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L e b e n s z e i c h e n

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L e b e n s z e i c h e n

von Murat Koyuncu 27.06.2021

O-Ton Petrus:

Und du sagst, dass du halt Aramäer oder Assyrer aus der Türkei bist ... dann heißt es: okay, Du bist Türke. Ich so neee, das ist was anderes. Ja, aber du kommst doch, deine Eltern kommen doch aus der Türkei, dann bist du doch Türke?! Ich so: ich war vielleicht mal aufm Pass Türke, aber von der ethnischen Zugehörigkeit nicht. Andere Sprache, andere Kultur, andere Religion.

O-Ton Akadina:

Gerade hier im Ruhrpott ist es natürlich üblich, dass man gern auf der Straße auf türkisch o- der arabisch angesprochen wird. Oft habe ich dann das Fragezeichen und sage: Ich spreche kein Türkisch oder ich spreche kein Arabisch. Dann werde ich gefragt: Was sprichst de denn?

Kurdisch? Indisch? Und dann sage ich nein, meine Muttersprache ist aramäisch oder assy- risch. Einige sind sehr neugierig und andere fragen nicht weiter.

O-Ton Erkan Romanus:

Das ist halt schon eine Lebensaufgabe, diese Sprache aufrechtzuerhalten, wenn man be- denkt, unter welchen schwierigen Bedingungen auch diese Sprache über Jahrhunderte oder Jahrtausende überlebt hat.

O-Ton Faja Romanus:

Und ja, es ist halt die Sprache Jesu. Gerade deswegen bedeutet mir das so viel, dass meine Kinder die auch vernünftig lernen.

Sprecherin:

Ein Nachmittag im Kulturzentrum „Suryoye-Ruhrgebiet“ in Duisburg.

Suryoye - so nennen sich Assyrer und Aramäer selbst.

Hier kommt die Gemeinde zusammen.

Ältere, Jugendliche, aber auch Familien mit ihren Kindern verbringen Zeit miteinander und tauschen sich aus. Sie feiern religiöse Feste, aber auch Geburtstage und Hochzeiten.

Oft wollen ihnen Bekannte und Kollegen nicht glauben, dass sie Christen sind.

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Denn Akadina, Romanus oder Petrus haben schwarze Haare.

Viele in Deutschland denken klischeeverhaftet: Christen haben keine schwarzen Haare und sehen hellhäutig aus, so die Vorstellung, mit der die Aramäer immer wieder zu tun haben, sagt Erkan Ro- manus. Der schlanke Mann in Jeanshose und feinem Hemd sitzt mit seiner Frau an einem großen Tisch und nippt an seiner Teetasse.

O-Ton Erkan Romanus:

Insbesondere auch in der Schulzeit, wo man sofort bei „Erkan“ als Türke abgestempelt wird.

Und wenn der Ramadan ist, dann werde ich auch immer angesprochen: warum isst du denn?

Warum trinkst du? Es ist doch Ramadan, es geht jetzt nicht... es ist doch Fastenzeit, da wur- de ich halt sehr oft angesprochen.

Und ich musste mich dann halt mehrfach erklären, das, obwohl ich eine Kreuzkette getragen hatte, als Jugendlicher, auch bisschen provokanter, um auch manchmal auch solchen Dis- kussionen aus dem Weg zu gehen. Aber es hat auch nichts geholfen.

Also trotz Kreuzkette, die nicht zu übersehen war, wurde ich angesprochen, warum ich Schweinefleisch esse, warum ich ein Mettbrötchen esse oder so was.

Also diese Begegnungen, die begleiten einen und werden auch wahrscheinlich einen weiter begleiten.

Sprecherin:

Erkan Romanus wurde im Südosten der Türkei geboren und ist als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen. In seinem Geburtsland hat er noch die erste Klasse besucht und versteht daher ein bisschen Türkisch. Doch er fühlt sich weder dem Land, der Sprache, noch der türkischen Kultur verbunden, so der 44-Jährige. Er sieht sich als Assyrer. Seine Sprache: Aramäisch.

