiexistiert mitαi ≥2, (−1)k sonst.

Istmein Teiler vonn, so haben wir nat¨urlich auch hier µ(m, n) =µ(1, n/m).

In der Zahlentheorie ist es deshalb ¨ublich, die M¨obiusfunktion als eine Funktion zu schreiben, die nur von einer Variablen abh¨angt:

µ(n) =µ(1, n) (n ≥1).

BEMERKUNG (DIE RIEMANNSCHE ζ-FUNKTION). Wir betrachten als

”er- zeugende Funktion“ f¨ur die Koeffizientena1, a2, . . .die Funktion

f(s) =

X

n=1

an ns .

Der Spezialfalla1 =a2=. . .= 1ergibt dann (formal) Riemanns Funktion

ζ(s) =

X

n=1

1 ns . Die (formale) Multiplikation solcher Reihen f¨uhrt auf

X

n=1

an ns

·

X

n=1

bn ns

=

X

n=1

cn

ns , wobei cn = X

d|n

adbn/d. Insbesondere erhalten wir (wegenP

d|nµ(d) = 0fallsn≥2):

X

n=1

µ(n) ns

·

X

n=1

1 ns

= 1 d.h. 1 ζ(s) =

X

n=1

µ(n) ns .

(14)

2.1. M¨obiusinversion und Prinzip von Inklusion-Exklusion. Sei nun P = (M,≤)eine Ordnung, bez¨uglich welcher alle Intervalle endlich sind.

Zu der gegebenenK-wertigen Funktion f :M →K

definieren wir die dazugeh¨origesummatorische Funktion F ∈ I(P)per F(x, y) = X

x≤z≤y

f(z).

F ist eine Art

”Integral“ vonf bzgl. der OrdnungP. Wie man (in Analogie zur Differentialrechnung) vermuten w¨urde, kann man f aus F zur¨uckge- winnen.

SATZ 4.1 (M¨obiusinversion). SeiF ∈ I(P) die summatorische Funktion vonf :M →K. Dann gilt f¨ur allex≤y:

f(x) = X

x≤z≤y

µ(x, z)F(z, y) bzw. f(y) = X

x≤z≤y

F(x, z)µ(z, y).

Beweis. Wir setzenf formal zu einer Funktion der Inzidenzalgebra fort, indem wir definieren:

f(x, y) =

(f(x) fallsx≤y, 0 sonst.

Dann haben wirF =ζ∗f und folglichf =ζ−1∗F =µ∗F. Das heisst:

f(x) =f(x, y) = X

x≤z≤y

µ(x, z)F(z, y).

Die zweite Gleichung folgt analog ausf =f∗ζ∗µ=F∗µ, wobei

f(x, y) =

(f(y) fallsx≤y, 0 sonst.

EX. 4.8. Wegen der Inversionsrelation

f =G∗µ ⇐⇒ f ∗ζ =G haben wir

G(x, y) = X

x≤z≤y

f(x, z)ζ(z, y) = X

x≤z≤y

f(z) =F(x, y).

Das heisst:Nur die summatorische FunktionF f¨uhrt per M¨obiusinversion wieder zur¨uck auf die Ausgangsfunktionf.

(15)

2. INZIDENZALGEBRA 69

Nehmen wir z.B.P als die Potenzmenge einern-elementigen MengeMmit der Enthaltenseinsordnung, und betrachten eine Funktion, die jeder Teil- mengeS ⊆ M eine Zahlf(S)zuweist, so erhalten wir die summatorische Funktion

F(S) =F(S, M) = X

S⊆T

f(T) und erhalten per M¨obiusinversion

f(S) = X

S⊆T

µ(S, T)F(T) = X

S⊆T

(−1)|T|−|S|F(T).

Der SpezialfallS =∅liefert das sog.Prinzip der Inklusion-Exklusion, mit der folgendenSiebformel:

(16) f(∅) = X

T⊆M

(−1)|T|F(T)

EX. 4.9. In einer Gruppe von 73Leuten spielen 52 Klavier, 25Geige,10 Fl¨ote,17Klavier und Geige, 12Klavier und Fl¨ote,7Geige und Fl¨ote. Ge- nau eine Person beherrscht alle3 Instrumente. Wieviele Personen spielen keinInstrument?

Wir betrachtenM ={kl, ge, f l}und definieren f¨urS ⊆M den Wertf(S) als die Anzahl der Leute, die genau die Instrumente in S spielen. F¨ur die summatorische Funktion ergibt sich dann:

F(∅) = 73 F(kl) = 52 F(ge) = 25 F(f l) = 19 F(kl, ge) = 17 F(kl, f l) = 12 F(ge, f l) = 7 F(kl, ge, f l) = 1

Daraus berechnet sich die gesuchte Zahl nach (16) als

f(∅) = 73−(52 + 25 + 19) + (17 + 12 + 7)−1 = 12.

