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Krise von Staat und Gesellschaft in Pakistan

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Wilfried Buchta

Krise von Staat und Gesellschaft in Pakistan

*

Pakistan, das im Sommer 1997 sein fünfzigjähriges staatliches Bestehen feierte, ist seiner Verfassung nach eine demokratisch-parlamentarische islamische Republik. Der demokratische Entwicklungsprozeß in Pakistan tritt jedoch seit Jahren auf der Stelle, da er durch eine Vielzahl von politischen, sozialen und religiösen Faktoren und Tendenzen nachhaltig gehemmt wird. Deren wichtigste seien im folgenden kurz umrissen:

1. Eine nur rudimentär entwickelte und durch 24 Jahre Militärherrschaft und Kriegsrecht geschwächte demokratische Kultur.

2. Ein Fortbestehen islamistischer Tendenzen innerhalb und außerhalb der am politischen Prozeß beteiligten Kräfte, deren Existenz auf die bis heute ungelöste Grundsatzfrage nach Art und Charakter der islamischen Nationalidentität Pakistans verweist.

3. Ausgeprägte Tendenzen zur parteipolitischen Instrumentalisierung staatlicher Institutionen durch die jeweils an der Regierung befindlichen Politiker und ihren Einsatz für persönliche Zwecke.

4. Zunehmend eskalierende, teils sozial, teils macht- und parteipolitisch motivierte gewalttätige Konflike

zwischen ethnischen und konfessionellen Gruppen, deren Beendigung Justiz und Polizei überfordern und die das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit von Exekutive und Judikative massiv untergraben haben.

5. Monopolisierung des politischen Entscheidungsprozesses durch einen kleinen Kreis von Staatsbürokraten, Mili-tärs, Geheimdienstleitern und Feudalherren bei gleichzeitiger Umgehung und Außerkraftsetzung verfassungsmäßi-ger Kontrollinstitutionen und Gegengewichte.

6. Ungehemmt wuchernde Korruption.

Die bisherigen Regierungen

Ein Kennzeichen der pakistanischen Politik ist die Kurzlebigkeit und Instabilität der meisten bisherigen demokra- tisch legitimierten Regierungen. Dieses Charakteristikum ist jedoch nur vor dem Hintergrund der Geschichte des Landes zu verstehen. Pakistan ist 1947 in einer blutigen Auseinandersetzung mit Indien entstanden und hat in der Folgezeit in drei Kriegen – 1948, 1962 und 1971 – seine staatliche Identität gegenüber dem als Erbfeind betrach- teten großen Nachbarstaat behauptet. Als ungelöstes Problem schwelt bis heute Islamabads Konflikt mit Neu Delhi um die von beiden Seiten zur Gänze beanspruchte, von Pakistan zu einem und von Indien zu zwei Drittel okkupierte Provinz Kaschmir weiter. Der Kaschmir-Konflikt, der den Verteidigungshaushalt beider Staaten extrem belastet, hat eine solche Brisanz angenommen, daß er sich jederzeit aufgrund der mittlerweile von beiden Seiten erworbenen Atomwaffen zu einer den Weltfrieden bedrohenden Nuklearkatastrophe auswachsen könnte. Die Frontstellung zu Indien hat in Pakistan dazu geführt, daß sich das Land in einer permanenten Kriegsbereitschaft befindet, welche die Grundlage für die übermächtige Stellung des Militärs und der Geheimdienste bildet. Deren

>> KAS-Auslandsinformationen

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Einfluß und Bedürfnisse an finanziellen Ressourcen hat den demokratischen Prozeß seit 1947 schwerwiegend gestört, was sich nicht zuletzt an der großen Zahl der abgesetzten Regierungschefs ablesen läßt. Bis November 1996 sind zehn Premierminister Pakistans von sieben Staatsoberhäuptern des Landes, von denen drei Generäle waren, entmachtet worden. Nur ein einziger Premierminister, Zulfiqar Ali Bhutto, hat eine ganze, ihm laut Verfassung zustehende fünfjährige Amtszeit hindurch regieren können. Kurz nach seiner von ihm selbst durch Manipulation ermöglichten Wiederwahl 1977 wurde er durch einen Militärputsch gestürzt und 1979 hingerichtet.

Diagramm Nr. 1

Die Regierungen in Pakistan von 1947 bis 1997

Regierungschef Stellung/FunktionAmtszeit

1. Liaquat Ali Khan Premierminister * 14. 8. 1947 – 16. 10. 1951ii 2. Khawaja Nazim ud-Din° Premierminister 17. 10. 1951 –

17. 4. 1953i i 3. Mohammad Ali Bogra Premierminister 17. 4. 1953 – 11. 8. 1955i i 4. Chaudary Moham. Ali° Premierminister 11. 8. 1955 – 12. 9. 1956i i 5. Husain Surawardy° Premierminister 12. 9. 1956 – 17. 10. 1957i i 6. Ismail Chundrigar° Premierminister 17. 10. 1957 – 16. 12. 1957i i 7. Malik Khan Noon° Premierminister 16. 10. 1957 – 7. 10. 1958i i 8. General Ayub Khan Militärdiktator/ 27. 10. 1958 –

Präsident 25. 3. 1969 9. General Yahya Khan Militärdiktator/ 25. 3. 1969 –

Präsident 20. 12. 1971 10. Zulfiqar Ali Bhutto° Premierminister ** 20. 12. 1971 –

5. 7. 1977i i 11. General Zia ul-Haq Militärdiktator/ 5. 7. 1977 – Präsident *** 30. 12. 1985 12. Mohammad Junejo° Premierminister 25. 3. 1985 –

(ein- und abgesetzt 29. 5. 1988 von Zia ul-Haq)

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13. Benazir Bhutto° Premierministerin16. 11. 1988 – 6. 8. 1990i i 14. Nawaz Sharif° Premierminister 6. 11. 1990 –

18. 7. 1993i i 15. Moeen Qureshi ‘Care-taker’- 19. 7. 1993 – Premierminister 10. 10. 1993ii 16. Benazir Bhutto° Premierministerin11. 10. 1993 –

5. 11. 1996i i

17. Meraj Khalid ‘Care-taker’- 5. 11. 1993 –

Premierminister 4. 2. 1997i i 18. Nawaz Sharif Premierminister 4. 2. 1997 –

Infografik: Wilfried Buchta, Bonn 1997

° Vom Präsidenten (bzw. Armeechef) durch Amtsentsetzung entmachtet.

* Ermordet.

** Durch den Militärchef Zia ul-Haq 1977 abgesetzt und 1979 unter dem Vorwurf des Amtsmißbrauchs hingerichtet.

*** Zia ul-Haq kam am 17. 8. 1988 auf einem Inlandsflug durch einen mysteriösen, bis heute ungeklärten Bombenanschlag ums Leben.

Bis zu seinem Ableben war er als Militärdiktator de-facto unumschränkter Herrscher Pakistans.

Die verfassungsmäßige Machtverteilung

Die letzte Verfassung Pakistans stammt aus dem Jahre 1973 und war, nachdem Zia ul-Haq 1977 seine

Militärdiktatur errichtet hatte, außer Kraft gesetzt gesetzt worden. Im August 1988 starb Zia ul-Haq bei einem mysteriösen Flug-zeugabsturz. Bei der von den Militärs kontrollierten Wiedereinführung der Demokratie im Dezember 1988 wurde die Verfassung mit einigen Einschränkungen wieder inkraftgesetzt. In seinen Grundzügen entspricht der Verfas-sungsrahmen dem sogenannten Westminister Modell mit einem Zweikammersystem und einem in der Regel auf die Rolle der Reservemacht beschränkten Präsidenten. Unter Zia ul-Haq wurden mit Hilfe des 8. Verfassungszusatzes dem Präsidenten, einem Amt, das Zia selbst innehatte, weitreichende

Sondervollmachten zugewiesen. Dazu gehörte auch, daß der Präsident, falls er den Premierminister für amtsuntauglich erachtete, ihn absetzen und das Parlament auflösen konnte. Von diesem Recht haben die

Präsidenten seit 1990 dreimal Gebrauch gemacht und die Regierun-gen von Benazir Bhutto 1990, Nawaz Sharif 1993 und 1996 nochmals von Frau Bhutto vorzeitig entlassen. Tat-sächlich ist die politische Macht in Pakistan heute auf den Premierminister, den Präsidenten und den Militärbefehls-haber verteilt. Eindeutig der schwächste Teilhaber war bis 1997 der Premierminister.

