• Keine Ergebnisse gefunden

Maja Hagerman. Herman Lundborg. Rätsel eines Rassenbiologen. Mit einem Begleitwort von Uwe Puschner

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Maja Hagerman. Herman Lundborg. Rätsel eines Rassenbiologen. Mit einem Begleitwort von Uwe Puschner"

Copied!
50
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Maja Hagerman

Herman Lundborg

Rätsel eines Rassenbiologen

Mit einem Begleitwort von Uwe Puschner

(2)
(3)

Herman Lundborg

(4)
(5)

Maja Hagerman

Herman Lundborg

Rätsel eines Rassenbiologen

Mit einem Begleitwort von Uwe Puschner

Aus dem Schwedischen von Krister Hanne

(6)

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel „Käraste Herman. Rasbiologen Herman Lundborgs gåta“ im Verlag Norstedts, Stockholm.

Aus dem Schwedischen von Krister Hanne

Übersetzung und Druck wurden ermöglicht durch großzügige Förderung von Seiten der Magnus-Bergvall-Stiftung, des Swedish Arts Council,

des König Gustaf VI. Adolf Fonds für schwedische Kultur sowie der Lars-Hierta- Gedächtnis-Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist unzulässig und strafbar.

© 2020BW V | BERLINER WISSENSCHAF TS-VERLAG GmbH, Behaimstr. 25, 10585 Berlin,

E-Mail: bwv@bwv-verlag.de, Internet: http://www.bwv-verlag.de Layout und Herstellung durch den Verlag

Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Umschlag-Montage:

Karteikarte aus der „Rassendatei“ mit rassenkundlichen Kriterien des SS-Rassenamtes

© bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte: Bildnummer 30020052;

Herman Lundborg © Universitätsbibliothek Uppsala, Staatliches Institut für Rassenbiologie, Fotografisches Archiv, Album A1 „Das Rassenbiologische Institut und sein Personal“.

Druck: docupoint, Magdeburg

Gedruckt auf holzfreiem, chlor- und säurefreiem, alterungsbeständigem Papier.

Printed in Germany.

ISBN Print 978-3-8305-3986-5 ISBN E-Book 978-3-8305-4147-9 Die Autorin

Maja Hagerman ist eine der bekanntesten Verfasserinnen historischer Sachbücher Schwedens. Mehrere ihrer Werke sind mit Preisen ausgezeichnet worden, 2012 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Universität Uppsala verliehen. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit unterrichtet Maja Hagerman Bildproduktion an der Hochschule Dalarna und dreht historische Dokumentarfilme.

(7)

Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis VIII

Danksagung IX

Einleitung

Ein schwedischer Rassenbiologe

zwischen Lappland und Deutschland 1

Erster Teil

Der Weg in ein rassenbiologisches Universum (1895–1912) 9

Der Arztberuf lockt 11

Die Rassenforscher 16

Eine Liebesgeschichte 21

Aus Thyras Sicht 24

Eine Idee nimmt Form an 29

Zurück ins Listerland 36

Wie entsteht ein wissenschaftliches Fach? 44

Schwedisch-deutsche rassenbiologische Kontakte 47

Das Land der Zukunft 52

Zweiter Teil

Abenteuer in Lappland (1913–1917) 57

Die erste Reise 59

Rassenbiologie und Rassenhygiene 66

Die zweite Reise 70

Wettlauf mit den Deutschen 81

Thyra reist mit 86

Das Netzwerk der Obrigkeit 92

Die Reise in die Laimobucht 100

Hoffnungen auf ein rassenbiologisches Institut 107

Hilja besorgt Unterkunft in einer Kote 112

Der Sommer in Laimolahti 119

Hilja reist ab 126

Marianpäiva 133

(8)

Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil

Schwedische Volkstypen (1918–1921) 141

Vorbereitungen für die große Ausstellung 143

Die Volkstypenausstellung hat Erfolg 156

Hilja sehnt sich nach Abenteuern und verlobt sich 164

Seelsorger der Frauen 167

Rassenbiologisches Lobbying 173

Die Freunde in Deutschland 183

Angestellt oder nicht? 190

Fotografien 195

Vierter Teil

Am Staatlichen Institut für Rassenbiologie (1922–1928) 219

Das Institut wird eröffnet 221

Ein Dokument: Aus „Die Degenerationsgefahr“ 229

Ein rassenbiologisches Schriftstellertalent 232

Günther kommt nach Uppsala 237

Vom Recht zu leben und dem Recht, Leben zu geben 242

Hilja heiratet 246

Stille aus Övre Soppero 250

Ahnenforschungsfieber 255

Ein Dokument: Hollerithkarten 260

Der heimliche Brief an die Zeitung „Der Nationalsozialist“ 262

„Berühmter deutscher Rassenbiologe in Uppsala“ 267

Bilder, Bilder 270

Hermanns Stimme 273

Maria aus Övre Soppero 275

Nordische Konferenz 280

Lundborg als Diplomat 283

Die Urheimat der Germanen und die ostbaltische Rasse 290

Die Arbeit an dem großen Buch 294

Wie schafft er das? 298

Maria kommt nach Uppsala 303

Das Kind 309

Schwedische Rassenkunde 312

Es dunkelt 318

Maria reist nach Örebro 321

(9)

Inhaltsverzeichnis

Der Jubilar entzieht sich 323

Marias Plan 327

Ein Dokument: Vom Jugendamt in Örebro 329

Fünfter Teil

Die letzten Jahre (1929–1943) 331

Hermans letzte Jahre am Institut 333

Die große „Lappenuntersuchung“ 340

Wie ging es weiter mit Herman, Maria und Allan? 346

Der Kreis schließt sich 353

Der Brief von SS-Chef Himmler 357

Anmerkungen 367

Auch ein „Begleitwort“: Herman Lundborg in Deutschland

Uwe Puschner 441

Quellen- und Literaturverzeichnis 451

Abkürzungen 451

Ungedrucktes Material 451

Internetressourcen 452 Interviews 452

Gedruckte Quellen 452

Bildnachweise 468

Personenregister 469

Ortsregister 475

(10)

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Anthropologische Karte Schwedens 68

Abbildung 2: Tabelle mit Daten aus dem Buch The Anthropometry

of the Swedish Lapps (1941) 98

Abbildung 3: Von Herman Lundborg entwickeltes Untersuchungsformular 198 Abbildung 4: Formular zur „rassenbiologischen Personenbeschreibung“ 232 Abbildung 5: Langschädel und Kurzschädel von der Seite und

von oben gesehen 234

Abbildung 6: Lochkarte aus dem großen Buch The Racial Characters

of the Swedish Nation 235

Abbildung 7: SS-Rassenuntersuchungskarte 1942 338

Abbildung 8: Hollerithkarte aus dem SS-Rasse- und Siedlungshauptamt 339

Tabelle 1: Zusammenfassende Zahlen zu den durch das Staatliche Institut für Rassenbiologie untersuchten Personen,

Stand Ende September 1923 213

(11)

Danksagung

Allerwärmsten Dank an alle, die geholfen haben! Viele haben mit Rat und Unterstüt- zung dazu beigetragen, dass dieses Buch als ideengeschichtliche Studie im Genre histo- rische Sachliteratur zustande kam.

Entscheidenden Anteil an der deutschen Ausgabe hat Krister Hanne. Seine Rolle war weit mehr als nur die des Übersetzers – ein an sich schon anspruchsvoller Auftrag mit vielen Herausforderungen in Form von Begrifflichkeiten aus dem Norden Lapplands und einer heute veralteten wissenschaftlichen Begriffswelt. Mein großer Dank gilt ihm auch als Initiator und Fachberater. Er fand die Wege, die es ermöglichten, das Projekt überhaupt zu verwirklichen. Mit großer Sorgfalt ging er außerdem die Quellenhinweise des Buches durch und gab wichtige Hinweise, so dass sie in der deutschen Ausgabe noch besser und genauer stehen als in der ursprünglichen schwedischen. Mit Uwe Puschner hat sich ein ausgewiesener Experte für die Völkische Bewegung bereitgefunden, meiner Erzählung über Herman Lundborg ein gewichtiges Begleitwort beizufügen, wofür ich ihm ebenfalls sehr herzlich danke.

Dank auch an die Professoren Bernd Henningsen und Thomas Mohnike, die früh den Wert einer deutschen Übersetzung hervorhoben. Diese konnte schließlich durch groß- zügige Förderung von Seiten der Magnus-Bergvall-Stiftung, des König Gustav VI. Adolf Fond für die schwedische Kultur, der Lars-Hierta-Gedächtnis-Stiftung und des Swe- dish Arts Council finanziert werden. Die schwedische Originalausgabe wurde darüber hinaus durch den schwedischen Schriftstellerverband, die Olle-Engkvist-Byggmästare- Stiftung und die Stiftung Ax:son Johnson gefördert.

Eckhard Tampe, ein in Schweden lebender deutschstämmiger Arzt, hat umfangrei- che und bedeutsame Arbeit geleistet, indem er während meiner Recherchen vor dem Schrei ben riesige Mengen deutschsprachiger Briefe, Vorträge und Artikel übersetzte und meine Fragen zur Welt der Medizin und zur deutschen Geschichte beantwortete.