EX. 4.10 (EulerscheΦ-Funktion). Sein ≥ 2eine nat¨urliche Zahl mit den kverschiedenen Primfaktorenp1, p2, . . . , pk. Wir suchen die Anzahl

Φ(n) = {m|1≤m≤n, ggT(m, n) = 1}

(16)

der zunteilerfremden kleineren Zahlenm. Dazu w¨ahlen wir M ={p1, p2, . . . , pk}

und definieren f¨ur alle TeilmengenS ⊆ M den Wert f(S) als die Anzahl der Zahlenm≤n, die genau die Zahlen inSals Teiler haben. Die summa- torische Funktion

F(S) = X

S⊆T

f(T)

z¨ahlt dann die Anzahl der Vielfachen≤ n des Produktes der Zahlen in S.

D.h.:

F(∅) =n und F(pi1, . . . , pis) = n pi1. . . pis

Daraus ergibt sich die Darstellung

Φ(n) = f(∅) = n−n(1 p1 + 1

p2 +. . .+ 1

pk) +n( 1

p1p2 + 1

p1p3 +. . .)−

−n( 1

p1p2p3 + 1

p1p2p4 +. . .) +n( 1

p1p2p3p4 +. . .)−. . .

= n 1− 1 p1

1− 1 p2

. . . 1− 1 pk

.

Ist d ≥ 1 ein Teiler von n mit einem (mindestens) quadratisch auftreten- den Primfaktor, so verschwindet die M¨obiusfunktion (bzgl. der Teilbarkeits- ordnung): µ(d) = 0. Deshalb k¨onnen wir die obige Darstellung auch so schreiben:

Φ(n) = X

d|n

µ(d)n

d =X

m|n

mµ n m

.

Dies bedeutet, dassΦ(n)per M¨obiusinversion aus der Funktion F(m, n) =

(n wennm|n 0 sonst.

gewonnen wird. Folglich istF die summatorische Funktion vonΦund wir erhalten:

X

d|n

φ(d) = F(1, n) = n .

2.2. Kettenkomplexe. SeiP = (P,≤)eine endliche (Halb-)Ordnung.

Wir betrachten die Familie ∆ = ∆(P) aller Ketten vonP. ∆ ist der sog.

KettenkomplexvonP und hat die Eigenschaft

K ∈∆ =⇒ K0 ∈∆ f¨ur alleK0 ⊆K.

(17)

2. INZIDENZALGEBRA 71

Es erweist sich als bequem, P mit einem neuen minimalen Elementˆ0und einem neuen maximalen Elementˆ1zu der OrdnungPˆzu erweiteren. Mitci bezeichnen wir die Anzahl der Ketten der Form

ˆ0 = x0 < x1 < . . . < xi−1 < xi = ˆ1.

Also haben wirc0 = 0undc1 = 1. Im Falli≥2istcidie Anzahl der Ketten inP miti−1Elementen (bzw. die Anzahl der Mengen der M¨achtigkeiti−1 im Kettenkomplex∆).

Es sei an dieζ-Funktion und dieδ-Funktion erinnert, die in der Inzidenzal- gebra einer Ordnung das Einselement darstellt. Mitκ=ζ−δgilt

κ(x, y) =ζ(x, y)−δ(x, y) =

1 wennx < y 0 sonst.

Also gilt

κ2(x, y) = X

x<z<y

κ(x, z)κ(z, y) = X

x<z<y

1 und allgemeiner

κi(x, y) = X

x<x1<...<xi−1<y

1, d.h. κi(ˆ0,ˆ1) = (ζ−δ)i(ˆ0,ˆ1) = ci.

PROPOSITION4.3 (Abstrakte Eulerformel). Es gilt:

µPˆ(ˆ0,ˆ1) =c0−c1+c2−c3+. . . Beweis. Daµzuζinvers ist, finden wir

µPˆ(ˆ0,ˆ1) = ζ−1(ˆ0,ˆ1) = (δ+κ)−1(ˆ0,ˆ1)

= δ(ˆ0,ˆ1)−κ(ˆ0,ˆ1) +κ2(ˆ0,ˆ1)−κ3(ˆ0,ˆ1) +. . .

= c0−c1+c2−c3+. . .

Wir nennen den Parameter

(17) χ(∆) =µPˆ(ˆ0,ˆ1) + 1 =c2−c3+c4−. . . dieEulercharakeristikdes Kettenkomplexes∆ = ∆(P).

BEMERKUNG.(17) stellt einen wichtigen Zusammenhang zwischen der algebrai- schen Topologie und der diskreten Mathematik her.

