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Die Anna-Magull-Stiftung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

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(1)

Beiträge zur Berufs- und Wirtschafts- Pädagogik

Band 23

Herausgegeben von:

Prof. Dr. Reinhard Czycholl (Universität Oldenburg) Prof. Dr. Hermann G. Ebner (Universität Mannheim) Prof. Dr. Holger Reinisch (Universität Jena)

(2)

Reinhard Czycholl

Die Anna-Magull-Stiftung

an der Carl von Ossietzky Universität

Oldenburg

1985–2010

BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Stiftung einer Handelslehrerin

für Handelslehramt-Studierende

(3)

ISBN 978-3-8142-2223-3

Verlag / Druck / Vertrieb BIS-Verlag

der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Postfach 2541

26015 Oldenburg

E-Mail: bisverlag@uni-oldenburg.de Internet: www.bis-verlag.de

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Inhalt

Zum Geleit 7

Vorwort 9

1 Zur Lebensgeschichte von Anna Magull 11

1.1 Auf Spurensuche 11

1.2 Die Lebensphase von 1893 bis 1945 12

1.2.1 Die Privatschularbeit von 1919 bis 1938 13

1.2.2 Die Privatschularbeit von 1938 bis 1945 16

1.3 Die Lebensphase von 1945 bis 1972 18

1.3.1 Bemühungen um Unterrichtserlaubnis und Entnazifizierung 19

1.3.2 Die Errichtung einer kaufmännischen Privatschule in Hameln 20

1.4 Der Sohn Richard-Günter Magull – die Brücke zur Stiftung 34

2 Die Entwicklung der Anna-Magull-Stiftung und ihres

Stiftungsvermögens 37

2.1 Die Phase der Abfassung, Eröffnung und Wirksamwerdung

des Testaments (1970 bis 1982) 37

2.2 Die Phase der Willensbildung über den Vollzug

des Testaments (1982 bis 1885) 39

2.3 Die Vollzugsphase der Stiftung am Beispiel der Vorstandsarbeit

(1985 bis 2010) 43

2.4 Entwicklung und Stand des Stiftungsvermögens 52

2.5 Erfahrungen mit dem Management des Stiftungsvermögens 60

3 Inhalt und Umfang der Fördermaßnahmen von

1986 bis 2010 63

(5)

3.2 Die Gesamtausgaben für Fördermittel bis zum Ende des

Jahres 2010 67

3.3. Die durchgeführten Fördermaßnahmen im Einzelnen 70

3.3.1 Promotionsstipendien 70

3.3.2 Stipendien für Forschungspraktika 73

3.3.3 Zuschüsse für Blockseminare und berufspädagogische

Exkursionen 82

3.3.4 Zuwendungen für Auslandsstudien 87

3.3.5 Lehrveranstaltungsbezogene Zuschüsse 90

3.3.6 Zuschüsse für die Erstellung von Examens-Abschlussarbeiten 93

3.3.7 Zuwendungen für die Publikation wissenschaftlicher Arbeiten 94

3.3.8 Zuschüsse für Studienliteratur 96

3.3.9 Reisekostenzuschüsse 98

3.3.10 Förderpreise 98

3.4 Würdigung der Fördermaßnahmen 99

4 Gedanken zur zukünftigen Entwicklung der

Anna-Magull-Stiftung 101

5 Anhang 107

5.1 Die Dokumente des Anna-Magull-Archivs 107

5.2 Die Modulstruktur des Zwei-Fächer-Bachelor

Wirtschaftswissenschaften,

Schwerpunkt Berufliche Bildung 110

5.3 Die Modulstruktur des Master of Education

Wirtschaftspädagogik 112

5.4 Stiftungsurkunde und Satzung der Anna-Magull-Stiftung 114

5.5 Gesamtliste der Fördermaßnahmen vom Beginn der

Förderung im Jahre 1986 bis zum Jahr 2010 nach zeitlicher

Abfolge der Vorstandsbeschlüsse 116

Abbildungsverzeichnis 149

(6)

Zum Geleit

Absolventen des berufs- und wirtschaftspädagogischen Studienganges haben vielfältige schulische und außerschulische Arbeitsfelder (z.B. in der betrieb-lichen Personalentwicklung, in Kammern, in Institutionen der Erwachsenen-bildung). Als Handelslehrerinnen und Handelslehrer in Niedersachsen unter-richten sie an Berufsschulen, einschließlich ihrer Berufsvorbereitungs- und Berufsgrundbildungsklassen, an Berufsfachschulen, Berufsaufbauschulen, Fachoberschulen, Berufsoberschulen, Fachgymnasien und Fachschulen. Der Lehrkräftebedarf ist entsprechend hoch. Von daher war es folgerichtig, dass der Niedersächsische Kultusminister gleich nach der Gründung der Uni-vesität Oldenburg die Errichtung eines Handelslehramts-Studienganges unterstützte, der seinen Betrieb im Wintersemester 1974/75 mit zwanzig Studierenden aufnahm. Die Zahl der Studierenden stieg jährlich an, er-reichte im Wintersemester 1995/96 mit 689 Inskriptionen ihren Höhepunkt und hat sich seitdem bei etwa 500 Studierenden eingependelt.

Neben den Wirtschaftswissenschaften und der Berufs- und Wirtschaftspäda-gogik studieren die Lehramtsanwärter/innen ein allgemeines Unterrichtsfach, wie Deutsch, Englisch, Politik, Mathematik usw. Daraus entsteht ein hoher Koordinationsbedarf für die Studienplanung. Hierfür leistet das Fachgebiet Berufs- und Wirtschaftspädagogik mit seinen sechs hauptamtlich Lehrenden eine große Betreuungs- und Integrationsarbeit, die bei einer Betreuungsrela-tion von 1:80 (Lehrende:Studierende) nicht einfach zu bewältigen ist. Angesichts dieser Studien- und Arbeitssituation war es für den Handelslehr-amts-Studiengang und das Fachgebiet Berufs- und Wirtschaftspädagogik gleichsam eine Sternstunde, als sich der Niedersächsische Minister für Wis-senschaft und Kunst im Jahre 1985 entschloss, die Anna-Magull-Stiftung mit Sitz in Oldenburg zu errichten. In den fünfundzwanzig Jahren ihres Be-stehens hat die Stiftung aus ihren Vermögenserträgen knapp 550.000,- Euro an Fördermitteln für Studierende und Absolventen verteilt, und zwar einer-seits als Stipendien für Promotionen, Forschungspraktika sowie

(7)

Auslands-studien, andererseits als studienbezogene Zuwendungen und Zuschüsse für Reise-, Sach- und Literaturmittel.

Die Folgen der Finanzkrisen mit ihrem niedrigen Zinsniveau erschweren die gegenwärtige Arbeit der Stiftung erheblich. Möge es gelingen, das Stif-tungsschiff durch die stürmische See zu führen, in der Hoffnung, bald wie-der in ein ruhigeres Fahrwasser zu gelangen.

Prof. Dr. Babette Simon

(8)

Vorwort

Die im Jahre 1972 verstorbene Handelslehrerin Anna Magull, die in Hameln eine kaufmännische Privatschule betrieb, verfügte in ihrem Testament, aus ihrem Vermögen eine Stiftung zur Förderung von Studentinnen und Stu-denten des Handelslehramts zu gründen, falls zehn Jahre nach ihrem Tod von ihrem seit dem Jahre 1945 vermissten Sohn kein Lebenszeichen kom-men sollte. In Erledigung dieser letztwilligen Verfügung errichtete das Land Niedersachsen, vertreten durch den Minister für Wissenschaft und Kunst, am 7. Januar 1985 die Anna-Magull-Stiftung mit dem Sitz in Oldenburg als rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts.

Der gegenwärtige Stiftungsvorstand, bestehend aus der Präsidentin der Uni-versität, Frau Prof. Dr. Babette Simon, als Vorstandsvorsitzende, Herr Dr. Jörg Bleckmann, Vorstandssprecher a. D. der Oldenburgische Landesbank AG, und Prof. i. R. Dr. Reinhard Czycholl, als Vertreter des Fachgebiets Berufs- und Wirtschaftspädagogik, beschloss auf seiner 30. Sitzung am 21. Mai 2010, aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Stiftung eine Doku-mentation herauszugeben.

Schon auf der 3. Vorstandssitzung vom 9. Mai 1986 wurde die Bewerbung des aus Hameln stammenden Handelslehramtsstudenten Holger Kreusel um ein von mir betreutes Stipendium zum Projektthema „Zur Geschichte der Anna-Magull-Stiftung“ angenommen, um Leben und Wirken der Stifterin zu erforschen. Kreusel gelang es, Zeitzeugen aufzuspüren, Verwandte zu be-fragen, Erfahrungsberichte von ehemaligen Schülerinnen und Schülern ein-zuholen und besondere Dokumente zu erschließen. Viele dieser Befunde gingen in die erste Zwischenbilanz der Stiftungsarbeit zum 10-jährigen

Bestehen ein.1

1 Vgl. Czycholl, Reinhard/Reinisch, Holger: Die Anna-Magull-Stiftung an der

Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg, 1985–1995. Beiträge zur Berufs- und Wirtschafts-pädagogik, Heft 9, Oldenburg 1995. Da ich laut dortigen Vorworts für die Inhalte

(9)

Frau Stephanie Bak stellte mir die Ordner der Stiftungsverwaltung aus dem Universitätsarchiv bereit. Das Studium der dortigen Unterlagen ermöglichte es mir, Daten über die Privatschule von Anna Magull zu ergänzen und die Informationen über das Stiftungsvermögen und die inhaltliche Entwicklung der Förderarbeit der Stiftung fortzuschreiben und zu aktualisieren.

In den fünfundzwanzig Jahren ihres Bestehens hat die Stiftung viele Han-delslehramts-Studierende darin unterstützt, ihre Studien zu erweitern und zu vertiefen. In vierhundertfünfzig Beschlüssen hat der Vorstand für Stipen-dien, Zuwendungen und Zuschüsse insgesamt rund 550.000,- Euro an För-dermitteln ausgegeben.