Parlamentarismus

Betrachtet man die Entwicklung des Parlamentarismus in Pakistan seit 1988, so fällt ins Auge, daß die klassischen demokratischen Parlamentsfunktionen nicht oder bestenfalls unzulänglich ausgeübt werden.

Verantwortlich dafür ist die von extremer Feindschaft geprägte Beziehung zwischen den beiden größten und einflußreichsten Parteien Pakistans, der von Benazir Bhutto, der Tochter des 1979 hingerichteten Ex-

Premierministers Zulfiqar Ali Bhutto, geführten Pakistan Peoples Party (PPP) auf der einen und der von Nawaz

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Sharif, dem Führer der Pakistan Muslim League (PLM/N) auf der anderen Seite. Beide Parteien haben sich jeweils als Regierungs- und als Oppositions-partei abgelöst. Nach einem sich seit 1988 stets wiederholenden Muster verwenden beide Parteiführer, sind sie ein-mal durch Wahlen an die Regierungsmacht gekommen, alle staatlichen Machtmittel, um die jeweils andere Partei in der Opposition unter Druck zu setzen und zu demütigen.

Die dabei eingesetzen Mittel reichen von der Verhaftung von Oppositionsführern unter fadenscheinigen

Vorwänden bis zu mit Hilfe der Polizei und diverser Geheimdienste durchgeführten Einschüchterungskampagnen gegen Politiker der Gegenseite. Daß beispielsweise Benazir Bhutto, ihr nahestehende Politiker der PPP oder ihr Ehemann, Asif Zardari, in den vergangenen Jahren in Einzelfällen selbst vor Mord nicht zurückschreckten, ist zwar noch nicht endgültig bewiesen, wird aber immer wahrscheinlicher.

Im Parlament kommt es in der Regel nicht zu einer dem Gesetzgebungsprozeß angemessenen Debatte. Handgreif- lichkeiten im Parlament sind keine Seltenheit. Hat eine Frage besondere Bedeutung oder erregt sie öffentliche Auf-merksamkeit, so verläßt die Opposition meist unter lautstarkem Protest den Sitzungssaal. Gewöhnlich verlagert sie dann ihre Aktivität auf die Straße und greift zu außerparlamentarischen Methoden wie landesweiten Sitzblockaden und Sternmärschen ihrer Anhänger in der Hauptstadt. Ziel ist es, durch die Aktionen das Nicht- Funktionieren des de-mokratischen Systems zu demonstrieren und die Regierung zum Rücktritt und zu Neuwahlen zu zwingen. Zwischen Dezember 1988 und November 1996 verfügte keine der Regierungen Pakistans über stabile Mehrheiten im Parla-ment. Verweigerte die Opposition ihre Zustimmung zu Gesetzesvorhaben der Regierung, erlangten diese in fast allen Fällen nur durch Regierungsdekrete des Premierministers Gültigkeit.

Das Wahlsystem

Der prägende Faktor für die Parteienlandschaft ist das relative Mehrheitswahlrecht, das seit der Staatsgründung in allen sieben bisherigen Wahlen zum Bundesparlament wie auch in den Provinzen in zuletzt 207 Wahlkreisen ange-wandt wurde. Zugelassen zu den alle fünf Jahre stattfindenden allgemeinen Wahlen zum 217-köpfigen Bundespar-lament sind nur muslimische Kandidaten und Wähler. Seit 1988 zeigte sich die Tendenz zur Herausbildung eines Zwei-Parteien-Systems, in dem nur noch PPP und PML (N) eine Chance haben.

Das bisherige Wahlrecht festigt und vergrößert den Einfluß der feudalen Großgrundbesitzer, die sich in den von ihnen beherrschten vorwiegend ländlichen Gebieten die Anwartschaft auf Parlamentsmandate sichern. Zwischen 70 und 80 Prozent aller Parlamentsabgeordneten auf Provinz- und Bundesebene sind Feudalpolitiker, deren Prozent-satz in beiden großen Parteien etwa gleich ist. Da die Parteien auf die finanzielle und politische Unterstützung der Feudalherren angewiesen sind, können sie deren Interessen nicht ignorieren. Ideologische Überzeugungen, qualita-tive Auslese und politische Fähigkeiten spielen nicht zuletzt des geringen Einflusses der Parteizentralen wegen bei der Kandidatenauslese nur eine äußerst untergeordnete Rolle. Gemäß dem letzten Zensus von 1981 leben 70 Pro-zent der Pakistanis auf dem Lande. Dementsprechend gewichtet ist auch die Größe und die Zahl der Wahlkreise für die ländlichen Regionen, deren Kandidaten weitaus mehr Mandate für das Bundesparlament als die aus städtischen Regionen beanspruchen können. Von der herrschenden politischen Elite vollkommen ignoriert wird dabei das in den letzten zwei Jahrzehnten von internationalen Hilfs- und

Entwicklungsorganisationen festgestellte rasante Bevölke-rungswachstum in den Städten, deren politisch emanzipiertere und gebildetere Mittel- und Oberschichten in den Parlamenten auf Provinz- und Bundesebene stark unterrepräsentiert sind.

Zieht man demokratische Bewertungsmaßstäbe heran, so ist der Ausschluß der Nicht-Muslime zu den

allgemeinen Wahlen ein schwerwiegendes Manko der Demokratie in Pakistan. Für die religiösen Minderheiten gibt es ‘separate Wahlen’. Im Rahmen dieser ‘Wahlsegregation’ sind den religiösen Minoritäten zehn Sitze im Bundesparlament vorbehalten, von denen jeweils vier für Hindus und Christen sowie zwei für die restlichen Minderheiten wie Parsi, Ahmadis und Buddhisten vorgesehen sind. Die für die Minderheiten gebildeten,

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teilweise landesweiten Wahlkreise sind in den meisten Fällen so groß, daß die Wähler ihre Kandidaten, die im übrigen keinen Zugang zu staatlichen Rundfunk- und Fernsehmedien erhalten, üblicherweise nicht kennen. Aus diesem Grund boykottiert ein Teil der religiösen Minderheiten die Wahlen bewußt, was zur Folge hat, daß zumeist von der jeweiligen Regierung gekaufte Politiker mit nur wenigen hundert Stimmen gewählt werden. Als Konsequenz dieses Systems sind etwa sechs Milli-onen Nicht-Muslime in Pakistan zu Bürgern zweiter Klasse geworden.

Die Parteien

Grundsätzlich können Parteien in Pakistan frei gebildet werden. Das Parteienspektrum in Pakistan ist sehr breit und unüberschaubar, weist aber seit Mitte der achtziger Jahre im wesentlichen nur drei verschiedene Typen von Parteien auf. Zum ersten Typ zählen die beiden großen Volksparteien, nämlich die von Benazir Bhutto geführte PPP und die von Nawaz Sharif geleitete PML/N. Den zweiten Typ repräsentieren Parteien mit ethnischer Basis wie etwa die paschtunische Regionalpartei Awami National Party (ANP), die belutschische Baluchistan National Movement (BNM), die Mohajir Qaumi Movement im Sindh (MQM) und die ebenfalls im Sindh beheimatete ultra- nationalisti-sche Sindh National Alliance (SNA). Ein dritter Typ sind die zahlreichen religiös fundierten

Splitterparteien, von denen die islamistisch orientierten Parteien Jamiat-i Islami (JI), eine straff organisierte Kaderpartei, und die Jamiat-i Ulama-i Islam (JUI), ein Sammelbecken zahlreicher ultra-orthodoxer und islamistischer Religionsgelehrter, die be-deutendsten sind.

Die folgende Übersicht zeigt die derzeit (1997) wichtigsten Parteien.