Auch viele Freunde haben mit klugen Anmerkungen geholfen. Der Historiker Lars Ils- hammar hat wichtige Nachforschungen in den Melderegistern angestellt, wer jene mys- tische Maria war, die Lundborg geheiratet hat. Die damalige Studentin und heutige Mu- seumskuratorin Azmara Nigusse war mir bei der Suche in Archiven und Bibliotheken sowie bei der Bearbeitung der Briefe in Lundborgs Sammlung behilflich. Die Künstle- rin Katarina Pirak Sikku in Jokkmokk hat ihr Wissen über das samische Erbe und das Leben in der Welt der Fjälls mit mir geteilt. Der Historiker Curt Persson in Luleå hat im Hinblick auf die Geschichte Norrbottens, das tornedalfinnische Erbe und den Gru- bendirektor in Kiruna geholfen. Professor emeritus der Ideen- und Wissenschaftsge-

(12)

Danksagung

schichte Gunnar Broberg in Lund hat geduldig meine viele Fragen zu seinen Erinnerun- gen aus der Zeit seiner frühen Forschungen zum Rassenbiologischen Institut und zur internationalen rassenhygienischen Bewegung beantwortet. Bei Nachforschungen in Deutschland habe ich Hilfe von Prof. Dr. Luitgard Löw, Dr. Lothar Pahl und Christian Tietz erhalten. In Schweden hat das Personal der Universitätsbibliothek Uppsala, allen voran Åsa Henningsson in der Karten- und Bilderabteilung, meine Nachforschungen sehr hilfreich unterstützt. Auch Stefan Nilsson im Stadtarchiv Örebro, Johan Sjöberg im Archiv der Universität Uppsala und Stefan Lundmark im Volkskulturarchiv in Umeå, haben wichtige Puzzleteile beigesteuert.

Das inhaltsreiche Register ist von der Korrekturleserin der schwedischen Originalaus- gabe, Karin Olsson, erstellt und von Olavi Korhonen um samische Ortsnamen ergänzt worden. Auch Björn Forseth und Jimmy Gärdefors haben in Ortsnamensfragen gehol- fen. Jimmy Gärdefors hat außerdem Briefe aus dem Meänkieli ins Schwedische über- setzt. Während der Recherche haben zudem John Hagström, Henning Johansson und Eva Stenberg mit Übersetzungen geholfen.

Verleger Stefan Hilding vom Norstedts Verlag war, enthusiastisch und klug, eine wich- tige Stütze während des Schreibens. Lektor Lars Molin hat die Erzählung stilsicher und mit Gefühl für das Gewicht des Dokumentierten einerseits als auch andererseits dafür, wo die Grenze liegt zwischen dem Mitgeteilten, dem Gesagten, und dem, was man im Schatten dahinter erahnen kann, geprüft.

Last but not least hat mein geliebter Lebensgefährte Claes Gabrielson die ganze Zeit über gelesen, diskutiert, mich inspiriert und so schwierige Fragen gestellt. Zusammen haben wir einen Dokumentarfilm über Herman Lundborg gemacht, der unter dem Ti- tel „What measures to save a people?“ auch auf Englisch zu sehen ist. Das war ein Aben- teuer, bei dem wir vielen Menschen begegnet sind und vieles erlebt haben, das diesen Bericht stark beeinflusst hat. Aber vor allem: Danke, mein Geliebter, dass Du immer da warst.

Stockholm, im Februar 2020 Maja Hagerman

(13)

Einleitung

Ein schwedischer Rassenbiologe zwischen Lappland und Deutschland

Die Giganten der schwedischen Wissenschaftsgeschichte ruhen unter Schatten spen- denden Bäumen auf dem Alten Friedhof in Uppsala. Auf vielen Grabsteinen dort stehen Namen, die mit großen Entdeckungen und bahnbrechenden Leistungen verbunden sind. Dort kann man aber auch Namen lesen, die für große Irrtümer der Wissenschafts- geschichte stehen, und auch die sind interessant. Ein Buch über den Professor der Ras- senbiologie Herman Lundborg ist in gewisser Weise eine Auseinandersetzung damit, was Wissenschaft ist oder sein kann. Was es heißt, zu wissen – oder zu wissen zu glau- ben. Und was die Überzeugung mit einem Menschen machen kann.

Die Rassenbiologie ist noch in keinem Standardwerk der Geschichtswissenschaft beschrieben worden, gleichwohl ist sie Teil der europäischen und auch der schwedi- schen Vergangenheit. Lange hat es geheißen, dass diese Wissenschaft nicht bedeutsam gewesen sei und daher nicht mehr als eine beiläufige Erwähnung verdiene. Ich glaube aber, dass ihre Bedeutung tatsächlich gewachsen ist. Gerade in unserer Zeit müssen wir wissen, wie die Rassenlehren aussahen, die den Nationalsozialismus Form annehmen, Wurzeln schlagen und als Bewegung erstarken ließen.

Zu definieren, wer einer anderen Rasse angehörte, war Herman Lundborg zufolge eine Frage des Sehens. Er sammelte Körpermaße sowie Angaben zu Haar-, Haut- und Augen- farbe und dokumentierte das Aussehen von Menschen in Schweden auch fotografisch.

Seine Bildersammlung mit Tausenden von Bildern sollte belehren und dem Betrachter die Möglichkeit verschaffen, sein Sehen zu trainieren.

Rassenforschung war in den 1910er bis 1930er Jahren ein wachsendes Fachgebiet der Wissenschaften. In mehreren Ländern wurden neue Universitätsinstitute eingerichtet und Studenten zu Kursen versammelt, die es in dieser Art zuvor nicht gegeben hatte.

Medizinische Verlage gaben Bücher über Rassenlehre heraus – Referenzwerke wie auch Lehrbücher –, und nationale Forschungsprojekte wurden ins Leben gerufen, um die Rassenmischung in der Bevölkerung des jeweiligen Landes zu erforschen.

In Schweden wurde Rassenbiologie als neuer Forschungszweig bereits Anfang der 1910er Jahr an der Universität Uppsala eingeführt. Der einzige Vertreter des Universi- tätsfaches war der Arzt und Psychiater Herman Lundborg, der von vielen seiner Kolle- gen an der Medizinischen Fakultät als einer der weltweit führenden Pioniere auf diesem Feld beschrieben wurde.

(14)

Einleitung

Lundborg publizierte mehrere reich illustrierte Bücher, die meisten davon auf Englisch, aber auch einige auf Schwedisch und Deutsch. Diese großen und schweren Prachtbän- de enthalten Hunderte von Fotografien mit dem Aussehen unterschiedlicher „Rassen- typen“ in Schweden. Hier konnte man den „Nordischen Typ“ sehen (Schweden, von denen man annahm, dass sie Nachfahren der alten Wikinger seien), aber auch andere, die man als fremdrassig bezeichnete, wie den „Lappischen Typ“ oder den „Finnischen Typ“, für den Lundborg ein neues wissenschaftliches Etikett, „ostbaltisch“, einführte.

Lundborg war bemüht, seine Botschaft international zu verbreiten, indem er dafür sorg- te, dass mehrere dieser Bücher in Hunderten von Exemplaren kostenlos, als Geschenke, an Universitätsbibliotheken, Institute, Museen, Akademien und wissenschaftliche Ge- sellschaften in der ganzen Welt verschickt wurden.

Der Begriff „Rassenbiologie“, den er verwendete, um seine neue Forschung zu bezeich- nen, war bereits 1895 von dem deutschen Arzt Alfred Ploetz in seiner Schrift Grundli- nien einer Rassenhygiene lanciert worden. Ploetz hatte diesen Begriff auch im Titel einer Zeitschrift benutzt, die er 1904 gründete, das Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiolo- gie, einschliesslich Rassen- und Gesellschafts-Hygiene (ARGB), und im Jahr darauf hatte er die Gesellschaft für Rassenhygiene gegründet. Ploetz’ Absicht bestand darin, eine rassenhygienische Bewegung ins Leben zu rufen, die sich der Auswahl und Aussonde- rung unter den Menschen und der Frage widmen sollte, wie man mit modernen Mit- teln eine Verbesserung der Bevölkerung erwirken oder durch eine vernunftgesteuerte, wissenschaftlich begründete Kontrolle der „Menschenproduktion“ zumindest eine Verschlechterung vermeiden könne. Sein Ausgangspunkt und rassenhygienisches Ideal war dasselbe wie Lundborgs: die hochgewachsenen, blonden, blauäugigen und weiß- häutigen Menschen, die sie die „Nordische Rasse“ nannten. Die Ideen von rassischer Reinheit und Rassenmischung prägten die Diskussionen der Gesellschaft ebenso wie das Streben, einen „nordischen Typ“ (gelegentlich auch „arisch“ oder „germanisch“ ge- nannt) zu definieren und in der Konsequenz zu schützen. In seiner Programmerklärung von 1907 beschrieb Ploetz als Ziel der Bewegung die Entwicklung einer neuen, biolo- gischen Sichtweise in Richtung eines politischen Programms des Staates. Und da das Engagement für die Rassenhygiene eine existenzielle Frage war, eine Lebenshaltung, ein Bekenntnis, fast eine Religion, musste ein besonderer Geist in der Gesellschaft herr- schen, eine „Begeisterung für menschliche Vervollkommnung“, wie er es nannte.

Den Begriff „Rassenbiologie“ hatte Ploetz als logische Folge bzw. Vorbereitung der Rassenhygiene geprägt. Bevor direkte rassenhygienische Maßnahmen ergriffen werden konnten – um beispielsweise durch Sterilisation unerwünschte Nachkommen zu ver- hindern – war Erkundung und Erforschung nötig, und das leistete die Rassenbiologie.

