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Verfolgung und Ermordung der Juden

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Verfolgung und Ermordung der Juden 1933 – 1945

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Die Verfolgung und Ermordung der

europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945

Herausgegeben

im Auftrag des Bundesarchivs,

des Instituts für Zeitgeschichte und des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-

Universität Freiburg von

Götz Aly, Wolf Gruner, Susanne Heim,

Ulrich Herbert, Hans-Dieter Kreikamp, Horst Möller, Dieter Pohl und Hartmut Weber

R. Oldenbourg Verlag München 2008

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Die Verfolgung und Ermordung der

europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945

Band 1

Deutsches Reich 1933 – 1937

Bearbeitet von Wolf Gruner

R. Oldenbourg Verlag München 2008

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2008Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671München

Internet: oldenbourg.de

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.

Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Ein- speicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

Einband und Schutzumschlag: Frank Ortmann und Martin Z. Schröder Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht).

Satz: Typodata, München

Druck und Bindung: Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell

ISBN:978-3-486-58480-6

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Herausgeber . . . 7

Editorische Vorbemerkung . . . 10

Einleitung . . . 13

Dokumentenverzeichnis 1933–1937 . . . 51

Dokumente Dokumente des Jahres 1933 . . . 65

Dokumente des Jahres 1934 . . . 279

Dokumente des Jahres 1935 . . . 407

Dokumente des Jahres 1936 . . . 546

Dokumente des Jahres 1937 . . . 631

Glossar . . . 763

Abkürzungsverzeichnis . . . 764

Verzeichnis der im Dokumententeil genannten Archive, Quellen und Darstellungen . . . 775

Institutionenregister . . . 783

Ortsregister . . . 794

Personenregister . . . 799

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Vorwort

Mit der Edition „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933bis 1945“ wird eine thematisch umfassende, wis- senschaftlich fundierte Auswahl von Quellen vorgelegt. Im Verlauf der nächsten zehn Jahre sollen insgesamt 16nach zeitlichen und räumlichen Gesichtspunkten gegliederte Bände erscheinen. Sie dokumentieren das historische Schreckensgeschehen, das heute mit den Begriffen „Holocaust“ und „Shoah“ umschrieben wird.

Der vorliegende erste Band enthält Dokumente zur Judenverfolgung in Deutschland zwischen 1933und 1937. Der zweite behandelt die Zeit zwischen dem 1. Januar 1938und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939; er schließt also die antisemitische Politik im annektierten Österreich und im annektierten Sudetenland ein. In den folgen- den Bänden wird sich der Blick auch auf die Verfolgung und Ermordung der Juden in den großen, von der deutschen Wehrmacht besetzten oder unter deutscher Vorherrschaft ste- henden Teilen Europas richten: von Norwegen bis nach Nordafrika, von den Niederlan- den bis zum Kaukasus. Der Schwerpunkt wird auf den Regionen liegen, in denen die meisten Juden lebten: insbesondere auf Polen, auf den besetzten Teilen der Sowjetunion und auf Ungarn. Der Mord an den Juden Ost- und Ostmitteleuropas wird anhand einer Fülle neuer Dokumente dargestellt werden.

Quellen im Sinne der vorliegenden Edition sind Schrift- und gelegentlich transkribierte Tondokumente aus den Jahren der deutschen Gewaltherrschaft zwischen 1933und 1945. Fotografien wurden nicht einbezogen, weil sie allenfalls Ereignisse, nicht aber Entwick- lungen und Motive von Entscheidungen und Handlungen dokumentieren; auch lassen sich die Umstände ihrer Entstehung oft nur schwer zurückverfolgen. Dasselbe gilt – aus anders gelagerten quellenkritischen Gründen – für Lebenserinnerungen, Berichte und juristische Unterlagen aus der Zeit nach 1945. Allerdings wird von den nachträglich ent- standenen Zeugnissen in der Kommentierung vielfältiger Gebrauch gemacht.

Innerhalb der Bände werden die Dokumente chronologisch angeordnet. Mit dem Ver- zicht auf thematische Bündelungen wollen die Herausgeber interpretierende und drama- tisierende Abfolgen vermeiden. Zugleich möchten sie die unterschiedlichen, die lauten und leisen Äußerungen zur deutschen Judenpolitik festhalten: seien sie mitfühlend, hilf- reich, gleichgültig, hämisch oder unverhohlen auf Mord gerichtet; seien sie – auf der Seite der Verfolgten – gutgläubig, ratlos, verängstigt, entschlossen und verzweifelt. Es kommen Funktionsträger jeder Art zu Wort, ebenso einfache Leute und Intellektuelle, inländische und ausländische Beobachter. Dokumentiert werden die Aktivitäten und Reaktionen von Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Überzeugungen, an verschie- denen Orten, mit jeweils begrenzten Horizonten, Handlungsspielräumen und Absichten.

Besonders am Herzen liegen den Herausgebern Privatbriefe, Tagebuchnotizen und Hilfe- rufe der verfolgten Juden. Denn „ihre Stimmen waren die einzigen“, wie Saul Friedländer schreibt, „die sowohl die Klarheit der Einsicht als auch die totale Blindheit von Menschen vermittelten, die mit einer völlig neuen und zutiefst entsetzlichen Realität konfrontiert waren“. Daneben muss die Edition, zumal sie in Deutschland erarbeitet wird, in repräsen- tativer Auswahl die Schriftstücke enthalten, die von den Verfolgern hinterlassen wurden.

Nur so können die Motive und Verhaltensweisen der Täter erkennbar werden.

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8 Vorwort

Der vorliegende erste Band dokumentiert die kühl kalkulierte wie die unmittelbar ge- walttätige Judenentrechtung und die vielfältigen Reaktionen darauf bis Ende 1937. Die in den einzelnen Quellen eingenommenen Blickwinkel wechseln von Königsberg i. Pr. nach Stuttgart, vom jüdischen Familienblatt zur antisemitischen Kampfzeitung, vom Ge- richtssaal ins Kurbad, vom Sportverein in die Schule, von einer aus rassischen Gründen entlassenen Postbeamtin zu Hitler. Diese Darstellungsform wird in den folgenden Bän- den beibehalten, allerdings werden sich die Akzente in der Quellenauswahl entsprechend den örtlichen Umständen und der mörderischen Dynamik des deutschen Projekts „End- lösung der Judenfrage“ immer wieder verschieben.

Die ständig wechselnde Perspektive und die chronologische Anordnung erzeugen im Kleinen unübersichtlich erscheinende Dokumentenfolgen. Doch entspricht das zufällige und widersprüchliche Nebeneinander der Ereignisse besser der zeitgenössischen Wahr- nehmung als ein nachträglich konstruierter Aufbau. Im Großen entsteht so ein not- wendigerweise fragmentarisches, doch vielschichtiges Bild. Es ist unterschiedlichen ana- lytischen Annäherungen zugänglich.