(18)

3. Verb¨ande

SeiV = (M,≤)eine geordnete Menge undx, y, z∈V drei Elemente. Wir nennenz dasSupremum(oder die Verbindung) von xundy (und notieren z =x∨y), fallsx≤z,y≤zund f¨ur allew∈V gilt:

x≤wundy≤w ⇐⇒ z ≤w .

x∨yist also das eindeutig bestimmte kleinste Element, das sowohl gr¨osser alsx wie gr¨osser alsy ist. Dual dazu nennen wirz dasInfimum(oder den Schnitt) vonxundy(und schreibenz = x∧y) falls z ≤ x,z ≤yund f¨ur allew∈V gilt:

z ≤xundz ≤y ⇐⇒ w≤z .

Man sieht leicht (z.B. bei der OrdnungN), dass im allgemeinen weder das Supremum noch das Infimum existieren muss. Wir nennen die OrdnungV einenVerband, wenn

x∨yundx∧yexistiert zu allenx, y ∈V.

Zum Beispiel ist(Q,≤)mit der ¨ublichen Ordnung ein Verband, wobei x∨y= max{x, y}undx∧y= min{x, y}.

EX. 4.11 (Teilerverband). Die nat¨urlichen Zahlen (ohne 0) bilden unter der Teilbarkeitsordnung einen Verband (N\ {0},|), wobei Supremum und Infimum genau dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen und dem gr¨ossten gemeinsamen Teiler entsprechen:

m∨n =kgV(m, n)undm∧n=ggT(m, n).

EX. 4.12 (Potenzmengenverband). Die Potenzmenge(P ot(M),⊆)der Men- geM bildet einen Verband bzgl. der Enthaltenseinsordnung mit

S∨T =S∪T undS∧T =S∩T .

EX. 4.13 (Unterraumverband). Ebenso bildet die Menge (L(V),⊆) aller linearen Teilr¨aume des VektorraumsV einen Verband, wobei die verbands- theoretischeVerbindungvon Unterr¨aumen ihre Summe und ihr Schnittihr mengentheoretischer Durchschnitt ist:

S∨T =S+T ={s+t|s∈S, t∈T} und S∧T =S∩T .

(19)

3. VERB ¨ANDE 73

Der VerbandV heisstbeschr¨ankt, wennV ein eindeutig bestimmtes maxi- males Element (das meist als

”1“ notiert wird) und ein eindeutig bestimmtes minimales Element (als

”0“ notiert) besitzt.

BEMERKUNG. Einen Verband kann man immer in einen beschr¨ankten Verband einbetten, indem man einfach zwei neue Elemente 0 und1 formal so hinzuf¨ugt, dass f¨ur alle Elementexgilt:

0 ≤ x ≤ 1.

Zum Beispiel ist(Q,≤)nicht beschr¨ankt, kann aber durch Hinzunahme von

”−∞“ und

”+∞“ beschr¨ankt werden:

−∞ ≤ x ≤ ∞ (x∈Q=Q∪ {−∞,∞}).

3.1. Rangfunktionen. SeiV ein Verband und x ∈ V beliebig. Dann definieren wir den Rang r(x) = 0, wenn x das minimale Element von V ist. Ansonsten istr(x)die M¨achtigkeit einer l¨angsten Kette mit maximalem Elementx:

r(x) = max{k ∈N|es gibtxi ∈V mitx0 < . . . < xk−1 < x}.

Wir nennenV rangendlich, wennr(x)< ∞f¨ur allex∈ V gilt. Insbeson- dere ist nat¨urlich jeder endliche Verband auch rangendlich. Offenbar besitzt jeder rangendliche Verband ein minimales Element. Denn

x0 < . . . < xk−1 < x =⇒ 0≤r(x0)≤r(x)−k, d.h.r(x) =kimpliziertr(x0) = 0.

EX. 4.14. IstV der Verband aller linearen Teilr¨aume eines endlich-dimen- sionalen VektorraumsV, dann entspricht der Rang genau der linearen Di- mension:

r(X) = dimX f¨ur alle linearen Teilr¨aumeX ⊆ V.

EX. 4.15. SeiV das System aller endlichen Teilmengen einer Grundmenge M. Dann istV vereinigungs-undschnittstabil, d.h. es gilt:

A∪B, A∩B ∈V f¨ur alleA, B ∈V . V ist rangendlich mit der Rangfunktion

r(X) =|X| f¨ur alleX ∈V .

(20)

3.2. Irreduzible Elemente. Ein Elementpdes VerbandesV = (V,≤) heisst ∨-irreduzibel, falls p in V h¨ochstens einen unteren Nachbarn hat.