An dieser Stelle erlaube ich mir als Fachvertreter, auch im Namen meiner Kollegin, Frau Prof. Dr. Karin Rebmann, für die vielfältige Unterstützung der Stiftungsarbeit Dank zu sagen; zunächst an die früheren Vorstandsmit-glieder: die ehemaligen Präsidenten Prof. Dr. Horst Zilleßen, Prof. Dr. Michael Daxner, Prof. Dr. Siegfried Grubitzsch und Prof. Dr. Uwe Schneidewind. Zu gedenken ist an den verstorbenen Dr. Hubert Forch, seinerzeit Vorstandssprecher der OLB. Schließlich ist Herrn Horst Scholz für seine umsichtige Vermögensverwaltung ebenso zu danken wie Frau Ilona Neuhaus, die bis zum Mai 2010 für die Organisationsgeschäfte der Stiftung zuständig war. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei Frau Jurkea Morgenstern und Frau Dörte Sellmann für ihre Hilfen bei der Drucklegung. Möge sich die Förderungsarbeit der Anna-Magull-Stiftung auch in Zukunft erfolgreich fortsetzen.

Oldenburg, im Oktober 2010 Reinhard Czycholl

jener Arbeit verantwortlich zeichne, muss ich mich nicht selbst zitieren, wenn ich in der vorliegenden Dokumentation auf sie zurückgreife.

(10)

1

Zur Lebensgeschichte von Anna Magull

Wie in der Einleitung erwähnt, hat der Handelslehramtsstudent Holger Kreusel versucht, biografische Daten über Anna Magull zu eruieren. Über seine Bemühungen soll als erstes kurz berichtet werden.

1.1 Auf Spurensuche

Im Zeitraum vom Mai 1986 bis zum Frühjahr 1987 stellte Kreusel seine Nachforschungen an, die sich auf das Stadtarchiv Hameln, das Landesarchiv Hannover sowie auf Befragungen von Personen, die der Stifterin nahe stan-den, und von ehemaligen Schülerinnen und Schülern erstreckten. Im Stadtar-chiv Hameln fanden sich, bis auf den Nachruf einer örtlichen Zeitung an-lässlich der Beerdigung von Anna

Magull, keine Unterlagen. Der dortige Archivar vermutete, dass die Schul-unterlagen nach Hannover gelangt sein konnten.

Im Landesarchiv Hannover fand Kreusel Anträge von Frau Magull auf staatliche Genehmigung ihrer Schule sowie einen Briefwechsel, der auf-grund des Beschwerdevorgangs einer Schülerin ausgelöst worden war. Am 26. Juli 1986 gab Kreusel in der Deister-Weserzeitung Hameln einen Aufruf an ehemalige Magull-Schüler auf, sich bei ihm für eine Befragung zu melden (vgl. Abb. 1). Das Ergebnis war erfolgreich. Hier sein Bericht dar-über:

Abb. 1 Aufruf in der

(11)

„Die meisten Schüler meldeten sich binnen drei Tagen fernmündlich, einige auch schriftlich. Mehrere weiter entfernt wohnende Personen sicherten mir zu, ihre Erinnerungen zu notieren und an mich zu sen-den. … Nach ca. eineinhalb Wochen wurde mein Aufruf ohne mein Zutun von der Zeitung wiederholt. Dies erbrachte nochmals zehn Meldungen, so dass ich insgesamt rund 35 Schüler und Schülerinnen interviewen konnte. Der Großteil der Schüler umfasste die Schuljahr-gänge 1953/54 bis 1958; doch auch die 60er Jahre sowie der letzte Schuljahrgang 1971/72 waren vertreten. …

Die Vorkriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit konnte ich mit Hilfe einer z. Z. (1986, R.C.) 70-jährigen ehemaligen Schülerin von 1938! aufhellen. Ihre Flucht führte sie in Hameln wieder mit Anna Magull zusammen, wo sie bis zu deren Tod in enger Verbindung stand. Sie übergab mir viele Unterlagen und Dokumente, die wesentlich zum Erschließen der Persönlichkeit und des Schicksals der Stiftungsgebe-rin beitrugen.“

Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Ergebnisse dieser persönli-chen Befragungen und auf viele schriftliche Unterlagen und Dokumente, die Holger Kreusel freundlicherweise überlassen wurden (vgl. Anhang, 5.1). 1.2 Die Lebensphase von 1893 bis 1945

Anna Magull wird am 6. Juni 1893 als Anna Scheffler in Kölln bei Zoppot-Danzig geboren. Ihre Großeltern hatten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-derts im nahe gelegenen Ostseebad Zoppot Grundbesitz erworben, den ihre Eltern und später sie erbten, und zwar in der Danziger Straße 134 und 136 sowie in der Waldstraße 5 und 5a (Dok. 4, S. 8).

In der Zeit von 1900 bis 1904 besucht sie die Grundschule in Zoppot. Im Sommer 1904 wechselt sie auf die dortige Höhere Mädchenschule (Lyzeum), die sie im Jahre 1910 mit dem Reifezeugnis verlässt. Ab 1913 absolviert sie eine Ausbildung in der „Knorrschen Handelsschule“ in Danzig und schließt diese 1914 mit der Note „sehr gut“ ab. Ab dem Jahre 1916 arbeitet sie einige Zeit als Büroangestellte im Elektrizitätswerk von Zoppot (Dok. 5). Am 28. Januar 1919 heiratet sie den am 19. April 1888 in Danzig geborenen Handelsoberlehrer Bruno Magull (Dok. 25d). Am 9. Juni 1920 wird das

(12)

ein-zige Kind, der Sohn Richard-Günter, in Danzig-Langfuhr geboren. Die Familie lebt zunächst in Annas Elternhaus in Zoppot. Dann zieht sie nach Schlawe in Pommern um.

1.2.1 Die Privatschul-Arbeit von 1919 bis 1938

Anna und Bruno Magull haben in Schlawe kurz nach der Heirat eine private Handelsschule gegründet. Vom Regierungspräsidenten in Köslin erhält er die Erlaubnisurkunde zur Leitung der Schule und beide die Genehmigung zur Unterrichtserteilung (Dok. 4, S. 7). Ein in der Lindenpromenade 1 ange-mietetes Haus (vgl. Abb. 2) dient sowohl als Wohn- als auch als Schulhaus. Im Mai 1935 wird es vom Kreistierarzt i.R. Dr. Majewski käuflich erworben. Im Jahre 1930 macht das Ehepaar eine zweite Handelsschule im nahe

gele-genen Lauenburg/Pommern in der Paradestraße 6 auf1. In den beiden

Schu-len werden die Fächer Deutsch/Schriftverkehr, Englisch, Französisch, kauf-männisches Rechnen, Maschinenschreiben, Stenographie, Buchführung und Betriebswirtschaftslehre unterrichtet.

Abb. 2 Das Schul- und Wohnhaus in Schlawe

1 Eine dritte Schule in Rügenwalde wird kurz nach ihrer Gründung wieder geschlossen;

(13)

Das Schulgeschäft entwickelt sich sehr erfolgreich. Die Einnahmen aus den beiden Schulen beziffert Anna Magull für die Jahre von 1931 bis 1937 mit jährlich ca. 25.000,- bis 30.000.- Reichsmark (RM), für die Zeit von 1938 bis 1944 mit ca. 20.000.- bis 25.000,- RM (Dok. 4, S. 4).

Um einige Vergleichswerte2 zu geben: im erstgenannten Zeitraum verdient

ein kaufmännischer Angestellter im Einzelhandel ca. 230,- RM pro Monat (Jahreseinkommen von rund 2.800.- RM), ein Volksschullehrer 208,- bis 335.- RM (Jahreseinkommen von rd. 2.500.- bis 4.000.- RM), ein Studienrat 300.- bis 560.- RM (Jahreseinkommen von rd. 3.600.- bis 6800.- RM) und ein Oberregierungsrat einschließlich Zulagen ca. 2.000.- RM (Jahresein-kommen von ca. 24.000.- RM).

Die Magulls sind demnach zur Kategorie der Besserverdienenden zu zählen. Ihr Einkommen entspricht dem damals üblichen durchschnittlichen Privat-einkommen selbständiger Erwerbspersonen, das beispielsweise um 1933 bei

30.000.- RM liegt3. Zu berücksichtigen dabei ist, dass sie Doppelverdiener

sind.

Als angestellte Lehrkraft in der Schule ihres Mannes genießt Anna Magull deutliche Privilegien gegenüber im öffentlichen Schuldienst tätigen Lehre-rinnen; denn erst nach dem erfolgreichen Abschluss eines Lehrerinnensemi-nars, einer unterschiedlich langen Probezeit als Hilfslehrerin sowie teilweise erst nach einer erfolgreich absolvierten zweiten Prüfung sehen die

damali-gen Schulgesetze eine definitive Anstellung vor4. Für Privatschulen galten

diese Regelungen nicht. In Bezug auf die Eingangsvoraussetzungen für dort tätige Lehrkräfte gab es keine verbindlichen Vorschriften, so dass Anna Magull für ihre Lehrtätigkeit weder ein Lehrerinnenexamen noch ein Dip-lom nachzuweisen brauchte.

Sie bleibt auch nach der Geburt ihres Sohnes berufstätig. Dies ist zu damali-ger Zeit keinesfalls selbstverständlich und ist auf den besonderen Status als

2 Vgl. Bölling, Rainer: Sozialgeschichte der deutschen Lehrer. Ein Überblick von 1800

bis zur Gegenwart. Göttingen 1983, S. 118 ff.; vgl. Petzina, Dietmar u. L.: Sozial-geschichtliches Arbeitsbuch. Band 3: Materialien zur Statistik des Deutschen Reiches 1914–1945. München 1978, S. 100 f.

3 Vgl. Petzina 1978, S. 106.

4 Vgl. Pollmann, Birgit: Lehrerinnen in Deutschland und in den USA zwischen

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Ehefrau des Leiters einer Privatschule zurückzuführen. Im öffentlichen Schuldienst tätige Lehrerinnen mussten nach der Heirat in der Regel ihre Berufsausübung aufgeben. Die Lehrerin als verheiratete Frau blieb in staat-lichen Schulen die große Ausnahme, was – nicht zuletzt aufgrund des allen-falls unzureichenden bzw. gar nicht geregelten Mutterschutzes – erst recht

für Lehrerinnen mit Kindern galt5.

Abb. 3 Anna Magull als 40-jährige Frau6

Aus dieser Zeit existiert ein Passfoto (Abb. 3). Es ist mit einer Heftklammer in einem Ausweis der Reichskulturkammer befestigt, der am 1. Januar 1934 ausgestellt wurde, unterzeichnet vom Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste. Das Foto zeigt Anna Magull als vierzigjährige Frau. Sie

hat ausdrucksvolle blaugraue Augen7 in einem markanten Gesicht. Das kurz

geschnittene, dunkle und einfach zurückgekämmte Haar betont ihre hohe Stirn. Sie trägt eine weiße Bluse mit dunkler Weste und eine gepunktete

5 Vgl. ebenda, S. 122 ff.

6 Passfoto im Ausweis der Reichskulturkammer vom 1. Januar 1934 (Dok. 2). Worauf sich die „Berechtigung zur Berufsausübung als Kunstverleger und Kunstblatthändler“ gründet, ist mir nicht bekannt.