In Schweden wurde die Rassenbiologie formal 1915 zum wissenschaftlichen Fach an Universitäten, als Lundborg auf eigenen Antrag erster Privatdozent des Landes und auch einer der weltweit ersten Forscher in „Rassenbiologie und medizinischer Verer-

(15)

Ein schwedischer Rassenbiologe zwischen Lappland und Deutschland

bungslehre“ wurde. Sechs Jahre später fasste der schwedische Reichstag zwei wichti- geBeschlüsse, und zwar zum einen, eine Professur für ihn einzurichten, sowie zum an- deren, ein staatliches Institut für Rassenbiologie in Uppsala zu gründen.1 Das Institut erhielt nur eine kleine Zahl von Angestellten und wurde 1922 in Lundborgs Diensträu- men an der Universität eröffnet. Sein Auftrag war es, das schwedische Volk zu retten, indem durch breit angelegte Rassenuntersuchungen herausgefunden würde, wo im Lande das Volk am reinsten sei und wo die Bevölkerung mit anderen wie Finnen und Sámi vermischt worden sei, die nach der Rassenlehre Fremde waren. Lundborg betonte gern, dass das schwedische Institut das erste staatliche rassenbiologische Institut seiner Art in der Welt sei. Gewiss, räumte er ein, sei man auch in der englischsprachigen Welt auf dem Gebiet der Eugenik weit gekommen, in Großbritannien und den USA gebe es bedeutende Forschungsinstitute, die mit privater Finanzierung betrieben würden.

In der deutschsprachigen rassenhygienischen Bewegung befürwortete man jedoch stattdessen die Errichtung staatlicher, zentral kontrollierter Institute in jedem Land. In diesen offiziellen nationalen Büros sollte die Verbesserung der Bevölkerung organisiert werden, hier sollten staatlich angestellte Experten z. B. darüber entscheiden können, welchen Individuen durch Sterilisation das Recht der Fortpflanzung aberkannt werden sollte. Derlei Beschlüsse, meinte man, sollten nicht bei Privatpersonen liegen, seien es nun die Ärzte oder die Patienten.

In der Internationalen Gesellschaft für Rassenhygiene war Herman Lundborg früh mit einem kleinen, aber einflussreichen Kreis von Medizinern und anderen Wissenschaft- lern in Kontakt gekommen, mit Männern wie Alfred Ploetz, Ernst Rüdin und Eugen Fi- scher, die später die rassenhygienische Bevölkerungspolitik im nationalsozialistischen Deutschland mitgestalten sollten.2 Aber Lundborg konnte auch auf eine lange Tradition schwedischer Rassenforschung aufbauen. Die Professoren am Stockholmer Karolini- schen Institut Anders und Gustaf Retzius, Vater und Sohn, hatten im 19. Jahrhundert internationale Anerkennung für ihre Forschung an Schädeln und der Entwicklung ei- nes so genannten „Schädelindex“ als wissenschaftlichem Instrument zur Definition und Einteilung der Menschen in verschiedene Rassen erhalten. Lundborg betrachtete vor allem sich selbst als ihren Nachfolger und erhielt daheim in Schweden die Unterstüt- zung einer älteren Generation von Wissenschaftlern, die mit Gustaf Retzius zusammen- gearbeitet hatten, darunter der Anatom Carl Magnus Fürst und der Archäologe Oscar Montelius.

In der hier vorliegenden Biografie tritt ein bislang unbekanntes Bild von der Tätigkeit Herman Lundborgs hervor. Das Quellenmaterial ist reich und umfassend und liefert einen einzigartigen Einblick, wie das internationale Netzwerk und dessen Zusammen- arbeit in den Glanztagen der Rassenforschung funktionierten. Wie die Rassenforscher in verschiedenen Ländern voneinander abhängig waren und sich darum bemühten, einander zu ihrem Erfolg gegenseitig Unterstützung zu liefern. Dabei handelte es sich

(16)

Einleitung

keineswegs um eine einseitige Vermittlung von einem Zentrum (Deutschland) in eine Peripherie (Nordeuropa), sondern es war ein Geben und Nehmen, das von einem ge- meinsamen Interesse bestimmt war: das Ansehen des Faches, seine Deutungshoheit und seinen Wahrheitsanspruch zu stärken. Die einzelnen Wissenschaftler konnten mit Hilfe der Unterstützung, die Kollegen und Gesinnungsgenossen ihnen über nationale Grenzen hinweg gewährten, ihre jeweilige Position im Heimatland stärken. Die Vorha- ben des schwedischen Rassenforschers Herman Lundborg stehen also im Kontext der Tätigkeit anderswo, in anderen Ländern. Nicht zuletzt war Lundborgs Rassenforschung auch in Deutschland bedeutsam. Seine Karriere an der Universität und die Einrichtung eines rassenbiologischen Instituts in Schweden folgten dem allgemeinen Programm und den Bestrebungen der rassenhygienischen Bewegung. Auf die Dauer stellte seine Rassenforschung eine Art Quittung, eine Bestätigung dafür dar, dass die Verkündigung der Rassenhygieniker in Deutschland tatsächlich wahr sei. Der Professor mit dem staat- lichen Institut in Schweden verkündete dasselbe: Die Rassenlehren stimmten. Jene Lehren, die das Grundfundament des heranwachsenden Nationalsozialismus bildeten.

Einer der bekanntesten Deutschlandkontakte Herman Lundborgs war Hans F. K.

Günther, der später führende Rassentheoretiker im nationalsozialistischen Deutschen Reich, bekannt auch als „Rassengünther“. Mitte der 1920er Jahre wohnte er fünf Jahre lang in Skandinavien, überwiegend in Schweden, aber auch in Norwegen, und diese Jahre zwischen 1923 und 1928 waren eine sehr produktive Zeit. Er selbst hat bezeugt, wie wichtig das Uppsalienser Milieu für seine Verfasserschaft war. Nach dem Erfolg der Nazis bei den Landtagswahlen in Thüringen, wurde er 1930 mit wissenschaftli- chen Empfehlungen von Herman Lundborg zum Professor in Jena ernannt. Als er in der Aula der Universität seine Antrittsvorlesung über „Die Ursachen des Rassenverfalls des deutschen Volkes seit der Völkerwanderungszeit“ hielt, war Adolf Hitler persönlich anwesend.

Als Heinrich Himmler 1932 seinen SS-Befehl A – Nr. 65 mit der Überschrift „Von der Rassentheorie zur Rassentat“ erließ, der darauf hinzielte, die SS zu einer Rassenelite überwiegend deutsch-nordischen Typs zu machen, berief er sich in seinem Schreiben ausdrücklich auf Lundborg. Von all den oben genannten Namen, die für diese Reform bedeutsam waren, ist Lundborg der einzige, der den Titel eines Professors trug und eine offizielle Stellung an einer Universität innehatte. Es kam auch zur Übernahme konkre- ter Praktiken aus Schweden in Deutschland. Als die SS in den 1940er Jahren die Ras- senlehren bei der Umsetzung der sogenannten Volkstumspolitik im Osten anwandte, machte sich ein deutlicher Einfluss der schwedischen Rassenbiologie bemerkbar, in- dem die SS Günthers Einteilung des deutschen Volkes in fünf Rassen verwendete. Als definitiv ungeeignet wurden jene aussortiert, die als dem „ostbaltischen Typ“ zugehörig befunden wurden, jener Rasse, die Günther als „Rasse“ in seine Bücher aufgenommen hatte, nachdem er sie in Uppsala zu „sehen“ gelernt hatte.

(17)

Ein schwedischer Rassenbiologe zwischen Lappland und Deutschland

Aus der Arbeit an diesem Buch hat sich aber auch ein neues Bild im Hinblick darauf er- geben, was während Lundborgs vielen Reisen in Lappland vor sich ging. Er begann sein

„rassenbiologisches“ Forschungsprojekt im Herbst 1912, nachdem er gerade von einem längeren Aufenthalt in Deutschland zurückgekehrt war. Im Frühjahr 1913 begab er sich auf seine erste Reise nach Lappland, um seine Felduntersuchungen dort zu beginnen.

Das Quellenmaterial liefert einzigartig detaillierte Einblicke in die Ereignisse im Feld, wenn der hochgestellte Professor armen und kaum gebildeten Personen begegnete, die Samisch oder Meänkieli3 als Muttersprache hatten, die er nicht verstand, sondern als fremd empfand. Diese Leute mussten untersucht und der wissenschaftlichen Prüfung einer Art unterzogen werden, die sie weder verstanden noch sich aneignen konnten.

Lundborgs Rassenbiologie fügte sich nahtlos in die Bestrebungen des Nationalstaats nach Kontrolle über die Gebiete, in denen diese „Anderen“ lebten, um sich die dort vorhandenen Naturressourcen anzueignen. Während jener Jahre schritt die Industriali- sierung im Norden des Landes durch den Ausbau von Gruben, Wasserkraft und Forst- wirtschaft voran, und Lundborgs rassenbiologische „Forschung“ fungierte dabei als eine Art „wissenschaftliche“ Rechtfertigung dieses Vorgehens. Grubendirektoren, Lap- penvögte, Ärzte, Lehrer, Pastoren und andere Repräsentanten der Obrigkeit konnten in Lundborgs rassenbiologischen Theorien eine moderne naturwissenschaftliche Bestäti- gung ihrer bereits vorhandenen herablassenden Attitüde gegenüber jenen Bewohnern Nordschwedens finden, die nicht Schwedisch als Muttersprache hatten.

Das Rassenbiologische Institut in Uppsala war eine staatliche Behörde und stellte da- her hohe Ansprüche an Dokumentation und Archivierung. Ich war erstaunt darüber, wie groß die Menge des erhaltenen Materials ist. Nicht nur Protokolle, sondern auch Briefe – 13.000 Schreiben ein- und ausgehender Post – und Quittungen. Auch eine Sammlung mit über 3.000 privaten Briefen an Herman Lundborg ist im Archiv der Uni- versitätsbibliothek Uppsala erhalten, und anhand dieser Sammlung kann man viel über Lundborgs private Beziehungen und seine Liebe erfahren. Das ist interessant, denn die rassenbiologische Botschaft handelt ja eben gerade vom Liebesleben der Menschen, davon, wer als Partner und zur Fortpflanzung geeignet ist. Lundborgs eigene Liebes- geschichte wirft zweifellos ein unerwartetes Licht auf seine eigenen Theorien. Er hatte Familie – Frau und zwei Söhne – in Uppsala, aber während seiner Reisen in Lappland begegnete er einer Frau, die er mit ans Institut nach Uppsala brachte, damit sie dort wohnen und als Putzfrau arbeiten konnte. Und bald gebar sie ihren gemeinsamen Sohn.