Selbstverständlich trägt ein solches Quellenwerk die Spuren seiner Entstehungszeit, sei- ner Entstehungsorte und der beteiligten Editoren. Es ist Ausdruck eines bestimmten, im- mer begrenzten Wissensstands. Doch erscheint den Herausgebern die Zeit für eine solche Dokumentation reif: Erstens konnte in der Forschung in den vergangenen Jahren ein hohes Maß an Konsens darüber erzielt werden, wie und unter welchen Voraussetzungen annähernd sechs Millionen Juden ermordet wurden; zweitens verbesserte sich die Quel- lenlage nach 1989erheblich – dank des heute weit weniger restriktiven Archivzugangs nicht nur im ehemaligen Ostblock, sondern auch in Westeuropa; drittens ist der zeitliche Abstand nun so groß, dass das Aufschieben eines solchen Vorhabens von jetzt an als unnötige Verzögerung erscheinen lassen würde; viertens erscheint es wichtig, eine solche Edition in Deutschland zu erarbeiten.

Fünftens wird eine solche Edition wegen der Fülle von Publikationen, auch von Doku- mentenwiedergaben, erforderlich. Thematisch übergreifende Dokumentationen sind fast durchweg unter Gesichtspunkten konzipiert, die auf die pädagogische Wirkung angelegt sind. Je nach Zielsetzung und Herkunftsland der Herausgeber wurden dabei bestimmte politisch-thematische Schwerpunkte gesetzt (in Deutschland die Geschichte der deut- schen Juden, in Israel der jüdische Widerstand, in Polen die Hilfsbereitschaft der christli- chen Mehrheitsbevölkerung usw.). Unter historiographischen Kriterien lassen sich gegen fast alle derartigen Werke zwei zentrale Einwände erheben: Zum einen werden die Quel- len meist aus Platzmangel gekürzt abgedruckt, oft als Wiederabdruck schon publizierter Dokumente; zum anderen werden sie, und das ist der wichtigere Einwand, aus dem Kon- text gerissen. Das heißt, die Herausgeber solcher Quellensammlungen gehen stillschwei- gend davon aus, die Dokumente würden wegen ihrer Ungeheuerlichkeit für sich selbst sprechen. Daraus folgt eine Zusammenstellung gekürzter Schriftstücke, die in einer selbstdramatisierenden, allerdings oft genug künstlichen Reihenfolge angeordnet wer- den.

Schließlich lässt das aktuelle Abheben der Diskussion auf Erinnerungskultur zunehmend das zu erinnerende Geschehen in den Hintergrund treten; dem soll diese Dokumenten- edition entgegenwirken.

Die Quellenedition lässt sich als wissenschaftliches Nachschlagewerk benutzen, kann aber auch als Schriftdenkmal für die ermordeten Juden Europas gelesen werden. In jedem

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Fall dient sie allen, die sich als Forscher, Lehrer oder Interessierte mit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistisch regierte Deutschland auseinandersetzen und sich dabei auf nun besser zugängliche authentische Zeugnisse stützen wollen.

Die Arbeit wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als geisteswissenschaftliches Langzeitprojekt großzügig gefördert. Das einjährige Vorprojekt konnte mit einem un- kompliziert gewährten Stipendium der S. Fischer Stiftung in Gang gesetzt werden. Neben den Förderern schulden die Herausgeber den vielen Archivarinnen und Archivaren, den Vertretern von Behörden wie einer großen Zahl von Fachleuten und Privatpersonen herzlichen Dank: Sie unterstützten die Arbeit der Editoren mit Quellenhinweisen, Rat- schlägen und Auskünften für die Kommentierung.*

Hinweise auf abgelegene oder noch nicht erschlossene Quellen zur Judenverfolgung, ins- besondere auf private Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, nehmen die Herausgeber für die künftigen Bände gerne entgegen. Da sich trotz aller Sorgfalt gelegentliche Ungenauig- keiten in einer solchen Edition nicht gänzlich vermeiden lassen, sind sie für entspre- chende Mitteilungen dankbar; sie sollen in einer Nachauflage berücksichtigt werden. Die Adresse des Herausgeberkreises lautet: Institut für Zeitgeschichte, Edition Judenverfol- gung, Finckensteinallee 85–87, D-12205Berlin.

Berlin, München, Freiburg i. Br. im Oktober 2007

9 Vorwort

* Als studentische oder wissenschaftliche Hilfskräfte haben an diesem Band mitgearbeitet: Romina Becker, Giles Bennet, Natascha Butzke, Florian Danecke, Ulrike Heikaus, Ivonne Meybohm, Titus Milosevic, Remigius Stachowiak und Elisabeth Weber, als wissenschaftliche Mitarbeiterin Gudrun Schroeter.

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Bei euch liegt es, zu entscheiden, ob ihr für das Gestern seid oder für das Morgen, für Nie- dergang oder Aufgang, für Bolschewismus oder Deutschland!

Adolf Hitler ruft euch!Adolf Hitler kennt euch alle, ihr Namenlosen und Zurückgesetzten!

Adolf Hitler wird euch herausführen, dem neuen Tag entgegen!

Faßt mit an das große Werk! Keine Stimme den Kultur-Verrätern!

Wählt Nationalsozialisten! Wählt Liste 1

DOK.6

Walter Gyssling beschreibt Ausschreitungen und Misshandlungen in München am 9./10. März 19331

Tagebucheintrag Walter Gyssling2vom 10.3.1933(Abschrift)

10. März: Hinter uns liegt eine Nacht des Grauens. Es war schliesslich nicht anders zu er- warten. Wer die hemmungslosen Hetzreden gehört hat, die gestern Abend vor der Feld- herrenhalle gehalten wurden, ist entsetzt, aber nicht überrascht. Die Esser,3Epp,4Röhm,5 und wie die „Führer“ noch alle heissen, haben unbedenklich Oel ins Feuer gegossen. Sie tragen Schuld an all den entsetzlichen Verbrechen, die heute Nacht geschahen. Die Arbei- terzeitungen zerstört, das Gewerkschaftshaus gestürmt, hunderte von kommunistischen und sozialdemokratischen Führern in Haft, es ist furchtbar, aber man ist daran schon ir- gendwie gewöhnt, zumal wenn man die Woche nach dem Reichstagsbrand in Berlin mit- erlebt hat. Aber dass blutgierige Verbrecher die Wohnungen friedlicher, unpolitischer

76 DOK.6 9.⁄10.März 1933

1 Abschrift des Tagebucheintrags in: Walter Gyssling, Mein Leben in Deutschland vor und nach Hitler (1940), S.99101; The Houghton Library Cambridge/MA, Preisausschreiben der Harvard-Univer- sität „Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933“ (im Folg. Harvard-Preisaus- schreiben), Nr.86. Abdruck in: Gyssling, Leben, S.150153. Der Wettbewerb „zum Zwecke der wissenschaftlichen Materialsammlung“ für eine Untersuchung über die Wirkungen des National- sozialismus auf die deutsche Gesellschaft wurde im Sommer 1939von der Harvard-Universität ausgelobt und mit einer Abgabefrist zum 1. 4. 1940international bekannt gegeben; Pariser Tageszei- tung, Nr.1078vom 19. 8. 1939, S.4. Die Unterlagen des Wettbewerbs befinden sich in der Houghton Library der Harvard-Universität, eine Teilkopie (Mikrofilm) im ZfA/A Berlin.

2 Dr. Walter Gyssling (19031980), Journalist; Berufsoffizier, anschließend Studium;1929SPD-Eintritt;

19301933leitender Mitarbeiter des CV-Büros zur Abwehr des Antisemitismus; März 1933Flucht vor Verhaftung nach Basel; Autor von „Der Anti-Nazi“ (1931, Reprint 2003).