Diagramm Nr. 3

Die wichtigsten Parteien in Pakistan (1997)

Abk./Parteiname Erläuterungen

PLM (N)

Pakistan Muslim League (Nawaz Sharif)

PPP

Pakistan Peoples Party (Benazir Bhutto) MQM

Mohajir Qaumi Movement neuerdings mit PLM/N verbündet (d.h. seit 1997)

ANP

Awami National Party; mit PML/N verbündete paschtunische Regionalpartei BNP

Baluchistan National Party JUI

Jamiat-i Ulama-i Islam Partei orthodoxer Religionsgelehrter

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unter Führung von Maulana Fazlur Rahman, verbündet mit der PPP von Benazir Bhutto

JWP

Jamhoori Watan Party Partei konservativer Großgrundbesitzer PPP (S)

Pakistan Peoples Party Abspaltung von Benazir

(Saeed Bhutto); Bhuttos PPP

BNM Baluchistan National Movement PKMAP

Pushtunkhwa Milli autonomistische Regionalpartei, mit

Awami Party der PLM/N verbündet

PLM (J)

Pakistan Muslim League Abspaltung der PLM/N,

( Junejo); mit PPP verbündet

UNA

United National Alliance Zusammenschluß sindhisch- nationalistischer Splitterparteien;

erbitterte Gegner der MQM PIF

Pakistan Islamic Front Wahlbündnis der extremen Islamisten unter Führung der Jamiat-i Islami (JI). Die PIF

boykottierte die 1997er Parlamentswahl JI

Jamiat-i Islami die älteste und bestorganisierte islamistische Kaderpartei in Pakistan, sie fordert einen theokratischen Gottesstaat und wurde zu Beginn der Militärdikatur Zia ul-Haqs massiv gefördert

Im wesentlichen wird die pakistanische Politik seit 1988 von den beiden Volksparteien PPP und PLM (N) bestimmt. Nachdem Zia ul-Haq gestorben war und die Militärs eine kontrollierte parlamentarische Demokratie wieder zu-ließen, wechseln beide seit 1988 einander an der Regierung ab. Eine klare, ideologisch eindeutig identifizierbare und auch praktisch verwirklichte Programmatik im Sinne westlich demokatischer Parteien kann weder die PPP noch die PLM (N) heute mehr vorweisen. Die konkreten politischen Unterschiede zwischen den beiden großen Parteien ha-ben sich im Laufe des letzten Jahrzehnts stark eingeebnet. War beispielsweise die politische Rhetorik der PPP unter Zulfiqar Ali Bhutto (1971-1977), der in den siebziger Jahren große Teile der pakistanischen Industrie verstaatlichte, noch von sozialistischen Ideen geprägt, so hat sie das Image der

Linkspartei unter den Regierungen seiner Tochter (1988-1990 und 1993-1996) abgelegt und sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts mehr und mehr pragma-tischen Positionen genähert. Heute tritt sie in der praktischen

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Politik für staatliche Deregulierung, Privatisierung und die Förderung günstiger Bedingungen für ausländische Investitionen ein. Zwar tritt Benazir Bhutto zum Teil weiter verbal für soziale Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich und Reform ein, jedoch sind diese Aussagen nur rheto-rische Rituale; für die politische Praxis der PPP haben sie keine Bedeutung mehr. Ihre angestammte Massenbasis hat die PPP vor allem im ländlichen Sindh, wo die Bhutto-Sippe seit Jahrhunderten zu den einflußreichsten Groß-grundbesitzern gehört. Über den Sindh hinaus hat es die PPP aber in den letzten Jahren vermocht, auch unterschied-liche Wählerschichten in anderen Provinzen zumindest zeitweise für sich zu gewinnen. Vollkommen beherrscht wird die PPP, deren Führung sich aus gemäßigt linken Intellektuellen, Vertretern moderat islamischer Gruppen und vor allem, ebenso wie in der PML/N auch, aus Feudalherren rekrutiert, durch Benazir Bhutto, die in den siebziger Jah-ren in Harvard und Oxford studierte, 1986 Demonstrationen gegen das Zia ul-Haq-Regime organisierte und sich damals, nicht zuletzt dank der Hilfe westlicher Rundfunk- und Fernsehsender wie CNN und BBC, zur Wortführerin der Opposition machte.

Die 1947 gegründete PLM ist traditionell die Partei der konservativen Landbesitzer und Großindustriellen und hat ihre Machtbasis im Panjab. In den achtziger Jahren spaltete sie sich in zwei Flügel, in die PLM/N unter Nawaz Sharif und in die PLM/J unter Mohammad Junejo, dem ehemaligen Premierminister unter Zia ul-Haq (1985-1988). Die PML/N hat sich in den letzten Jahren modernisiert, und versucht, sich der stärker westlich orientierten Mittel-schicht zu öffnen und ihr konservativ islamisches Profil etwas abzumildern. Nawaz Sharif selbst entstammt einer Unternehmerfamilie und war ab 1981 Berater des Militärdiktators Zia ul-Haq und gleichzeitig Finanzminister im Panjab. Von 1985 bis 1990 war er Ministerpräsident des Panjab.

Religiöse, soziale und wirtschaftliche Entwicklungshemmnisse Religion und Politik

Eines der größten Entwicklungshemmnisse Pakistans auf dem Wege zu einem modernen, demokratisch-pluralisti- schen Nationalstaat bildet die ungeklärte Frage nach dem Charakter und der Auslegung des Islams als des Grund- pfeilers der Staatsidentität. Pakistan ist 1947 als Staat für die indischen Muslime gegründet worden. Die blutige Loslösung vom übrigen Indien wurde durchgeführt, weil die indischen Muslime ihren eigenen Staat wünschten.

Sie sprachen verschiedene Sprachen und lebten in verschiedenen Teilen des indischen Subkontinents. Ihr Gemeinsames war die Religion, und der neue Staat stand daher von Beginn an im Zeichen des Islam. Seit 1947 aber dauern die Auseinandersetzungen unter den Muslimen Pakistans über die Frage, was ein islamischer Staat sei, an. Unter den vielen divergierenden Meinungen und Richtungen lassen sich zwei jeweils unterschiedliche Untergruppen umfas-sende Hauptströmungen ausmachen, eine säkulare und modernistisch islamische Positionen umfassende Strömung auf der einen und eine von orthodoxen bis islamistischen Positionen reichende auf der anderen Seite. Der charisma-tische Staatsgründer Pakistans, Mohammad Ali Jinnah, der Führer der Muslim-Liga, der Partei der indischen Mus-lime, die die Trennung von Indien forderten, war ein modernistischer Muslim mit einer säkularen Orientierung. Als ein in London ausgebildeter Rechtsanwalt und Angehöriger einer kleinen ismailitischen Minderheit (der Khojas), strebte er ein Pakistan an, in dem sich die indischen Muslime frei vom Druck der Hindu-Mehrheit nach ihren eige-nen kulturellen und religiösen Vorstellungen und Gesetzen

entwickeln und einen pluralistischen modernen National-staat aufbauen sollten. Einen theokratischen, unter dem islamischen Religionsgesetz der sharia stehenden Staat lehnte er kategorisch ab.

Nach seinem Tode 1948 meldeten sich aber verstärkt die in verschiedene islamische Konfessionen und Richtungen aufgespaltenen und häufig untereinander verfeindeten orthodoxen islamischen Religionsgelehrten (ulama) zu Wort. Sie betonten, daß nur der Staat als islamisch gelten könne, der die sharia zu seinem

Grundgesetz mache und den ulama das Recht verleihe, die sharia verbindlich auszulegen. Dieser Forderung kamen die Anhänger Jinnahs in der politischen Führung des jungen pakistanischen Staats nur bedingt nach.

Einerseits wollten sie sich nicht den Religionsgelehrten unterwerfen, andererseits konnten sie ihnen auch nicht

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schroff entgegentreten, weil ihnen klar war, daß die Mehrheit der Bevölkerung den Staat nur als islamisch akzeptieren würde, wenn die Religionsgelehrten ihn als solchen bezeichneten. Beide Seiten einigten sich 1949 auf einen Kompromiß in Form einer Grundsatzerklä-rung, der Objectives Resolution, in der es heißt: “Die Souveränität über das ganze Universum gehört Gott allein, und die Autorität, die Er über das Volk an den Staat Pakistan delegiert hat, damit sie in den Grenzen ausgeübt wird, die er niedergelegt hat, ist ein geheiligtes Pfand.”

Zugleich steht darin: “Die Grundsätze von Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Toleranz und sozialer Gerechtigkeit, wie sie der Islam verkündet, sollen voll gelten.” Diese Grundsatz-erklärung ist in den späteren Verfassungen von 1956, 1962 und 1973 als Präambel verwendet worden; der ‘Achte Verfassungszusatz’ von 1985, also aus der Zeit der Militärdiktatur Zia ul-Haqs, machte sie sogar zu einem ‘opera-tiven Teil’ der Gesamtverfassung. Die

Grundsatzerklärung stellte jedoch einen Kompromiß dar, den alle Seiten auf ihre Art lesen konten: Die orthodoxen Muslime sahen in ihr die Souveränität Gottes und ihre Rolle als Wächter der sharia bestätigt. Den Islamisten galt sie als Grundlage für den von ihnen angestrebten theokratischen Staat. Die islamischen

Modernisten und weltlichen Politiker verwiesen sowohl auf die im Islam verankerten Grundsätze von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit als auch die Delegierung der Autorität Gottes an das Volk – und nicht an die Religionsgelehrten.