Seinen Freunden Benjamin und Josef Afrem Barsom geht es ähnlich.

O-Ton Josef Afrem Barsom:

Also ich bin in Deutschland geboren, trage deswegen auch einen deutschen Vornamen, weil meinen Eltern war klar: wir sind Christen deswegen wird es ein christlicher Name und weil ich in Deutschland geboren bin, wird es ein deutscher Name und deswegen Josef, ein klassi- scher deutscher Name. Aber ich trug halt eben früher noch einen türkischen Nachnamen und die Kombination war halt sehr seltsam, exotisch.

Ich hieß früher mit Nachnamen Atalay und für mich war das emotional eine Bürde, den Na- men zu tragen, weil ich habe zu der Sprache, zu dem Land, zu diesem Volk keinen Bezug.

Ganz im Gegenteil.

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1915 gab es einen sehr großen Völkermord in der heutigen Türkei und da sind halt 1,5 Millio- nen... Also man spricht von 1,5 Millionen Armeniern, 750.000, Pontosgriechen und 750.000 Assyrern, Aramäern sind da halt zum Opfer gefallen. Danach gab es die Staatsgründung und im Anschluss gab es dann den Akt der Assimilierung,.

Das heißt, jeder hat einen türkischen Nachnamen aufgebrummt bekommen und wir haben halt damals einen türkischen Nachnamen auch aufgezwungen bekommen, zu dem wir so keinen Bezug haben. Also das war teilweise sehr willkürlich.

Dann haben wir dann halt irgendwann den Nachnamen abgelegt und haben dann unseren ursprünglichen assyrischen Nachnamen angenommen.

Afrem Barsom – Afrem ist die orientalische Form von Ephraim, vielleicht kennt man das so aus der Bibel und Barsom ist halt auch ein aramäisch, assyrischer Name. Und so hießen mal meine Vorfahren. Das ist der Name, unter dem wir auch in unserer Community bekannt sind.

Sprecherin:

Orientalisch und christlich – das sei für viele eine Überforderung.

Vor allem als Kinder mussten die Brüder Josef und Benjamin diese Erfahrung machen. Besonders mit türkisch-muslimischen Kindern gab es häufig Ärger, erinnert sich Benjamin:

O-Ton Benjamin Afrem Barsom:

Ich kenne diese Begriffe wie „gavur“ oder „imansiz“. Diese Wörter kenne ich aus meiner Kind- heit muss ich leider sagen. Also imansiz, das bedeutet Ungläubiger und gavur bedeutet Hei- de. Aber ich habe auch als Kind yahudi gehört. Also ich wurde auch als Jude beschimpft, es ist echt heftig. Das sind so Sachen aus der Kindheit, ne.

Ich denke, dass es auch an Unwissenheit der Kinder lag, weshalb auch diese Begriffe fielen.

Sprecherin:

Auch sein anderer, jüngerer Bruder Petrus habe früher ungern über seine Religion und seine Her- kunft gesprochen. Als Kind hätten ihn türkische Kinder oft geschlagen, beschimpft und bespuckt, sagt er:

O-Ton Petrus:

Der Gang zur Schule mit meinen Eltern ging noch als Kind, aber nach Hause laufen war im- mer eine Tortur. Spießrutenlaufen.... wirklich. Die haben sich teilweise hinter irgendwelchen Häusern versteckt, die wussten, wann wir kommen und dann haben sie auf mich oder auf meine Geschwister gewartet – und dann heißt es rennen!!

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Sprecherin:

Aber auch mit Kindern ohne Migrationshintergrund hatten sie Ärger, erklärt sein jüngerer Bruder Jo- sef:

O-Ton Josef Afrem Barsom:

Und dann habe ich mich mit einem getroffen, um den Schulweg gemeinsam zu bestreiten, und der hat mich dann angespuckt und sagte dann: Meine Mutter sagt, ich darf mit Türken nicht sprechen.