7 Selbstangabe im Fragebogen des „Military Government of Germany“ aus dem Jahre 1946 (Dok. 4, S. 1).

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Blusenkrawatte. Ergänzend sei angemerkt, dass sie mit einer Größe8 von 1,65 m eine eher kleine Frau ist.

1.2.2 Die Privatschul-Arbeit von 1938 bis 1945

Mit der Herrschaft des Nationalsozialismus zerbricht die glückliche Lebenssituation der Magulls. Bruno Magull wird denunziert und im Jahre 1938 als politischer Gegner verhaftet. Seine Frau schreibt dazu:

„Die bekannt gewordene gegensätzliche Einstellung meines Mannes zum Hitlersystem brachte uns große Schwierigkeiten, und durch Gehässigkeit und Missgunst aufstrebender Parteimitglieder war mein Mann zur Abbüssung einer harten Strafe herangezogen worden, die die Niederlegung seiner Schulleitung 1938 nach sich zog.

Durch die Unterstützung des Vizepräsidenten Dr. Dr. von Zitzewitz und des Dezernenten für Schulwesen, Herrn Oberregierungs- und Obergewerbeschulrates Professor Dr. Wagner in Stettin, wurde mir im Jahre 1938 die Leitung der beiden Schulen übertragen und gleichzeitig die Erlaubnis zur Weitererteilung des Unterrichtes in unseren Schulen“ (Dok. 4, S. 7).

Für die Verhinderung der Schließung beider Schulen und die Übertragung der Schulleitung auf sie muss Anna Magull einen hohen Preis zahlen: sie wird gezwungen, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen und es wird ihr nahe gelegt, der NSDAP beizutreten, was sie erstaunlicherweise bis zum

Jahre 1942 hinauszögern kann9.

An dieser Stelle erscheint eine kurze Betrachtung des allgemeinen Trends bezüglich der Mitgliedschaft von Lehrkräften in der NSDAP oder anderen parteinahen Organisationen angebracht: Bei Hitlers Ernennung zum Reichs-kanzler am 30. Januar 1933 gehörten nur ca. fünf Prozent aller Lehrerinnen und Lehrer der NSDAP an. Schon im Jahre 1936 hatte sich dieser Anteil auf ca. 32 Prozent erhöht. 97 Prozent aller Lehrkräfte waren dem

Nationalsozi-alistischen Lehrerbund beigetreten10. Gewiss taten dies einige aus innerer

8 Ebenda.

9 Laut Dok. 4, S. 2.

10 Vgl. Bölling, Rainer: Sozialgeschichte der deutschen Lehrer. Ein Überblick von 1800 bis zur Gegenwart. Göttingen 1983, S. 136 ff.

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Überzeugung. Ebenso gewiss ist, dass die Lehrerschaft aufgrund ihrer Be-deutung für die Ausbildung und Erziehung der Jugend in besonderem Maße

dem Druck der Nationalsozialisten ausgesetzt war11. Viele gaben diesem

äußeren Druck nach, so dass selbst der Reichsorganisationsleiter der NSDAP den Schluss zog, dass es sich bei einem größeren Teil dieser Mit-glieder um „Konjunkturritter“ handele, deren Zuverlässigkeit besonders zu

überprüfen sei12.

Es ist begründet zu vermuten, dass Anna Magull eine solche

Konjunktur-ritterin im Verständnis dieses NSDAP-Vertreters war. In einem Fragebogen

(Dok. 4, S. 2 f.) der britischen Militärregierung aus dem Jahre 1946 gibt sie noch weitere Mitgliedschaften an: NS-Volkswohlfahrt, NS-Lehrerbund, Deutsches Frauenwerk, Reichsluftschutzbund, Reichsgemeinschaft Deut-sche Privatschulen.

Sie selbst vermerkt dazu:

„Ich war nicht und konnte niemals naturgemäß Nationalsozialist im wirklichen Sinne eines solchen sein. … Meine Mitgliedschaft in der Partei seit 1942/43 ist lediglich nur erfolgt, um den mir durch die Partei gemachten Schwierigkeiten begegnen zu können“ (Dok. 4, S. 7 f.). Anna Magull leitet die zwei kaufmännischen Privatschulen in Schlawe und Lauenburg von 1938 bis 1945. Für diese Funktion hält sie offensichtlich eine zertifikatsorientierte Weiterqualifizierung für erforderlich. Die an der Universität Erlangen angesiedelte „Meldestelle und Notverwaltung“ für die Königsberger Handelshochschule bescheinigt durch Professor Dr. Seischab am 23. Juni 1946:

„An Hand der bei der Notverwaltung der Handels-Hochschule Kö-nigsberg (Pr) vorliegenden Nachweisungen wird bescheinigt, dass Frau Anna Magull, zur Zeit wohnhaft in Hameln, Bäckerstr. 1, am 30. Juni 1944 die staatliche Stenografielehrer- und Maschinenschreib-lehrer-Prüfung am Bürowirtschaftlichen Institut der Handels-Hoch-schule Königsberg (Pr) bestanden hat“ (Dok. 8).

11 Vgl. ebenda, S. 141 ff. 12 Vgl. ebenda, S. 140.

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Unterstützt durch zwei Lehrkräfte, die im Herbst 1942 eingestellt werden (Dok. 3), arbeiten beide Schulen zu voller Zufriedenheit der SchülerInnen und ihrer Abnehmer. Ein früheres Mitglied des Schlawer Kreisausschusses bestätigt:

„In diesen Schulen wurden von Fachlehrern unter der Leitung von Frau Magull junge Mädchen und Männer in den Fächern Stenogra-phie, Schreibmaschine und Buchhaltung ausgebildet. Die Leistungen dieser Schulen waren so gut, dass von den Behörden und sonstigen Dienststellen die aus diesen Schulen kommenden jungen Leute beson-ders gern übernommen wurden“ (Dok. 10).

Und ein ehemaliger Großhändler aus Rügenwalde bescheinigt:

„Die Ausbildung, die die Schülerinnen und Schüler dort erhielten, war so gut, dass Kaufleute und Behörden bevorzugt diese als Lehrlinge oder Bürokräfte einstellten. Es gab sogar Firmen, die die Einstellung als Lehrlinge von dem vorherigen Besuch der Magull’schen Privat-schule abhängig machten. Ich selbst habe auch Lehrlinge eingestellt, die die genannte Schule vorher besucht haben und kann mir daher eine zutreffende Beurteilung erlauben“ (Dok. 11).

Im März 1945 werden Schlawe und Lauenburg von der sowjetischen Armee besetzt. Die Privatschulen der Magulls werden geschlossen. Die Besat-zungsmacht beschlagnahmt das gesamte Inventar. Wichtige Papiere, wie z. B. Schuldokumente, Gutachten über die Schulen sowie sämtliche Zeug-nisse kommen dabei abhanden. Anna Magull verliert ihre gesamten Liegen-schaften, wozu neben dem Schul- und Wohnhaus in Schlawe auch ihr eige-nes und das Elternhaus ihres geschiedenen Maneige-nes gehören.

1.3 Die Lebensphase von 1945 bis 1972

Anna Magull lebt bei Kriegsende zusammen mit ihrer unverheirateten Schwester Minna Scheffler in ihrem elterlichen Haus in Zoppot in der

Waldstraße. Beide werden 1945 von den Polen vertrieben13 und gelangen

zu Verwandten nach Hannover.

13 In einem Brief von Marianne Hartmann, einer Nichte Anna Magulls, vom 25. Oktober 1986 an Holger Kreusel.

(18)

1.3.1 Bemühungen um Unterrichtserlaubnis und Entnazifizierung

In Hannover noch, in der Wittekindstraße 40 wohnend, beweist Anna Magull erneut ihren unternehmerischen Geist. Sie steuert sofort wieder das Ziel an, kaufmännischen Unterricht zu organisieren und zu erteilen. Am 27. Oktober 1945 stellt sie an die britische Militärregierung den Antrag auf Erteilung von Privatunterricht. Mit Bescheid vom 29. Januar 1946 wird das Ansuchen positiv entschieden:

...“2. You are permitted to give private lessons in COMMERCIAL SUBJEKTS, German, Arithmetics, English, French.

3. You are not permitted to teach any other subjects” (Dok. 6).

Kurz danach zieht sie mit ihrer Schwester nach Hameln und wohnt zunächst in der Gertrudenstraße, später in der Bäckerstraße. Um dort die Genehmi-gung zur Erteilung von Privatunterricht zu erhalten, stellt sie am 1. März 1946 einen entsprechenden Antrag an den Schulrat des Schulaufsichtskrei-ses Hameln-Pyrmont, der mit Bescheid vom 12. März 1946 positiv ent-schieden wird. Sie erhält die

„Erlaubnis zur Erteilung von Privatunterricht in sämtlichen kaufmän-nischen Fächern, Englisch, Französisch und Nachhilfe bei Schülern über 10 Jahre an einzelne Personen und in privaten Unterrichtsanstal-ten im Deutschen Reiche. Die Erlaubnis berechtigt nicht zur Einrich-tung und LeiEinrich-tung einer privaten Schule, einer privaten Musikschule und zum Unterricht in Konservatorien und Musikseminaren. In den Ankündigungen und Anschlägen ist jede irreführende Angabe zu unterlassen; Zusätze wie ‚staatlich genehmigt‘ oder dergl. sind nicht zulässig“ (Dok. 7).

Die Ablehnung, eine Schule einzurichten und zu leiten, wird Anna Magull damals sicherlich geschmerzt haben. Andererseits ist die erteilte Unter-richtserlaubnis für sie die Voraussetzung, um am 5. Mai 1948 vom Arbeits-amt Hameln einen Arbeitspass (Dok. 12) zu erhalten, der sie als erlernte Lehrerin und ihre Beschäftigung als selbständige Lehrkraft ausweist (vgl. Abb. 4; S. 22). Dies wiederum ist damals Voraussetzung für die Zuweisung von Lebensmittelrationen sowie Wohnraum und Heizmitteln.

In der Folgezeit bemüht sich Anna Magull, wie die meisten Deutschen, die Mitglied der NSDAP waren bzw. das Gegenteil beweisen mussten, um eine

(19)

sog. „Entnazifizierung“. Dies war eine Grundbedingung für eine unbeschränkte und unbefristete Unterrichtserlaubnis. In erster Linie bedurfte es hierzu der Bei-bringung von Entlastungszeugen, die ihre Angaben gegenüber dem zuständi-gen Entnazifizierungs-Ausschuss bestä-tigten.