Auf dem Alten Friedhof, auf dem Grab von Herman Lundborg, steht ein hoher Stein mit der Inschrift „Die Unruhe der Welt weicht dem Frieden, der dauert“4. Dort im Fa- miliengrab ruhen sie nun alle zusammen. Ich habe mich gefragt, wie es für Maria ge- wesen sein muss, mit Herman Lundborg zusammenzuleben, und für ihr Kind Allan, der Sohn dieses Mannes zu sein, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, vor

„Rassenmischung“ zu warnen und der im Laufe der Zeit Hitler und das nationalso-

(18)

Einleitung

zialistische Deutschland offen unterstützte. Eigentlich war diese Verwunderung der Ausgangspunkt meiner Erzählung über Herman Lundborg und meiner Suche nach der Geschichte Marias und ihres Sohnes.

Im Laufe der Arbeit bin ich auch in Kontakt mit mehreren Personen gekommen, die mir ihre Erinnerungen mitgeteilt haben, u. a. ein pensionierter Professor der Genetik, der als junger, frisch angestellter „Rassenbiologe“ Anfang der sechziger Jahre in dem Haus, in dem das Institut untergebracht war und seine Tätigkeit ab 1958 unter dem Namen Institut für Medizinische Genetik als Teil der Universität fortsetzte, seinen Dienst antrat. Er erinnert sich, wie er gelegentlich durch das Fenster draußen auf dem Hof eine ältere Frau sah. Das war Maria. Und er erinnert sich auch noch an den unan- genehmen Tonfall von Abneigung und Belächeln, in dem gewisse Kollegen unter den Wissenschaftlern sprachen, wenn sie erzählten, um wen es sich handelte: die lappländi- sche Liebe des längst verstorbenen Professor Lundborg. Noch lange nach dem Tod des Professors wohnte sie also weiter in den Räumlichkeiten.

Im Gange der Arbeit haben sich auch weitere interessante und erschreckende Perspek- tiven eröffnet. Dieser Bericht über Herman Lundborg ermöglicht einen Blick darauf, was die Rassenbiologen eigentlich mit Menschen taten. Man erfährt, wie die Rassenhy- giene als gedankliches Universum einen Menschen verschlingen kann. Wie eine drän- gende Ambition, ein Streben etwas zu leisten – und auch Gutes zu tun, zu helfen – zu etwas anderem geraten kann. Dies ist auch eine Geschichte darüber, was Wissenschaft sein kann. Was es bedeutet, etwas zu wissen – oder zu wissen zu glauben. Und was die Überzeugung mit einem Menschen machen kann. Die Frage, die Herman Lundborg formulierte, war falsch gestellt. Es gibt keine Menschenrassen in der Art, wie er sie sich vorstellte. Aber man kann sich fragen, was er dachte. Wie es in diesem so ganz anderen Gedankenuniversum aussah. Wie hat es sich angefühlt, eine Überzeugung in sich zu tragen, die uns heute so absurd erscheint?

Es ist gefährlich, die gedankliche Welt der Rassenbiologie zu betreten. Es geht darum, die gängige Ethik abzuschaffen und es stattdessen für sinnvoll und legitim zu halten, eine neue einzuführen – eine Ethik, die davon ausgeht, dass die Menschen unterschiedli- chen Wert besitzen. Diese Sichtweise kann sich einätzen und einen von innen vergiften, die Gefühle, die Wahrnehmung, die Vernunft und das Einfühlungsvermögen beeinflus- sen. Denn wie fühlt es sich an, wenn man zu wissen glaubt, ein Übermensch zu sein, Vertreter einer überlegenen Rasse, für den die üblichen Regeln der Moral nicht länger gelten? Das Schicksal der Menschheit hängt dann davon ab, dass man seine Exklusivität verteidigt. Im Keller der Bibliothek sind die Kursliteratur und die Lichtbilder erhalten, die bei Vorlesungen in Rassenlehre verwendet wurden, in denen den Studenten all dies als wissenschaftlich begründetes biologisches Recht vermittelt wurde, andere als unter- legen und minderwertig zu behandeln.

(19)

Ein schwedischer Rassenbiologe zwischen Lappland und Deutschland

Heute ist der Inhalt dieser Rassenlehren zu einem großen Teil im Internet zugänglich.

Es scheint, als würden die Schwellen ausgetreten und die Tabus, mit denen diese Ideen belegt waren, immer kleiner. Es ist jedoch keine mystische Urkraft, die Menschen daran anzieht. Es ist eine politische Bewegung mit einer spezifischen Agenda. Es ist meine Überzeugung, dass das Wissen über die Ideen dieser Bewegung uns vor dieser Anzie- hung schützen kann.

(20)
(21)

Erster Teil

Der Weg in ein rassenbiologisches Universum (1895–1912)

„Wenn ich nur eine medizinische Abschlussprüfung abgelegt habe, steht mir ja die ganze Welt offen.“5

Herman Lundborg an Gustaf Retzius 1895

(22)
(23)

Der Arztberuf lockt

Beim Anblick einer anatomischen Sammlung gibt es vieles, was einen erstaunt und zum Nachdenken anregt. Wie entstehen die Organe, wie entstand das Gehirn, und wie ver- schieden sind Gehirne? Warum sind manche Gehirne klug und kulturschaffend und andere erbärmlich? Wer ist der Mensch eigentlich?

Herman Lundborg ist naturwissenschaftlich veranlagt. Schon früh weiß er, dass er Arzt werden möchte, und bereits während der Schulzeit dürfte er das anatomische Museum im Karolinischen Institut (Karolinska Institutet, KI) in Stockholm besucht haben. Er träumt davon, Forschungsreisen zu unternehmen, eines der wissenschaftlichen Rätsel in Angriff zu nehmen, über die man dort zwischen in Glasgefäßen eingelegten Körper- teilen und reihenweise Regalen voller Schädel fantasieren kann. Im Frühjahr 1887 legt er 19-jährig am traditionsreichen Gymnasium Södra Latin in Stockholm das Abitur ab.

Und mit der ganzen Verwegenheit eines jungen Menschen stürzt er sich in die ärztli- che Wissenschaft, nimmt im Herbst in Uppsala ein Studium der Medizin auf. Er ist fest entschlossen, etwas Wichtiges im Leben zu leisten. Unsicher zwar darüber, was das sein wird, aber etwas Großes soll es sein.

Sein Vater, dessen Namen er trägt, ist Eisenbahnbauer, Major beim Weg- und Wasserbau- korps und Oberingenieur bei der Staatlichen Eisenbahngesellschaft. Er leitet große Bau- projekte, und die Familie zieht mit ihm, wohin die Arbeit ihn verschlägt. Sechs der sie- ben Geschwister werden mit nur gut einem Jahr Abstand geboren, alle an verschiedenen Orten des Landes. Axel, der Älteste, kommt in Småland zur Welt. Danach die Schwester Elma, geboren in Tibble Vassunda, der nächste Bruder, Hjalmar, in Solna, als der Va- ter den Auftrag hat, die Erzbahn Stockholm–Uppsala mit Zwischenstation in Knivsta zu bauen. Herman, der die Nummer vier in der Geschwisterschar ist, wird weit davon entfernt im Kirchspiel Väse in der Provinz Värmland geboren. Da ist der Vater mit der Erzbahn über Kristinehamn Richtung Karlstad und weiter nach Norwegen beschäftigt.

In einer Familienchronik wird berichtet, dass Herman jenes der Kinder war, das als Säugling fast gestorben wäre. Er war in seinem ersten Lebensjahr so schwächlich, dass seine Mutter Maria ständig ein Auge auf ihn hatte, und zwar so sehr, dass ihre Umge- bung sich große Sorgen über ihre eigene Gesundheit machte. Ihr Mann behauptete, dass sie über ihre Anstrengungen für den Kleinen um zehn Jahre gealtert sei, und die Familie befürchtete, dass sie auch das nächste Kind verlieren würde, denn Maria war schon wieder schwanger.

Wer einen solchen Start ins Leben hat – und später in seiner Jugend dies alles über sein erstes Lebensjahr zu hören bekommt – entwickelt vielleicht ein besonderes Bedürfnis, etwas zu leisten, seinen Nächsten zu zeigen, dass man all diese Opfer wert war. Sicher

(24)

Erster Teil: Der Weg in ein rassenbiologisches Universum (1895–1912)

lässt sich das nicht wissen, aber wenn man Herman Lundborg später in seinem Leben begegnet, ist man von der enormen, ja fanatischen Energie beeindruckt, die er für be- stimmte Aufgaben aufbringen kann, die er sich vorgenommen hat. Manchmal wundert man sich ganz einfach, woher die Kraft dafür kam.

Auch Hermans Gesundheit wurde von seinem schweren ersten Lebensjahr beeinflusst.