3 Hermann Esser (19001981), Journalist;1918SPD- und 1920NSDAP-Eintritt,19211923und 1925 1926Propagandaleiter der NSDAP,1923Teilnahme am Hitler-Putsch,19261932Hrsg. des Illustrier- ten Beobachters;19331935bayer. Staatskommissar, dann Staatsminister ohne Geschäftsbereich (Lei- tung der Pressestelle und der Staatskanzlei),19351945Leiter der Fremdenverkehrsabt. im RMfVuP, von 1939an StS;1945in Nürnberg interniert,1949bei der Entnazifizierung von der Spruchkammer München als Hauptschuldiger eingestuft und zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt,1952entlassen.

4 Franz Xaver Ritter von Epp (18681946), Berufsoffizier;18871923Militärlaufbahn, u. a. Einsatz in China und Deutsch-Südwestafrika, zuletzt als Generalleutnant;1919Führer des Freikorps Epp;1928 NSDAP-Eintritt;19331945Reichsstatthalter in Bayern,19341944Reichsleiter des kolonialpoliti- schen Amts der NSDAP,19361945Bundesführer des Reichskolonialbunds;19451946interniert.

5 Ernst Röhm (18871934), Berufsoffizier;1923Teilnahme am Hitler-Putsch, dann Verabschiedung aus der Reichswehr;1925und 19301934Führer der SA;19281930Militärinstrukteur in Bolivien;1930 NSDAP-Eintritt;19331934bayer. Staatsminister, Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Präsident des DAAD; am 30. 6. 1934wegen eines angeblichen Putschversuchs ermordet.

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Bürger stürmen, dass Menschen verschleppt, misshandelt werden, dass diesen Banden nichts, aber auch gar nichts heilig ist, das hat es bisher in Deutschland nicht gegeben.

Wir versuchen heute wenigstens einen Ueberblick über die Ereignisse der Nacht zu ge- winnen.

Eben teilt uns ein Führer der Bayerischen Volkspartei mit, dass der bisherige Polizeimini- ster Dr. Stützel6nachts von S.A.-Leuten aus seiner Wohnung geholt, barfuss und im Nachthemd ins braune Haus7gebracht und dort unmenschlich geschlagen wurde. Ob er gestern Vormittag nicht vielleicht doch die Polizei hätte marschieren lassen, wenn er sein Schicksal geahnt hätte. Dann kommt ein Freund, der uns verstört erzählt, dass ein be- kannter, politisch nie hervorgetretener Kaufmann, nachts in seiner Wohnung von der S.A. überfallen wurde. Mit den Worten „mir ham 14Jahr’ g’hungert und Du Saujud hast das Geld verfressen“ rissen ihm die entmenschten Bestien buchstäblich einen Arm aus.

Der Reklamechef eines Warenhauses wird verprügelt, in einen abgelegenen Wald ver- schleppt und dort nackt mit Stricken an einen Baum gebunden. Von einem jüdischen Möbelhändler hört man nur, dass er infolge einer nächtlichen Haussuchung durch S.A.- Leute mit einem Schädelbruch in der chirurgischen Klinik liegt. Die Frau eines Rechtsan- walts begegnete mir. Ihr Mann ist geflohen. Aus Wut darüber wurde sie nachts von den eindringenden S.A.-Leuten barbarisch misshandelt. Sie kann kaum gehen. All ihre Glie- der sind mit Striemen und blauen Flecken bedeckt. Eine Verhaftung nach der anderen wird gemeldet. Nicht nur die Führer der Linksparteien, zahlreiche jüdische Kaufleute wurden einfach auf Grund irgendwelcher Proskriptions-Listen festgenommen. Wir be- geben uns zu den Geschäftsräumen eines bekannten jüdischen Vereins. Was wir dort sehen, ist ein Bild sinnloser Verwüstung. Türen und Fenster zerschlagen, die Telefonapparate und Möbel mit Axthieben zertrümmert, alles durcheinander geworfen. Die dort beschäf- tigten Angestellten erzählen uns bleich und weinend von dem Ueberfall. Was nicht niet- und nagelfest war, Akten, Bücher, Bureaumaschinen, Geld, alles war geraubt worden.

Nicht einmal ein Telefonbuch und einen Fahrplan hatten die Plünderer zurückgelassen.

Dort höre ich auch näheres über das entsetzliche Schicksal des ehrwürdigen Rabbiners.8 Er war in der Nacht von S.A.-Leuten ins braune Haus verschleppt worden, wo man ihn mit den Worten „da kommt er ja, der krumme Judenhund, der wird jetzt gleich erschos- sen“, empfing. Er wurde dann auf den Exerzierplatz Oberwiesenfeld geführt, mit verbun- denen Augen an einen Baum gestellt, ein Exekutionspeloton trat an, ein Offizier kom- mandierte, „legt an, gebt Feuer“. Geschossen wurde aber nicht. Man wollte den würdigen Greis bloss „ein bisschen erschrecken“ und liess ihn dann wieder laufen. Dafür kommt jetzt eine andere Jüdin und erzählt, wie in der Nacht Nationalsozialisten in ihre Wohnung eindrangen. Ihr Mann und ihr Sohn wurden gezwungen, einen Revers folgenden Inhalts zu unterzeichnen: „Ich, der Israelit, J.L., erkenne hiermit an, dass ich ein Landesverräter bin und verpflichte mich, unter Zurücklassung meiner dem deutschen Volk abgestohle- nen Kapitalien, das Land binnen 4Wochen zu verlassen“. Kaum hatten sie im Angesicht 77

DOK.6 9.⁄10.März 1933

6 Dr. h.c. Karl Stützel (18721944), Jurist;19181933Mitglied der Bayer. Volkspartei;19011914u. a. As- sessor in Landshut,19141918Bezirksamtmann in Vilshofen,19181924Ministerialrat im bayer. Mini- sterium für Soziale Fürsorge,19241933bayer. Innenminister,1932Initiator des SA und SS-Verbots;

1933Inhaftierung durch die SA und Amtsenthebung.

7 Braunes Haus: Parteibezeichnung für die NSDAP-Parteizentrale, die sich 19301945in der Brienner Straße 45in München befand.

8 Vermutlich Rabbiner Leo Baerwald. Zu Baerwald siehe Dok.42vom 13. 5. 1933.

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der drohend erhobenen Revolver-Läufe unterschrieben, da erklärte ihnen der S.A.-Füh- rer, es habe einmal ein Jude verlangt, man soll Hitler aus Deutschland hinauspeitschen.

Diese Aeusserung werde jetzt an ihnen gerächt. Beide wurden völlig entkleidet und mit Drahtpeitschen geschlagen, bis sie bewusstlos zusammenbrachen.

So geht es stundenlang. Eine Schreckensmeldung jagt die andere. Ich kann es schliesslich nicht mehr ertragen und gehe. Aber ich soll keine Ruhe haben. Auf der Strasse ist es noch ärger. Vor meinen Augen, begeifert und bespieen von hysterischen Bestien, treiben S.A.- Leute mit Peitschen am hellen Mittag einen Mann vor sich her. Er trägt weder Schuhe noch Strümpfe, keinen Rock, keine Hose, nur ein Hemd und zerrissene Unterbeinklei- der. Um seinen Hals hängt ein Plakat mit der Inschrift „ich der Jude Siegel werde mich nie mehr über Nationalsozialisten beschweren“.9 Es ist einer der angesehensten Anwälte Münchens, der zu Gunsten eines verhafteten Freundes das Polizeipräsidium aufgesucht hatte, um dort zu intervenieren. Nachdem er zuerst unmenschlich verprügelt worden war, hetzte man ihn in dem geschilderten Zustand durch die Strassen.10

Ich weiss seit heute, was ein Pogrom ist.