MitJ =J(V)bezeichnen wir die Menge der∨-irreduziblen Elemente von V (die m¨oglicherweise leer sein kann). Dual dazu nennen wir p ∈ V ∧- irreduzibel, wennp inV h¨ochstenseinenoberen Nachbarn besitzt.J = J(V)sei die Menge der∧-irreduziblen Elemente.

EX. 4.16. Im Teilerverband N\ {0} = (N\ {0},|)ist ein Element n ∨- irreduzibel, wenn es nicht gr¨osstes gemeinsames Vielfaches von zwei klei- neren nat¨urlichen Zahlen ist. 1 ist als minimales Element ∨-irreduzibel.

Ansonsten sind genau die Primzahlen∨-irreduzibel.

Im PotenzmengenverbandP ot(M) = (P ot(M),⊆)umfasstJ(P ot(V))ge- nau die leere Menge∅und die einelementigen Teilmengen{m}.

Bei vielen Verb¨anden sind die irreduziblen Elemente

”Elementarbaustei- ne“ im folgenden Sinn:

LEMMA 4.2. SeiV ein rangendlicher Verband. Dann gibt es zu jedemv ∈ V (endlich viele)p1, . . . , pk ∈J(V)mit der Eigenschaft

v =p1∨p2∨. . .∨pk .

Beweis. Im Fall v ∈ J(V) ist nichts zu beweisen. Im Fall v /∈ J(V) haben wir v > 0 und wissen, dass es mindestens zwei verschiedene untere Nachbarn v0, v00< vgeben muss. Wegenv =v0∨v00undr(v0), r(v00)< r(v)folgt nun die Behauptung sofort per Induktion ¨uber den Rang.

3.3. Distributivit¨at. Analog zur Sprechweise der Algebra heisst z.B.

der (m¨oglicherweise nicht beschr¨ankte) VerbandV distributiv, falls f¨ur alle Elementex, y, z ∈V gilt:

x∧(y∨z) = (x∧y)∨(x∧z) (bzw. in der Notation mit

”+“ und

”·“: x(y+z) =xy+xz ).

EX. 4.17. Der Teilerverband (N \ {0},|) ist distributiv, aber nicht be- schr¨ankt. Denn man verfiziert

a∧(b∨c) = ggT(a, kgV(b, c))

= kgV ggT(a, b), ggT(a, c)

= (a∧b)∨(a∧c).

Der Potenzmengenverband(P ot(M),⊆)ist beschr¨ankt und distributiv. Denn nach de Morgan gilt das Distributivgesetz

A∩(B∪C) = (A∩B)∪(A∩C).

(21)

3. VERB ¨ANDE 75

Der Unterraumverband(L(V),⊆)eines VektorraumsV ist beschr¨ankt, je- doch nicht distributiv.

Allgemeine Konstruktion.F¨ur unsere Zwecke

”typische“ distributive Verb¨ande erh¨alt man so:

Man betrachtet eine (nichtleere) FamilieF von Teilmengen einer (beliebi- gen) MengeM, dieschnittstabilist, d.h.

A∩B ∈ F gilt f¨ur alleA, B ∈ F

und bildet das System D = D(F) aller TeilmengenD ⊆ M, die sich als Vereinigung vonendlich vielenMengen ausF schreiben lassen:

D=F1∪. . .∪Fk (F1, . . . , Fk ∈ F).

Mit Hilfe der de Morganschen Rechenregeln rechnet man nun leicht nach, dass(D,⊆)auch vereinigungsstabil ist. Mit den Operationen

”∪“ und

”∩“

bildetDfolglich einen distributiven Verband.

BEMERKUNG. Ein schnittstabiles Mengensystem F ist nicht unbedingt schon selber ein Verband. Beispiel:

M ={a, b, c} und F ={{a},{a, b},{a, c}}.

Ferzeugt jedoch den distributiven Mengenverband

D={{a},{a, b},{a, c},{a, b, c}}.

3.4. Rangendliche distributive Verb¨ande. In einem beliebigen Ver- band V mit der Menge J(V) von verbindungsirreduziblen Elementen gilt f¨ur allex, y ∈V:

J(x∧y) =J(x)∩J(y) und J(x∨y)⊇J(x)∪J(y)

(mitJ(x) ={p∈J(V)|p≤ x}). Die Relation kann im distributiven Fall versch¨arft werden.

LEMMA4.3. IstV distributiv, giltJ(x∨y) = J(x)∪J(y)f¨ur allex, y ∈V. Beweis. Seiz∈J(x∨y). Dann ergibt das Distributivit¨atsgesetz:

z=z∧(x∨y) = (z∧x)∨(z∧y).

Daz∨-irreduzibel ist, giltz=z∧xoderz=z∧y, d.h.z≤xoderz≤y.