In der Familienchronik steht zu lesen: „Sehr stark wurde er nie, aber sein froher Mut und seine beständige Energie haben ihm über viele Schwierigkeiten hinweggeholfen, die ihm eine schwache Gesundheit insbesondere während der Jugendjahre in den Weg gelegt hatte.“6

Eisenbahner sind Nomaden, sagte man in der Familie. Der nächste Umzug führte sie nach Arvika, dann ging es für eine kürzere Zeit nach Uppsala und schließlich weiter nach Falun und Vänersborg. Als Herman neun Jahre alt war, kam die Zeit, erneut aufzu- brechen. Jämtland rief, die Eisenbahn Richtung Östersund und hoch bis Storlien, dann weiter durch die Bergwelt nach Norwegen. Die Schwester Elma berichtet: „Unser Vater stand nun in seiner vollen Manneskraft und ging ganz in seiner Arbeit auf, mit einem Stab von fähigen Ingenieuren die Wildnis zu bezwingen und den Weg durch die Berge zu bahnen. Wir Kinder haben ihn ungeheuer bewundert, wenn er groß und kräftig in seinem Wolfspelz, der mit einer bunten Gürtel zusammengehalten wurde, mit Pelzmüt- ze und hohen Pelzstiefeln fertig da stand, um sich auf seine zig Kilometer weite Reise ins Gebirge zu begeben.“7 Sein Gebiet erstreckte sich bis an die norwegische Grenze, und als er einmal seine Frau mit auf eine längere Reise nahm, um die Gegend zu be- sichtigen, erinnerte sie sich anschließend: „Hoch oben auf einem Berg, wohin zuvor kaum ein menschliches Wesen vorgedrungen war, waren nun ordentliche Wohnungen und weiße, einladende Zelte für die Leute eingerichtet worden. 700 Eisenbahnarbeiter hatten dort oben ihren Platz.“8

In Jämtland blieb die Familie fünf Jahre lang. Als die Bahn im Juli 1882 unter großen Festlichkeiten eingeweiht wurde, war Herman vierzehn Jahre alt und sicher stolz da- rauf, was sein Vater geleistet hatte. Der nächste Auftrag wartete in Hälsingland. Aber während die Familie weiter nach Söderhamn zog, ging es für die älteren Geschwister stattdessen nach Stockholm, um Bildung zu erwerben, das Gymnasium zu besuchen und an der Universität zu studieren.

Einige Jahre später ändert sich alles ganz schlagartig. Der Vater stirbt unerwartet früh, nur 54 Jahre alt, für die Familie ein schwerer Schlag. Bis zuletzt hatte er, trotz nachlas- sender Gesundheit, weiter gearbeitet. Seine Angehörigen hatten von der Krebsdiagnose erst eine Woche vor seinem Tod im Stockholmer Krankenhaus Sabbatsberg am Mitt- sommerabend, dem 23. Juni 1888, erfahren.

Herman hatte sich früher in seinem Leben nie Gedanken um sein Auskommen machen müssen. Die Jahre nach dem Tod des Vaters waren auch in dieser Hinsicht schwer. Die

(25)

Der Arztberuf lockt

Familie war zwar nicht verschuldet, verfügte aber über keine größeren Ersparnisse. Die Mutter und die jüngeren Geschwister verließen Söderhamn Hals über Kopf und ka- men nach Stockholm, wo der älteste Bruder Axel ihre Versorgung übernehmen musste, denn er hatte eine Anstellung bei der Eisenbahn, war Buchhalter bei der Königlichen Eisenbahnverwaltung. Die große Schwester Elma hatte inzwischen ihr Lehrerinnenexa- men abgelegt und unterrichtete an der Beskowschen Privatschule. Auch sie konnte so mithelfen, die Familie zu retten. Axel und Elma zogen außerdem mit Hermans Mutter in der Västmannagatan 33 zusammen, um sich um sie zu kümmern. Die beiden ältes- ten Geschwister heirateten nie oder gründeten sonst eine Familie, sondern lebten auch sehr viel später noch zusammen. Für den nächstälteren Bruder Hjalmar brachten die Schwierigkeiten mit sich, dass er sein Jurastudium abbrechen musste, obwohl er schon fünf Jahre absolviert hatte. Er und der jüngste Bruder Ragnar unternahmen später einen Versuch, nach Transvaal in Südafrika auszuwandern, „ein Land, wo sich man durch ei- gene Arbeit besser durchschlagen konnte“,9 kehrten aber wieder zurück. Hjalmar schlug dann eine Laufbahn als Rektor ein, während Ragnar Redakteur wurde. Die jüngeren Schwestern, Maria und Nanna, erhielten ebenfalls Versorgungsmöglichkeiten durch eine Lehrerinnenausbildung, heirateten später jedoch.

Der Einzige der sieben Geschwister, der ein höheres Examen ablegte, war Herman. Das zeugt sicher von seinem Arbeitsvermögen, seiner Triebkraft und seiner Willenstärke, oder dem, was Elma „seinen frohen Mut und beständige Energie“10 nannte. In einem Brief schreibt er selbst über diese Zeit: „Da ich nicht über vermögende Verwandtschaft verfüge, war ich ausschließlich auf mich selbst angewiesen. Durch stundenweisen Un- terricht und Anstellungen als Hauslehrer konnte ich mich jedoch durchbringen.“11 Nach dem Tod des Vaters verlässt Herman Uppsala und setzt seine Studien am Karo- linischen Institut in Stockholm fort. Diese Adresse strahlt während dieser Jahre einen Geist der Zukunft aus. Das Institut liegt an der Hantverkargata im östlichen Teil der Insel Kungsholmen, und hier, in einem recht neuen Gebäude, befindet sich das Ana- tomische Institut mit seinem Museum neben weiteren Abteilungen, in denen jetzt Forschung stattfindet, die eine bessere Zukunft verspricht. Am Histologischen Institut kann man mit Hilfe modernster Mikroskope Gewebe und Bakterien untersuchen, um Krankheiten wie Tuberkulose, Milzbrand und Cholera zu heilen. Bei den Pharmakolo- gen gibt es Laboratorien, in denen Impfstoffe und neue Medikamente zum Wohle des Menschen erprobt werden. Und dann gibt es noch die Abteilung für Hygiene.

Hygiene ist das Modewort. Es geht um Mundhygiene, persönliche Hygiene, Hygiene im Haushalt oder um soziale Hygiene (womit gemeint sein kann, dass man die schmut- zigen Winkel der Gesellschaft säubert, ganz so wie man auch zu Hause putzt). In der gesamten Gesellschaft sind groß angelegte Aufklärungs- und Reinigungsarbeiten im Gange. Es ist ein Kreuzzug gegen schmutzige Unterwäsche, schlechtes Trinkwasser, mangelnde Schmutzwasser- und Abfallentsorgung und ungesunde Wohnungen. Sozi-

(26)

Erster Teil: Der Weg in ein rassenbiologisches Universum (1895–1912)

ale Missstände können mit Hilfe der Wissenschaft bekämpft werden, lautet die Bot- schaft. Die Ärzte sind die treibende Kraft, mit medizinischem Wissen können sie sich Unkenntnis, Vorurteilen und falschen Autoritäten entgegenstellen.

Die Hygiene hat viele Fürsprecher. Sie nimmt die Form einer Ideologie an, die in den Jahrzehnten um 1900 alle verschlossenen Tore weit öffnen, lüften, aufklären und verborgene Winkel kontrollieren will.12 Der Körper soll bejaht werden, es ist Zeit für ein vorurteilsloses Gespräch über das neue Wissen um den Körper, alles Tabubelegte soll beim Namen genannt werden. Die Ärzte sind dazu berufen, die Verkünder dieser Wahrheit zu sein und als Freidenker sachliche Auskünfte zu erteilen und vorurteilsfreie Aufklärung zu betreiben. Gerade sie können – wie fast niemand sonst während dieser Jahre – mit der Natur als Waffe Gott selbst herausfordern.

Die Reinheitslehre kann sich auf alles beziehen: den Haushalt, die Kommune, die Nati- on oder auch auf das, was sich ganz im Innern des menschlichen Körpers befindet, die Erbanlagen. In Großbritannien gibt es die Erbhygiene. Das ist eine von Francis Galton begründete Wissenschaft, die sich mit der genetischen Verbesserung der Bevölkerung befasst. Galton nennt sie Eugenik – das Wort verwendet er 1889 zum ersten Mal – und bezeichnet sie sogar als eine „neue Religion“.13 Galton möchte, dass die Eugenik zu ei- ner sozialen Bewegung heranwächst, die das nationale Bewusstsein des gesamten briti- schen Volkes durchdringt.

Einige Jahre später, 1895, prägt ein deutscher Arzt, Alfred Ploetz, einen ähnlichen Be- griff: „Rassenhygiene“.14 Obwohl es Rassenlehren auch schon bei Galton gibt, betont er die Bedeutung der Rasse etwas stärker. Ploetz hatte in den USA gearbeitet und war von der amerikanischen Rassenpolitik beeinflusst worden. Nachdem 1865 die Sklaverei ab- geschafft worden war, hatte man im ganzen Süden strenge Rassengesetze erlassen, die zu einer Rassentrennung führten und fast alle Bereiche der Gesellschaft durchdrangen.

Mit Spenden des Industriellen Andrew Carnegie gründeten die Amerikaner ein priva- tes Rassenforschungsinstitut und gaben besondere Zeitschriften heraus, die sich aus- schließlich mit Fragen der Rassenveredelung befassten. In den meisten amerikanischen Bundesstaaten galten strenge Eheschließungsgesetze, nach denen die Rassenmischung zwischen Weißen und Andersfarbigen verboten war, und wer die Grenze zwischen den Rassen durch Ehe oder sexuellen Umgang überschritt, konnte zu bis zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt werden.

Obwohl seine Texte manchmal in der von der Eugenics Education Society herausge- gebenen Zeitschrift The Eugenics Review erscheinen werden, wird Lundborg keinen besonders engen Kontakt mit der englischen Eugenik bzw. deren Vereinigung pflegen.

Gegen Galtons Nachfolger Karl Pearson hegt er sogar eine direkte Abneigung, denn der war ja nicht einmal Arzt, sondern nur Statistiker. Lundborg wird sich stattdessen sehr

(27)

Der Arztberuf lockt

stark an die deutsche Rassenhygiene anlehnen, möchte sich aber auch den Amerika- nern annähern, die sich mit Rassenveredelungsfragen beschäftigen.

Genau wie Galton möchte auch Ploetz, dass die deutsche rassenhygienische Bewegung eine Wissenschaft wird. Bis die Rassenhygiene Schweden erreichen wird, dauert es je- doch noch einige Jahre.