Und für mich war das natürlich ein Schlag in beide Gesichtshälften.

Sprecherin:

Für die einen türkisch, arabisch und muslimisch - für die anderen christlich oder ungläubig. Heute landen die drei Brüder nicht mehr so oft in einer Schublade, aber es kommt vor. Und selbst enge Freunde begreifen immer noch nicht, dass sie Christen sind. Das erlebt Petrus mit Christen genauso wie mit Muslimen.

O-Ton Petrus:

Super Beispiel dafür, mit meinen besten Freunden, denen ich wirklich seit mittlerweile Jahr- zehnten einhämmere, dass ich Christ bin, werde ich immer noch gefragt, ob ich denn auch Ramadan mache. Oder es wird gesagt: Petrus, pass mal auf: Da ist Schweinefleisch drin. Da denkst du: Ey Leute, ich heiße doch schon Petrus und ich erzähle euch das jedes Mal. Ir- gendwann muss es doch mal Klick machen. Das heißt dieses Verständnis fehlt bei einigen einfach.

Sprecherin:

Ein Leben lang zwischen den Stühlen sitzen und sich erklären müssen:

Für die aramäisch-sprechende Gemeinschaft anstrengend.

Verständnis für Unwissenheit oder mangelndes Interesse haben viele zwar nicht,

aber warum es Menschen in Deutschland gibt, die das Wort Aramäer nicht kennen - Erkan Roma- nus hat da eine Theorie:

O-Ton Erkan Romanus:

Weil ich habe immer die Beobachtung gemacht, dass die Menschen gerne Leute Ländern zu- ordnen. Und wir sind staatenlos, heimatlos geworden auch dadurch, dass in unserer Heimat ein Leben nicht mehr möglich ist.

Und die haben kein Land vor Augen, wo man sagt: Italien Italiener, Spanier, Spanien, und das fehlt halt bei uns. Assyrer / Aramäer... Fragezeichen.

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Da muss ich vier Länder aufzählen, wo wir beheimatet sind. Und das kann man schwer ver- mitteln.

Sprecherin:

Akadina nimmt einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und nickt. Sie weiß genau wovon Erkan spricht.

Die 18-jährige Aramäerin hat lange, schwarze Haare und trägt eine Kreuz-Kette um den Hals – ein Hingucker und gleichzeitig ein Zeichen für ihre religiöse Zugehörigkeit.

Trotzdem hört sie immer wieder die Frage, welche Religion sie hat und wo sie herkommt.

Offene Ausgrenzung habe sie bisher zwar noch nicht erfahren müssen – dafür aber Unverständnis – von Muslimen:

O-Ton Akadina:

Ich hatte es hier in der Realschule, in Gelsenkirchen, nachdem die endlich verstanden hatten, dass ich christlich bin, da wurde ich gefragt: Willst du denn nicht konvertieren zum Islam? Wa- rum ist das so? Du siehst nicht so aus wie ein Christ! Überwiegend kam dann von mir die Antwort: Die Religion kommt nicht vom Aussehen her.

Sprecherin:

Akadina erklärt gerne geduldig und immer wieder, was es mit ihrer Herkunft auf sich hat. Sie hat sich die Mission gegeben, Aufklärungsarbeit zu leisten. Auch wenn es auf Dauer anstrengend ist.

O-Ton Akadina:

Es liegt aber auch daran, dass teilweise in der Grundschule, in der Realschule, egal wo, die Kinder und Jugendlichen nicht aufgeklärt wurden. Auch teilweise die Erwachsenen kennen den Begriff Aramäer oder Assyrer nicht. Deswegen werde ich sehr gern gefragt, was Assyrer und Aramäer sind. Und ich antworte auch sehr gern und erkläre es auch gern immer wieder.

