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Im Rausch der Stille

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Academic year: 2022

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Im Rausch der Stille

Roman

Bearbeitet von

Albert Sánchez Piñol, Angelika Maass

1. Auflage 2006. Taschenbuch. 256 S. Paperback ISBN 978 3 596 16557 5

Format (B x L): 12,5 x 18,9 cm Gewicht: 225 g

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Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

© S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2006

Unverkäufl iche Leseprobe des S. Fischer Verlages Albert Sanchez Piñol

Im Rausch der Stille

Roman

8,95 (D) sfr 16,50 256 Seiten, Broschur ISBN 3-596-16557-1 Fischer Taschenbuch Verlag

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Im Rausch der Stille

1

Wir ähneln denen, die wir hassen, mehr als wir denken. Und deshalb glauben wir, dass wir denen, die wir lieben, nie ganz nah sind. Als ich mich einschiffte, kannte ich dieses grausame Gesetz bereits. Doch es gibt Wahrheiten, die unsere Beachtung verdienen, und solche, mit denen wir uns besser nicht

befassen.

In der Morgendämmerung zeigte sich uns die Insel zum

ersten Mal. Seit dreiunddreißig Tagen waren die Delfine unserem Schiff nicht mehr gefolgt und seit neunzehn konnte man

den Dampf aus den Mündern der Besatzung sehen. Die schottischen Matrosen schützten sich mit Fausthandschuhen, die

bis zum Ellbogen reichten. Ihre Pelze waren so gewaltig, dass sie an Walrossleiber erinnerten. Für die Senegalesen waren diese frostigen Breiten eine Strafe, und der Kapitän erlaubte, dass sie sich Wangen und Stirn zum Schutz mit Bratfett einrieben.

Das Zeug wurde flüssig und drang in die Augen. Ihnen liefen die Tränen, aber sie beklagten sich nie.

»Ihre Insel. Da, schauen Sie, am äußersten Horizont«, sagte der Kapitän zu mir.

Ich konnte sie nicht sehen. Nur dieses kalte Meer, das wie immer von fernen Wolken verhüllt war. Obwohl wir weit im

Süden waren, hatten die Formen und Gefahren der antarktischen Eisberge während unserer Überfahrt nicht für Turbulenzen

gesorgt. Kein Berg aus Eis, keine Spur jener urwüchsi- gen, spektakulären treibenden Riesen. Wir erlitten die Unannehmlichkeiten

des Südens, aber seine Großartigkeit blieb

uns vorenthalten. Mein Bestimmungsort lag also an der

Schwelle einer eisigen Grenze, die ich nie überschreiten würde.

Der Kapitän gab mir das Fernglas. »Und? Sehen Sie sie

jetzt?« Ja, ich sah sie. Ein Stück Land, das zwischen dem Grau des Ozeans und dem Grau des Himmels zerdrückt wurde und

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von einem weißen Schaumband umgeben war. Sonst nichts.

Ich musste noch eine Stunde warten. Dann wurden, je näher wir herankamen, die Umrisse für das bloße Auge erkennbar.

Das war nun mein künftiger Wohnort: Eine Fläche, die es von einem Ende zum andern kaum auf anderthalb Kilometer brachte, in Form eines L. Der nördlichste Zipfel war eine Anhöhe aus Granit, dort stand der Leuchtturm. Sie unterstrich noch seine Kirchturmhöhe. Der Leuchtturm beeindruckte nicht eigentlich durch seine Größe, doch die geringe

Ausdehnung der Insel verlieh ihm durch den Kontrast geradezu megalithische Festigkeit. Im Süden, an der Ferse des L, eine kleinere Erhebung, auf der sich das Haus des Wetterbeobachters zeigte. Also mein Haus. Die beiden Gebäude waren durch

eine Art schmales Tal verbunden, wo Feuchtvegetation gedieh.

Die Bäume standen dicht, wie eine Herde Tiere, die sich aneinander drängen, um von den anderen Körpern geschützt zu werden. Sie waren von Moos bedeckt. Moos, das dicker war als die Hecken in den Gärten, dazu kniehoch, ein seltsames Phänomen. Wie dreifarbige Lepra befleckte es die

Stämme: blau, violett und schwarz.

Die Insel war von kleineren Riffen umgeben, die da und dort aus dem Meer hervorragten. Es war völlig unmöglich, weniger als dreihundert Meter vor dem einzigen Strand zu ankern, der sich unterhalb des Hauses erstreckte. Es blieb mir deshalb nichts anderes übrig, als mich und mein Gepäck ins Beiboot zu verfrachten. Dass mich der Kapitän an Land be- geleitete, verstand ich als zusätzlichen Freundschaftsdienst.

Nichts verpflichtete ihn dazu. Doch war im Verlauf der Reise zwischen uns eine Form von Einverständnis entstanden, wie

es sich manchmal zwischen Menschen verschiedener Generationen entwickelt. Ursprünglich stammte er aus dem Hamburger

Hafenviertel, später wurde Dänemark seine Heimat.

Falls ihn etwas charakterisierte, so waren es seine Augen.

Wenn er jemanden ansah, gab es nichts anderes mehr auf der Welt. Den Einzelnen beurteilte er mit dem Maßstab eines Insektenforschers, Situationen als Sachverständiger. Manche würden das für Härte halten. Ich aber glaube, dass dies seine Art war, seine Vorstellung von Toleranz zum Vorschein zu bringen, die er im Hinterzimmer seines Geistes verbarg. Nie w3rde er seine Nächstenliebe mit Worten eingestehen, aber ihr galt all sein Tun. Er behandelte mich immer mit der Liebens- würdigkeit eines beauftragten Henkers. Wenn er etwas

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für mich tun könnte, würde er es tun. Wer war ich denn

schon? Ein Mann, der Jugend näher als der Reife, abkommandiert auf eine winzige Insel, über die Polarwinde fegten. Zwölf

Monate lang sollte ich dort leben, im einsamen Exil, fern jeglicher Zivilisation, mit einer ebenso monotonen wie belanglosen

Arbeit, nämlich der, die Intensität, die Richtung und

Häufigkeit der Winde aufzuzeichnen. So war es im Abkommen des internationalen Seewesens festgelegt. Selbstverständlich war die Bezahlung gut. Doch niemand nimmt einen solchen Posten wegen des Geldes an.

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