(28)

Erster Teil: Der Weg in ein rassenbiologisches Universum (1895–1912)

Die Rassenforscher

Anfang der 1890er Jahre hört Herman Lundborg mit Begeisterung die Vorlesungen von Anatomieprofessor Gustaf Retzius. Wenn irgendjemand die Skelette und Schädel in der anatomischen Sammlung des Karolinischen Instituts in neuem Licht erscheinen lassen kann, dann ist er es. Retzius ist der bekannteste Rassenforscher Schwedens und forscht u. a. über die Schädelformen unterschiedlicher Rassen.15 Er hat auch ein besonderes In- teresse an Gehirn und Nervensystem und kann von Untersuchungen an menschlichen Gehirnen aus verschiedenen Teilen der Welt berichten. In den USA hat man die Ge- hirne von Indianern mit denen von Nachfahren afrikanischer Sklaven verglichen, aber keine besonders interessanten Abweichungen entdeckt, erklärt er.

Nun ist es zwar möglich, dass das Studium der Rassengehirne zu keinen grossen Ergeb- nissen führen wird. Die wenigen bisher genau durchgeführten Untersuchungen solcher Gehirne sind in dieser Hinsicht nicht besonders ermuthigend. […] jedenfalls ist es eine Pflicht der heutigen Wissenschaft, ein so bedeutungsvolles Gebiet ernsthaft durchzuar- beiten […].16

Retzius selbst hatte Gelegenheit, das Gehirn des 42-jährigen „Lappländers“ Nils Lars- son aus Arvidsjaur zu untersuchen. Gehirne von „Lappen“17 sind ansonsten schwer zu bekommen:

Wegen der Entlegenheit des schwedischen Lapplands von unserer Hauptstadt kommen Individuen dieses merkwürdigen Nomadenvolkes nur selten hierher. Ausserordentlich selten stirbt deshalb ein Lappländer in den Stockholmer Krankenhäusern. Die Lapp- länder sind friedliche Leute; grosse Bösewichter sind unter ihnen sehr selten. Darum kommen lappische Individuen auch nur äusserst sparsam in den hiesigen Strafanstalten vor. Die bisweilen vorhandenen sind gewöhnlich Rennthierdiebe, welche nach beendigter Strafzeit wieder losgelassen werden.

Am 31. October 1888 starb indessen im Gefängnis Langholmen bei Stockholm ein Lappländer, welcher zum fünften Mal wegen Diebstahl bestraft worden war. Seine Lei- che wurde, den Verordnungen gemäss, dem anatomischen Secirsaal des Carolinischen Institutes überlassen.18

Um das Gehirn zu konservieren, wurde eine 93-prozentige Jodalkohollösung in die Blutgefäße gespritzt, berichtet Retzius.

Eine Stunde danach wurde das Schädeldach vorsichtig abgesägt. Es zeigte sich dabei, dass das somit in situ injicirte Gehirn sehr schön erhärtet worden war und gleich unter Beibehaltung der natürlichen Gestalt herausgenommen werden konnte. […]

(29)

Die Rassenforscher

Aus dieser Beschreibung, in Verbindung mit den beigefügten Abbildungen geht nun her- vor, dass dieses Gehirn eines echten Lappländers im Ganzen die typische Gestalt eines brachycephalen [kurzschädeligen] Gehirns besitzt, sonst aber, in Betreff der Anord- nung der Furchen und Windungen, keine ethnisch charakteristische [!] Eigenthüm- lichkeiten aufzuweisen hat. […]

In Betreff des Gewichtes des Gehirns ist dieses im Verhältniss zu der geringen Körperlän- ge des Mannes recht bedeutend.19

Retzius verglich Nils Larssons Hirnvolumen mit dem der in der anatomischen Samm- lung vorhandenen samischen Schädel, indem er die Schädel mit Bleikugeln füllte. Auf diese Weise konnte er berechnen, dass sie alle ein Gehirn mit einem Gewicht von etwa 1.400 Gramm enthalten hatten:

Im Allgemeinen scheint hiernach das Gewicht der Lappländergehirne nicht gering zu sein, besondere wenn man bedenkt, dass dieses Volk in der Regel eine geringe Körperlän- ge hat. […] Das Gewicht (ca. 1460 Gramm) des hier genauer beschriebenen Gehirns des 42-jährigen Nils Larsson aus Arvidsjaur ist deshalb nicht als eine besondere und sel- tene Ausnahme zu betrachten.20

Die meisten „Lappenschädel“ des Karolinischen Instituts waren von Gustaf Retzius’

Vater, Professor Anders Retzius, angeschafft worden. Sie stellten einen besonderen und einzigartigen Teil der wissenschaftlichen Sammlung dar, denn diese Schädel ermöglich- ten es dem Karolinischen Institut, eine besondere Art der Rassenforschung zu betrei- ben.

Überall, wo Ärzte ausgebildet wurden, gab es anatomische Sammlungen, denn die wurden im Unterricht verwendet. Die Sammlung des Karolinischen Instituts war zum größten Teil aus den sterblichen Überresten von Schweden und in gewissem Umfang Finnen angelegt worden. Dabei handelte es sich um massenweise Körper von Gefan- genen und Patienten, die in Gefängnissen und Anstalten der Gegend um Stockholm gestorben waren. Mit Sámi war es hingegen schwieriger, und daher waren die „Lappen- schädel“ – 22 an der Zahl – für die Wissenschaft so besonders interessant. Keine andere anatomische Sammlung in der ganzen Welt besaß so viele davon.

Anders Retzius war mit seiner Rassenforschung international berühmt geworden, und diese Forschung hatte er u. a. gerade anhand dieser Schädel betrieben, indem er sie mit Hunderten von anderen verschiedener Provenienz verglich, die in den Regalen des KI lagerten. Er hatte sie dazu benutzt, die Menschheit nach der Kopfform in Rassen ein- zuteilen.21 An die „Lappenschädel“ war er während der dreißig Jahre, in denen er Rek- tor des Instituts war, auf verschiedenen Wegen gekommen.22 Einige bekam er von be- freundeten Wissenschaftlern, die auf Expeditionen im Norden gewesen waren und ihm dabei hatten behilflich sein wollen, das Rätsel der menschlichen Rassen zu lösen. Der

(30)

Erster Teil: Der Weg in ein rassenbiologisches Universum (1895–1912)

Lundenser Professor Johan Wilhelm Zetterstedt hatte sich aufgemacht, um Insekten zu sammeln, hatte aber auch die sterblichen Überreste eines gewissen „Butter-Thomas“, Tomas Ersson Njajta, der 1827 nur 36-jährig in Sorsele gestorben war, mitgebracht.23 Viele Zugänge stammten von dem Provinzialarzt Doktor J. A. Lindström. Der kam oft an Körper heran, als er während der 1840er Jahre in der nordschwedischen Provinz Västerbotten rechtsmedizinische Obduktionen durchführte. Lindström übergab ein Mädchen aus Vilhelmina, das im Alter von nur zwei Jahren gestorben war, einen 80-Jäh- rigen aus Arvidsjaur in der Pite-Lappmark sowie die Schädel eines Mannes aus Skellef- teå, eines Mannes aus Fredrika sowie eines Mannes und einer Frau aus Lycksele.

Einige der Schüler von Anders Retzius wurden Provinzialärzte in den nördlichsten Ge- genden Schwedens. Für den geachteten Professor in Stockholm ließen sie in Lappland Gräber öffnen und Skelette herausnehmen, um sie ins Karolinische Institut zu schicken.

Auch andere waren dabei behilflich, darunter der Pfarrer Lars Levi Læstadius. Dies auf einem Friedhof in Mittelschweden zu tun – eine kürzlich begrabene Person zu exhu- mieren, um an das Skelett zu kommen – wäre wohl undenkbar gewesen. Aber bei Sámi war das etwas anderes.

Schädel und Skelette aus unbekannten Gegenden kamen in die aufgeklärten Salons der Wissenschaft, damit man mit Hilfe der Schädelform zeigen konnte, dass die Menschen, die dort draußen lebten, von anderer Art waren. Sie hatten eine andere Kopfform. Aber im Oktober 1892 nahm die Forschung an den „Lappenschädeln“ ein abruptes Ende.

Da wurden sie alle zusammen bei einem Brand in der anatomischen Sammlung zer- stört.24 Nun musste eine neue Sammlung aufgebaut werden, denn die Wissenschaftler und Lehranstalten brauchten eine solche ja. Eine vergleichbare Kollektion von „Lap- penschädeln“ wiederanzulegen, ist jedoch nie mehr gelungen.

Am 16. Februar 1895 wird Herman Lundborg Kandidat der Medizin am Karolinischen Institut. Im Sommer schreibt er dann einen Brief an den Nestor Gustaf Retzius, ohne diesen eigentlich zu kennen. Lundborg ist ein unternehmungsfreudiger 27-Jähriger, der den Professor vor der Wahl seines zukünftigen Weges als Arzt um Rat bittet. Er erkun- digt sich wegen einer eventuellen medizinischen Ausbildung im Ausland:

Bezug nehmend auf Herrn Professors große Erfahrungen und Einblicke in die Verhält- nisse an europäischen und amerikanischen Universitäten ersuche ich Sie ergebenst um einige Auskünfte.

