Allgemeiner Teil „Gleichnisse“ 2
Renate Maria Zerbe: Jesus und seine Gleichnisse © Auer Verlag
Allgemeiner Teil „Gleichnisse“
Lehrerinformation
Jesus war ein meisterhafter Gleichniserzähler. Die Gleichnisse Jesu waren Geschichten aus dem Alltag seiner Zuhörer. Er wollte, dass die Menschen verstehen, was er ihnen über Gott und dessen Reich sagte. Die Geschichten handeln von Bauern, Fischern, Vätern und Söhnen, Schafen, Hirten etc. und sie erhellen Beispiele aus dem alltäglichen Leben wie z. B. Hochzei- ten, Hausarbeit usw. Die Leute damals kannten dies aus eigener Erfahrung – so konnte Jesus sie direkt erreichen. In Gleichnissen steckt eine bestimmte Botschaft: Sie sagen uns, wie Gott ist, oder sie spiegeln uns unser Verhalten wider. Sie fordern den Zuhörer zum Nachdenken auf, zur Deutung, zur Zustimmung oder zum Widerspruch. Jeder muss für sich die Wahrheit entdecken. Teilweise werden normale Verhaltensweisen aufgegriffen und in Frage gestellt.
Gelegentlich erklärte Jesus sein Gleichnis, doch manchmal mussten die Menschen dies auch selbst herausfinden.
Insgesamt enthält das Neue Testament 40 Gleichnisse, wobei der Evangelist Johannes nicht explizit den Begriff „Gleichnis“ verwendet. Er benutzt vielmehr alltägliche Vergleiche, um Aus- sagen über Gott und Gottes Welt zu verdeutlichen. Sie werden vielfach als Bildworte bezeich- net. Gleichnisse sind meist kürzere Texte mit erzählendem Charakter, die zwei Ebenen aufwei- sen: eine Bildebene (die erzählende konkrete Geschichte) und die Sachebene („Was will uns das Gleichnis sagen?“). Diese beiden Ebenen beziehen sich aufeinander und tangieren sich im sogenannten Vergleichspunkt.
Im Neuen Testament lassen sich vor allem drei Formen des Gleichnisses finden: Gleichnisse im engeren Sinn, Parabeln und Beispielerzählungen.
Beim „Gleichnis im engeren Sinn“ wird die Sachebene parallel zur Bildebene genannt, ein expliziter Vergleich mit „so wie“ macht dies deutlich. In der Erzählung findet ein alltäglicher Vorgang statt und auch die verwendeten Bilder sind der Alltagswelt der Zuhörer Jesu entnom- men. Die Erzählzeit ist das Präsens.
Die „Parabel“ greift oft ein interessantes Einzelereignis auf, das sich so oder so ähnlich irgend- wo ereignet hat. Sie enthält, ebenso wie das Gleichnis, vertraute Elemente, aber immer ist der Vorgang recht ungewöhnlich und erfährt eine unerwartete Wendung. Die Erzählzeit ist das Präteritum. Der Zuhörer muss die Bildebene auf die Gedankenebene übertragen und heraus- finden, was die Lehre der Parabel ist.
Die „Beispielerzählung“ funktioniert erzählerisch wie die Parabel. Wir finden diesen Typus nur im Sondergut des Lukas-Evangeliums. Sie kritisiert an einem Beispiel ein bestimmtes Verhal- ten, was den Zuhörer zur Verhaltensänderung auffordert. Inhaltlich muss keine Übertragung vom Bild auf die Sache geleistet werden, denn das Verhalten, um das es geht, wird an einem Musterfall beschrieben.
Im allgemeinen Teil der Gleichnisse geht es zunächst darum, Kinder für bildhafte Sprache im Alltag und in der Bibel zu sensibilisieren. An der Stelle sollte man fächerübergreifend arbei- ten und das Fach Deutsch einbeziehen. Die Schülerinnen und Schüler überlegen, was Bilder generell wollen (einen Eindruck festhalten, uns erfreuen, uns warnen, Zeichen für etwas sein etc.). In diesem Zusammenhang könnte man auch einen Exkurs zum Thema symbolhafte Zei- chen (Fisch, Taube etc.) machen. Zweideutige Bilder näher zu betrachten (z. B. alte Frau, junge Frau), eignet sich ebenfalls, um die Kinder aufzufordern, mehrdeutig zu sehen. Auch in unserer
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Das Gleichnis vom verlorenen Schaf und der verlorenen Münze 4
Renate Maria Zerbe: Jesus und seine Gleichnisse © Auer Verlag
Überall, wo Jesus hinkommt, versammeln sich Menschen um ihn herum. Immer sind auch die Schriftgelehrten und Pharisäer dabei, die nicht mit ihm zufrieden sind: „Jesus ist kein guter Lehrer, immer treibt er sich in schlechter Gesellschaft herum. Er isst sogar mit den Zöllnern und den Sündern an einem Tisch!“ Diesen Leuten erzählt Jesus folgendes Gleichnis:
Eines Tages zählte ein Schafhirt seine Herde, zu ihr gehörten 100 Schafe. Es dauerte lange, bis er mit dem Zählen fertig war. … 97 … 98 … 99 … Aber wo war das hundertste Schaf ge- blieben?