Sprecherin:

Die Aramäer haben eine sehr lange Geschichte. Es gab sie schon lange, bevor es Christen gab.

Und ihre Sprache hat eine Geschichte von grandiosen Erfolgen und Misserfolgen. Von der kleinen Regionalsprache hat es Aramäisch zu eine Art Weltsprache gebracht. Danach ist sie wieder zur Sprache von Wenigen geworden.

Schon in der hebräischen Bibel sind die Aramäer häufig Thema.

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Die Wörter Aram, Aramäer und Aramäisch kommen mehr als hundert Mal in der Bibel vor, sagt Ste- fan Jakob Wimmer, Fachreferent für Hebraica und alten Orient an der Bayrischen Staatsbibliothek und Professor für Ägyptologie an der Universität München.

O-Ton Stefan Jakob Wimmer:

Der Name Aram taucht zunächst in der Bibel im Alten Testament auf, als Landesname für Sy- rien. Daher nennen wir die Sprache eben auch Aramäisch. Es gibt aber in der Bibel auch im ersten Buch der Bibel im Buch Genesis diese Abstammungstafel, wo in religiöser Bilderspra- che erklärt wird, wer von wem abstammt und wie dann die einzelnen Völker und Stämme ent- standen sind. Und dann gibt es natürlich den Noah.

Sprecherin:

Ein Enkel Noahs heißt Aram. Die Bibel sieht ihn als Stammvater der Aramäer.

O-Ton Stefan Jakob Wimmer:

Fangen wir mal damit an, dass Aram ein alter Name für das Land ist, das ungefähr geogra- fisch heute Syrien umfasst. In der Bibel im Alten Testament steht nicht Syrien, sondern da heißt das Land Aram. Das war auch kein einheitlicher politischer Staat, sondern da gab es den Stadtstaat Damaskus und den Stadtstaat Aleppo und verschiedene andere. Und die Be- völkerung, die dort lebte, nennen wir Aramäer und nannten sich wahrscheinlich auch selber Aramäer. Und um deren Sprache geht es also, die sich dann verbreitet hat.

Sprecherin:

Und diese Sprache nahm einen wahren Siegeszug:

Menschen fast überall im Nahen Osten haben sie gesprochen. Man konnte sie viel leichter auf- schreiben, als andere Sprachen, sagt Stefan Jakob Wimmer. Denn sie wurde in Buchstabenschrift notiert. Viel simpler als andere Schriftsysteme. Aramäisch wurde so wichtig wie englisch heute.

O-Ton Stefan Jakob Wimmer:

Das hat damit zu tun, dass diese Reiche, also das assyrische Reich, das babylonische Reich und später das persische Reich Großreiche waren, die den ganzen Orient umfasst haben, teilweise sogar Ägypten mit eingeschlossen, Teile von Anatolien, Persien, Mesopotamien, Sy- rien und so, wo verschiedene Sprachen gesprochen wurden.

Und man hat Aramäisch als Lingua franca, als umfassende, völkerverbindende Sprache ver- wendet. Auch weil sie so leicht zu schreiben war, weil sie eine Alphabetschrift mit ungefähr

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zwei Dutzend Buchstaben zu schreiben war und damit viel einfacher als die Keilschrift oder die Hieroglyphen in Ägypten.

Sprecherin:

Auch für Juden wurde sie wichtig. Im Jahr 586 vor Beginn der allgemeinen Zeitrechnung eroberte der babylonische König Nebukadnezar das Land Juda. Die Judäer wurden nach Babylon verschleppt und übernahmen mit der Zeit die aramäische Sprache.

O-Ton Stefan Jakob Wimmer:

Und als die Juden also wieder zurückkehrten, das war im späteren, fünften Jahrhundert vor Christus nach Jerusalem haben sie nicht mehr Hebräisch gesprochen, sondern Aramäisch gesprochen.