Mit Freude erinnere ich mich an die Zeit, in der ich als junger Mediziner Ihren Vorle- sungen am Karolinischen Institut folgen konnte, und ich sage – ohne mich der Schmei- chelei tadeln lassen zu müssen –, dass die Stunden, in denen wir jungen Leute Sie, Herr Professor, mit Enthusiasmus ihre Wissenschaft vortragen hörten, für uns unvergesslich waren.25

(31)

Die Rassenforscher

Er berichtet, dass er im Sommer zuvor, im Jahre 1894, zwei Monate lang in London ei- nen Auftrag als Mentor eines schwedischen Jungen gehabt habe. Während des Herbstes hat er als Hauslehrer bei einer Familie in Stockholm gewohnt. Durch deren Empfehlung hat er dann im Frühjahr 1895 an der Universitätsklinik in Lund Dienst tun können und plant nun für den kommenden Herbst, die Arbeit im Krankenhaus fortzusetzen. Er ist sich jedoch unsicher, welchen Weg er danach einschlagen soll:

Ich sehne mich hinaus und weg aus Europa, vorher aber möchte ich mein Arztexamen ablegen […]. Glauben Herr Professor, dass ich möglicherweise in Schottland, in der Schweiz oder woanders in kürzerer Zeit einen Grad erwerben könnte, ohne dafür den Standpunkt des wissenschaftlich gebildeten Arztes aufgeben zu müssen? […] Wenn ich nur eine medizinische Abschlussprüfung abgelegt habe, steht mir ja die ganze Welt offen.

In der Hoffnung, dass Herr Professor mir die Kühnheit verzeihen, Ihre sehr beanspruch- te Zeit strapaziert zu haben, dankt hochachtungsvoll

Herman Lundborg Med. Kand.26

Retzius und Lundborg werden nie enge Freunde. Gustaf Retzius ist sechsundzwanzig Jahre älter, er gehört einer anderen Generation an und nähert sich dem Pensionsalter, als Lundborgs wissenschaftliche Karriere beginnt. Allerdings freundet sich Lundborg mit Retzius’ zwölf Jahre jüngerem Kooperationspartner in der Rassenforschung, dem Pro- fessor für Anatomie in Lund Carl Magnus Fürst, an. Gemeinsam sind Retzius und Fürst dabei, eine große Rassenuntersuchung des schwedischen Volkes durchzuführen. Sie lassen Messungen an nicht weniger als 45.000 Wehrpflichtigen vornehmen, zwei Jahr- gänge von schwedischen Rekruten, die im Zusammenhang mit ihrer Musterung in den Sommern 1897 und 1898 untersucht werden. Als Lundborg Fürst in Lund trifft, wird er sicher von dieser eigenartigen Arbeit hören. Es handelt sich um eine bahnbrechen- de Studie, die in Art und Umfang ihresgleichen in der Welt nicht hat. Vielleicht erhält Lundborg hier auch Einblicke in die statistische Bearbeitung, wenn Rechenhelfer die Zehntausende von Formularen mit den Körpermaßen der Männer (Länge, Klafterbreite, Armlänge, „Sitzhöhe“ und Beinlänge), Länge und Breite des Schädels, Gesichtsform so- wie den Farben von Haaren und Augen bearbeiten. Fürst und Retzius werden diese Wer- te vergleichen und eine wissenschaftliche Antwort auf die Frage suchen, wo das schwe- dische Volk am reinsten ist. Sobald die Untersuchungsergebnisse vorliegen – sie werden 1902 publiziert –, wird ihre Schlussfolgerung lauten, dass Schweden ein homogenes und im Großen und Ganzen reinrassiges Land sei: „Die Schweden dürften tatsächlich die vergleichsweise reinsten Reste der alten germanischen Völker darstellen und bilden noch heute in anthropologischer Hinsicht ein erstaunlich homogenes Volk.“27

Es ist eine wunderliche Vorstellungswelt. Diese Wissenschaft wird an Universitäten betrieben und ist während der Jahre, in denen Lundborg sich als Wissenschaftler qua-

(32)

Erster Teil: Der Weg in ein rassenbiologisches Universum (1895–1912)

lifiziert, hochgeachtet und renommiert. Man zieht scharfe Grenzen zwischen verschie- denen Menschen – z. B. zwischen Schweden, Finnen und Sámi – und behauptet, dass sie verschiedenen „Rassen“ angehörten. Letztere beiden gelten als nicht-europäischen, fremden Typs – sie hätten Kurzschädel –, während Schweden der „nordischen Rasse“

angehörten und u. a. anhand ihrer Schädelform erkennbar seien – sie seien langschäde- lig.

Die These der Rassenforscher lautet, dass sich die Schweden, obwohl Finnen und Sámi immer dort gelebt haben, nie mit ihnen gemischt hätten. Die Kurzschädel seien sowohl miteinander als auch mit schwedischem, „arischem“ Blut vermischt worden. Die Schwe- den aber seien nicht in größerem Umfang davon beeinflusst worden, dass Finnen und Sámi in ihrer Nähe lebten. Schweden sei also das rassisch reinste germanische Land der Welt, obwohl es immer – und gerade hier – Völker gegeben hat, die die Rassenforscher nicht einmal als Europäer betrachten können, da ihre Sprachen nicht den anderen in Europa ähnelten. Sie sprechen Finnisch und Samisch, welches keine indoeuropäischen Sprachen sind, sondern der finno-ugrischen Sprachfamilie angehören, was die Forscher zu der Annahme bringt, dass sie eher mit den Mongolen verwandt seien. Es gibt also gerade in Schweden vieles, das sich für Rassenforscher interessant ausnimmt.

In der anatomischen Sammlung in Lund, die Fürst verwaltet, gibt es mindestens einen

„Lappenschädel“. Er trägt auf einem Blech quer über die Stirn eine deutliche Aufschrift:

„Lappenmädchen Maria“ steht dort, und ein Nachname, geboren in der Lycksele-Lapp- mark. Maria war Patientin im Lundenser Krankenhaus gewesen, und als sie starb, wurde ihr Körper verwertet. Lundborg erhielt durch seine Arbeit als Gehilfe in dem Kran- kenhaus während seiner wissenschaftlichen Ausbildung vermutlich Einblicke, was mit gewissen Patienten passierte, wenn sie verstorben waren. Die Leichname von Patienten, deren Körper für die Verwendung in Forschung und Lehre in der anatomischen Samm- lung interessant sein könnten, wurden in eine Skelettkocherei geschickt, die sich auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik befand, wo die Knochen gereinigt wurden.28 Heute ist man leicht darüber verblüfft, was damals vor sich ging. Um die Zusammen- hänge zu verstehen, muss man jedoch auch berücksichtigen, wie die ethischen Rah- menbedingungen zu der Zeit aussahen, als Lundborg zum Arzt und Wissenschaftler ausgebildet wurde.

(33)

Eine Liebesgeschichte

Plötzlich befinde ich mich im entscheidenden Augenblick des Lebens. Herman Lund- borgs private Briefsammlung scheint anfangs unhantierbar umfangreich zu sein, un- durchdringlich. Was ich suche, ist die Antwort auf das Rätsel des Rassenbiologen – des älteren Wissenschaftlers –, aber ich lande mitten in der Liebe eines jungen Mannes.

Zwischen Briefen mit getrockneten Blumen, eng beschriebenen Seiten voller Vertrau- lichkeiten. Was in all diesen Tausenden Briefen wollte ich eigentlich wissen?

Ende des Sommers 1896 tut Herman Dienst am kürzlich gegründeten Sophienkran- kenhaus in Stockholm, und dort begegnet er Thyra, einer Sophienschwester. Sie soll gerade aufhören, um nach Enköping zu gehen und in der Lindmanschen Anstalt anzu- fangen. Die beiden lernen einander während der letzten Wochen kennen, als sie beide in der Chirurgie arbeiten. Es scheint schwindelnd schnell zu gehen. Sie gibt ihm ein Porträt von ihr und verspricht ihm ihre Treue. Er gibt ihr auch sein Bild, und in einem verstohlenen Augenblick bevor sie sich trennen, scheint er um sie zu freien. Am letzten Abend schickt er ihr gelbe Rosen, in dieser Nacht kann sie nicht schlafen. Sie sind beide 28 Jahre alt, als sie ihre ersten Liebesbriefe austauschen. Thyra muss abreisen, und Her- man schreibt ihr am Mittwoch, dem 2. September 1896, aus seinem Pensionszimmer am Strandvägen:

Nun sitze ich am Abend zu Hause auf meinem Zimmer, die Uhr ist nicht später als ½ 9, und auf diese Weise habe ich einen Moment, frei von allem Chirurgischen, um mich mit meinem lieben Mädchen zu unterhalten. Deine beiden Bilder liegen vor mir auf dem Tisch, ich kann mich kaum an ihnen sattsehen. Sie sind beide so gelungen, finde ich. Ich wünschte nur, ich hätte statt ihrer den Gegenstand selbst hier, dann könnte ich Gedan- ken und Ideen mit ihr austauschen.

Danke, Thyra, für die Tage, die wir hier in Stockholm zusammen sein durften. Es waren sicherlich kurze Augenblicke (ja, es ist wahr, du fandest ja, dass es die ganzen Tage wa- ren). Danke für alle schönen Lächeln und Blicke, die Du mir auf der Chirurgie, bei unse- ren Begegnungen außerhalb des Sophienkrankenhauses, während unserer gemeinsamen Spaziergänge, geschenkt hast. Nie vergesse ich den schönen Blick, den ich bekam, als Du an dem Abend, als wir zusammen bei der Pat. auf XI F waren, die mit dem großen Bauchtumor, wenn Du Dich erinnerst, Gute Nacht sagtest. Du hast eine göttliche Gabe, Thyra, und das ist, so schön zu lächeln, dass ich finde, dass sich ein Kranker, der es sieht, belebt und munter fühlen muss […]

Ich frage mich immerzu, wann wir uns das nächste Mal treffen können. Die Pflicht geht vor, das ist ja unser Wahlspruch. Im kommenden Monat bin ich an allen Tage in der Po- liklinik beschäftigt, auch an den Sonntagen. In dieser Zeit dürfte ich gezwungen sein, in

(34)

Erster Teil: Der Weg in ein rassenbiologisches Universum (1895–1912)

Stockholm zu bleiben, aber dann bin ich es, der an einem schönen Tag nach Enköping reist und meine Thyra besucht.