Ein Oberingenieur Bruno Prehn aus Danzig konstatiert, dass er aufgrund seiner langjährigen Bekanntschaft in der Lage sei,

„mit Sicherheit auszusagen, dass weder sie noch ihr Ehemann Bruno Magull jemals politisch tätig waren. Dem allge-meinen Drucke folgend, ist sie zur Wah-rung ihrer Lehrberechtigung im Jahre 1942 der NSDAP beigetreten, hat sich aber auch dann niemals politisch betä-tigt“ (Dok. 5).

Mit Datum vom 10. März 1949 kommt vom Entnazifizierungs-Hauptaus-schuss der Stadt Hannover die Entscheidung im schriftlichen Verfahren (Dok. 14): „Frau Magull ist entlastet (Kategorie V)“. Das heißt, sie wird als Routinefall eingestuft, der keine mündliche Verhandlung vor einem Beru-fungs-Ausschuss erforderlich macht. Die Kategorie V weist sie als „Mitläu-ferin“ aus, die nur formell Mitglied der NSDAP war.

1.3.2 Die Errichtung einer kaufmännischen Privatschule in Hameln

Wann genau Anna Magull sich in Hameln mit einer Privatschule erneut selbständig macht, lässt sich nicht rekonstruieren. Unterlagen über den Unterrichtsbetrieb liegen erst ab November 1952 vor. In ihnen wird mit „Privatunterricht von Anna Magull, staatl. gepr. Fachlehrerin Hameln“ fir-miert bzw. mit „Private kaufmännische Berufsfachlehrgänge von Frau Anna Magull Hameln“ (Dok. 15).

Abb. 4 Arbeitspass des Arbeitsamts

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Unterricht in der Mietwohnung Bäckerstraße 1 in Hameln

Im Auftrag des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit verschickt das Arbeitsamt Hameln am 23. Februar 1953 einen Fragebogen zur Neuerstel-lung eines „Fachschul- und Berufsfachschulverzeichnisses“. Aus der Adres-sierung ist zu entnehmen, dass inzwischen eine Schulgründung erfolgt sein muss: „An die Privat-Handelsschule Frau Magull, Hameln, Bäckerstr.“ (Dok. 17).

Dem ausgefüllten Fragebogen ist zu entnehmen, dass es sich um eine „staatlich zugelassene“ Schule handelt, die ohne besondere Aufnahmebe-dingungen eine ein bis zwei Semester dauernde kaufmännische Ausbildung ohne Abschlussberechtigungen vermittelt und dafür ein Unterrichtsgeld von 240.- DM pro Semester erhebt, wobei „Unbemittelten“ Ermäßigung gewährt wird. Die staatliche Zulassung ist sowohl für die Schule als auch ihre Schü-ler sehr wichtig. Durch sie erhalten die Abgangszeugnisse ein größeres Ge-wicht, und sie ist Voraussetzung, um Erziehungsbeihilfen und

Schülerfahr-karten zu erlangen14.

Holger Kreusel gelang es, in Hameln ein Pergament-Passepartout in der Größe von 55 cm mal 70 cm ausfindig zu machen, welches zur Herstellung von Schulplakaten diente. Dort lautet die Firmierung „Kaufmännische Pri-vatschule Anna Magull, staatlich geprüfte Fachlehrerin, Buchführung, Be-triebswirtschaftslehre, Deutsch, Schriftverkehr, kfm. Rechnen, Stenografie, Maschinenschreiben usw. – Tages- und Abendklassen“ (Dok. 16).

In den ersten Jahren findet der Unterricht in der kleinen Mietwohnung Anna Magulls in der Bäckerstraße 1 statt. Die fehlenden sanitären Anlagen für die Schüler ersetzt eine in unmittelbarer Nähe der Wohnung gelegene öffentli-che Bedürfnisanstalt. Solöffentli-che einengenden Arbeitsbedingungen sind für die erste Nachkriegszeit durchaus üblich.

Anna Magull wirbt um Schüler. Sie inseriert in der Hameler Presse, verteilt Handzettel an Privathaushalte und verschickt Werbeblätter selbst an dreißig Kilometer entfernte Volksschulen. Sie unternimmt viele Werbefahrten mit dem Fahrrad oder gar per Anhalter. Auch ihre Schüler beauftragt sie mit dem Anbringen von Werbeplakaten.

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Sie ist mit diesen Maßnahmen erfolgreich. Dies ist zum einen darauf zu-rückzuführen, dass der Neuaufbau des öffentlichen Schulsystems nach dem zweiten Weltkrieg mit der Nachfrage der Bevölkerung nach berufsorien-tierter Qualifizierung nicht Schritt halten kann. An den städtischen Han-delslehranstalten überstieg in den fünfziger Jahren die Zahl der

Aufnahme-suchenden das damalige Fassungsvermögen erheblich15. Zum anderen sind

die erhobenen Unterrichtsgebühren in Höhe von 240,- DM pro Semester vergleichsweise geringer als das damalige Schulgeld an den städtischen Handelsschulen.

Erwerb und Ausbau des Gebäudes Wilhelmstraße 6 in Hameln

Für die ansteigende Schülerzahl reichen die räumlichen Unterrichtsbedin-gungen in der Bäckerstraße nicht mehr aus. Im Jahre 1954 gelingt es Anna Magull, einen Gebäudekomplex in Hameln in der Wilhelmstraße 6 gegen-über dem Kreiskrankenhaus und nicht weit vom Bahnhof entfernt zu erwer-ben. Dieses Haus dient sowohl als privates Domizil, das sie zusammen mit ihrer Schwester Minna Scheffler bewohnt, als auch als Schulgebäude. Es liegen keine Unterlagen dafür vor, auf welche Weise ihr die entsprechende Finanzierung gelingt. Zu vermuten sind mehrere Finanzierungsquellen. Vielleicht gelang es, ihren erheblichen Grundbesitz gegenüber dem Lasten-ausgleichsamt geltend zu machen. Im Fragebogen der britischen Militär-regierung vom 29. Januar 1946 führt sie folgenden Immobilienbesitz auf: Familienhaus in Schlawe, Lindenpromenade 1, Bau- und Entstehungswert ca. 60.000,- RM, Grundstücksgröße 1.177 qm; elterliche Grundstücke in Zoppot, Danzigerstraße 134/136 und Waldstraße 5/5a, Grundstückswert ca. 90.000,- RM, Grundstücksgröße ca. 6.000 qm (Dok. 4, S. 8).

Finanziell unterstützt hat sie vermutlich auch ihr Ehemann. Nach Kriegs-ende aus der Haft entlassen, findet Bruno Magull eine Anstellung als Han-delslehrer in Berlin. Ob das Ehepaar nach der nationalsozialistischen Zwangsscheidung die Eheschließung wieder legalisieren muss, ist nicht be-legt. Sie leben getrennt, weil Bruno Magull seine Berliner Lehrerposition nicht aufgeben will. Belegt ist, dass sich die Eheleute regelmäßig an den Wochenenden besuchen.

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Die in der Wilhelmstraße mitwohnende Schwester Minna Scheffler kann ebenfalls etwas zum Hauskauf beigetragen haben. Schließlich wird zu Finanzierungszwecken in der Anfangszeit eine Hauseinheit an einen Arzt vermietet. Die Raumausstattung des Gebäudes lässt dies alles zu. Das Grundstück umfasst 450 qm und besteht aus einem einstöckigen Wohnhaus, einem Stallgebäude und einer Garage. Das Wohnhaus ist ein Altbau aus dem Jahre 1880 mit großen Fenstern und hohen Räumen.

Erstaunlicherweise kann Anna Magull schon im Jahre 1960 eine großzügige bauliche Modernisierungs- und Erweiterungsmaßnahme in Angriff

neh-men18. Mit Erhöhung des ursprünglich vorhandenen Drempels19 wird das

Gebäude um ein Geschoss aufgestockt und das Dachgeschoss ausgebaut. Zur Gartenseite werden drei Balkone hinzugefügt. Es werden Kastendoppel-fenster eingesetzt. Zum Dachgeschoss wird eine neue Treppe gebaut.

Fuß-16 Aus der Anlage des Schreibens gemäß Fußnote 19. 17 Das Foto stammt von Dipl.-Ing. Franz Focke, 1983.

18 Die Daten stammen aus der Anlage eines Schreibens des Landkreises Hameln-Pyr-mont vom 23.08.1983 an die Universität Oldenburg. In diesem wird der Universität ein vom Landkreis in Auftrag gegebenes Verkehrswertgutachten für das Hausgrund-stück zur Kenntnis gebracht, das der Architekt BdA Dipl.-Ing. Franz Focke erstellt hat. 19 Der im Dachgeschoss über den Fußboden hinausragende Teil der Außenmauern bis

zum Dachansatz.

Abb. 5 Gebäude Wilhelmstraße 6,

Straßenansicht der Ausbau-zeichnung16

Abb. 6 Gebäude Wilhelmstraße 6,

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böden, Wasser-, Elektro- und Heizungsinstallationen sowie Wandanstriche werden erneuert. Es entsteht ein dreigeschossiges Gebäude mit ausgebautem Dachgeschoss. Die gesamte Wohnfläche beträgt 404 qm.

Auch nach dem Ausbau werden offenbar nur die Räume im zweiten Stock des Gebäudes für die Privatschule genutzt. In einem Inspektionsbericht des Staatlichen Gesundheitsamtes Hameln vom 16. September 1966 (Dok. 23d) findet sich folgende Schulbeschreibung:

„Die Schule befindet sich in einem Wohnhaus in der 2. Etage. 1961 wurden die Schulräume renoviert. Für den Unterricht stehen zwei mittelgroße und ein kleinerer Raum zur Verfügung. Außerdem ist ein Lehrerzimmer und ein Raum für Garderobenablage vorhanden. Die Schulräume sind mit Stabparkett ausgelegt, die Belüftung kann durch Oberlichter geregelt werden. Alle Räume sind hell und werden bei Bedarf ausreichend mit Leuchtstoffröhren erhellt. Die Heizkörper be-finden sich überwiegend als Platten unter den Fenstern, so daß eine gute Luftzirkulation möglich ist. Die an den Heizkörpern angebrach-ten Wärmemesser ermöglichen eine Prüfung der Wärmeabgabe.