Sprecherin:

In späteren Jahrhunderten blieb Hebräisch für Jüdinnen und Juden präsent, weil sie die Thora in hebräischer Sprache in Gottesdiensten vorlasen.

Und mit der Zeit wurde die aramäische Sprache ein wichtiger Bestandteil jüdischen Lebens, erklärt Judaistin Annette Böckler. Ein gewaltiges Werk ist überwiegend auf aramäisch entstanden: Der ba- bylonische Talmud. Er ist ungefähr so lang wie der große Brockhaus. Jüdische Gelehrte haben ihn vom 2. bis zum 8. Jahrhundert nach der Zeitrechnung im Gebiet des heutigen Iran und Irak aufge- schrieben. Juden bezeichneten das Land als Babylon, als es das babylonische Reich schon lange nicht mehr gab.

O-Ton Annette Böckler:

Wenn man heute an Judentum und Aramäisch denkt, dann kann einem in viele Richtungen Dinge einfallen. Also eben der babylonische Talmud ist in Aramäisch. Stimmt nicht ganz das ist in einer Mischform also, da sind viele hebräische Zitate auch drinnen. Aber das stimmt schon. Die Hauptsprache des babylonischen Talmud ist das babylonische Aramäisch. Dann sind die ältesten Übersetzungen, die auch nahe die älteste Übersetzung ist, griechisch. Aber dann die zwei, ältesten wesentlichen, wichtigen Übersetzungen sind, die Targume.

Das ist die Übersetzung der hebräischen Bibel ins aramäische. Das ist bis heute wichtig. Also jede traditionelle jüdische Bibelausgabe hat den hebräischen Text und daneben die aramäi- sche Übersetzung. Dann ist vielleicht, wenn sie denken, an die hebräische Schrift... Also ich glaube, was sie dann jetzt im Kopf haben, aber sie aus Israel vielleicht gesehen haben oder aber auf Bildern gesehen haben. Das ist eigentlich Aramäisch, und zwar ist die in dieser da-

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nicht lesen. Und heute die Schrift, die als Hebräisch gilt, das sind die aramäischen Buchsta- ben. Das muss uns nicht weiter jetzt irritieren, weil deutsch oder türkisch, schreibt man ja zum Beispiel in lateinischer Schrift und es ist deutsch oder türkisch und nicht Latein.

Sprecherin:

Auch heute gibt es viele aramäische Gebete im jüdischen Gottesdienst. Zum Beispiel das berühmte Kaddisch, das in jedem jüdischen Gottesdienst mehrmals zu hören ist.

Die vielen aramäischen Texte im Gottesdienst sind häufig auf den Einfluss der jüdischen Mystiker, der Kabbala* aus dem Mittelalter zurückzuführen, sagt Annette Böckler.

O-Ton Annette Böckler:

Fremde Sprachen haben ja auch so einen mystischen Touch.

Und dadurch, dass das so war, dass die Kabbala Aramäisch daherkommt.

Also Kabbala, die jüdische Mystik, haben wir plötzlich auch Gebete, wo die Beziehung zu Gott, diese mystische Beziehung, wo das betont werden soll.

Das sind plötzlich Gebete, die auch bis heute im jüdischen Gottesdienst Aramäisch sind. Das bekannteste ist das Kaddisch. Also das ist ein Gebet, als Abschluss einer Lerneinheit und man sagt heute vor allen Dingen in Erinnerung an einen verstorbenen Verwandten.

Das ist ein Text, den die meisten Juden auswendig können oder ein ganz Vertrauter Klang, der sehr emotional ist.

Das ist ein Text, den man sagt in der Trauer, den sagt man sofort nach der Beerdigung und dann in der Trauerzeit und immer am Jahrestag des Todestages.

Ich wette, die meisten Jüdinnen und Juden könnten diesen Text nicht übersetzen, weil man kann nicht Aramäisch, aber die Worte...also die Worte sind vertraut. Aber wenn ich mal sagen würde, kannst du mal übersetzen... klappt nicht, weil es ist eben eine andere Sprache. Es ist nicht Hebräisch.