Bis zu Beginn der siebziger Jahre blieb die mit der mehrdeutigen Grundsatzerklärung von 1949 verbundene Frage, ob Pakistan ein säkularer muslimischer Staat oder ein islamisch-theokratisches Gemeinwesen sei, in der Schwebe. Eine bis heute fortwirkende Tendenzwende trat mit der schweren Erschütterung von 1971 infolge des verlorenen Kriegs um Ostpakistan und der Abtrennung des neuen Staates Bangladesch ein. Sie beendete nicht nur das Militär-regime Yahya Khans, sondern verlieh auch den orthodox-islamischen und islamistischen Kräften, denen sich die verunsicherte Bevevölkerung zuwandte, Auftrieb. Unter dem Druck der Islamisten sah sich Zulfikar Ali Bhutto, ein in England ausgebildeter Säkularist, veranlaßt, 1973 die am stärksten islamisch beeinflußte Verfassung zu verabschie-den, die Pakistan bis dahin kannte. In ihr wurde zum ersten Male der Islam als

Staatsreligion verankert. Fortan mußte nicht nur der Staatspräsident, sondern auch der Premierminister ein Muslim sein. Mit der Machtübernahme von General Zia ul-Haq, der Bhutto 1977 stürzte und hinrichten ließ und Pakistan von 1977 bis 1988 beherrschte, wurde die Islamisierung von Staat, Wirtschaft und Justiz noch stärker ausgeweitet. Unter Zia ul-Haq, der den Isla-misten nahestand, wurde unter anderem der islamische Strafkodex (hud•d) der Körperstrafen eingeführt, ein födera-ler sharia-Gerichtshof gebildet, der über die Vereinbarkeit aller Gesetze mit dem Islam zu wachen hatte, und die Umschreibung der Schulbücher im streng islamischen Sinn in Angriff genommen. Auf ihn geht auch die Wieder-einführung einer altislamischen prozeßrechtlichen Norm zurück, die den Zeugenaussagen von muslimischen Frauen und Nicht-Muslimen wesentlich geringeres Gewicht beimißt als jenen von muslimischen Männern.

Alle vier demokratisch gewählten Regierungen, die auf die Diktatur Zia ul-Haqs folgten, die zwei von Benazir Bhutto und die zwei von Nawaz Sharif, haben fast sämtliche seiner Islamisierungsmaßnahmen unangetastet gelas-sen, in einigen Fällen haben sie sie sogar weiter gefestigt. Ein Beispiel dafür ist die allumfassende sharia Ordinance in Nawaz Sharifs erster Amtszeit (1990-1993). Eine Bereitschaft zur Aufhebung der oft inhumanen islamischen Rechtsvorschriften ist aus Furcht vor einem Machtverlust bei keiner der vier Regierungen, die seit 1988 amtierten, festzustellen. Ihre Aufhebung wäre für jedes Regime, selbst wenn es dies wollte,

existenzgefährdend, weil es sich damit dem Vorwurf aussetzte, antiislamisch zu handeln. So behalfen sich die bisherigen Regierungen mit einer mal strikteren, mal laxeren Anwendung dieser Vorschriften, was einerseits die Rechtsunsicherheit vergrößerte, anderer-seits den Regierenden die Kritik orthodoxer und islamistischer Kreise, die ihnen Unaufrichtigkeit vorwerfen, ein-trug.

Die Virulenz islamistischer Kräfte

Unbestreitbar hat in den letzten Jahren die religiös motivierte Intoleranz in Pakistan zugenommen, wofür in erster Linie islamistische Parteien verantwortlich sind. In den Parlamenten bilden diese aber keine nennenswerte Kraft.

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In den Wahlen von 1988, 1990, 1993 und 1997 errangen sie regelmäßig nur wenige Prozent der Stimmen, was primär auf das Mehrheitswahlrecht und auf die heftigen Rivalitäten im islamistischen Lager selbst

zurückzuführen ist. Un-beeindruckt von ihren Niederlagen an der Wahlurne sind aber ihr Selbstbewußtsein, ihr Absolutheitsanspruch und ihre Fähigkeit, zu Protestaktionen jeder Art große Volksmassen zu mobilisieren, intakt geblieben. Bei den Islamisten handelt es sich um ein buntscheckiges Spektrum religiöser Parteien und zum Teil regionaler Vereinigungen, die zu-meist von ulama geleitet werden. Einig sind sich die Islamisten allein in zwei Punkten: 1. der Forderung nach Ein-führung einer islamischen Ordnung mit vollständiger Inkraftsetzung der sharia, 2. ihrer Überzeugung, daß weder die PML/N noch die PPP in Pakistan aus freien Stücken einen wirklichen islamischen Staat verwirklichen wollen.

Um ihre Existenz nicht zu gefährden, fordern die islamistischen Gruppen nur selten den Staat direkt heraus, sondern suchen sich Ersatzobjekte für ihre Agitation. Dies sind zumeist auswärtige Feindbilder wie Indien und die USA, die Pakistan seinen Status als islamische Atommacht streitig machen wollen, oder im Land ansässige vom Islam abge-fallene Sekten, wie etwa die Ahmadiya. Die radikalsten unter den islamistischen Parteien erklären sogar die Schii-ten, die in Pakistan zwischen 15 und 20 Prozent der Bevölkerung stellen, zu Häretikern.

Mit der Kampagne für die Anwendung des von Zia ul-Haq eingeführten Blasphemie-Gesetzes, das die

Todesstrafe für die Beleidigung des Propheten Mohammad vorsieht, gegen einige Christen und Ahmadis suchen die Islamisten in erster Linie Anlässe, um mit der Schürung religiöser Emotionen ihre Gefolgschaft zu

mobilisieren.

Ein Dauerthema der Islamisten ist die Forderung nach vollständiger Anwendung der sharia, deren Erfüllung bislang unter Zia ul-Haq (1977-1988) die größten Fortschritte gemacht hat. Unbestritten haben einige seiner Maßnahmen den Religionsgelehrten mehr Macht eingetragen, etwa die staatliche Einziehung der zakat, der im Koran festgelegten reli-giösen Abgabe, und deren Zuteilung an religiöse Schulen (madrasa), die Aufwertung von deren Abschlußzeugnis-sen und die Einrichtung von sharia-Kammern an staatlichen Gerichten. Dennoch blieb Zia ul-Haqs Islamisierungs-politik, mit der er primär seine autoritäre Herrschaft legitimieren wollte, im ganzen besehen weit hinter den Forde-rungen der Religionsgelehrten und islamistischen Parteien zurück. Selbst Zia ul- Haq wollte die machthungrigen ulama im Zaum halten. Sie waren ihm als propagandistische und gewaltbereite Hilfstruppe willkommen, da sie für Druck auf der Straße sorgten, insbesonders gegen die PPP des 1979 hingerichteten Zulfiqar Ali Bhutto. Aber von der Kontrolle der politischen Entscheidungszentren suchte er sie fernzuhalten.

Nach Zia ul-Haqs Tod neigte dessen Protegé, Nawaz Sharif, der nicht zu den religiösen Zeloten zu zählen ist, dazu, diese Taktik fortzusetzen. Als Führer der PML/N sammelte er 1988 die islamistischen und sonstigen Gegner der PPP zu einer ‘Islamischen Demokratischen Allianz’, mit der Nawaz Sharif 1990 die Wahlen gewann.

Als Beloh-nung für seine islamistischen Wahlhelfer verabschiedete Nawaz Sharifs Regierung im Mai 1991 einen sogenannten ‘Enforcement of sharia Act’, nach dem alle Gesetze der sharia untergeordnet zu sein haben.

Ausdrücklich ausge-spart von ihrem Geltungsbereich blieben jedoch das parlamentarische politische System, die verfassungsmäßigen Rechte der Frauen und der religiösen Minderheiten und das gesamte Finanzsystem. Die Islamisten, die sich ge-täuscht fühlten, sagten sich in den folgenden zwei Jahren sukzessive von der ‘Islamischen Demokratischen Allianz’ los und traten in den 1993er Wahlen als dritte Kraft gegen PPP und PLM/N an; sie erhielten allerdings nur vier Prozent der Wählerstimmen. Bei den Wahlen von 1997 blieben sie sogar unter der Zweiprozentmarke. Dies be-weist, daß die große Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung, und hierbei insbesondere die gebildeteren urbanen Bevölkerungsschichten, die Errichtung eines theokratischen Staates ablehnt.