Die Schüler sitzen an losen Tischen und Stühlen. Lediglich im Schreibmaschinenklassenraum sind nur Hocker vorhanden. Nach Angaben von Frau Magull steht es den Schülern aber frei, sich ihren Stuhl aus dem anderen Klassenraum bei Übungen an der Schreib-maschine mitzubringen.“

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Die Organisation des kaufmännischen Unterrichts

Abb. 7 Die Ordnung des Unterrichts (Dok. 15c)

Die Kurse beginnen in der Regel am ersten April und am ersten Oktober. Sie dauern ein Jahr, können aber für Teilnehmer mit kaufmännischer Vor-bildung auf ein halbes Jahr verkürzt werden. Jeweils zum Ende eines jahres finden Prüfungen statt, an denen manchmal auch Vertreter der Schul-behörde teilnehmen.

Der Unterricht pro Klasse umfasst 24 Wochenstunden. Er findet sowohl vormittags von 8.00 bis 12.00 Uhr, als auch nachmittags zwischen 14.00 und 18.00 Uhr statt. Dazu werden Abendkurse in der Zeit von 20.00 bis 22.00 Uhr angeboten, die von fortbildungswilligen Berufstätigen besucht werden. Laut Lehrplan werden folgende Unterrichtsfächer erteilt: Betriebswirtschafts-lehre, Buchführung (einfache Methode, amerikanisches Tabellenjournal, Durchschreibe-Methode, Lohnbuchhaltung, Buchungs- und Bilanztechnik), Deutsch/Schriftverkehr, Handelskunde, Stenografie (Deutsche Einheitskurz-schrift, Verkehrs- und Eilschrift), Maschinenschreiben (10-Finger Blind-schreibesystem) und Kaufmännisches Rechnen. Der in Abb. 8 (Dok. 15b) gezeigte Lehrplan mit Stundentafel gibt Auskunft über die zeitliche und fächermäßige Verteilung des Unterrichts innerhalb der kaufmännischen Be-rufsfachlehrgänge.

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Abb. 8 Lehrplan mit Stundentafel der kaufmännischen Kurse

Das Problem der extremen Knappheit an Schreibpapier direkt nach dem Kriege löst Anna Magull auf folgende Weise: Ein Schreibheft wird viermal benutzt, indem ein voll geschriebenes Exemplar wieder ausradiert wird. Damit nicht viermal derselbe Arbeitsinhalt vorgelegt werden kann, schnei-det sie nach jeder Heftgesamtkontrolle eine Ecke des Heftes ab.

Neben dem Mangel an Schreibpapier fehlt es in den ersten Nachkriegsjahren auch an geeigneten Lehrmitteln. Anna Magull fertigt deshalb selbst auf ihrer Schreibmaschine Lehrmittel mit mehreren Kohlepapierdurchschlägen an. Ein solches Lehrheft zum Thema „Der Handelswechsel in der Praxis“ liegt als Dokument 20 vor. Die dünnen Blätter sind mit einem Bindfaden in einen

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rosa Pappumschlag geheftet. Auf der Innenseite des Umschlags ist ein bei-spielhaft ausgefülltes Wechselformular eingeklebt.

Die Deister- und Weserzeitung berichtet über die Unterrichtsarbeit fol-gendes:

„In vier Klassenräumen wurden bis zu sechzig Schüler unterrichtet. Bezeichnend für die Magull-Schule ist es, daß sie auch von älteren Jahrgängen bevorzugt wurde, um hier in Halb- oder Jahreslehrgängen das kaufmännische Rüstzeug zum Aufsteigen in Betrieben oder Ver-waltungen zu erwerben. Der älteste Schüler war ein Oberst a. D., der nach dem Besuch dieser Privatschule eine leitende Stelle in einem

süddeutschen Betrieb antreten konnte“20.

Abb. 9 Schulbesuchs-Bescheinigung (Dok. 19)

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Vor allem im ersten Jahrzehnt nach ihrer Errichtung erfreut sich die Magullsche Privatschule eines ausge-zeichneten Rufs in der Stadt Hameln und Umgebung. Eine Bescheinigung über die Teilnahme an einem Berufs-fachlehrgang (vgl. Abb. 9) gilt als zu-verlässige Referenz und verbessert die Einstellungschancen der Absol-ventinnen und Absolventen ganz ent-schieden. In nicht wenigen Fällen kann die Schulleiterin selbst – dank ihrer guten Verbindungen zur örtli-chen Wirtschaft – ihren ehemaligen Schülerinnen und Schülern geeignete Arbeitsplätze vermitteln.

Anna Magull in ihrer Rolle als Lehrerin

In ihrer Unterrichtsgestaltung bemüht sie sich, eventuellen Berufserfahrun-gen oder anderen Spezialkenntnissen ihrer Schülerinnen und Schüler Rech-nung zu tragen. Die Stenographie soll nicht nur schnell, sondern auch für Fremde lesbar notiert werden. Deshalb werden öfter die Hefte getauscht, und der Sitznachbar muss die Aufzeichnungen vorlesen. Das Hauptkonzept des Unterrichts besteht aus ständigem Üben des Lehrstoffes, wodurch sich das neue erworbene Wissen festigen soll. Die Meinungen über diese „Pauk-methode“ sind bei den befragten ehemaligen Schülern allerdings geteilt. Anna Magull versucht ihre Schüler durch aktuelle Unterrichtsbeispiele ebenso zu motivieren wie durch Schreibwettbewerbe. Schwächere Schüler erhalten ihre besondere Zuwendung. Schüler und Schülerinnen, zu denen ein besonders freundschaftliches Verhältnis besteht, pflegt sie so anzureden, dass sie an den Vornamen ein „chen“ oder „lein“ anfügt. Erkrankte Schüler besucht sie, selbst wenn sie weiter entfernt wohnen.

Auf der anderen Seite zeichnet sich ihr Führungsstil durch eine resolute Strenge aus. Eine unregelmäßige Teilnahme am Unterricht duldet sie nicht. Ein allzu häufiges Nichterledigen von Übungen und Hausaufgaben führt zu

Abb. 10 Anna Magull am Unterrichts-tisch ihrer Schule in Hameln (Dok. 18)

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einem Ausschluss von der Kursteilnahme. Die Unterrichtsräume mit ihren schönen Parkettfußböden sind immer sehr reinlich zu halten. Sie dürfen nur mit sauberen Schuhen betreten werden. Das Einnehmen von Obst und Ge-tränken in den Räumen ist untersagt. Die Toiletten sind stets verschlossen. Die Schüler müssen sich den Schlüssel von ihrer Lehrerin holen.

Ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre trifft Anna Magull auf eine neue Schü-lergeneration. Es sind andere Charaktere von Kursteilnehmern als in den Nachkriegsjahren. Die Schüler werden gegenüber ihrer Lehrerschaft immer selbstbewusst-kritischer. Viele bislang hingenommene Regelungen inner-halb und außerinner-halb des Unterrichts stoßen auf zunehmende Ablehnung. Vor allem die Sparsamkeit im Hinblick auf Heizung und Strom sowie die Ein-richtung der Toiletten und die Ordnung ihrer Benutzung stoßen auf Wider-stand. Dies führt schließlich im Dezember 1965 dazu, dass eine Schülerin Beschwerde bei der zuständigen Schulaufsichtsbehörde einlegt (Dok. 23a bis e), deren Behandlung bis zum Dezember 1966 andauert.

Aus dem entsprechenden Schriftverkehr lässt sich entnehmen, dass viele Beschwerdepunkte berechtigt erscheinen. Soweit sie sich auf die äußere Organisation der Schularbeit beziehen, wird Anna Magull dadurch veran-lasst, für Abhilfe zu sorgen. Im Abschluss-Schreiben des Staatlichen Ge-sundheitsamtes an den Regierungspräsidenten Hannover kommt dies zum Ausdruck:

„Die Privatschule Magull in Hameln wurde am 13. Dezember 1966 gegen 8.15 Uhr erneut besichtigt.

In den sehr sauberen Toilettenräumen sind Handwaschbecken mit flie-ßendem Wasser angebracht worden. Handtücher und Toilettenpapier waren vorhanden.

Die Klassenräume waren durch die Warmwasserheizung gut tempe-riert und auch die künstlichen Lichtverhältnisse waren an allen Plätzen – Stühle mit Lehnen an Tischen – ausreichend.

Insgesamt machte die Privatschule einen sehr sauberen und gepflegten Eindruck. Mängel wurden nicht festgestellt“ (Dok. 23e).

Was die Schüler ebenfalls als einen großen Mangel empfinden, der sich wohl nicht hat abstellen lassen, ist der Führungs- und Unterrichtsstil von

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Anna Magull. Dies veranschaulichen beispielhaft folgende Aussagen der Schülerin, die Beschwerde eingelegt hat:

„Wenn ein Schüler den Fußboden verunreinigte, mußte er sofort an-schließend die Reinigung vornehmen. Im Winter mußten alle Schü-lerinnen und Schüler vor dem Betreten des Gebäudes ihre Schuhe mit einem Lappen reinigen. Die anschließende Kontrolle wurde sofort von Frau Magull durchgeführt. Wenn dann trotzdem im Laufe des Unter-richts aus den Riffelsohlen das Schneewasser lief, mußten wir sofort das Wasser mit einem Wischlappen aufnehmen“ (Dok. 23c).

Auf völliges Unverständnis der Schüler stößt die Toilettenregelung:

„Die Toiletten sind stets verschlossen. Die Schüler müssen sich den Schlüssel von der Lehrerin geben lassen. Frau Magull begründet diese Regelung damit, daß sie der Jugend, die im Pubertätsalter stehe, kei-nerlei Möglichkeit zu unsittlichen Handlungen geben wolle“ (Dok. 23d).

An dieser Begründung zeigt sich exemplarisch, dass Anna Magull den aktu-ellen Zeitbezug verloren hat. Das Bild, das sie von sich als Lehrerin und von ihren Schülerinnen und Schülern hat, passt nicht mehr mit der Wirklichkeit überein. Mit diesen Schwierigkeiten wird sie nicht mehr fertig. In einem Fall, so wird Holger Kreusel berichtet, habe sie mitten in einer Auseinander-setzung mit Schülern für gut zehn Minuten ganz verzweifelt den Klassen-raum verlassen.

In einem Bericht des Staatlichen Gesundheitsamtes Hameln an den Regie-rungspräsidenten Hannover wird deutlich, dass Anna Magull erkennt, dass sie, im dreiundsiebzigsten Lebensjahr stehend, an die Grenzen ihrer Leis-tungsfähigkeit gekommen ist:

„Sie leite seit Jahrzehnten eine Schule und sie nehme es mit der Für-sorgepflicht sehr ernst. Bis jetzt seien noch nie Klagen über ihre Füh-rung der Schule gekommen. Aus Altersgründen beabsichtige sie schon seit einiger Zeit, die Schule abzugeben. Einen geeigneten Interessen-ten habe sie aber noch nicht gefunden“ (Dok. 23d).