Sprecherin:

Auch Lieder und Dichtungen, die im heutigen Gottesdienst zu hören sind, halten die aramäische Sprache lebendig:

O-Ton Annette Böckler:

Ein bekanntes ist Yaribon... Das ist ein Lied, was man am Beginn des Schabbats singt. Das ist auch sehr bekannt, also wenn ich das Vorlesen würde, dann klingt das eben auch wieder in meine Aussprache: ...

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Die Melodie, die bei uns hier in Deutschland gebräuchlich ist, es sind zwei Melodien. Aber ei- ne ist zum Beispiel diese... Und das Ganze hat dann vier Strophen.

Es gibt noch eine andere:

Je nachdem, welche Stimmung man will, das sind so die, die in Deutschland bekannt sind.

„Gott, Herr aller Welten, du bist der König, König aller Könige, die Werke deiner Allmacht und deine wunderschön ist es, sie vor dir zu loben. Gott, Herr aller Welten, du bist der König der Könige, du bist der König, König aller Könige.

Sprecherin:

Und auch in der Zeit, als Jesus geboren wurde, war Aramäisch die Standardsprache. Mittlerweile war sie weiterverbreitet und wurde also nicht nur in Syrien und Mesopotamien, sondern auch Judäa ge- sprochen, erklärt Stefan Jakob Wimmer:

O-Ton Stefan Jakob Wimmer:

Also auch die Juden in Judäa, in Palästina haben die aramäische Sprache verwendet, so wie die Assyrer die aramäische Sprache verwendet haben und andere Völker, die keine Aramäer vom Volk her sind, sondern die Sprache verwendet haben.

Sprecherin:

Historiker vermuten, dass auch Jesus aramäisch gesprochen haben muss. Und das obwohl das Neue Testament auf Griechisch überliefert ist.

O-Ton Stefan Jakob Wimmer:

Wenn Jesus gepredigt hat, die berühmte Bergpredigt im Neuen Testament, dann hat er die bestimmt auf aramäisch gehalten, was sonst wird das die Landessprache war, die die Men- schen verstanden haben und die Muttersprache Jesu.

Dass jetzt die Bücher des Neuen Testaments nur Griechisch überliefert sind, hat damit zu- sammen, dass Griechisch so eine Art internationale Wissenschaftssprache war. Wer interna- tional gelesen werden wollte, der hat Griechisch geschrieben. Darum haben die Evangelisten ihre Bücher in griechischer Sprache geschrieben, was auch bedeutet, dass wir kein einziges originales Wort Jesu haben, weil wir keine Textquellen in aramäischer Sprache aus der Zeit Jesu haben.

O-Ton: Vater unser auf aramäisch gesungen

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O-Ton Stefan Jakob Wimmer:

Wenn wir das Vaterunser so hören wollen, wie es in aramäischer, wie es Jesus in aramäische Sprache gesprochen hat, dann müssen wir es rekonstruieren. Dann müssen wir es aus dem griechischen Text aus der Bibel Rückübersetzen ins aramäische, aber wir haben keine Text- quellen. Wir wissen es nicht genau, wie es geklungen hat.

Sprecherin:

Doch Aramäisch ist nicht gleich Aramäisch. Es gibt nicht die eine aramäische Sprache – da sind sich Sprachwissenschaftler und Historiker einig. Sie besteht aus mehreren Sprachstufen. Der Sprach- zweig, den Jesus gesprochen haben soll, ist der so genannte galiläische Dialekt des Aramäischen.

Könnten sich aramäisch-sprechende Chaldäer* oder Assyrer heute mit Jesus unterhalten?

Wohl schwer, sagen Experten. Nur etwa 25 Prozent der Sprache aus dieser Zeit wäre verständlich, denn sie habe sich in den vergangenen 2000 Jahren stark weiterentwickelt.