DOK.7

Hermann Badt bietet dem stellvertretenden Ministerpräsidenten am 14. März 1933 seinen Rücktritt als Vertreter Preußens vor dem Staatsgerichtshof an1

Schreiben des Ministerialdirektors Dr. Hermann Badt,2Krummhübel im Riesengebirge, an den stellv.

Ministerpräsidenten Preußens, Staatsminister Dr. Hirtsiefer,3Berlin, vom 14.3.1933 Hochverehrter Herr Staatsminister –

Sie werden verstehen, dass ich mir Tag und Nacht die Frage vorlege, ob es im Interesse des Staatsministeriums liegt, dass ich wieder, zusammen mit Herrn Dr. Brecht,4die Vertretung der Preussischen Staatsregierung vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig übernehme.5 Ich darf daran erinnern, dass Sie vor der ersten Verhandlung im Oktober v. J. in einer Sit- zung des Staatsministeriums ausführten, es sei eigentlich unter den gegenwärtigen Um- ständen eine schwere Belastung des Staatsministeriums, wenn es in dieser Zeit durch ei- nen – Juden und Sozialdemokraten – vertreten würde. Darauf seien Sie, sehr geehrter Herr Staatsminister, insbesondere auch aus Kreisen Ihrer Partei aufmerksam gemacht worden. Auch aus Kreisen des Reichsgerichts seien solche Hinweise erfolgt.

Ich habe damals erklärt, ich würde selbstverständlich nicht nach Leipzig fahren, wenn ir- gendeiner der Herren Staatsminister das im Interesse der Sache für richtiger hielte. Im Übrigen würde ich, ohne irgendwie gekränkt zu sein, meine volle Mitarbeit, insbesondere auch bei der Verhandlung dem Staatsministerium nach wie vor zur Verfügung stellen. Die Herren Staatsminister waren jedoch damals einmütig der Ansicht, ich sollte doch nach Leipzig fahren, freilich sollte ich mich in der Verhandlung selbst nach Möglichkeit zu-

78 DOK.7 14.März 1933

9 Dr. Michael Siegel (18821979), Rechtsanwalt in München. Er emigrierte 1940nach Peru.

10Von dem Vorfall existiert ein häufig veröffentlichtes Foto, auf dem der von SA-Männern schwer miss- handelte Siegel am 10. 3. 1933barfuß und mit abgeschnittenen Hosenbeinen zu sehen ist. Um den Hals trug er ein Plakat mit der Aufschrift: „Ich werde mich nie mehr bei der Polizei beschweren“. Sie- gel hatte zuvor im Münchener Polizeipräsidium gegen die KZ-Haft eines Mandanten protestiert.

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Wir sind mit den marxistischen Hetzern in Deutschland fertig geworden, sie werden uns nicht in die Knie beugen, auch wenn sie nunmehr vom Ausland aus ihre volksverbreche- rischen Verrätereien fortsetzen.

Nationalsozialisten! Sonnabend, Schlag 10Uhr, wird das Judentum wissen, wem es den Kampf angesagt hat!

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Parteileitung.

DOK.18

Privatlehrer Ackermann regt am 30. März 1933den Boykott jüdischer Privatlehrer in München an1

Handschriftl. Brief von Dr. Ackermann,2München, Schommerstr.2I, an das Aktionskomitee zur Ab- wehr gegen die jüdische Greuel- und Boykotthetze für München-Oberbayern (Eing.3.4.1933), Mün- chen, vom 30.3.19333

Sehr geehrte Herrn!

Ich bitte im Interesse so vieler stellungslosen deutschen Privatlehrer auch gütigst mit den Boykott aller jüdischen Privatlehrerin München, wo angängig mit ins Auge zu fassen. Mir liegt als Adresse vor: Dr. K. Löwenstein,4München 13. Elisabethstr.31, der für das Abitur vorbereitet. So gibt es noch eine stattliche Anzahl anderer Juden, die sich mit solchen Vor- bereitungen befassen.

Besonders erlaube ich mir, auch auf das private Handelslehr-Institut der Frau Dr. Sabel in der Kaufingerstr. hinzuweisen.5Der Ehemann der Frau Dr. Sabel, welcher verstorben ist, soll, wie ich erfuhr, auch Jude gewesen sein. Nur weil Frau Dr. Sabel von ihrem Ehemann her überkommen hat und sich unter den alten Beziehungen einer festenKonzession er- freute, war es ihr möglich nicht nur die hiesige Schule zu führen, sondern noch einige an- dere Handelsschulen. Sie hat mit den fortgesetzt hohen Einnahmen sich mehrere Häuser hier anschaffen können. Gefordert wird zur Haltung der Schule dieser Art das nachgewie- sene Diplom-Handelslehrexamen. Will aber hier ein Diplom-Handelslehrer sog. Kurse abhalten, so würde ihm die Konzession bisher in den meisten Fällen versagt. Nur solche Person, wie Frau Dr. Sabel, die gar kein Examen hinter sich hat, hat sich stets der Konzes- sion erfreut und immer verstanden sich diese zu sichern. Ich setze das Komitee hiervon gern in Kenntnis und bitte diese Mitteilung gütigst geheimzu halten.6

Mit Parteigruß

Dr. jur. et phil. Ackermann Diplom-Handelslehrer,

derzeit Privatlehrer für Vorbereitung auf das Abitur.

104 DOK.18 30.März 1933

1 BArch, NS 12/1027.

2 Dr. Johann Ackermann. Näheres nicht ermittelt.

3 Grammatik und Rechtschreibung wie im Original; handschriftl. Unterstreichungen.

4 Dr. Karl Löwenstein, Privatgelehrter in München.

5 Handelsschule Rudolf Sabel in München, Kaufingerstraße 14, eröffnet 1900nach dem Vorbild der in Nürnberg von Dr. Gottlob Sabel (18671911) für die kaufmännische Ausbildung 1896gegründeten Sabel-Schule.

6 Das Boykott-Komitee des NSDAP-Gaus München-Oberbayern übermittelte das Schreiben am 12. 4.

1933an den NS-Lehrerbund München zur weiteren Veranlassung; wie Anm.1.

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Ebenso wird der Antrag der GymnastiklehrerinLoni Briske9auf Einrichtung von Gymna- stikkursen abgelehnt.

Der vor kurzer Zeit versuchsweise bei uns aufgenommene Schüler Max Epstein10muss wieder aus der Schule entferntwerden.

Ein Antrag des Herrn Dr. Heppmerum Ermässigung des Schulgelds für seine beiden Söhne auf zusammen monatlich M 30,– wird genehmigt.