Die Beschwerde, die eine ihrer Schülerinnen bei der Schulaufsichtsbehörde einlegt und die zu einer einjährigen Auseinandersetzung führt, trifft Anna Magull im Kern ihrer Persönlichkeit. Während ihrer jahrzehntelangen

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Tätig-keit in ihrer Schule habe sie noch nie eine Beanstandung gehabt. Sie wun-dere sich daher umso mehr darüber, das dies jetzt eintrete (Dok. 23b), ver-merkt sie in ihrem ersten Antwortschreiben.

Offenbar zum ersten Mal in ihrem Leben gerät ihr Selbstverständnis als Lehrerin in eine Krise und wohl zum ersten Mal hat sie keine Gesprächs-partner mehr, denen sie sich anvertrauen kann. Ihre um sechzehn Jahre ältere Schwester Minna Scheffler, die ihren Haushalt führte und mit der sie

sich täglich austauschen konnte, ist seit drei Jahren tot21. Ihr Mann, der sie

all die Jahre immer wieder unterstützt hat, stirbt im Februar 1966, mitten in ihrer Auseinandersetzung mit der Schulaufsichtsbehörde.

Die letzten Lebensjahre

Fünfundzwanzig Jahre Kaiserreich und die nationalsozialistische Phase ha-ben Anna Magull nachhaltig geprägt. Aus heutiger Sicht wäre es überra-schend, wenn eine Lehrkraft mit diesen Sozialisationserfahrungen nicht grundlegende Merkmale eines autokratischen Führungs- und Unterrichtsstils internalisiert hätte. Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass sie sich im ho-hen Alter gegen Ende ihrer Unterrichtsarbeit noch mit der neuen, kritischo-hen Schülergeneration auseinandersetzen muss, die im Vorfeld der sog. „68er-Generation“ mit völlig anderen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen in ihre Schule kommt.

Anna Magull war in Hameln zweifellos ein Original und eine stadtbekannte Persönlichkeit, die sich bis zuletzt mit Beharrlichkeit und Konsequenz für die Belange ihrer Schule einsetzte. Kennzeichnend war auch ihre ausge-prägte Mutterliebe, die sie bis zum Schluss an ein Wiedersehen mit ihrem Sohn Richard-Günter hoffen ließ. Diese Hoffnung habe sie häufig im Unter-richt gegenüber ihren Schülern zum Ausdruck gebracht. Möglicherweise war dies auch ein Motiv für ihre Lehrtätigkeit bis ins hohe Alter hinein – oder suchte sie in ihrer Arbeit auch das Vergessen?

21 Aus einem Schreiben der Stadt Hameln, Friedhofsabteilung, vom 07.07.1983 an die Universität Oldenburg: Doppelgrabstätte Scheffler, Friedhof Am Wehl, Abt. H, Feld 01, Nr. 0091. Anna Magull hat am 22.06.1962 das Nutzungsrecht an der Grabstätte für vierzig Jahre bis zum 21.06.2002 erworben. Dort sind jetzt beigesetzt: Minna Scheffler am 26.06.1962, Anna Magull am 28.11.1972.

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Anna Magull stirbt am 23. November 1972 in Hameln an den Folgen eines Autounfalls. In Abb. 11 sind zwei Traueranzeigen wiedergegeben, eine aus der Verwandtschaft, die andere von Else Vehlow, einer ehemaligen Schüle-rin und späteren Freundin. Fünf Tage später erscheint ein ausführlicher Nachruf in der Deister-Weserzeitung (Dok. 24a).

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Abb. 12 Das Doppelgrab von Anna Magull und ihrer Schwester

Minna Scheffler auf dem Friedhof Am Wehl in Hameln (Dok. 27)

Anna Magull ruht auf dem Hameler Friedhof Am Wehl in einem Doppel-grab neben ihrer Schwester Minna Scheffler. Schon am 22.06.1962 hatte sie

das Nutzungsrecht an dieser Grabstätte erworben22. Die Universität

Olden-burg sorgt jährlich für die Pflege und Erhaltung des Grabes und erfüllt auf diese Weise die entsprechende testamentarische Verfügung.

Anna Magulls Ehemann war vor ihr am 11. Februar 1966 in Berlin-Nikola-see verstorben. Wie sehr beide Eheleute trotz der großen räumlichen Entfer-nung einander verbunden waren, zeigt Anna Magull in ihrer fürsorglichen Haltung im Testament:

„Wenn bekannt werden sollte, daß die Ruhestätte meines Ehemannes, Herr Bruno Magull in Berlin-Tempelhof, Columbiafriedhof, Am Columbia Damm 122, Abt. U V/6/11 nicht ordentlich gepflegt wird, soll auch auf diese Ruhestätte die Pflege und Erhaltung ausgedehnt werden“ (Dok. 24).

22 Schreiben der Stadt Hameln, Friedhofsabteilung, vom 07.07.1983 an die Universität Oldenburg. Die Grabstätte trägt die Identifikationsbezeichnung „Doppelgrab Scheffler, Friedhof Am Wehl, Abt. H, Feld 01, Nr. 0091.

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Auch hier wird die Universität Oldenburg im Sinne des Testaments jährlich tätig. Zudem lässt sie zum je gegebenen Zeitpunkt die Nutzungsdauer beider Grabstätten verlängern.

1.4 Der Sohn Richard-Günter Magull – die Brücke zur Stiftung Die Lebensspuren des in Danzig-Langfuhr geborenen Sohnes sind an dieser Stelle nachzutragen. Hierzu soll Anna Magull selbst sprechen. Von ihr liegt ein maschinen-schriftlicher Lebenslauf (Dok. 21) ihres Sohnes vor, den sie in Hameln in der Wilhelmstraße verfasst hat, möglicherweise für die Ver-misstensuchaktionen des Deutschen Roten Kreuzes.

„Richard-Günter Magull, Diplom-Handelslehrer und Diplom-Kauf-mann, ist am 9. Juni 1920 in Danzig-Langfuhr geboren. Er wurde in Zoppot in meinem Elternhause – Richard Scheffler – Danziger Straße 136 erzogen und hat dort im Jahre 1939 am Zoppoter Gymnasium das Abitur abgelegt.

Am 1.4.1939 ging er zum RAD (Reichsarbeitsdienst, R.C.), um an-schließend seiner Wehrpflicht zu genügen; doch wurde er durch Krankheit militärdienstuntauglich. Im Jahre 1940 begann er das Stu-dium der Wirtschaftswissenschaften an der Handels-Hochschule in Königsberg (Pr.).

An dieser Anstalt bestand er im Jahre 1942 die Lehrerprüfungen für Stenografie und Maschinenschreiben; im Dezember 1943 die kauf-männische Diplomprüfung und im Juli 1944 die Diplomprüfung für das Handelslehramt.

In seiner freien Zeit gab er oft Unterricht in Handelsfächern. Seine Studien mußte er von Juli 1940 bis November 1941 wegen Krankheit unterbrechen. Seit 1942 war er Revisionsassistent bei der Deutschen Revisions- und Treuhand-AG, Berlin angestellt; er arbeitete bei dieser Firma während der Semesterferien und nach Beendigung seines Stu-diums bis zu seiner Einberufung am 25.8.1944.

Die letzte Nachricht erhielt ich von ihm aus der Kaserne „Friedrich der Große“ in Allenstein/Ostpreußen unter der Anschrift: ‚2.

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Kom-pagnie des Grenadier Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 400‘ im

Januar 194523.

Seit dieser Zeit fehlt jede Spur, und ich nehme an, daß er noch zu Kriegsende in Gefangenschaft geriet.“

In den Augen der Eltern absolviert der Sohn einen geradezu idealen Ausbil-dungsgang, um später die Leitung der elterlichen kaufmännischen Privat-schulen zu übernehmen. Er studiert Betriebswirtschaftslehre und

Wirt-schaftspädagogik an der Handelshochschule in Königsberg24. Zunächst legt

er, wie seine Mutter, die Prüfung als Fachlehrer für Stenografie und Maschi-nenschreiben ab, um später für den schreibtechnischen Unterricht an kauf-männischen Schulen gewappnet zu sein. In den Semesterferien hospitiert er an den kaufmännischen Schulen seiner Eltern und macht betriebspraktische Erfahrungen bei der Berliner Revisions- und Treuhand-AG. Sein Doppel-studium schließt er mit den Prüfungen zum Diplom-Kaufmann und zum Diplom-Handelslehrer ab.

Es ist nicht bekannt, aus welchen Krankheitsgründen er vom Wehrdienst zu-rückgestellt wird und zwischendurch seine Studien unterbrechen muss. Zu-mindest scheint seine Gesundheit so angegriffen zu sein, dass er noch im Januar 1945 einem „Ersatz- und Ausbildungsbataillon“ zugeteilt ist.

Dass ihr Sohn noch lebt, diese Hoffnung ist wohl das treibende Motiv für Anna Magull, bis ins hohe Alter an der Leitung ihrer kaufmännischen Pri-vatschule festzuhalten und in ihrem spät geschriebenen Testament den Sohn als Alleinerben einzusetzen. Es ist berührend, im Testament zu lesen, wie sie ihrem Glauben an das Leben ihres Sohnes Ausdruck verleiht und

zu-23 Diese Information hat mich beim Schreiben sehr berührt; denn drei Wochen später mussten meine Mutter, mein jüngerer Bruder und ich, der Vater war in Russland ver-misst, aus unserer Heimatstadt Allenstein vor der heranrückenden Roten Armee Rich-tung Königsberg/Pillau flüchten, von wo uns über die Ostsee die Weiterflucht nach Stettin, danach nach Hamburg und Delmenhorst gelang.

24 Die Handelshochschule in Königsberg wurde im Jahre 1915 gegründet. Einer der ers-ten Wirtschaftspädagogik-Professoren, Dr. Fritz Urbschat, vertrat diese Disziplin im Rahmen eines Extraordinariats. Das Studium der Betriebswirtschaftslehre dauerte da-mals nur sechs Semester. Es war eine bis in die Nachkriegszeit weit verbreitete Tradi-tion, ein Doppelstudium der Betriebswirtschaftslehre und der Wirtschaftspädagogik zu betreiben und mit den Prüfungen zum Diplom-Kaufmann und zum Diplom-Handels-lehrer abzuschließen.

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gleich Realistin genug ist, um für den Fall, dass ihr Sohn spätestens zehn Jahre nach ihrem Tod sein Erbe nicht antritt, einen Ersatzerben zu bestimmen.