Die heute gesprochene Sprache heißt Neu-Aramäisch. Es gibt einen östlichen und einen westlichen Dialekt.

Heute beschränkt sich das noch gesprochene Aramäisch auf einige Sprachinseln in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Doch wie konnte es passieren, dass eine damalige Weltsprache, heute nur noch global von etwa 850.000 Menschen gesprochen wird?

Stefan Jakob Wimmer:

O-Ton Stefan Jakob Wimmer:

Dass sich das so drastisch geändert hat, hängt damit zusammen vor allen Dingen mit dem Aufkommen des Islam. Dadurch, dass Araber aus der arabischen Halbinsel, wo man nicht aramäisch gesprochen hat, sondern arabisch immer schon sich ausgebreitet haben mit den über den syrischen Raum und so und über Nordafrika ist dort auch die arabische Sprache na- türlich wichtig geworden. Wobei zunächst einmal die Araber das Aramäische in Syrien als Verwaltungssprache beibehalten haben, weil die Bevölkerung ja so gesprochen hat. Die Be- völkerung hätte ja nicht verstanden, wenn man das alles sofort auf Arabisch umgestellt hat.

Sprecherin:

Immer mehr Menschen wurden im Laufe dieser Zeit muslimisch.

Ein Prozess, in dem die aramäische Sprache zurückgedrängt und das Arabische immer wichtiger wurde.

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O-Ton Stefan Jakob Wimmer:

Arabisch ist ja im Islam mit dem Koran ganz zentral, selbst wenn man Arabisch nicht als Mut- tersprache kann. Und deshalb hat sich hier mit der Religion auch die arabische Sprache sehr stark und sehr dominant verbreitet und hat dann die aramäische Sprache fast vollständig ver- drängt.

Sprecherin:

Auch die Tatsache, dass Assyrer, Aramäer oder Chaldäer wegen ihres christlichen Glaubens im Na- hen Osten verfolgt und getötet wurden und dadurch ganze Siedlungen verschwanden, trug dazu bei, dass auch die Sprache verloren ging.

Heute leben viele aramäisch-sprechende Gemeinden verstreut in aller Welt. Sie alle verbindet die Sprache. Doch viele haben Angst um die Zukunft des Aramäischen, so auch Josef Afrem Barsom:

O-Ton Josef Afrem Barsom :

Viele haben ihre Sprache schon vergessen, sprechen sie in der zweiten, dritten Generation kaum oder gar nicht mehr. Und uns wird immer bewusster, dass es eigentlich ein Überleben unserer Sprache nur möglich ist, in der ja, also unsere alten Heimat eigentlich nur dort haben wir keine politische Sicherheit, die uns die den die nötigen Rahmen schenkt.

Ja, die Sprache hat ihren Stellenwert, hat auch ihren Platz sowohl was die Bibelwissenschaf- ten angeht oder auch im Judentum, wo viele Interpretation der Art der Thora und der heiligen Schriften aus dem aramäischen stammen oder in aramäisch geschrieben worden sind. Inso- fern gibt es da den Zugang zur aramäischen Schrift und Sprache. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass seine Sprache nicht existieren kann, ohne ihr Volk.

Sprecherin:

Auch für Gemeindemitglied und Lehrerin Faja Romanus ist Aramäisch mehr als nur ihre Mutterspra- che – sie fühlt sich darin zu Hause und sie wünscht sich, dass es auch ihren beiden Kindern eines Tages so geht.

O-Ton Faja Romanus:

Ich denke mir ehrlich gesagt auch gar nicht so weit, wie es sein wird bei meinen Nachfahren, sondern ich denke erst mal nur an meine Kinder, dass meine Kinder das irgendwie vernünftig erlernen.