Ein für die politische Entwicklung Pakistans gefährliches Phänomen ist jedoch die wachsende Militanz der islami-stischen Gruppen, die unüberschaubare und vom Staat nicht mehr kontrollierbare Ausmaße angenommen hat. Ein großer, nicht exakt bezifferbarer Anteil der insgesamt 17000 Koranschulen (madrasa) im Lande wird von islami-stischen Gruppen geleitet, deren Einfluß auch aufgrund ihrer Gastgeber- und Ausbilderrolle für

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Angehörige mili-tanter ausländischer Islamistenorganisationen bereits weit über Pakistan hinausgreift. Nach Recherchen der an-gesehenen pakistanischen Friday Times bestehen über ganz Pakistan verteilt über siebenhundert militärische Ausbildungslager islamistischer Gruppen. In diesen madrasa, in denen bereits mojahedin-Kämpfer für Afgha-nistan, Tschetschenien, Palästina, Syrien und Bosnien rekrutiert worden seien, sollen 20.000 kampfwillige junge Männer auf ihre Einsätze in arabischen Ländern und in Kaschmir warten. Zu ähnlichen Einschätzungen gelangt auch der amerikanische Pakistan- und Afghanistan-Experte Josef Boudanski vom Freeman Institute in Houston/ Texas, einem Think Tank des Pentagon.

Der Faktor Militär

Seit den fünfziger Jahren bilden die nach dem Vorbild der britischen Kolonialarmee aufgebauten und

ausgebildeten Streitkräfte den einflußreichsten Machtfaktor in Pakistan. Diese Tatsache erschließt sich bereits aus den langen Pe-rioden (1958-1971 und 1977-1988), die durch Kriegsrecht oder von der Armee kontrollierte Regime geprägt waren. Gemäß ihrem Selbstverständnis sieht sich die Armee als die einzige vor Korruption gefeite Kraft und beansprucht, sowohl über dem Streit der Parteien, islamischen Konfessionen und Ethnien zu stehen als auch die nationale Einheit Pakistans wahren zu können. Die Armee rekrutiert sich fast ausschließlich aus den martial races, den Panjabis und Paschtunen. Die militärische Laufbahn war und ist für die ländliche, religiös-orthodoxe Mittel- und Oberklasse die bevorzugte Option bei der Berufswahl – nicht zuletzt der damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Privile-gierung wegen: verbilligte oder unentgeltliche Land- oder Wohnungsvergabe, freie medizinische Versorgung der Familien, eigene Wohnsiedlungen, Schulen und

Universitäten für Militärangehörige und besonders kostengünstige Lebensmittelzuteilungen. Traditionell sind die Militärs, auch wenn sie ebenso wie die Beamten offiziell keiner Partei angehören dürfen, mit den

Großgrundbesitzern, der staatlichen Bürokratie und den Feudalpolitikern eng verflochten.

Die Feindschaft zu Indien und die Angst um den territorialen Bestand des Staates bestimmen seit 1947 über die Außen- und Sicherheitspolitik auch die Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik und festigen so die Dominanz des Militärs. Tendenziell betrachtet die Armeeführung jegliche Forderung nach gesellschaftlichem Wandel, sei es regionale Autonomie, Demokratisierung oder Landreform, als Schwächung des Abwehrpotentials und somit als Gefährdung des Staates. Aus dieser Haltung resultierten die Interventionen der Militärs in Form von Militärput- schen gegen die vom Volk gewählten politischen Führer zum Zweck der Herstellung der inneren Einheit und Ord-nung des Landes. Im Rückblick haben sich aber diese Interventionen als kontraproduktiv erwiesen, weil sie die Destabilisierung des Landes noch vorangetrieben und dem Aufbau demokratischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen schweren Schaden zugefügt haben.

In einem multiethnischen Staat wie Pakistan rechtfertigt die Armeeführung ihren Griff nach der Macht damit, daß er gegebenenfalls das einzige Mittel sei, um die den Politikern zugeschriebene Korruption auszumerzen, die natio-nale Sicherheit sowie Recht und Ordnung wiederherzustellen. Seit der Staatsgründung hat das Militär verschiedene Rollen übernommen: In den fünfziger und sechziger Jahren errichtete es eine Entwicklungsdiktatur, um Pakistan zu modernisieren. In den siebziger Jahren unter Zulfiqar Ali Bhutto bekämpfte es die politischen Kräfte, die sich dem Staat entfremdet hatten, wie die Sezessionisten in Ostpakistan, dem späteren Bangladesch, und die Autonomie-bewegung in Belutschistan. Unter Zia ul-Haq in den achtziger Jahren nahm es die zusätzliche Rolle des Verteidigers der islamischen Staatsideologie an. Ende der achtziger Jahre übergab es, aus Einsicht in die Unfähigkeit, die poli-tischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme Pakistans lösen zu können, die direkte Machtausübung den zivilen Politkern. Es behielt aber die zwar weniger sichtbare, gleichwohl entscheidende Rolle des obersten Schlichters. Als das mächtigste Glied einer Trias aus Premierminister, Präsident und

Militärführung geben die Generäle seitdem als Makler und Schiedsrichter in den Auseinandersetzungen zwischen den seit 1988 regierenden demokratisch gewähl-ten Politikern den Ausschlag.

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Das nach Bhuttos Sturz folgende Jahrzehnt war durch massive Unterdrückung demokratischer zivilgesellschaft- licher Gruppierungen und eine verschärfte, bis heute voranschreitende Islamisierung von Staat und Gesellschaft gekennzeichnet. Ihre fehlende politische Legitimation suchte das Militärregime Zia ul-Haqs durch verstärkten Rückgriff auf den Islam wettzumachen. Die Hinterlassenschaften der Militärdiktatur Zia ul-Haqs haben Pakistan bis heute geprägt. Beispielsweise schuf Zia ul-Haq nach dem Vorbild des britischen Militärgeistlichenkorps eine Sondereinheit zur religiös-ideologischen Indoktrination und Schulung von Offizieren und Mannschaften. Mittler- weile scheint sich diese Sondereinheit zu einem organisierten Sammelbecken für Offiziere mit islamistischen Neig-1ungen aus den mittleren und unteren Rängen des Offizierskorps verwandelt zu haben. Nach Äußerungen, die ein pensionierter Armeegeneral dem Verfasser gegenüber im Oktober 1997 in Islamabad machte, gibt es derzeit im höheren Offizierskorps, das mehrheitlich noch eine säkulare Ausrichtung hat und britischen und amerikanischen militärischen Traditionen der fünfziger bis siebziger Jahre verpflichtet ist, ernste Befürchtungen, daß jüngere islami-stische Offiziere der Zia ul-Haq-Ära allmählich die Streitkräfte unterwandern könnten. Daß diese Befürchtungen nicht ganz unbegründet sind, zeigte das auf den Sturz der Regierung zielende Komplott islamistischer Offiziere im August 1997. Über die genauen Hintergründe der Verschwörung gab es in der

pakistanischen Presse nur wenige verläßliche Angaben. Die höchste Militärführung, bedacht darauf, den Schaden in der Öffentlichkeit möglichst ge-ring zu halten, übertrug Verhör und Bestrafung der Verschwörer der den Blicken der Öffentlichkeit entzogenen Militärgerichtsbarkeit. Nach Angaben des erwähnten Generals a.D. stößt die höchste Militärführung aber auf größ-te Schwierigkeiten, wenn sie entschlossen gegen islamistische Umtriebe in der Armee vorgehen will. Der Grund ist, daß die Beschuldigten durch ihr Treuebekenntnis zum Islam, dem wesentlichen Grundpfeiler pakistanischer Natio-nalidentität, eine teilweise Absolution erhalten und somit wirksame Sanktionen unterlaufen können.

Das Militär beansprucht seit der Staatsgründung den größten Einzelposten des Haushaltes. In dem von der neuen Regierung Nawaz Sharif im Frühjahr 1997 verabschiedeten Staatshaushalt liegt er wiederum bei knapp 40 Prozent. Eine Diskussion über den Militäretat fand, wie üblich, nicht statt. Allerdings hat das strahlende Image der früher als korruptionsfrei geltenden Militärs in den vergangenen Jahren sehr an Glanz verloren. So deckt die pakistanische Presse, deren Berichterstattung über die Militärs immer noch weitaus zurückhaltender und

vorsichtiger ist als im Falle von Recherchen über zivile Politiker, regelmäßig Verstrickungen hoher und höchster Spitzenmilitärs in Kor-ruptionsaffairen und in den Rauschgifthandel auf. Um nur zwei Fälle des Monats April, die lediglich die Spitze eines Eisbergs bilden, zu nennen: Am 24. 4. 1997 wurde Geschwaderkommandant Farooq Ahmed durch amerika-nische Drogenfahnder mit zwei Kilogramm Heroin in New York verhaftet. Farooq gehörte einem weitverzweigten Rauschgiftschmugglerring innerhalb der Luftwaffe an. Der Oberkommandierende der Marine, Admiral Mansoor ul-Haq, wurde wegen Korruption und Mißbrauch von Haushaltsmitteln entlassen und verhaftet. Ihm wird vorgewor-fen, beim Kauf von drei französischen U-Booten im September 1994

Bestechungsgelder angenommen zu haben. Weitere Untersuchungen in diesem Fall führten zur Verhaftung von neun weiteren hochrangigen Marineoffizieren zwei Tage später.