Ist V rangendlich, dann wissen wir: x = W

J(x). Als Folgerung aus dem Lemma erhalten wir somit

(22)

SATZ 4.2 (Birkhoff). SeiV ein rangendlicher distributiver Verband. Dann istV isomorph zu dem distributiven MengensystemJ ¨uber der Grundmen- geM =J(V), wobei

J ={J(x)|x∈V} ⊆P ot(M).

KOROLLAR4.1. Sei der VerbandV rangendlich und distributiv. Dann gilt r(x) =|J(x)| −1 f¨ur allex∈V .

Insbesondere ist jede MengeJ(x)endlich.

Beweis. Wir argumentieren per Induktion ¨uber den Rangr(x). Im Fallr(x) = 0 haben wirx = 0. Wegen|J(0)| =|{0}|= 1ist die Behauptung also richtig. Sei nunn=r(x)≥1.

Wir betrachtenx0 < xmitr(x0) =n−1. Wir wissen, dass es einp∈J(x)\J(x0) geben muss mitx=x0∨p. Somit haben wir

J(x) =J(x0)∪J(p).

Sei nunq ∈ J(p)\ {p} beliebig. W¨areq 6≤ x0, h¨atten wirx0 < x0 ∨q ≤ xund folglichx=x0∨q. Aber dann erg¨abe sich der Widerspruch

J(x) =J(x0)∪J(q)63p.

Also schliessen wirJ(x) =J(x0)∪ {p}undr(x) =r(x0) + 1 =|J(x)| −1.

4. Valuationen

EineValuation auf dem VerbandV ist eine (reellwertige) Gewichtung µ : V →Rmit der Eigenschaft

µ(x∨y) +µ(x∧y) = µ(x) +µ(y).

Zum Beispiel ist jede konstante Funktion trivialerweise eine Valuation. Auf dem Verband aller endlich-dimensionalen linearen Teilr¨aume eines reel- len Vektorraums V ist die Dimensionsfunktion eine Valuation, denn f¨ur Teilr¨aumeSundT gilt die Dimensionsformel

dim(S+T) + dim(S∩T) = dimS+ dimT.

Ebenso ist die Rangfunktion eines rangendlichen distributiven Verbandes eine Valuation.

(23)

4. VALUATIONEN 77

4.1. Valuationen rangendlicher distributiver Ver¨ande. SeiV ein ran- gendlicher distributiver Verband mit MengeP =J(V)von∨-irreduziblen Elementen. Wir betrachten eine beliebige Funktionw = P → Rund defi- nieren

µw(x) = X

p∈J(x)

w(p) f¨ur allex∈V . Man sieht leicht, dassµw eine Valuation ist, denn wir finden

µw(x∨y) = X

p∈J(x)∪J(y)

w(p)

= X

p∈J(x)

w(p) + X

p∈J(y)

w(p)− X

p∈J(x)∩J(y)

w(p)

= µw(x) +µw(y)−µw(x∧y).

Tats¨achlich erh¨alt manjedeValuation aufV so. Wir zeigen zuerst, dass eine Valuation durch ihre Werte auf der HalbordnungP = (J(V),≤)eindeutig festgelegt ist.

LEMMA 4.4. Seienµundν Valuationen auf dem rangendlichen distributi- ven VerbandV undP = (J(V),≤). Dann gilt

µ=ν ⇐⇒ µ(p) = ν(p) f¨ur allep∈P .

Beweis. Die Bedingung ist trivialerweise notwendig. Wir zeigen, dass sie f¨ur die Gleichheit vonµundνauch hinreicht.

WegenJ(0) ={0}giltµ(0) =ν(0). Angenommen, das Lemma w¨are falsch, dann g¨abe es einx >0mitµ(x)6=ν(x). Wir f¨uhren diese Annahme zum Widerspruch.

Dazu w¨ahlen wir ein entsprechendesx von minimalem Rang r(x) > 0 und be- trachten einx0 < xmitr(x0) = r(x)−1. Bekanntlich gibt es nun einp ∈ J(x) mitJ(x) =J(x0)∪ {p}. Daraus folgt der Widerspruch

µ(x) = µ(x0∨p) = µ(x0) +µ(p)−µ(x0∧p)

= ν(x0) +ν(p)−ν(x0∧p) = ν(x). PROPOSITION 4.4. Sei µ eine Valuation auf dem rangendlichen distribu- tiven Verband V mit Irreduziblenmenge P = J(V). Dann existiert eine eindeutig bestimmte Gewichtungw:P →Rderart, dassµ=µw.

Beweis. Wir definierenw(0) =µ(0)und setzen f¨urp∈P \ {0}

w(p) =µ(p)−µ(p0),

wobei p0 < p der eindeutig bestimmte untere Nachbar von p in V ist. Wie im Beweis von Lemma 4.4 zeigt man nun (per Induktion ¨uber den Rangr(x)), dass µw(x) =µ(x)gilt.