Natürlich ist die deutsche Sprache wichtig. Vielleicht würden mich andere jetzt komisch angu-

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jetzt sagen... Ich weiß, es gibt auch viele Kollegen bei mir in der Schule, die halt sagen, die deutsche Sprache ist wichtig, die muss auch mit in die Erziehung eingebracht werden. Aber ich finde, ich muss mir keine Sorgen machen, dass meine Kinder die deutsche Sprache nicht erlernen werden. Da gibt es viele, viele Quellen, wo sie halt diese Sprache erlernen können.

Und sie sollen sie auch bloß erlernen. Das ist mir natürlich sehr, sehr wichtig. Nur bei der aramäischen Sprache ist es halt so, die einzige Quelle, die meine Kinder haben für die ara- mäische Sprache, das sind halt mein Mann und ich. Wir sind die einzigen Personen, die un- sere Kinder am meisten sehen. Und ja, es ist halt die Sprache Jesu. Gerade deswegen be- deutet mir das so viel, dass das meine Kinder die auch vernünftig lernen.

Sprecherin:

Deshalb hat die Gemeinde vor einigen Jahren ein Sprach-Angebot für die jüngsten Gemeindemit- glieder ins Leben gerufen.

Hier kommen die Kinder in regelmäßigen Abständen zusammen, um spielerisch durch Musik, Tanz oder Kreativarbeit die aramäische Sprache zu erlernen.

Die christliche Glaubensvermittlung steht dabei im Vordergrund:

O-Ton-Faja Romanus:

Hierfür haben wir in unserem Kulturzentrum geeignete Räumlichkeiten geschaffen. Und man kann halt schon sagen, dass unser Programm generell bunt gemischt ist.

Hier achten wir auch auf die saisonalen Themen wie zum Beispiel Nikolaus, Sankt Martin, Weihnachten oder aber auch natürlich Ostern. Und wir bereiten hierfür immer besondere Specials ein. Die Kinder freuen sich auch immer riesig.

Sprecherin:

Viele – vor allem junge Leute – in der aramäischen-sprechenden Community sind stolz auf ihre Her- kunft. Manche in der Community haben sogar auffällige Tattoos mit christlichen Symbolen, wie bei- spielsweise dem Kreuz. Andere tragen entsprechenden Schmuck. Sie wollen auf sich aufmerksam zu machen & mit anderen Menschen ins Gespräch kommen, sagt Akadina:

O-Ton Akadina:

Ja, ich denke mal, dass wir sehr stolz darauf sind, dass wir die Muttersprache Jesu Christi sprechen und das natürlich auch sehr gern zeigen. Davon kommt das auch, dass wir jeden Sonntag in die Kirche gehen, uns durch Tattoos oder einer Kreuzkette präsentieren. Dass es uns noch gibt.

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Sprecherin:

Die Gemeinde wünscht sich, dass andere, Säkulare, Christen oder Muslime, mehr über die Aramäer erfahren – vor allem in den Schulen sollte der Ursprung des christlichen Glaubens gelehrt werden.

Dass das Christentum aus dem Nahen Osten stammt und Jesus aramäisch sprach und nicht mittel- europäisch aussah, sagen Akadina und Benjamin:

O-Ton Akadina:

Da Kinder neugierig sind und zu Vorurteilen neigen, Kinder können gemein sein. Deswegen finde ich, sollte mehr Aufklärung passieren. Und diese Vorurteile sollten sich langsam verän- dern.

O-Ton Benjamin Afrem Barsom:

Die meisten vergessen, woher das Christentum eigentlich herkommt.

Das Christentum kommt ja aus dem Nahen Osten und das heißt, die ersten, die Benjamin hießen, Joseph oder Lucas, Matthäus, die sahen so aus wie ich waren dunkel, dunkelhaarig, vielleicht auch bärtig. Also da fehlt vielen so der Bezug. Und da vergessen die Leute, wo wirk- lich Ostern und Weihnachten eigentlich herkommt und wie es eigentlich ursprünglich aussah

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