Was, meint ihr wohl, macht nun der Hirte?
Der Hirte hatte keine Ruhe und machte sich auf, das verschwundene Schaf zu suchen. Die 99 Schafe ließ er zurück, sein treuer Hirtenhund würde schon auf die Schafe aufpassen. „Ich muss das Schaf finden, ehe es dunkel wird“, dachte er sich und lief los, um es zu suchen. Er rannte über Felsen und Hügel und rief immer wieder nach dem Schaf, doch er fand keine Spur von ihm. Der Hirte kletterte auf einen kleinen Berg, immer
höher, was sehr gefährlich war, doch er gab nicht auf. Plötz- lich hörte er ein Geräusch: „Mäh! Bäh!“ und der Schafhirte entdeckte sein Schaf, das sich in einem dornigen Busch verfangen hatte. Es blökte und strampelte ängstlich, bis der Hirte es vorsichtig aus den Dornen befreit hatte. Der Hirte war sehr froh, endlich sein Schaf wiedergefunden zu ha- ben. Nun legte er es sich auf seine Schultern und machte sich auf den Weg zu den 99 Schafen, die er zurücklassen musste. Mit seiner ganzen Herde zog er froh nach Hause und rief seine Freunde und Nachbarn zusammen, um auch ihnen von seiner Freude zu erzählen: „Freut euch alle mit mir, denn ich habe mein verlorenes Schaf wiedergefunden.
Kommt und feiert mit mir mein Glück.“
Die Zuhörer sind zufrieden über das gute Ende der Geschichte und Jesus sagt zu den Phari- säern: „Ihr seid doch froh, wenn ihr ein Schaf verliert und ihr es wiederfindet, nicht wahr? Ge- nauso ist es auch mit Gott. Wenn jemand etwas falsch gemacht hat und zu Gott zurückkehrt, ist er auch glücklich darüber. Gott möchte keinen von euch verlieren.“ Und er erzählt noch ein Gleichnis:
Eine Frau hatte 10 Drachmen, eine davon hatte sie aber verloren. Verzweifelt überlegte sie, wo sie wohl sein könnte.
Du musst wissen, Drachmen sind Geld. Was könnte die Frau tun, um ihre Münze zu finden?
Schließlich zündete die Frau eine Öllampe an und suchte ihr ganzes Haus ab. Zuletzt nahm sie auch einen Besen und fegte das Haus. Da glitzerte etwas in der Ecke. „Ja, da ist meine Drachme“, jubelte die Frau glücklich und rief all ihre Freundinnen und Nachbarn zusammen.
„Freut euch mit mir, ich habe meine Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte.“
Jesus sagt: „Genau so wie in der Geschichte freut sich Gott über jeden, der umkehrt und an ihn glaubt.“
Das Gleichnis vom verlorenen Schaf und der verlorenen Münze (nach Lk 15,1–10)
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Das Gleichnis vom verlorenen Schaf und der verlorenen Münze 6
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Aufgaben eines Hirten
Die Hirten damals gehörten zu den armen Leuten, die beim Volk nicht sehr geachtet waren.
Sie trugen meistens zerlumpte Kleidung und zogen mit ihren Herden von Weideplatz zu Weideplatz, sie hatten also keinen festen Wohnort. Manchmal taten sich auch mehrere Hirten mit ihren Herden zusammen, so konnten sie sich besser gegen Feinde und wilde Tiere vertei- digen. Hirten hielten ihre Schafherden zusammen, suchten neue saftige Weideplätze für sie, lebten mit ihnen und schützten sie vor allerlei Gefahren.
Schafe waren in Israel und den umliegenden Ländern wertvolle Tiere, weil sie Milch, Fleisch und Wolle lieferten.
Bei seinen Wanderungen nahm ein Hirte diverse Dinge mit: In der Umhängetasche waren eine Keule, Steine und eine Schleuder, um wilde Tiere und Räuber fernzuhalten. Außerdem besaß er einen langen Hirtenstab, ein Messer, eine Wasserflasche und eine Flöte oder Trommel, um sich die Zeit zu vertreiben.
a) Wie sorgte ein Hirte für die Schafe?
b) Manchmal ist Gott wie ein guter Hirte, weil …
c) Benenne die dargestellten Dinge.
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Das Gleichnis vom verlorenen Schaf und der verlorenen Münze 8
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Der gute Hirt
In der Bibel findest du den Psalm 23.
Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.
Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.
Er stillt mein Verlangen;
er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen.
Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil;
denn du bist bei mir,
dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.
Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde.
Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher.
Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang, und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit.
a) Lies den Psalm.
b) Was für ein Verhältnis hat der Autor zu Gott? Was will er mit dem Psalm ausdrücken?
c) Schreibe nun einen eigenen Psalm nach dem obigen Beispiel auf.