DOK.60

Ein Landesverband des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens berichtet über die Situation der Juden in Sachsen und Sachsen-Anhalt im Juni 19331

Schreiben des CV-Landesverbands Mitteldeutschland (S.Gr.274/33), ungez., Leipzig, an den CV, Ber- lin, vom 6.7.19332

Centrale Berlin

Nachstehend übermitteln wir Ihnen einen Bericht für den Monat Juni des Landesverban- des Mitteldeutschland:

Der Reichsstatthalter für Sachsen, Gauleiter Mutschmann,3hielt in Chemnitz eine An- sprache im Rathaus, in der er sich gegen die Juden wendete. Desgleichen auch bei einer Ansprache in Dresden vor den Wirtschaftsführern.

Der sächsische Innenminister Fritsch4sprach sich in Glauchau bei einer Kundgebung in der Stadthalle ebenfalls sehr judenfeindlich aus.

Der Polizeipräsident von Leipzig verbot eine Mitgliederversammlung des C.V., in der der Landesverbandssyndikus über Jüdische Arbeitgeber und Jüdische Arbeitnehmer spre- chen wollte, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. In einer eingehenden Rücksprache des Syndikus5mit dem Polizeipräsidenten Knoofe6wurde festgestellt, dass das Verbot nicht in unserer Organisation, sondern in der allgemeinen Gespanntheit der Lage zu suchen ist.

Die Situation unserer Glaubensgenossen in Halberstadt war einige Tage sehr besorgnis-

204 DOK.60 Juni 1933

9 Richtig: Leonie Briske, spätere Saulmann (*1903), Gymnastiklehrerin; von 1941an in Berlin, von dort wurde sie Anfang Februar 1943nach Auschwitz deportiert.

10 Max Epstein (19211982), Sohn von David und Hella Epstein, emigrierte im Februar 1940in die USA.

1 RGVA,721k-1-261, Bl.266270.

2 Im Original handschriftl. Änderungen, Bearbeitungsvermerke sowie Stempel.

3 Martin Mutschmann (18791950),Textilarbeiter; von 1907an Inhaber einer Spitzenfabrik;1922NSDAP- Eintritt;19261945Gauleiter von Sachsen,19331945Reichsstatthalter in Sachsen,19351945Führung der Regierungsgeschäfte in Sachsen;1945verhaftet,1947in Moskau zum Tode verurteilt und 1950 hingerichtet.

4 Dr. Karl Johann Erhard Fritsch (19011944), Staatswissenschaftler;1919Mitglied des Deutschvölki- schen Schutz- und Trutzbunds,1921NSDAP-Eintritt,19221928verschiedene NSDAP-Funktionen, von 1928an stellv. Gauleiter von Sachsen,1934SS-Eintritt;19331944sächs. Innenminister und 1938 1943stellv. Reichsstatthalter in Sachsen.

5 Kurt Sabatzky, siehe Anm.13.

6 Richtig: Oskar Knofe (18881978?), Berufsoffizier;19091920Militärlaufbahn; von 1924an in der Landespolizei tätig,19331937Polizeipräsident von Leipzig,1937nach Berlin versetzt, dort Oberst der Schutzpolizei,19391942Befehlshaber der Ordnungspolizei in Posen und 19421943in Salzburg;

1949in Polen zu acht Jahren Haft verurteilt,1955entlassen.

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erregend.7Aus diesem Grunde entsandte der Landesverband Syndikus Kamnitzer8dort- hin, der mit unseren dortigen Freunden eine eingehende Aussprache hatte. Diese baten, von jeder offiziellen Intervention abzusehen. Die Verhältnisse haben sich nunmehr beru- higt. Ausserdem wurde Kamnitzer auch nach Magdeburg entsandt, wo Dr. Merzbach9in Schutzhaft genommen worden war, während gleichzeitig in seiner Wohnung eine Haus- suchung stattfand, bei der C.V.-Material beschlagnahmt wurde. Dr. Merzbach wurde nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuss gesetzt.

Der Landgerichtspräsident von Chemnitz hatte eine Verfügung erlassen, derzufolge die ihm unterstellten Beamten, Angestellten und Arbeiter nicht in jüdischen, marxistischen und anderen staatsfeindlichen Betrieben kaufen sollten. Auf eine schriftliche Intervention des Landesverbandsvorsitzenden hin erklärte der Landgerichtspräsident von Miaskow- ski,10dass es ihm fern gelegen habe, alle Juden mit staatsfeindlichen Elementen gleichzu- setzen. Sein Erlass müsse so aufgefasst werden, dass es heisse: „In jüdischen Geschäften oder marxistischen und sonstigen staatsfeindlichen Geschäften.“

In Halle erhob der nationalsozialistische Juristenbund11Feststellungen darüber, welche arischen Firmen ihre Mandate weiterhin jüdischen Anwälten übertragen.

In Plauen erliess der Rat der Stadt eine Anordnung, derzufolge es den Juden verboten wird, in städtischen Badeanstalten zu baden. Wir richteten dieserhalb eine Aufsichtsbe- schwerde an die Kreishauptmannschaft Zwickau.

In Zittau wurde eine Schändung des dortigen jüdischen Friedhofs festgestellt. Als Täter konnte ein Arbeiter ermittelt werden, der früher der kommunistischen Partei angehörte.

An der Staatsoper in Dresden wurde einem jüdischen Kapellmeister12und zwei Korrepe- titoren gekündigt, während einem weiteren Korrepetitor und den jüdischen Mitgliedern gesetzmässig gekündigt wurde. Der jüdische Dramaturg ist ebenfalls seit längerer Zeit entfernt worden. Zwei Chefsänger wurden wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassen.

Das Sächsische Volksbildungsministerium veranstaltet einen Kursus für Aerzte-Rassen- kunde. Es wurde erklärt, dass falls der Kursus aus Mangel an Beteiligung nicht zustande käme, besondere Massnahmen gegenüber den Aerzten ergriffen werden würden.

Das Leipziger Frauenseminar hatte sich geweigert, eine jüdische Studentin aufzunehmen.

Auf unsere Vorstellung hin erfolgte die Anweisung durch das Ministerium an das Stadt- schulamt, dass die Aufnahme zu erfolgen habe.

205

DOK.60 Juni 1933

7 Vermutlich ist die Folterung jüdischer Männer durch Nationalsozialisten im Keller eines Halber- städter Pressehauses gemeint; siehe Schwab,1933. Ein Tagebuch, S.2224.

8 Vermutlich Dr. Bernhard Kamnitzer (18901959), Rechtsanwalt und Politiker;19291930Senator für Finanzen in Danzig, danach als Rechtsanwalt tätig; Vorstandsmitglied des Centralvereins Danziger Staatsbürger jüdischen Glaubens, nach Berufsverbot und Haft emigrierte er 1938über Großbritan- nien nach New York, nach 1945Vertreter von Wiedergutmachungsansprüchen.

9 Dr. Ernst Merzbach (18791952), Jurist; von 1906an als Rechtsanwalt in Magdeburg tätig; langjähriger Repräsentant der Jüdischen Gemeinde, später Vorsitzender der Repräsentantenversammlung, Vorsit- zender der CV-Ortsgruppe Magdeburg und bis 1933Vorstandsmitglied des Preußischen Landesver- bands Jüdischer Gemeinden;1938Entzug der Zulassung als Rechtsanwalt und Emigration nach Chile.