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2

Die Entwicklung der Anna-Magull-Stiftung

und ihres Stiftungsvermögens

In Erledigung der letztwilligen Verfügung von Anna Magull errichtet der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kunst im Jahre 1985 die Anna-Magull-Stiftung als rechtsfähige Stiftung mit Sitz in Oldenburg. Der Entwicklungsprozess, der zur Errichtung der Stiftung führt, lässt sich in drei

Phasen1 einteilen, die Phase der Abfassung, Eröffnung und

Wirksamwer-dung des Testaments (1970 bis 1982), die Phase der WillensbilWirksamwer-dung über den Vollzug (1982 bis 1985) sowie schließlich die Phase des Vollzugs selbst (ab 1985).

2.1 Die Phase der Abfassung, Eröffnung und Wirksamwerdung des Testaments (1970 bis 1982)

„Mein letzter Wille!“ – lautet die Überschrift des Testaments, das Anna Magull am 11. August 1970 verfasst, und mit dem sie sämtliche auf ihren letzten Willen sich beziehenden früheren Niederschriften aufhebt. Sie er-klärt sich als Alleineigentümerin des im Grundbuch von Hameln, Band 189, Blatt 5381 eingetragenen Hausgrundstücks in der Wilhelmstraße 6 und als Inhaberin der Privaten Kaufmännischen Berufsfachschule, deren Schul-räume in ihrem Hause liegen.

Für den Fall ihres Todes setzt sie ihren Sohn Richard-Günter Magull als Alleinerben über ihr gesamtes Vermögen ein. Sie bittet das Gericht, wäh-rend der zehn nach ihrem Tod folgenden Jahre für ihren Sohn einen Abwe-senheitspfleger unter Aufsicht des Gerichts zu bestellen. Dieser habe für die Erfüllung ihrer Vermächtnisse und Auflagen sowie die Verwaltung des Grundstücks und Kapitalvermögens „bis zur Übernahme des Erbes durch meinen Sohn oder seiner evtl. leiblichen Nachkommen Sorge zu tragen.“

1 Nach Dr. Schrimpf, in: Protokoll der 1. und konstituierenden Vorstandssitzung vom 19.12.1985, Top 3.

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Schuleinrichtung einschließlich Büroinventar, Lehr- und Lernmittel sollten bestmöglichst verkauft und der Ertrag dem Kapitalvermögen einverleibt werden.

Für den Fall, dass ihr Sohn oder seine evtl. leiblichen Nachkommen spätes-tens zehn Jahre nach ihrem Tod das Erbe nicht antreten, bestimmt sie zum „Ersatzerben eine Staatliche Hochschule für das Handelslehramt. Die Aus-wahl der Hochschule soll das Kultusministerium des Landes Niedersachsen treffen“. Aus dem nach Erfüllung der im Detail beschriebenen Vermächt-nisse noch vorhandenen Nachlassvermögen soll eine Stiftung errichtet wer-den.

„Die Stiftung soll begabten minderbemittelten Studenten durch einen entsprechenden Zuschuß die Fortsetzung des Studiums oder die Er-weiterung ihrer Kenntnisse ermöglichen. Die Auswahl dieser Studen-ten soll die Verwaltung der Stiftung treffen.“

Das Amtsgericht Hameln eröffnet das Testament am 28. November 1972, schickt eine Abschrift davon an das Niedersächsische Kultusministerium in

Hannover2 und bestellt bis auf weiteres einen Hameler Rechtsanwalt zum

Nachlasspfleger.

In einem Schreiben3 an das Amtsgericht Hameln schlägt das

Kultusminis-terium die Universität Göttingen als möglichen Begünstigten vor. Ausle-gung und Handhabung des Testaments blieben dem Nachlassgericht über-lassen.

Mit Datum vom 29. Mai 1974 wird der Sohn Richard-Günter Magull offi-ziell für tot erklärt. Der Nachlasspfleger wird zum Testamentsvollstrecker ernannt. Da Anna Magull festgelegt hat, dass ihr Nachlass erst zehn Jahre nach ihrem Tod den Erben ausgehändigt werden darf, hat der Testaments-vollstrecker bis zu diesem Zeitpunkt dem niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kunst jährlich Rechnung über das (zukünftige) Stiftungs-vermögen zu legen. Die Federführung ist vom Kultusministerium auf das Wissenschaftsministerium übergegangen, weil dieses für die universitäre Handelslehrerausbildung zuständig ist.

2 Mit Schreiben vom 04.12.1972.

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Mit Schreiben vom 03.11.1974 entscheidet der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kunst, das Stiftungsvermögen der Universität Olden-burg zukommen zu lassen, da diese als junge Universität im Gegensatz zur Universität Göttingen noch über keine Stiftungen verfüge. Die Erbschafts-übernahme ist für den 23.11.1982 vorgesehen.

2.2 Die Phase der Willensbildung über den Vollzug des Testaments (1982 bis 1985)

Die Handelslehrerausbildung in Oldenburg ist als Studiengang dem damali-gen Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften (FB 4) zugeordnet. Sein Fachbereichsrat stimmt auf der Sitzung vom 22.09.1982 der vorgese-henen Erbschaftsübernahme zu. Gleichzeitig formuliert er mögliche Förder-ziele der zu errichtenden Stiftung:

– Kostenzuschüsse für die Beschaffung wissenschaftlicher Literatur;

– Unterstützung bei der Durchführung wissenschaftlicher Arbeiten durch Erstattung von Material-, Reise- und Auswertungskosten;

– Förderung einer vertieften wissenschaftlichen Ausbildung durch die Bereitstellung finanzieller Mittel zur Durchführung besonderer Ausbil-dungsmaßnahmen seitens der Universität;

– Unterstützung von Einzelmaßnahmen zur Gewinnung oder Vertiefung be-rufsbezogener Kenntnisse – insbesondere für Reisen zu wissenschaftli-chen Veranstaltungen (z.B. Tagungen), für Exkursionen sowie für vorü-bergehende Aufenthalte an in- und ausländischen wissenschaftlichen Institutionen.

Der Justitiar der Universität Oldenburg wird beauftragt, einen ersten Sat-zungsentwurf für die Stiftung auszuarbeiten.

Ein von der Universität Oldenburg beauftragter Rechtsanwalt stellt mit Schreiben vom 15.10.1982 beim Amtsgericht Hameln den Antrag auf Aus-stellung eines Erbscheins. In seiner Antwort schlägt das Amtsgericht Hameln vor, mit dem Ausstellen eines solchen Erbscheins noch bis zum 23.11.1982 – also bis zum Ablauf der von der Stiftungsgeberin testamenta-risch verfügten Frist von zehn Jahren – zu warten, da erst ab diesem Zeit-punkt ein Erbschein ohne jegliche Beschränkungen erteilt werden könne. Die Universität erklärt sich mit diesem Vorschlag einverstanden.

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Am 2. November 1982 legt die Universität Oldenburg der Bezirksregierung Weser-Ems den in der Sitzung des Fachbereichsrats Wirtschafts- und Rechtswissenschaften vom 22.09.1982 formulierten ersten Entwurf für Stiftungsgeschäft und -satzung vor. Nach diesem Entwurf soll sich der Vor-stand der Stiftung aus folgenden sieben Personen zusammensetzen:

1. dem Präsidenten der Universität Oldenburg, 2. dem Kanzler der Universität Oldenburg,

3. dem Dekan des Fachbereichs Wirtschafts- und Rechtswissenschaften (FB 4),

4. dem Leiter der Berufsbildenden Schulen I (Handelslehranstalten) in Oldenburg,

5. einem Professor der Wirtschaftspädagogik,

6. einer Persönlichkeit der öffentlichen Wirtschaft (vorzugsweise aus dem Bankbereich),

7. einem Berufsschullehrer, der von den wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studierenden des FB 4 gewählt werden soll.

Der Dekan des FB 4 schlägt vor4, die Bezeichnung des Studienganges

„Lehramt an berufsbildenden Schulen“ durch „Wirtschaftspädagogik“ zu ersetzen. Dadurch solle einer Änderung der Stiftungssatzung für den Fall vorgebeugt werden, dass an der Universität Oldenburg ein angestrebter Diplomstudiengang Wirtschaftspädagogik eingerichtet würde.

Am 19.11.1982 sendet die Universität Oldenburg dem Niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kunst als Genehmigungsbehörde den Ent-wurf für Stiftungsgeschäft und -satzung zu. Einen Tag später erhält auch das Oldenburger Finanzamt diesen Entwurf zwecks Anerkennung der

Gemein-nützigkeit der Stiftung. Das Wissenschaftsministerium5 nimmt folgende

Änderungen in dem Satzungsentwurf vor:

– Der Begriff „Sparguthaben“ soll allgemeiner gefasst werden, um die Anlage des Stiftungskapitals flexibler gestalten zu können.

– In die Satzung ist die von Frau Magull testamentarisch verfügte Grab-pflege aufzunehmen.

4 Schreiben vom 05.11.1982.

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– Gem. § 104, Abs. 1 Nr. 4 LHO ist ein Prüfungsrecht des Niedersächsi-schen Landesrechnungshofes zu statuieren.

– Der Vorstand soll aus Gründen der Vereinfachung auf fünf Personen reduziert werden.

Mit den geforderten Änderungen sendet die Universität am 15.08.1983 den Satzungsentwurf erneut an das Wissenschaftsministerium. Einen Tag später ersucht sie den Niedersächsischen Landesrechnungshof um die Wahrneh-mung des vom Niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kunst ge-forderten Prüfungsrechts.

In der Folgezeit entbrennt zwischen Oldenburg und Hannover ein Streit um die Stifterrolle. Die Universität bezeichnet sich in ihrem Satzungsentwurf

als Stifter. Das Ministerium verweigert deswegen die Genehmigung6. Als

Grund hierfür wird die rechtlich nicht einwandfrei geklärte Frage angege-ben, ob das Land Niedersachsen oder die Universität Oldenburg als Stifter anzusehen seien. Das Ministerium vertritt die Auffassung, das Land Nieder-sachsen sei mit Wirkung vom 23.11.1982 als Ersatzerbe des Magull’schen Vermögens eingesetzt und damit laut Testament verpflichtet, eine geeignete Hochschule auszusuchen, um die Stiftung zu errichten. Folglich sei das Land Niedersachsen als Stifter zu bezeichnen.