(24)

4.2. Die Eulercharakteristik. Auf dem rangendlichen distributiven Ver- bandV mitP = J(V)definieren wir eine spezielle Valuatione : P → R folgendermassen:

e(p) =

0 wennp= 0 1−P

p0<pe(p0) wennp >0

Die durcheinduzierte Valuationχ:V →Rhat die Eigenschaft χ(0) = 0 und χ(p) = 1 f¨ur allep∈P \ {0}.

und heisstEulercharakteristikvonV.

SATZ 4.3 (Rota). Auf dem rangendlichen distributiven VerbandV existiert eine eindeutig bestimmte Valuationχ:V →Rmit der Eigenschaft

χ(0) = 0 und χ(p) = 1 f¨ur allep∈P \ {0}.

4.3. Unabh¨angigkeitssysteme und Simplizialkomplexe. Unter einem Unabh¨angigkeitssystem ¨uber der GrundmengeM versteht man eine endli- che Familie∆von Teilmengen vonM mit der Eigenschaft

X ∈∆ =⇒ X0 ∈∆ f¨ur alleX0 ⊆X.

Aus der Endlichkeit von ∆folgt, dass jedes X ∈ ∆ selber eine endliche Teilmenge von M sein muss. In der Sprache der Topologie ist ein Un- abh¨angigkeitssystem ein Simplizialkomplex. Zum Beispiel ist ein Ketten- komplex einer endlichen Ordnung ein Simplizialkomplex.

Die Vereinigung∆1∪∆2und der Durchschnitt∆1∩∆2der Simplizialkom- plexe∆1,∆2sind Simplizialkomplexe. Das SystemDaller Simplizialkom- plexe (¨uber M) bildet folglich einen distributiven Verband.D ist rangend- lich (da ein Simplizialkomplex nur endlich viele Unterkomplexe gestattet).

Die verbindungsirreduziblen Elemente vonDsind die Simplizialkomplexe der Form

X =P ot(X) ={X0 |X0 ⊆X} (X endliche Teilmenge vonM).

Ein solches System X heisst Simplex. Ein Simplizialkomplex ∆ ist also einfach eine Vereinigung von endlich vielen SimplexenXi:

∆ =X1∪. . .∪Xk.

(25)

4. VALUATIONEN 79

Die Eulercharakteristik (bzgl. D = D(M)) ist die eindeutig bestimmte Funktionχ:D →Rmit den Eigenschaften

χ({∅}) = 0

χ(∆) = 1 f¨ur jeden Simplex∆6={∅}

χ(∆1∪∆2) +χ(∆1∩∆2) = χ(∆1) +χ(∆2).

Um zu zeigen, dass diese Definition im Fall von Kettenkomplexen mit der daf¨ur eingef¨uhrten Eulercharakteristik ¨ubereinstimmt, leiten wir eine allge- meine Eulerformel f¨ur Simplizialkomplexe her.

Sei∆ein fester Simplizialkomplex. F¨ur jedesX ∈∆setzen wir e0(X) =

0 wennX =∅ (−1)|X|−1 sonst

und erhalten dann die induzierte Gewichtung der Simplexe

e(X) = X

Y⊆X

e0(Y) = X

∅6=Y⊆X

(−1)|Y|−1

=

|X|

1

− |X|

2

+ |X|

3

−. . . = 1.

e0 induziert somit genau die Eulercharakeristik χ. Daraus folgt die Euler- formel

(18) χ(∆) = X

X∈∆

e0(X) =f1−f2+f3−. . . mit

fi =|{X ∈∆| |X|=i}| (i= 1,2, . . .).

4.4. Planare Graphen. Zwei (verschiedene) Punkte x,y ∈ R2 be- stimmen eineKante

[x,y] ={z=x+λ(y−x)|0≤λ≤1}

mit denKnoten (Endpunkten) x,y. Unter einem(geometrischen) Graphen G verstehen wir eine endliche Menge E von Kanten mit Knotenmenge V. Um Knoten und Kanten deutlich zu machen, benutzen wir die Notation G = (V,E).G heisstplan, wenn zus¨atzlich gilt:

• je zwei KantenGsind entweder disjunkt oder schneiden sich genau in einem gemeinsamen Knoten.

BEMERKUNG(GEOMETRISCHE UND KOMBINATORISCHEGRAPHEN).Wir reden hier von

”geometrischen“ Graphen, weil wir von einer Darstellung in der EbeneR2 ausgehen. Allgemeiner kann man

”kombinatorische“ Graphen definie- ren als InzidenzstrukturenG= (V, E;I), wobeiV undEendliche Mengen sindI

(26)

eine Funktion ist, die jederKantee∈Eeine ein- oder zweielementige Teilmenge I(e)⊆V zuordnet.