Die unkontrollierten Geheimdienste

Pakistan verfügt über drei größere zivile Geheimdienste, nämlich die auf Provinzebene tätige Central Intelligence Agency (CIA), das Criminal Investigation Department (CID) und das dem Premierminister direkt unterstellte Intel-ligence Bureau (IB). Mit Verteidigungs- und Sicherheitspolitik befaßt sind zwei militärische

Geheimdienste, der Inter-Services Intelligence (ISI) und der Military Intelligence (MI). Waren die zivilen und militärischen Geheim-dienste bis 1977 noch einer relativ wirksamen verfassungsmäßigen Kontrolle unterworfen, so änderte sich dies mit dem Militärputsch von Zia ul-Haq grundlegend. Nachdem dieser die Verfassung außer Kraft gesetzt und das Kriegsrecht verhängt hatte, begann er damit, die Geheimdienste systematisch zur

Überwachung, Einschüchterung, Erpressung, Entführung und in vielen Fällen auch extralegalen Tötung demokratischer Oppositionspolitiker, Frau-en- und Menschenrechtsaktivisten und kritischer Journalisten einzusetzen. Diese von Zia gestiftete Tradition der Instrumentalisierung der Geheimdienste zum Zwecke der

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Bekämpfung realer oder vermeintlicher innenpolitischer Gegner wurde, wenngleich in geringerem Umfang, von den auf Zia folgenden zivilen Regierungen von Benazir Bhutto und Nawaz Sharif fortgeführt. Seit der

Redemokratisierung von 1988 haben sich die Geheimdienste in meh-reren tausend nachweislichen Fällen des Bruchs konstitutioneller Normen und demokratisch-rechtsstaatlicher Prin-zipien schuldig gemacht. Diese Praktiken wurden oft von kritischen Zeitungsjournalisten aufgedeckt und scho-nungslos verurteilt. Zu einer strafrechtlichen Aufarbeitung dieser Praktiken und zu einer Verurteilung der Täter ist es aber bislang in fast keinem Fall gekommen, so daß Rechtsvertrauen und Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung nachhaltig erschüttert wurden.

Vielfach sind die Geheimdienste seit den achtziger Jahren zu Waffen in den Händen einflußreicher Militärs oder Bundes- und Provinzpolitiker umfunktioniert worden, die sie skrupellos gegen ihre jeweiligen Kontrahenten ein- setzen. So haben zwischen 1988 und 1990 das Militär unter seinem damaligen Oberbefehlshaber General Aslam Beg und einige ihm nahestehende Oppositionspolitiker der PLM/N beträchtliche Anstrengungen unternommen, die Regierung von Benazir Bhutto mittels des ISI zu destabilisieren. 1990 gestürzt, aber Ende 1993 wieder an die Macht zurückgekehrt, schreckte Benazir Bhutto von da an ihrerseits nicht davor zurück, ihren Gegenspieler, den nun in die Opposition gedrängten Führer der PLM/N, Nawaz Sharif, mit Hilfe der ihr botmäßigen zivilen Geheim-dienste und Polizeikräfte massiv unter Druck zu setzen.

Die Feudalpolitiker

Die pakistanischen Feudalpolitiker sind heute das größte Hindernis für die Demokratisierung und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes. Sie stehen für die Bewahrung des Status quo und

beherrschen sowohl die lo-kale und regionale als auch die bundesstaatliche Ebene der Politik. Von 1947 bis heute stellt eine Feudaloligarchie aus wenigen Großgrundbesitzerfamilien zwischen 60 und 80 Prozent der Mitglieder in sämtlichen Provinz- und Bundesparlamenten sowie Provinz- und Bundesregierungen Pakistans. Den Kern dieser Oligarchie bildet eine Grup-pe von etwa 50 Großgrundbesitzerdynastien aus dem südlichen Panjab, Sindh, Belutschistan und der südlichen NWFP. Ungeachtet ihrer unterschiedlichen ethnischen und konfessionellen Abstammung haben sich die einzelnen Feudalpolitikerfamilien in den letzten Jahrzehnten häufig mittels Heiratsbündnissen zu überregionalen Allianzen zusammengeschlossen. Das Ziel dieser parteiübergreifenden Allianzen ist die Wahrung und Erweiterung ihrer Herrschaftsinteressen. Geschickte Heiratsbündnisse mit den wichtigsten nicht-feudalen, aber dennoch einflußreichen Familien pakistanischer Großindustrieller, hoher Militärs und Staatsbürokraten haben den Einfluß der Feudalpolitiker-kaste noch zusätzlich gestärkt und abgesichert. Am Widerstand der Feudalpolitiker und der mit ihnen verbündeten Spitzenmilitärs und hohen Staatsbürokraten scheiterten bisher alle Versuche, eine Landreform in Pakistan durchzu-führen (1959 und 1972). So gelangte etwa 1972, bei der von Zulfiqar Ali Bhutto initiierten Landreform, weniger als ein Prozent des anbaufähigen Bodens in den Besitz landloser Bauern. Ebenfalls am Widerstand der in dieser Frage absolut einigen Feudalpolitiker aus allen im Parlament vertretenen Parteien scheiterten alle bisherigen Versuche der pakistanischen Regierung, die Besitzer der großen Latifundien und die Bezieher der aus ihnen erwachsenen Einkom-men steuerpflichtig zu machen. Von den circa 130 bis 135 Millionen Pakistanis waren 1997 lediglich 800.000 steuerpflichtig, darunter kein einziger Feudalpolitiker.

Die ethnische und konfessionelle Heterogenität des Landes

Der Staat Pakistan war von Beginn an ein multiethnischer und multikonfessioneller Staat. Es gibt neben einem Dutzend kleinerer, zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallender ethnischer Gruppen vier große Völker in Pakistan, die auch jeweils eine der vier großen Bundesprovinzen prägen: Panjabis (Panjab), Sindhis (Sindh), Paschtunen (North West Frontier Province) und Belutschen (Belutschistan). 1947 wählte man zur nationalen Sprache das Urdu, das am Hof und in den Heerlagern der Moghul-Herrscher (1501-1857) entstand und später zur Lingua

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franca der Muslime in Indien wurde. Die folgende Tabelle, die sich auf den letzten Zensus von 1981 stützt, soll die Anteile der

Ethnien an der Gesamtbevökerung Pakistans darstellen.

Diagramm Nr. 4

Der prozentuelle Anteil der großen Sprachgruppen an der Gesamtbevökerung

Sprache Prozentsatz

Panjabi 57,3

Paschto 13,1

Sindhi 11,1

Belutschi 9,1

Urdu 7,6

Hinzugefügt sei, daß im wesentlichen nur für die nach 1947 aus Indien geflohenen Muslime Urdu die Mutter- sprache ist. Sie werden in Pakistan Muhajir, d.h. Auwanderer, genannt und haben sich zumeist im Süden, in der Provinz Sindh und dort vor allem in der Region um Karachi, der wichtigsten Hafenstadt und dem bedeutendsten Wirtschaftszentrum Pakistans, angesiedelt.

Ebenso inhomogen wie die ethnische Struktur Pakistans ist auch seine konfessionelle Zusammensetzung. Exakte, zuverlässige Zahlenangaben über die Größenordnung und die Verteilung der einzelnen Religionsgemeinschaften sind kaum zu erhalten und wenn ja, je nach politischer Tendenz der Quelle oft sehr widersprüchlich. Die

Angaben in der folgenden Überblickstabelle sind daher auch nur als grobe Richtwerte zu betrachten, die der Orientierung dienen sollen.

Konfession/Religion Prozentsatz

Sunniten 70-75

Schiiten (Zwöferschia) 15-20 Ismailiten (Siebenerschia) 2-3

Ahmadiya 1-2

Christen 1-3

Hindus 1-3

Die sunnitische Mehrheit der Muslime Pakistans ist alles andere als ein homogener Block, vielmehr zerfällt sie in verschiedene, teils orthodoxe, teils eher gemäßigte islamische Rechtsschulen und Richtungen. Zudem folgt ein großer Teil der sunnitischen Muslime nicht dem ‘offiziellen’ Islam der Rechtsgelehrten (ulama), sondern hängt einem ‘inoffiziellen’ unorthodoxen Volksislam an. In diesem Volksislam mischen sich mystische Elemente mit vor-islamischen, hinduistischen Vorstellungen und der Verehrung heiliger Männer und Ordensführer von lokaler und regionaler Bedeutung.