Im Gegensatz dazu vertritt die Universität Oldenburg die Auffassung, dass das Stiftungsgesetz für diesen Fall lediglich die Aufgaben von Stiftungsbe-hörde und -aufsicht regele, aber nicht festlege, wer als Stifter zu fungieren habe. Hinzu komme, dass bei Errichtung der Stiftung durch das Land Nie-dersachsen Stifter und Aufsichtsbehörde identisch seien, wodurch letztere nicht mehr in ausreichendem Maße ihre Kontrollfunktion wahrnehmen könne. Außerdem würde die Universität als Körperschaft des öffentlichen Rechts und Einrichtung des Landes Niedersachsen ohnehin im Namen des Landes handeln. Folglich sei sie berechtigt, den Nachlass Anna Magulls als Landesvermögen zu verwalten. Daher bestehe der testamentarisch verfügte Auftrag an den Ersatzerben (Land Niedersachsen) darin, eine geeignete Behörde (Hochschule) als Stifter einzusetzen. Würde dagegen das Land Niedersachsen die Stiftung errichten, so würde vom Testament der Stif-tungsgeberin abgewichen.

(41)

Aus Gründen juristischer Überprüfungsverfahren, aber vermutlich auch aus atmosphärischen Verstimmungen entstehen jetzt längere

Kommunikations-pausen. Nach gut vier Monaten7 erneuert die Universität gegenüber dem

Ministerium ihren Anspruch, dass sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Selbstverwaltungsangelegenheiten eine eigene Rechtspersönlich-keit besitze und somit selbst die Stiftung errichten könne. Sie kritisiert, dass das bisherige Verhalten des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst nicht förderlich für zukünftige Privatinitiativen von potentiellen Stiftern zuguns-ten der Wissenschaft sei.

Daraufhin stellt das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und

Kunst8 ganz lapidar fest, dass nach seiner Auffassung die Errichtung einer

Stiftung gem. §§ 74, 75 NHG nicht zum Aufgabenbereich einer Hochschule gehöre und lässt ein halbes Jahr verstreichen, ehe es mit Schreiben vom 07.01.1985 der Universität mitteilt, dass es die Anna-Magull-Stiftung als rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts mit Sitz in Oldenburg zu er-richten gedenkt, Stifter sei das Land Niedersachsen, vertreten durch den Minister für Wissenschaft und Kunst.

Der beigefügte Satzungsentwurf stimmt im Wesentlichen mit den vom FB 4 auf seiner Sitzung vom 22.09.1982 formulierten Förderzielen überein. Der Vorstand der neu errichteten Stiftung soll jedoch nur aus drei Personen be-stehen, nämlich aus dem Präsidenten der Universität Oldenburg, dem Dekan des Fachbereichs 4 und einem von der Industrie- und Handelskammer Oldenburg und der Universitätsgesellschaft Oldenburg gemeinsam benann-ten Mitglied.

Die Universität Oldenburg9 stimmt dem Entwurf des Ministeriums zu,

schlägt aber anstelle des Dekans einen Professor für Berufs- und Wirt-schaftspädagogik als Vorstandsmitglied der Stiftung vor. Dieser solle von dem für den Studiengang Wirtschaftspädagogik zuständigen Fachbereich gewählt werden. Die Amtszeit dieses Mitglieds solle – ebenso wie die des von der Industrie- und Handelskammer sowie der Universitätsgesellschaft

7 Schreiben vom 17.05.1984.

8 Schreiben vom 02.07.1984.

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zu benennenden Vorstandsmitglieds – jeweils vier Jahre betragen, wobei eine Wiederwahl zulässig sei.

Diese Änderung wird vom Ministerium akzeptiert. Es errichtet die Stiftung mit Bekanntmachung vom 19.08.1985 und veröffentlicht die Stiftungs-urkunde und Satzung der Anna-Magull-Stiftung im Niedersächsischen Mit-teilungsblatt Nr. 36/1985, S. 814. (vgl. Anhang, 5.4). Mit Schreiben vom 03.10.1985 fordert das Ministerium für Wissenschaft und Kunst den sich noch zu konstituierenden Vorstand der nunmehr rechtsfähigen Stiftung auf, zum geplanten Verkauf des Magullschen Hauses in Hameln Stellung zu nehmen.

2.3 Die Vollzugsphase der Stiftung am Beispiel der Vorstandsarbeit (1985 bis 2010)

Für den 19. Dezember 1985 beruft der Präsident der Universität Oldenburg die konstituierende Vorstandssitzung ein. An ihr nehmen teil:

– Dr. Horst Zilleßen (Präsident),

– Dipl.-Ökonom Horst Scholz (Leiter des Präsidiumsbüros), – Dr. Henning Schrimpf (Justitiar der Universität),

– Dr. Klaus Beck (Professor der Berufs- und Wirtschaftspädagogik), – Dr. Reinhard Czycholl (Professor der Berufs- und Wirtschaftspädagogik), – Dr. Hubert Forch (Vorstandsmitglied der Odenburgische Landesbank AG). – Gemäß Paragraf 5 der Satzung konstituiert sich der Vorstand wie folgt: – Dr. Horst Zilleßen (als Präsident der Universität),

– Dr. Reinhard Czycholl (als von den Professoren des Fachbereichs 4 ge-wählter Fachvertreter),

– Dr. Hubert Forch (als von der Industrie- und Handelskammer Oldenburg und der Universitätsgesellschaft Oldenburg gemeinsam benanntes Mit-glied).

Zum Rechnungsprüfer wird Herr Ring bestellt.

Zum Stiftungsvermögen wird festgestellt, dass es 715.000,- DM betrage. Die Herren Forch und Ring sollen der Frage nach der optimalen Anlageform nachgehen. Die Erträge des Jahres 1985 sollen als gemäß Stiftungszweck verteilbare Summe im Jahr 1986 zur Verfügung stehen. Das Grundstück mit Haus in Hameln soll verkauft werden.

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Auf der Grundlage der von den Professoren Beck und Czycholl vorgelegten „Gesichtspunkte, Kriterien, Leitlinien für die Verwendung der Mittel aus der Magull-Stiftung“ werden Verfahren zur Erreichung des Stiftungszwecks erörtert. Den förderungsrelevanten Personenkreis definiert die Satzung als „Studenten und Studentinnen einschließlich Doktoranden der Wirtschafts-pädagogik an der Universität Oldenburg …im Haupt- und im weiterbilden-den Studium der Wirtschaftspädagogik“ (§ 2). Danach sind Habilitanweiterbilden-den der Wirtschaftspädagogik von einer Förderung ausgeschlossen.

Die Bestimmung von Kriterien der „besonderen Eignung“ wird dadurch er-schwert, dass nach der damals geltenden Prüfungsordnung studentische Leistungsnachweise im Grund- und Hauptstudium nur auf Antrag der Stu-dierenden benotet werden (Kann-Benotung), wovon mehrheitlich kein Ge-brauch gemacht wird. Man kommt überein, die besondere Eignung auf zwei

Wegen festzustellen10:

„(1) Bei Studenten, welche sich für die Benotungsmöglichkeit ent-scheiden: Mit wenigsten ‚gut‘ benotete Zwischenprüfung sowie Nach-weis des erfolgreichen Besuchs der Veranstaltungen des wirtschafts-pädagogischen Grundstudiums mit wenigstens einer mit mindestens ‚gut‘ bewerteten Studienleistung.

(2) Bei den übrigen Studenten: Zwischenprüfungszeugnis sowie Nachweis des erfolgreichen Besuchs der Veranstaltungen des wirt-schaftspädagogischen Grundstudiums, wobei ‚besondere Studienleis-tungen‘ im Fach Berufs- und Wirtschaftspädagogik von einem Hoch-schullehrer besonders zu begründen sind.“

Die Frage nach den Bestimmungskriterien für Bedürftigkeit bereitet zu-nächst Kopfzerbrechen. Nach dem Wortlaut des Testaments soll die Stiftung „begabten minderbemittelten Studenten durch einen entsprechenden Zu-schuss die Fortsetzung des Studiums oder die Erweiterung ihrer Kenntnisse ermöglichen.“ Die Stifterin selbst hatte die Not zweier Weltkriege am eige-nen Leibe erfahren müssen und hatte daher sicherlich vielfältige Formen von materieller Not vor Augen. Inzwischen hat aber Westdeutschland als Sozialstaat gesetzliche Regelungen geschaffen, die verhindern sollen, dass eine Ausbildung von begabten jungen Menschen aus finanziellen Gründen

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scheitert. Einen „minderbemittelten Studenten“ an diesen gesetzlichen Nor-men zu messen, darauf einigt man sich.

Das heißt konkret, man bezieht sich auf das Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG) vom 26. August 1971 (BGBl. I S. 1409), in der Fassung der Bekanntma-chung vom 6. Juni 1983 (BGBl. I S. 645, ber. 1680) und seinen im Paragra-fen 1 formulierten Grundsatz:

„Auf individuelle Ausbildungsförderung besteht für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung ein Rechtsanspruch nach Maßgabe dieses Gesetzes, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen.“

Als bedürftig gelten demnach BAföG-Empfänger sowie alle übrigen Studie-renden mit einem entsprechend schlüssigen Einkommensnachweis.

Hinsichtlich der Maßnahmen zur Erreichung des Stiftungszwecks werden die Idee von Forschungspraktika, sodann lehrveranstaltungsbezogene Zu-schüsse sowie DruckkostenzuZu-schüsse besonders favorisiert. Zunächst zu-rückgestellt werden die Möglichkeiten einer Vergabe von Preisen, der Her-ausgabe einer Schriftenreihe sowie die Idee der Mittelteilung in einen festen und einen variablen Verwendungsteil. Die ersten Fördermittel sollen im Sommersemester 1986 vergeben werden.

Auf der zweiten Vorstandssitzung vom 20. Januar 1986 werden die auf-grund der Diskussion in der ersten Sitzung von den Herren Schrimpf und Czycholl überarbeiteten Verfahrensgrundsätze weiter erörtert. Der Vorstand ist sich darin einig, dass die in den Grundsätzen aufgeführten Leistungen der Stiftung als prinzipiell mögliche definiert sind, wobei nicht alle Leistungen in jedem Semester vergeben werden müssen; dass mehr als ein Promotions-stipendium möglich ist und dass die Höhen der Stipendien variieren können, dass also generell bei der Mittelvergabe ein Höchstmaß an Flexibilität ge-währleistet bleiben soll. Alle Stipendien sollen ausgeschrieben werden. Nach der Präzisierung weiterer Einzelheiten der Verfahrensprinzipien wer-den die „Grundsätze für die Verwirklichung des Stiftungszwecks“ verab-schiedet. Die Schritte der Ausschreibungs-, Bewertungs- und Entschei-dungsverfahren sollen noch praktisch handhabbarer beschrieben werden.

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