10 Karl Woldemar Kurt von Miaskowski (*1869), Jurist;1920Landgerichtsdirektor,19341935Landge- richtspräsident in Chemnitz und von 1935an in Leipzig; Gauführer Sachsen des Bundes National- sozialistischer Deutscher Juristen.

11 NS-Juristenbund: Der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) wurde 1928von Hans Frank gegründet.

12 Generalmusikdirektor Fritz Busch (18901951) hatte die Oper von 1922an geleitet.1933entlassen, emigrierte er zunächst nach Zürich, dann nach Argentinien, später nach Großbritannien.

(15)

Bei einem Jugendtreffen der Hitler-Jugend, zu dem die Teilnahme seitens der Schulen Pflicht war, wurde erklärt, dass Neger, Juden und Fremdrassige, auch wenn sie deutsche Staatsbürger seien, nicht teilnehmen dürfen.

In Quedlinburg wurde durch den Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes der Boykott gegen eine jüdische Firma fortgesetzt, weil diese entgegen dem Wunsche des Kampfbun- des, dass jüdische Geschäfte bei den Ausverkäufen vor Pfingsten nicht die Bezeichnung

„Pfingstverkauf“ anbringen dürfen, ein entsprechendes Schild angebracht hatte. Es fand mit unseren dortigen Freunden eine eingehende Beratung in Gegenwart des Syndikus Sa- batzky13statt. Auch wurde dort durch Pressenachrichten Ende Juni angekündigt, dass die deutschen Hausfrauen sich vorsehen sollen, damit sie nicht in einer Veröffentlichung un- ter der Rubrik „Am Pranger“ in der Tagespresse als undeutsch hingestellt und am Schand- pfahl angeprangert werden.

Mitglieder der Krankenkasse des Vereins „Merkur“-Nürnberg wurden durch uns veran- lasst, gegen den Ausschluss aus dem Verein sowohl als auch gegen die Erhebung einer Sondergebühr im Falle des Verbleibs im Verein bei der Vereinsleitung zu protestieren und an die Generalversammlung zu appellieren.

Eine Verfügung der NSDAP der Ortsgruppe Chemnitz, wonach die Juden ihre Autos der S.A. auf Anforderung zur Verfügung zu stellen hätten, die auch mehrere Wochen hin- durch durchgeführt wurde, wurde durch die Parteileitung wieder aufgehoben.

Wegen wirtschaftlicher Uebergriffe in Bezug auf Ausschliessung von Markthändlern so- wie der Boykottausdehnung durch städtische Stellen hatten der Vorsitzende und der Syn- dikus eine eingehende Unterredung im Wirtschaftsministerium in Dresden mit dem per- sönlichen Referenten des Ministers Dr. v. Buch.14Das Wirtschaftsministerium wurde auf die Ungesetzlichkeiten hingewiesen, die es seinerseits auch zugab. Es erklärte, durch Auf- klärung des Innenministers für Abhilfe Sorge tragen zu wollen. Herr Dr. von Buch erbat die Ausarbeitung einer Denkschrift.

Das Syndikat hatte eine grosse Anzahl von wirtschaftlichen Beratungen vorzunehmen.

In Bezug auf Niederlassungsmöglichkeiten für Aerzte im Auslande wurden Erhebungen bei den Leipziger Generalkonsulaten bezw. bei den Konsulaten von Persien, China und Japan angestellt.

Auf Veranlassung der Zentrale wurden Erhebungen über Behördenaufträge und über die im Bezirke wohnenden Referendare unternommen. Die Ortsgruppen wurden veranlasst, der Zentrale ihren Vermögensstand a[n]zugeben.

In einer R.j.F.-Versammlung in Leipzig wurden seitens des früheren Vorsitzenden Brav- mann15sehr erhebliche Angriffe gegen den C.V. erhoben, und zwar lediglich deswegen, weil der C.V. in einer Mitgliederversammlung, in der Dr. Hirschberg,16Sabatzky und

206 DOK.60 Juni 1933

13 Kurt Sabatzky (18921955), Journalist;19221923Syndikus des CV in Leipzig,19231932Geschäfts- führer des CV in Ostpreußen und 19331938des Landesverbands Sachsen und Anhalt in Leipzig;

Mitglied des RjF und des B’nai B’rith; zeitweise KZ-Haft in Buchenwald;1939Geschäftsführer der Synagogengemeinde Essen;1939emigrierte er nach Großbritannien, dort ab 1943für jüdische Or- ganisationen tätig.

14 Dr. Gustav Friedrich von Buch (*1883), Jurist; zunächst DNVP-Mitglied,1933NSDAP-Eintritt;

19121939im sächs. Staatsdienst, zuletzt als Ministerialrat.

15 Vermutlich Salomon Stefan Bravmann (18871934).

16 Vermutlich Dr. Alfred Hirschberg (19011971), Journalist; von 19201938in der Leitung des CV in Berlin tätig, von 1929an als Syndikus, von 1933an als Direktor,19331938Chefredakteur der C.V.- Zeitung; er emigrierte 1939über Großbritannien nach Brasilien.

(16)

Dr. Goldmann17referierten, nicht die Verdienste des Ortsgruppenvorsitzenden des R.j.F.

gewürdigt [hatte]. Der Vorsitzende rügte seinerseits, dass Bravmann diesen Anlass be- nutzt hatte, um aus dem C.V. auszuscheiden.

Den auf Grund ihrer jüdischen Abstammung entlassenen Angestellten der Firma Theo- dor Althoff, Inhaber Rudolph Karstadt A.-G.-Leipzig, gewährten wir Rechtsschutz. Sie wurden vor dem Arbeitsgericht in Leipzig durch Syndikus Sabatzky vertreten. Es gelang, das Gericht von der Unhaltbarkeit der fristlosen Entlassung zu überzeugen. Dieses verur- teilte die Firma zur Zahlung der Gehälter bis zum fristgemässen Kündigungstermin und erklärte im Urteil, dass die Firma zwar das Recht gehabt hätte, auf die Dienste der Kläge- rin zu verzichten, dass sie aber nicht von einer Verpflichtung entbunden sei, ihm bis zum gesetzlichen Kündigungstermin Gehalt zu zahlen. Das Urteil wurde für vorläufig voll- streckbar erklärt.18

DOK.61

Hans Kantorowitz weigert sich am 1. Juli 1933, aus der Berliner Turnerschaft auszutreten1 Schreiben von Hans F. Kantorowitz2, Berlin, Lindenpromenade 8, an Naumann3vom 1.7.19334 Lieber Turnbruder Naumann!

Zunächst möchte ich auf mein seinerzeit an Sie persönlich gerichtetes Schreiben wegen der B.T. Unfallversicherung zurückkommen und bemerken, dass ich bis heute leider ohne Antwort geblieben bin. Ich wäre Ihnen für eine kurze Nachricht sehr verbunden.

Bei dieser Gelegenheit überreiche ich Ihnen die Abschrift eines Schreibens, welches ich gestern an den Kassenwart der „Vierten“ gerichtet habe.5

Ausgerechnet heute kommt nun das neue Nachrichtenblatt der B.T. mit Ihrem Leitartikel und Sie können mir glauben, dass mir Ihre Worte von der „turnbrüderlichen Gesinnung“, der „wahren Kameradschaft“ und „für sein ganzes Leben“ einen schmerzlichen Stich ge- geben haben.6Ich dachte an die Worte: des Volkes Dank ist Euch gewiss. Wie wurden die 207

DOK.61 1.Juli1933

17 Dr. Felix Goldmann (18821934), Rabbiner; von 1907an Rabbiner in Oppeln; von 1917an Gemein- derabbiner in Leipzig; Vorstandsmitglied des CV; Autor u. a. von „Vom Wesen des Antisemitismus“

(1925).