Das Verhältnis zwischen der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minorität ist traditionell komplex und schwankt zwischen Konfrontation und gemeinsamen Bekenntnissen zu einer verbindenden islamischen Identität.

Bei den meisten Sunniten herrschen seit jeher starke Vorurteile gegen die Schiiten, die man als Häretiker und als

“Ver-derber des wahren Glaubens” ansieht. Trotz gewisser sozialer Reibereien war bis zur islamischen Revolution von 1979 im schiitischen Iran und der forcierten Islamisierungskampagne unter Zia ul-Haq das beiderseitige Verhältnis aber mehr durch friedliche Koexistenz als durch Konfrontation bestimmt. Durch die Propagandatätigkeit der nach Pakistan entsandten Emissäre der Islamischen Republik Iran unter Ayatollah Khomeini wuchs das politische Selbst-bewußtsein von Teilen der schiitischen Elite. Sie forderten einen größeren Anteil an der Macht in dem überwiegend von sunnitischen Eliten beherrschten Staat. Dieser Wunsch kollidierte auf

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das heftigste mit den Bestrebungen einer Reihe von islamistischen Parteien und extrem-sunnitischen

Splittergruppen, die Zia ul-Haq zum Zwecke der Absicherung seiner schwachen Legitimationsbasis seit Anfang der achtziger Jahre massiv gefördert hatte, und die den verstärkten gesellschaftlichen und politischen Ausschluß der ‘abtrünnigen’ Schiiten forderten.

Das hauptsächliche Opfer der Islamisierungskampagne Zia ul-Haqs waren die Anhänger der islamischen Ahma- diya-Sekte. Sie waren bereits in den fünfziger und siebziger Jahren unter Ayub Khan und Zulfiqar Ali Bhutto zeit-weise staatlich gedulteter Diskriminierung und organisierten Gewaltaktionen von seiten orthodoxer und islami-stischer Gruppen ausgesetzt. Sunniten und Schiiten gleichermaßen betrachten die Ahmadiya als eine vom Islam abgefallene und aus der Gemeinschaft der Muslime auszuschließende Sekte von Abtrünnigen. Der Grund ist, daß ihre Anhänger den 1908 verstorbenen Gründer der Sekte als Propheten verehren. Damit verstoßen sie gegen einen zentralen islamischen Glaubenssatz, der besagt, daß Mohammad der letzte, die Botschaft aller vorangegangenen Gesandten Gottes vervollkommnende Prophet sei.

Die gewaltsame ethnisch-soziale Dauerkrise im Sindh

Seit Ende der achtziger Jahre wird Sindh, die nach der Bevölkerungszahl zweitgrößte Provinz Pakistans, von ge- waltsamen, ethnisch motivierten Bürgerkriegsunruhen heimgesucht. Im Mittelpunkt steht ein sozialer, durch eine ethnische Komponente potenzierter Konflikt zwischen der einheimischen sindhisprachigen, von ländlichen Feu- dalherren dominierten Bevölkerungsmehrheit auf der einen und den ab 1947 eingewanderten urdusprachigen Muslimen aus Indien, den urbanen Muhajir auf der anderen Seite. Häufig aus den Handels- und Bildungseliten der muslimischen Oberschicht Moghul- und Britisch-Indiens stammend, weisen die Muhajir ein im Vergleich zur pakistanischen Durchschnittsbevökerung deutlich höheres Ausbildungs-, Bildungs- und Einkommensniveau auf.

Dank ihrer besseren Qualifikationen stellen die Muhajir seit den fünfziger Jahren überproportionale Anteile an den Führungskräften der staatlichen Verwaltung und im staatlichen wie privaten Wirtschaftssektor des Sindh, was Ver-drängungsängste der angestammten ländlichen Feudaleliten hervorrief. Bereits Zulfiqar Ali Bhutto, der aus dem Sindh stammende ehemalige Premierminister, versuchte in den siebziger Jahren die Ambitionen der Muhajir zu bremsen. Die vom ihm eingeführte Quotenregelung sollte für die paritätische Zulassung von Sindhis und Muhajir zu den Ausbildungsstätten und Beamtenkarrieren sorgen. Diese Quotenregelung, die von den Muhajir als diskriminie-rend empfunden und zurückgewiesen wurde, reicherte das ohnehin vorhandene

Konfliktpotential zusätzlich an. Zu dessen gewaltsamer Entladung kam es jedoch erst Mitte der achtziger Jahre.

Auslöser war der 1979 einsetzende massenhafte Zuzug Hunderttausender paschtunischer Kriegsflüchtlinge und Arbeitsemigranten. Diese im Gefolge des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan und des Krieges nach Karachi ziehenden afghanischen Flüchtlinge sollten fortan dessen urbane und wirtschaftliche Infrastruktur schwer

belasten und schädigen. Der Zuzug der Pasch-tunen, die seither nicht nur das komplizierte Transportsystem Karachis, sondern auch den massiv angewachsenen illegalen Drogen- und Waffenhandel monopolisiert und eine Reihe von Stadtvierteln in Besitz genommen haben, zerstörte endgültig das fragile soziale und ethnische

Gleichgewicht im Sindh. Gewalttätige Unruhen, ungehemmter Waffen- und Drogenschmuggel, Bandenkriege, Menschenraub und blutige Terrorwellen bestimmen seit 1986 den gesellschaftlichen und politischen Alltag im Sindh.

Im Jahre 1986 konstituierte sich die ‘Sammlungsbewegung der Muhajir’, die MQM (Muhajir Qaumi Movement) unter ihrem charismatischen Führer Altaf Husain. Anfangs lediglich eine eher gemäßigte ethnisch-politische Partei zur Interessenwahrung der Muhajir radikalisierte sich die in einen gewaltlos agierenden politischen und einen mi-litärischen Flügel aufgespaltene MQM in den folgenden Jahren zusehends. Heute trägt sie deutliche Züge einer totalitären Kader- und Schutzorganisation, deren bewaffneter, im Untergrund aktiver Flügel im Kampf gegen ihre Gegner, seien es sindhische Nationalisten, Paschtunen oder Polizeibeamte der Provinzregierung, vor Bombenan-schlägen, Folter und Mord nicht zurückschreckt. Jahrelange bewaffnete Aktionen der Polizei und der

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Armee haben die totalitären Tendenzen in der MQM, die Abweichler in den eigenen Reihen foltern und ermorden läßt, noch ver-stärkt und die Wählerbasis noch gefestigt.

Zu einer Beruhigung der Lage im Sindh hat seit 1988 keine der demokratisch legitimierten Regierungen beigetra- gen. Eher im Gegenteil: So hat beispielsweise die von Nawaz Sharif geführte PLM/N-Regierung den

pakistanischen CIA-Geheimdienst in den Jahren 1990-1992 dazu mißbraucht, der in bewaffnete

Auseinandersetzungen mit der Provinzregierung von Sindh verstrickten MQM massive Unterstützung zukommen zu lassen. Dahinter stand das Kalkül, die von der PPP Benazir Bhuttos gestellte Provinzregierung des Sindh zu destabilisieren und damit die we-sentliche Machtbasis der Oppositionschefin zu zerschlagen. Das Kalkül ging insofern nicht auf, als sich die stark und unabhängig gewordene MQM recht bald der Kontrolle des CIA entzog.

Das Bürgerkriegschaos ließ der Sharif-Regierung keine andere Wahl als den im Juni 1992 befohlenen Einmarsch der Armee, die zwar Karachi monatelang besetzte, der einmal entfesselten Anarchie aber nicht mehr dauerhaft Herr werden konnte. Der Führer der MQM, Altaf Husain, floh 1992 nach Großbritannien, von wo aus er weiterhin per Fax, Telephon und Videokassetten so-wohl die politischen als auch die militärischen Aktionen seiner Partei lenkt. Um die MQM zu schwächen, gewähren Pakistans Geheimdienste seit 1993 dem von der Mutterpartei abgespaltenen regierungstreuen Minderheitsflügel der MQM, genannt MQM (H), massive Unterstützung. Beide Fraktionen führen seither einen äußerst verlustreichen Bruderkrieg.