Im FallI(e) = {x}isteeine sog.Schlinge, die mit dem Knotenx∈ V inzidiert.

Im FallI(e) = {x, y} interpretiert man die Knotenx, y ∈ V als die

”Endpunk- te“ vone.

Planare Graphen.Man nennt einen kombinatorischen GraphenG= (V, E) planar, wenn es einen planen GraphenG = (V,E) gibt, dessen Inzidenz- struktur bzgl. der Knoten und Kanten zu der vonGisomorph ist. Man sagt dann auch,Gsei eineEinbettungvonGinR2.

Kantenz ¨uge und Kreise.EinKantenzugvonxnachyist eine MengeK ⊆ R2 derart, dass es Punktex0, . . . ,xngibt mit

x0 =x,y=xn und K=

n−1

[

i=0

[xi,xi+1].

Im Fally=xnennt manKgeschlossen.Kisteinfach, wenn (ausser m¨ogli- cherweisex=y) alle Punktexi paarweise verschieden sind. Ein einfacher geschlossener KantenzugK, der nur aus Kanten des GraphenGbesteht, ist einKreisvonG:

K= [x0,x1]∪. . .∪[xn−1,xn] ([xi,xi+1]∈ E,x0 =xn).

LEMMA 4.5 (Kreislemma). Sei G = (V,E)ein Graph mit |E| ≥ 1. Dann besitztGentweder einen Kreis oder einefreie Kante(d.h. eine Kantee∈ E mit einem Knotenx∈e, der in keiner anderen Kante vonGauftritt).

Beweis. Wir beginnen bei einem beliebigen Knoten x1 ∈ V mit einer Kante e1= [x1,x2]∈ E. Istx2in keiner weiteren Kante enthalten, so iste1 unabh¨angig.

Ansonsten existiert eine Kantee2 = [x2,x3]∈ E und wir k¨onnen nunx3 in glei- cher Weise untersuchen usw.

DaVendlich ist, wird man nach endlich vielen Schritten entweder eine freie Kante gefunden haben oder zu einem Knotenxjgekommen sein, den man schon in einem fr¨uheren Schrittials Knotenxi untersucht hatte. Im letzteren Fall ist ein KreisK gefunden:

K = [xi,xi+1]∪. . .∪[xj−1,xi].

Zusammenhang.Wir nennen allgemein eine Menge Z ⊆ R2 zusammen- h¨angend, wenn je zweix,y ∈ Z durch einen KantenzugK ⊆ Z erreich- bar sind. Der GraphG heisstzusammenh¨angend, wenn je zwei Knoten von G durch einen Kantenzug verbunden werden k¨onnen, der nur aus Kanten vonG besteht. Offenbar ist ein zusammenh¨angender geometrischer Graph Gauch eine zusammenh¨angende Menge.

(27)

4. VALUATIONEN 81

LEMMA 4.6. Sei G = (V,E)ein zusammenh¨angender Graph und e ∈ E entweder eine freie Kante oder eine Kante, die in einem Kreis von G auf- tritt. Dann ist auch der Graph G0 mit Kantenmenge E0 = E \ {e} zusam- menh¨angend.

Fl¨achen und die Eulersche Formel.Sei nunGein fester planer Graph und Punktex,y ∈R2\ G gegeben. Wir nennenxundyG-¨aquivalent, wennx undydurch einen KantenzugK ⊆ R2 \ Gverbunden werden k¨onnen. Die diesbez¨uglichen ¨AquivalenzklassenF sind die Fl¨achen vonG. R2 zerf¨allt also in eine eindeutige Partition

R2 =G ∪ F1∪. . .∪ Fk

aus den paarweise disjunkten Fl¨achen F1, . . . ,Fk und G selber. Da G (als Teilmenge von R2 betrachtet) beschr¨ankt ist, besitzt G genau eine unbe- schr¨ankte Fl¨ache.

EX. 4.18. IstG = K ein Kreis mit mindestens einer Kante, so besteht die Partition genau aus3Komponenten:

R2 =G ∪ F1∪F2,

wobei F1 die (beschr¨ankte) Innenfl¨ache und K die (unbeschr¨ankte) Aus- senfl¨ache bzgl. K ist. Sei k = [x,y]eine beliebige Kante in Kund E0 = {e ∈ K | e 6= k}. Dann definiertE0 einen GraphenG0, der nur noch eine Fl¨ache F0 besitzt, da die Punkte in F2 von F1 nun ¨uber vonG0 disjunkte Kantenz¨uge erreichbar sind:

R2 =G0∪ F0. Bzgl.G = (V,E)betrachten wir nun die Parameter

f1 = |V|

f2 = |E|

f3 = Anzahl der Fl¨achen vonG Wir definieren dieEulercharakteristikvonG als

χ(G) =f1−f2 +f3.