18 Es handelte sich um 30Angestellte. Sabatzky hatte vor Gericht argumentiert, dass diese Angestellten keine öffentlichen Funktionen ausübten, daher keine Analogie zum Berufsbeamtengesetz zulässig sei. Das Reichsarbeitsgericht schloss sich dem Leipziger Urteil später an, allerdings sah es eine Be- rechtigung zur fristlosen Entlassung dann gegeben, wenn das Verbleiben jüdischer Angestellter im Einzelfall zu einer für den Arbeitgeber untragbaren Betriebsstörung führe; Kurt Sabatzky, Meine Er- innerungen an den Nationalsozialismus (1940), S.37, Harvard-Preisausschreiben, Nr.261.

1 BArch, R 34/491.

2 Hans F. Kantorowitz war Sportwart der Leichtathleten.1933erkämpfte er sich beim 15. Deutschen Turnfest Stuttgart den siebten Rang im Fünfkampf der Männer der Klasse II. Vermutlich handelt es sich bei dem Sportler um Hans Kantorowitz, auch Kantorowicz (19001941), der im November 1941 nach Kowno deportiert und dort am 25. 11. 1941erschossen wurde.

3 Rupert Naumann (18851946?), Redakteur;1905Eintritt in die Berliner Turnerschaft (BT),1925 1928Stellv. Hauptschriftwart der BT,19301933 3.Vorsitzender und 19341936 1.Vorsitzender der BT.

4 Im Original mehrere handschriftl. Unterstreichungen.

5 Liegt nicht in der Akte.

(17)

fahren mit Empörung zu verbitten. Was würden die kirchlichen Würdenträger sagen, wenn wir in ihrer Papstgeschichte herumschnüffelten, wo dem Vernehmen nach auch nicht alles so gewesen sein soll, wie es dem christlichen Sittenkodex entspricht.

Wenn die ausländische Presse bei der Ankündigung dieses Versammlungsfeldzuges er- klärte, das Prestige des Nationalsozialismus im Lande sei gesunken und man müßte des- halb zu diesem Mittel greifen, so kann ich nur sagen:

Man soll nicht von sich auf andere schließen. Es wäre zu wünschen, daß alle Regierungen so fest stünden wie die unsere.

Mancher Minister des Auslandes könnte sich beglückwünschen, wenn er eine so lange Zeit vor sich hätte wie wir. Das deutsche Volk hat für diese Unterstellung nur ein mitleidi- ges Lächeln übrig. Wir appellieren an das Volk, weil uns das ein inneresBedürfnis, weil es uns Freude ist, und weil wir erneut wieder in unserer Bewegung und im Volke stehen wol- len. An dieser Bewegung werden auch alle Sabotageversuche zerschellen. Sie wird die Re- gierung der Pflicht entheben, gegen die Miesmacher und Saboteure vorzugehen. Sie wird millionenfach den Schrei erheben:

Nun aber Schluß, jetzt ist es zu Ende mit unserer Geduld! Nicht länger soll man unsere Geduld mißbrauchen! Jetzt appelliert die Bewegung an die Nation, und dieser Appell wird nicht ungehört verhallen! Wenn die Bewegung an die Nation appelliert, so wird die Nation mit ihr sein.

DOK.118

Der Regierungspräsident in Frankfurt (Oder) rechtfertigt gegenüber dem preußischen Finanzminister am 26. Mai 1934die Einziehung des Gutes von Hugo Simon1

Stellungnahme des Regierungspräsidenten (I Pol. – B.S.1.), Frankfurt (Oder), i. V. gez. (ohne Unter- schrift), an den preuß. Finanzminister vom 26.5.1934(Abschrift zu II G 1501/104für die Akten)2 Betr. Einziehung des dem Bankier Hugo Simon3gehörigen Landgutes „Schweizerhaus“ in Seelow, Kreis Lebus.

Bezug: Erlaß vom 23. April 1934– II G 1501/104–.

Berichterstatter: Regierungsrat Möbus.4 6Anlagen.5

Mit Verfügung vom 5. Oktober 1933habe ich das dem jüdischen Bankier Simongehörige Gut „Schweizerhaus“ in Seelow, Kreis Lebus, bestehend aus etwa 230 Morgen Land, 339

DOK.118 26.Mai 1934

1 GStAPK, I HA, Rep.151I A/8083.

2 Im Original kleinere handschriftl. Änderungen. Wegen der Enteignung hatte Simon am 16. 4. 1933über seinen Rechtsanwalt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Regierungspräsidenten eingereicht; ebd.

3 Hugo Simon (18801950), Bankier und Politiker; SPD-Mitglied und Kriegsgegner;19181919Unter- staatssekretär im preuß. Finanzministerium, kurzzeitig Finanzminister; Aufsichtsratsmitglied diver- ser Unternehmen, Vorstandsmitglied mehrerer Kunstvereine;1933Emigration nach Paris,1940nach Brasilien.

4 Johannes Möbus (*1895), Jurist;1932NSDAP-, SA- und SS-Eintritt;19341936Leiter der Staatspoli- zeistelle und des Dezernats für Staatsangehörigkeitssachen und Blutschutzgesetzgebung der Regie- rung Frankfurt (Oder),1936Oberregierungsrat, von 1937an in der Dienststrafkammer des RMdI in Frankfurt (Oder).

5 Liegen nicht in der Akte.

(18)

1Obstplantage,1Hühnerfarm, den entsprechenden Wirtschaftsgebäuden nebst leben- dem und totem Inventar auf Grund der Gesetze vom 26. Mai und 14. Juli 1933zugunsten des Preußischen Staates beschlagnahmt und eingezogen.6Die Einziehungsverfügung ist im Deutschen Reichsanzeiger Nr.236vom 9. Okt.1933bekannt gemacht worden.

Simon ist Mitinhaber des Bankhauses „Bett, Simon & Co“ in Berlin und galt als sehr ver- mögend, so daß er sich gestatten konnte, in Seelow, Kreis Lebus, einen Grundbesitz zu kaufen, für dessen Ausbau er im Laufe der Jahre außerordentliche Mittel aufwendete. Ne- ben dem Betriebe einer mustergültigen Landwirtschaft mit einer ebenso mustergültig eingerichteten Schweinezucht, einer großen Hühnerfarm, einer nach neuzeitlichen Ge- sichtspunkten aufgebauten großen Obstplantage mit rd.20 000Bäumen, hielt Simon sich aus Liebhaberei noch einen modernen Bienenstand, eine Waschbärenzucht und eine Zucht von Wellensittichen. Für die Einrichtung und Unterhaltung dieser zum Teil als luxuriös anzusprechenden Betriebe hat Simon angesehene Fachleute herangezogen, von denen ei- nige jetzt noch auf dem Grundbesitz tätig sind. Die Beschlagnahme und Einziehung ist erfolgt, weil Simon, der unmittelbar nach der Machtübernahme durch die nationalsozia- listische Regierung nach Frankreich flüchtete, eine Zeit lang Finanzminister der marxisti- schen preußischen Regierung und Mitglied der SPD war und weil er auch nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst bis kurz vor dem 30. Januar 1933enge Beziehungen zu hochstehenden marxistischen Persönlichkeiten unterhalten hat, die ihn häufig auf seinem Landgut in Seelow besuchten. Ständige Gäste bei ihm waren die früheren Minister Braun, Severing und Greszinsky,7ferner die marxistischen Führer Bernhardt,8Weiß9und Dr. Breit- scheid. Auch der als berüchtigte Pazifist und fanatische Bekämpfer der nationalsozialisti- schen Bewegung bekannte Hellmuth von Gerlach, Herausgeber der „Welt am Montag“, gehörte zu den Besuchern auf dem Landgut „Schweizerhaus“.