Während bei den Unruhen im Sindh 1995 mehr als 2100 Menschen getötet wurden, sollen es 1996

schätzungsweise 4000 Personen gewesen sein. Die aus der pakistanischen Presse entnommenen Zahlen für 1997 weisen einen Rück-gang auf “nur noch” 400 Tote auf, was den Schluß zuläßt, daß Armee und Polizei bei der Terrorismusbekämpfung einige Erfolge erzielen konnten. Erkauft wurden diese Erfolge aber, wie aus den fast täglichen Berichten der paki-stanischen Presse ablesbar ist, um den Preis massiver Verletzungen von

Menschenrechten durch Armee und Polizei. Mittels brutaler Repression, wie etwa massenhaften, durch Folter erpreßten Geständnissen und zahlreichen extralega-len Hinrichtungen von wirklichen und vermeintlichen Terroristen, konnten sie die Lage scheinbar beruhigen und die Terroristen vorübergehend in den Untergrund abdrängen.

Inwieweit der politische Flügel der MQM selbst, die seit 1997 erneut verstärkt am politischen Prozeß teilnimmt und sich z.B. an den Parlamentswahlen von 1997 beteiligte, zu der partiellen Beruhigung beigetragen hat, ist nicht klar. Jedenfalls scheint die MQM, seitdem sie 1997 sowohl in der Bundes- als auch in der Provinzregierung von Sindh zum Koalitionspartner der PLM/N geworden ist, momentan in beschränktem Umfang in einen

staatlichen Konsens eingebunden. So führt Nawaz Sharif bei seinen häufigen Reisen nach London offizielle Koalitionsgespräche mit dem MQM-Führer Altaf Husain, der in Pakistan immer noch als Terrorist und Mörder gesucht wird. Ob die Ein-bindung der MQM jedoch von Dauer ist, muß bezweifelt werden. Dagegen spricht die Konzept- und Initiativlosig-keit der neuen Regierung Sharif, die seit der Amtsübernahme im Februar 1997 keine konstruktiven Vorschläge zur Beendigung der ethnisch-sozialen Dauerkrise im Sindh vorlegte. So schwelt die Krise weiter und führt zu enormen Verlusten der pakistanischen Wirtschaft. Karachi und sein Umland sind das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Zudem ist Karachi auch der einzige nennenswerte Tiefseehafen des Landes und damit das Tor Pakistans zur Welt. Man schätzt, daß durch den anhaltenden Sindh-Konflikt etwa 20 bis 30 Prozent des pakistanischen Wirtschaftspotentials nicht erarbeitet werden kann.

Die Eskalation des sunnitisch-schiitischen Konflikts

Seit etwa zehn Jahren tobt in Pakistan ein blutiger Sektenkrieg zwischen verfeindeten sunnitischen und schiitischen Terrorgruppen, der allein in den ersten acht Monaten des Jahres 1997 mehr als 200 Todesopfer gefordert hat. Die Hauptverantwortlichen für den in den letzten drei Jahren sichtlich eskalierten Sektenkrieg sind zwei kleine radikale Splitterparteien, die bei allgemeinen Parlamentswahlen noch nie ein Mandat errungen haben.

Aus dem radikal-sunnitischen Spektrum ragen die ‘Armee der Prophetengenossen Pakistans’, die Sipah-i Sahaba

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Pakistan (SSP) und die von ihr abgespaltene noch radikalere Lashkar-i Jhangvi (LJ) heraus. Beide Gruppen wollen mit Waffengewalt das islamische Recht in der sunnitischen Variante der extrem orthodoxen Rechtsschule der Deobandi in Pakistan durchsetzen und es mit Gewalt den Schiiten und den Angehörigen der nichtislamischen religiösen Minderheiten aufzwingen. Gezielte Erschießungen prominenter schiitischer Geistlicher, iranischer Konsular- und Botschaftsmitar-beiter in Pakistan und pakistanischer Regierungsbeamter, die es wagten, couragiert dem intoleranten Sektenterror die Stirn zu bieten, gehen gewöhnlich auf das Konto dieser Gruppierungen. So hat Malik Ishaq, der gefaßte Chef der Lashkar-i Jhangvi, der Bundespolizei im Oktober 1997 gestanden, bei 49 von ihm in den letzten Jahren organi-sierten und teils auch selbst geleiteten Terroranschlägen gegen schiitische Geistliche und Regierungsangestellte 102 Personen getötet zu haben. Als Hauptgegenspieler der SSP und der LJ gilt eine schiitische Organisation namens ‘Bewegung für Jaæafariya Pakistans’, Tehrik-i Jaæfariya Pakistan (TJP), die die für alle Bewohner verbindliche Einführung der Jaæfariya genannten schiitischen Variante des islamischen Rechts anstrebt. Auf Ermordungen schiitischer Geistlicher reagiert die TJP umgehend mit Bomben- und Maschinengewehrattacken auf sunnitische Moscheen. Brennpunkte des konfessionellen Sektenterrors sind die Großstädte des Panjab, hier vor allem Lahore und Karachi. Gefördert wird der sunnitisch-schiitische Konflikt in Pakistan seit den frühen achtziger Jahre auch von Saudi-Arabien – Riad gilt als größter Geldgeber der SSP –, dem Irak und anderen arabischen Staaten, die den Ein-fluß des Iran, der die TJP unterstützt, bekämpfen wollen.

Die Regierung sieht dem Treiben der militanten Sekten bislang fast tatenlos zu. Zwar folgen spektakulären An- schlägen regelmäßig medienwirksame Verhaftungswellen unter Mitgliedern islamistischer militanter Parteien, doch die wirklichen Täter werden äußerst selten verhaftet. Im Gegenteil: SSP-Chef Maulana Azam Tariq, gegen den gerichtliche Ermittlungsverfahren wegen Mordes in mindestens fünf Fällen laufen, konnte sich erst im Februar 1997 wieder in das Parlament der Panjab-Provinz, deren Regierung er zuvor jahrelang angehört hatte, wählen lassen. Im August 1997 wurde er vorübergehend für zwei Wochen in Untersuchungshaft genommen.

Während der Haft hatte er die Ehre, vom Vorsitzenden des höchsten panjabischen Provinzgerichts (Suprem Court) und dem Ministerpräsi-denten des Panjab, Shahbaz Sharif, dem Bruder von Nawaz Sharif,

freundschaftlich empfangen zu werden.

Zur Situation der religiösen Minderheiten

Theoretisch gebietet die Verfassung Pakistans die Unantastbarkeit der Glaubens- und Religionsfreiheit für Nicht- Muslime. Die Praxis sieht anders aus. Laut Amnesty International laufen derzeit mehr als 2000 Verfahren gegen Angehörige religiöser Minderheiten wegen sogenannter Glaubensdelikte, die in der Regel mit hohen Geld- und Freiheitsstrafen geahndet werden. Sieben Angeklagten, darunter vier Christen, droht wegen angeblicher Gottes- lästerung die Todesstrafe. In der Vergangenheit sind im Rahmen dieser sogenanten Blasphemie-Prozesse bereits sechs Todesurteile verhängt worden. Daß aber bisher alle Deliquenten begnadigt wurden, werten Beobachter gene-rell als Zeichen für die äußerst zweifelhafte Beweislage in diesen Prozessen.

Gewalttätige, von offiziellen Sicherheitskräften oft ignorierte Übergriffe von militanten Islamisten auf Christen, Hindus und Ahmadis häufen sich in den letzten Jahren in Pakistan. So wurden im Februar 1997 in der Provinz Panjab vom randalierenden islamistischen Mob ein ganzes Christendorf dem Erdboden gleichgemacht, ein Dutzend Kirchen in Brand gesteckt und über 50 Bewohner verletzt. Exemplarisch war das Verhalten von Polizei und Behör-den, die, so der Vorwurf der Kirchenoberen, die Dorfbewohner ihrem Schicksal überlassen und ihr Heil in der Flucht gesucht hatten. Unter der zunehmenden und besonders in ländlichen Gebieten weitverbreiteten Gewalt gegen religiöse Minderheiten leiden vor allem die Frauen. Immer wieder berichtet die pakistanische Presse von gewalt-samen Verschleppungen von Christinnen, die zwangsweise mit muslimischen Männern

verheiratet werden. Nach Auskunft von John Joseph, dem prominenten katholischen Bischof von Faisalabad, sind ihm allein in den ersten zehn Monaten des Jahres 1997 mehr als 300 solcher Fälle gemeldet worden. Gegen keinen der Täter ist trotz ent-sprechender Anzeigen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden; an eine Verurteilung ist gar nicht zu denken.

Abbildung

Diagramm Nr. 1
Diagramm Nr. 4
Diagramm Nr. 6
Diagramm Nr. 7

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