SATZ4.4 (Euler [1752]). Ist der plane GraphG = (V,E)zusammenh¨angend, dann gilt

(19) χ(G) =f1−f2+f3 = 2.

(28)

Beweis. (Per Induktion ¨uberf2.) Im Fall f2 = |E| = 1haben wir f1 = 2, und f3 = 1, d.h.χ(G) = 2. Im Fall|E| ≥ 2suchen wir Kantee ∈ E, die entweder frei ist oder in einem Kreis vonGauftritt, und betrachten den zusammenh¨angenden planen GraphenG0 =G \ {e}mit den Parameternf10, f20, f30.

Istefrei, so giltf10 =f1−1, f20 =f2−1undf30 =f3, d.h.

χ(G) = (f1−1)−(f2−1) +f3 =χ(G0) = 2.

Liegtein einem Kreis, so haben wirf10 =f1,f20 =f2−1undf30 =f3−1. Die Eulersche Formel folgt somit analog per Induktion.

KOROLLAR4.2. SeiG= (V, E)ein planarer Graph mitn ≥3Knoten und mKanten. Dann gilt

m≤3n−6.

Beweis. OBdA betrachten wir eine plane Einbettung G = (V,E) von G. Jede Fl¨ache vonGwird von einem einfachen Kreis vonGbegrenzt. Da jeder Kreis aus mindestens3Kanten besteht und jede Kante im Rand von h¨ochstens2verschiede- nen Fl¨achen auftritt, haben wir

3f3≤2m= 2f2.

Aus der Eulerschen Formelf1−f2+f3= 2ergibt sich somit 3f1−f2 ≥6 d.h. 3n≥m+ 6.

KOROLLAR 4.3. SeiG = (V, E)ein planarer Graph mit nKnoten undm Kanten. Dann existiert (mindestens) ein Knoten, der mit h¨ochstens5Kanten inzident ist.

Beweis. W¨are jeder Knoten mit mindestens6Kanten inzident, so h¨atten wir den Widerspruch

6n≤2m≤6n−12.

EX. 4.19 (Kuratowski-Graphen). Mit K5 bezeichnet man den kombina- torischen Graphen auf 5 Knoten, bei dem jedem Paar von Knoten eine Kante entspricht. K3,3 ist der Graph mit der6-elementigen Knotenmenge V = V1 ∪V2 mit|V1| = |V2| = 3, wobei genau die Paarmengen {v1,v2} mitv1 ∈V1 undv2 ∈V2 Kanten repr¨asentieren.

K5 kann wegen 3n−6 = 9 < 10 = m nicht planar sein. InK3,3 besteht jeder einfach Kreis aus mindestens4Kanten. G¨abe es eine plane Einbettung

(29)

4. VALUATIONEN 83

K3,3, so h¨atte man4f3 ≤ 2f2 und folglich2f3 ≤ 9. Nach der Eulerformel muss aber gelten:

f3 = 2−f1 +f2 = 5.

Also sind wederK5 nochK3,3 planar.

BEMERKUNG (SATZ VON KURATOWSKI [1930]). Kuratowski hat gezeigt, dass jeder nichtplanare Graph entwederK5oderK3,3enth¨alt. Diese Graphen sind also die eindeutig bestimmten

”minimalen“ nichtplaneren Graphen.

BEMERKUNG (TRIANGULIERTE GRAPHEN).Der planare GraphG= (V,E) heissttrianguliert, wenn jeder einfache Kreis genau3Kanten hat. In diesem Fall wird jede Fl¨acheF (ausser der Aussenfl¨ache) durch 3Kanten[x,y],[y,z],[z,x]

begrenzt, d.h.F wird durch die Knotenmenge {x,y,z} beschrieben. Sei ∆der Simplizialkomplex, der genau diese Dreieckmengen{x,y,z}als maximale Ele- mente besitzt. Dann haben wir die reduzierte Formel

(20) χ(∆) =f1−f2+ (f3−1) =χ(G)−1,

da wir in ∆ die Aussenfl¨ache von G nicht mitz¨ahlen. Die Definition von χ(G) harmoniert also mit der Definition vonχ(∆). Man kann ausserdem leicht einsehen, dass man jeden einfachen Kreis eines planaren Graphen durch das Einf¨ugen von Knoten und Kanten triangulieren kann, ohne die Eulercharakteristik zu ver¨andern.

In diesem Sinn ist die Eulercharakteristik von planaren Graphen ein Spezialfall der Eulercharakteristik von Simplizialkomplexen.

Referenzen

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