Von den vorgenannten Personen sind inzwischen Hellmuth v. Gerlach, Bernhard Weiß, Greszinski und Dr. Breitscheid wegen ihres staatsfeindlichen Verhaltens im Ausland ausge- bürgert worden.10Zur Zeit hält sich Simon in Südfrankreich auf, und zwar in denselben Ge- genden, in welchen sich auch die vorgenannten ausgebürgerten Staatsfeinde befunden ha- ben. Es ist demnach mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß Simon nach wie vor Beziehungen zu diesen Emigranten unterhält, mit denen er sich nicht nur gesellschaftlich und jagdsportlich, – wie er glauben machen will – sondern ganz offensichtlich auch weltan- schaulich und im Haß gegen alles, was nationalsozialistisch ist, verbunden fühlt.

Wenn Simon angibt, es seien auch Persönlichkeiten bei ihm zu Gast gewesen, die politisch nicht als links eingestellt angesehen werden könnten, so beweist dies nur, daß er geschickt genug war, sich nicht einseitig über die politische und wirtschaftliche Lage informieren zu lassen. Es würde zu[m] mindesten jeder Lebenserfahrung widersprechen, wenn „ir-

340 DOK.118 26.Mai 1934

6 Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. 5. 1933und Gesetz über die Ein- ziehung staats- und volksfeindlichen Vermögens vom 14. 7. 1933; RGBl.,1933I, S.293und 479.

7 Richtig: Albert Grzesinski (18791947), Arbeiterfunktionär; von 1903an Gewerkschafts- und SPD- Funktionär;19251926und 19301932Polizeipräsident von Berlin,19261930preuß. Innenminister;

1933Emigration nach Frankreich,1937in die USA.

8 Gemeint ist Georg Bernhard.

9 Dr. Bernhard Weiß (18801951), Jurist; von 1918an im Berliner Polizeidienst,19281932stellv. Poli- zeipräsident in Berlin; flüchtete 1933nach Großbritannien. Weiß sah sich in der Weimarer Republik öffentlichen antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt, insbesondere von Goebbels, wogegen er mit Erfolg gerichtlich vorging.

10 Zur Ausbürgerung Breitscheids und von Gerlachs im Sommer 1933siehe Dok.70vom 14. 8. 1933.

(19)

gendwelche politischen Besprechungen auf dem Gute weder direkt noch indirekt“ statt- gefunden hätten. Ich stehe nicht an, diese Behauptung des Simon als eine bewußte Un- wahrheit zu bezeichnen. Unwahr ist auch, daß die führenden Angestellten „seit Jahren schon rechtspolitisch eingestellt waren“. Die maßgebenden, Dipl. Landwirt Zörner und Volz, sind vielmehr erst in den letzten Tagen des April bezw. Anfang Juli 1933– also nach- dem Simon längst geflüchtet war – der NSDAP bezw. der SS beigetreten. Zörner wird heute noch als politisch unzuverlässig bezeichnet.

Daß die Beschlagnahme seinerzeit gewissermaßen auf Druck des Kreisleiters der NSDAP, Friedrich, erfolgt sein soll, ist unrichtig. Der Landrat stellt auch entschieden in Abrede, dem Rechtsanwalt Saare gegenüber angedeutet zu haben, daß die Beschlagnahme notwen- dig gewesen sei, um den illegalen Zustand einer Beschlagnahme durch den Kreisleiter der NSDAP zu beseitigen. Kreisleiter Friedrich ist wohl an den Landrat mit dem Wunsche her- angetreten, zu veranlassen, daß das Simonsche Wohnhaus in Seelow für die Mädchen- klasse der landwirtschaftlichen Schule in Seelow zur Verfügung gestellt werde. Für die Be- schlagnahme des ganzen Grundstückes ist dieser Wunsch des Kreisleiters jedoch nicht ursächlich gewesen. Die unmittelbare Veranlassung zu der auf Grund der vorgenannten Tatsache bereits im April 1933in Erwägung gezogenen, rechtlich jedoch erst nach dem Ge- setz vom 26. Mai 1933möglichen Beschlagnahme gab vielmehr das Bekanntwerden der Tat- sache, daß Simon nach seiner Flucht nach Amsterdam [seinen] Grundbesitz zu Gunsten des in Berlin als „rote Bude“ bekannten Bankhauses „Bett, Simon & Co“ (früher Karsch, Simon & Co.) mit einer Grundschuld von 400 000RM belastete, wodurch der Verdacht begründet erschien, daß durch diese Belastung über den wahren Wert des Grundstückes hinaus noch Werte in das Ausland verschoben werden sollten.

Ich bitte,die Beschwerde abzuweisen.

Die Beschlagnahme und Einziehung des Grundstückes ist m. E. sowohl tatsächlich als auch rechtlich begründet. Eine Freigabe würde staatspolitisch von außerordentlicher Tragweite sein, weil bei der weit überwiegend nationalsozialistisch eingestellten Bevölke- rung des Kreises Seelow, die seinerzeit die getroffenen Maßnahmen erwartet und lebhaft begrüßt hat, ein nicht wieder gut zu machender Verlust an Vertrauen zur nationalsozia- listischen Staatsführung eintreten würde. Ganz abgesehen davon, daß die Verwertung des Simonschen Grundbesitzes für Zwecke des Landesbauernführers, der dort einen Muster- betrieb einrichten will, unmittelbar zu erwarten steht.

Im Hinblick auf die große politische und wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit darf ich mir erlauben, eine Besichtigung des Simonschen Besitzes unter Führung des Landrates und Hinzuziehung meines mit dem Vorgang und den örtlichen Verhältnissen genau vertrauten Sachbearbeiters anzuregen.

Die Akten, betreffend Einziehung des Simonschen Gutes, befinden sich zurzeit bei dem Geheimen Staatspolizeiamt Berlin, das sie mit Erlaß vom 28. März 1934– II A – S 3/33– angefordert hatte.11

341

DOK.118 26.Mai 1934

11 Das Gestapa berichtete am 4. 10. 1934dem preuß. Finanzminister, dass es keine Tatsachen habe er- mitteln können, die eine Einziehung aufgrund der Gesetze vom 26. 5. und 14. 7. 1933hätten rechtfer- tigen können. Um eine nachträgliche Rechtsgrundlage zu schaffen, empfahl es die rasche Ausbürge- rung Simons durch das RMdI. Noch 1937schwebte das Verfahren, weil das Auswärtige Amt dem An- trag nicht zugestimmt hatte; wie Anm.1.

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