Ich habe ja noch nicht einmal einen Kuss bekommen, alles wegen der Schwesterntracht.29 Im Labor nahm ich mir welche, aber bekam Vorhaltungen. Du fandest wohl, dass ich Deine Berufung und Deine Würde und Reinheit als Frau leichtsinnig entweiht habe.

Aber verzeih’ mir. Ich konnte nicht anders, wir sind ja auch Menschen.

Du musst herkommen, wenn nicht früher, dann wenigstens an Weihnachten, dann kannst Du unser bescheidenes Zuhause sehen. Mama und die Geschwister müssen ja das Mädchen kennenlernen, das mir seine Treue geschenkt hat.30

Thyra antwortet ihrem „lieben Herman“ aus Enköping am Samstag, dem 5. September 1896:

Danke für die gelben Rosen, die Du am Abend vor meiner Abreise geschickt hast, sie wa- ren herrlich, und sie waren mir eine liebe Gesellschaft in der Nacht, denn der Schlaf woll- te sich einfach nicht einfinden. […]

Schön, dass Herman meine Porträts gefielen […] Aber Du zeigst sie natürlich nieman- dem, hörst Du, noch nicht. […] Oft wenn ich ein kleines Weilchen mit mir allein bin, wandern meine Gedanken zu meiner Zeit im Operationssaal, besonders die letzten Tage stehen mir in der Erinnerung deutlich vor Augen, und dann unsere gemeinsamen Spa- ziergänge und der letzte Sonntag auf dem Friedhof und in der reizenden kleinen Kirche von Solna. Ja, es ist so wundersam, wie alles für uns gelenkt wird.

Ich kann einfach nicht begreifen, wie alles so schnell gehen konnte, und wie Du, mein Freund, meine unbedeutende Person liebgewinnen konntest. Sofort, beim ersten Mal, als ich Dich sah, machtest Du einen gewissen Eindruck auf mich, und ich fand immer, dass Du Dich in vielen Dingen von den anderen unterschieden hast, aber da hatte ich ja keine Gedanken für anderes als meine Arbeit. So kannst Du wohl verstehen, wie verwundert und überrascht ich da unten im Labor war.31

Herman erhält ihren Brief erst am Montagabend und schreibt am Mittwoch, dem 9.

September, zurück:

Weißt Du, Thyra, am letzten Tag, den Du im Krankenhaus warst, also dem letzten, an dem Du Dienst getan hast, sah ich kurz vor Arbeitsbeginn Schwester [unleserlich] in der Tür zu Deinem oder vielleicht richtiger gesagt ihrem Zimmer, und da erschrak ich, denn ich glaubte, dass Du bereits fortwärst und ich Dich nie mehr sehen würde. Es dau- erte einige unruhige Augenblicke, bis ich Dich dann drinnen im Operationssaal erblickte und mich davon überzeugen konnte, dass Du noch am Krankenhaus warst. Da merkte ich wirklich, dass ich Dich liebte, und spürte, welchen Verlust und welche Leere es in mir hinterlassen hätte, wenn ich Dich nicht mehr getroffen hätte. Kein Wunder also, dass ich

(35)

Eine Liebesgeschichte

sofort am letzten Tag, an dem das möglich war, Dich dort unten im Labor fragte, ob Du mich willst. […]

Ich kann ja jetzt im Herbst einmal zu Dir nach Enköping kommen und sehen, wie es Dir geht, Thyra? Ich wünschte nur, der Tag wäre schon da. […]

Könnte ich, so würde ich Dir mehr gelbe Rosen zur Gesellschaft und Augenweide schi- cken. Schön, dass Du sie mochtest. Gelb ist ja Deine Lieblingsfarbe.32

Hermans und Thyras Liebesgeschichte hat im Archiv Spuren in Form von Hunderten Briefen aus ihrer Verlobungszeit hinterlassen. Hier aber ist der Blick auf die Zukunft ge- richtet, die Jahre, in denen Lundborg ein berühmter und einflussreicher Rassenbiologe wurde. Noch ist er davon weit entfernt, es soll noch fünfzehn Jahre dauern, bevor er seine ersten Rassenuntersuchungen anstellt.

Noch ist Herman kaum 30 Jahre alt. Er wird eine Laufbahn als Mediziner einschlagen, und noch ist seine Wahl nicht die Rassenforschung. Er vertieft sich in keine der Diszip- linen, in denen Gustaf Retzius und Carl Magnus Fürst tätig sind, weder Anatomie noch Physische Anthropologie. Stattdessen lockt ihn die Psychiatrie.

(36)

Erster Teil: Der Weg in ein rassenbiologisches Universum (1895–1912)

Aus Thyras Sicht

Psychiatrie ist Ende des 19. Jahrhunderts eine moderne Wissenschaft und ein weites Forschungsfeld, auf dem noch viel zu tun ist. Die Nervenheilkunde befindet sich in ei- ner expansiven Phase. Die Patienten werden ständig mehr, und neue Krankenhäuser werden gebaut, die von Mauern und Bretterzäunen umgeben sind, deren Türen ver- schlossen sind und die über Zellen, Isolationszimmer, Überwachungssäle sowie fixie- rende Kleidungsstücke wie Zwangsjacken und Spannriemen verfügen. Es sind große In- stitutionen, die als fortschrittsfreundlich, organisiert und hygienisch betrachtet werden.

Sie sind von Hoffnungen auf eine gute, humane und effektive Pflege begleitet.33 Das Interesse an den Rätseln der Gesundheit und den Mysterien der Psyche teilt Her- man mit seiner geliebten Thyra. Sie arbeitet beim berühmtesten Arzt des Landes, „Wun- derdoktor“ Ernst Westerlund. Herman und Thyra hatten einander also viel über Ner- venprobleme und psychische Krankheiten zu erzählen. Doktor Westerlund ist vor allem Nervenarzt und behandelt insbesondere neurotische Patienten mit großem Erfolg. Er ist ein guter Kliniker mit einem scharfen Blick für Menschen. Oft gelingt es ihm, ausge- rechnet jenen zu helfen, an denen andere Ärzte gescheitert sind. Die Patienten kommen aus dem ganzen Land, aus allen nordischen Ländern, ja, aus der ganzen Welt in seine Praxis nach Enköping. Er kann 300 Patienten gleichzeitig in Behandlung haben, die bei Familien eingemietet oder in verschiedenen Einrichtungen in der Stadt untergebracht werden. Und einer solchen Einrichtung steht Thyra vor.

Als Krankenpflegerin achtet Thyra darauf, dass die Patienten auf die Minute und das Milligramm genau den präzisen Anweisungen von Doktor Westerlund zu Diäten, Spa- ziergängen und Ruhestunden Folge leisten. Die Kuren sind streng, aber die Behandlung baut auf Freiwilligkeit und vor allem auf dem Entstehen eines starken Vertrauens der Patienten darauf, dass es Besserung geben wird. Darauf, dass ihnen die strikten Anwei- sungen des Doktors, wie Ruhe und physische Arbeit auf den Tag zu verteilen sind, hel- fen werden, und er verlangt ihnen im Hinblick auf ihre Mitwirkung tatsächlich Einiges ab. Doktor Westerlund scheint die Patienten dazu zu bringen, ihre Beschwerden auf eine andere Weise zu erleben, so dass sie ihre alten Muster durchbrechen können. Thyra berichtet Herman davon, wie Doktor Westerlund sich mit Wärme und Zuversicht Pati- enten annimmt, die andere als eingebildete Kranke abtun, und wie es ihm gelingt, ihnen wirklich zu helfen und ihre Leiden ernst zu nehmen.34

Alles, was Du über die Anstalt schreibst, hat mich sehr interessiert. Es scheint, dass meine Thyra ganz selbstständig eine richtige Vorsteherin werden wird, und das ist ebenso schön wie lehrreich. Dass Du Doktor Westerlund, den Mann mit dem klaren Blick und dem reichen, weichen Herzen, mögen würdest, ist ja natürlich, da Entsprechendes auch in Deiner eigenen Brust vorhanden ist. Es mag vielleicht scheinen, dass Ärzte im Allgemei-

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

35 Und David Pareus beklagt sich über die „Erwegung deren Theolo- gen meynung, die sich nicht schewen, Evangelische Herrschaften zu bere- den, dass sie lieber mit den Papisten, und

An diese erste Fassung des Kausalgesetzes hat sich Schell aber auch nicht gehalten. „Kant gegenüber muss die absolute Geltung des Kausalgesetzes behauptet werden in

1960 został członkiem współzałożycielem Komisji Teorii i Historii Sztuki Oddziału PAN w Krakowie.. 1963 był członkiem Polskiej Komisji Bizan- tynologicznej przy Komitecie Nauk

Wychodząc z togo, co przedstawiłem powyżej, a więc od dzieł, w których autorstwo Fischera jest bezsprzeczne, można pomnożyć jego spuściznę artystyczną dalszymi

Geschichte kompakt. Deutschland und die Weltwirtschaftskrise 1929/30: Das Ende trügerischer Stabilität ... Der New Yorker Börsenkrach und seine Folgen für Deutschland.

21 Eine nach der anderen gleiten die Lochkar- ten durch diesen im Deutschen sogenannten »Kontakt-Apparat«, und je nach- dem, welche Stromkreise dabei offen oder geschlossen sind,

BEARBEITUNG DER PHILOSOPHIE UND PÄDAGOGIK VON DILTHEY 178 B.4.15. BEARBEITUNG

Mit dem rückseitig in schwarzer Tinte vermerkten Ignatius Hube[r?] ist vermutlich der aus Augsburg stammende Kupferstecher Joseph Ignaz Huber (1759–nach 1807) gemeint, der bei dem