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arstige Kunde ist von SAP, der deutschen Edelsoftwareschmiede zu hören. Reihenweise sollen, den Bekundungen der Er- mittlungsbehörden zufolge, viele Leute im „inner circle“des Unternehmens Insiderin- formationen ausgenutzt ha- ben. Vor dem 23. Oktober letzten Jahres verkauften demnach etliche Besserwis- ser jede Menge Aktien, bevor aufgrund veröffentlichter schlechter Unternehmens- nachrichten der Kurs an ei- nem Tag (!) um fast ein Vier- tel abstürzte.
Es läge natürlich auch der Schluß nahe, daß zu anderen Zeiten dieselben Spezialisten SAP-Aktien kauften, bevor gute Nachrichten das Son- nenlicht erblickten. Von fai- rer Kursfindung also keine Spur. Diese Mentalität des Gebens und Nehmens wirft ein bezeichnendes Schlag-
licht auf die Unternehmens- philosophie des Hauses und mag ein Hinweis darauf sein, daß der private Anleger am Ende oft genug der Dumme ist.
Richtig erwischt hat es da- gegen bereits Bre-X-Ak- tionäre. Dahinter verbirgt sich eine kanadische Goldmi- nenaktie, und die ist von ein paar Cents auf einen Kurs von 200 Can-Dollar gestie- gen. Das Kursfeuerwerk kam zustande, weil das Unterneh- men auf Borneo Goldvor- kommen entdeckt habe, die angeblich nahezu 200 Millio- nen Unzen ausmachten.
Einziges Problem dabei:
irgendwer hat im großen Stil an den Testbohrungsstellen, im sogenannten Busang-Vor- kommen, vorher das Gold verbuddelt. Der Schwindel flog jetzt auf, und die Aktie zerbarst auf das passende Ni- veau. Von viel auf nix. Damit geht das wertlose Busang- Vorkommen als wohl größter Schwindel in die Geschichte des Goldbergbaus ein. Der private Anleger ist in diesem Fall am Ende. Der Dumme sowieso.
„Einen Sohn zeugen.
Einen Baum pflanzen. Ei- nen Fernsehsender kaufen.“
Dümmer geht’s wirklich nim- mer. Gleichwohl buhlt Pro- Sieben mit dieser Anzeige dieser Tage um Anleger für den bevorstehenden Börsen- gang. Teilhaber eines Fern- sehsenders würden in ihre ei- gene Zukunft investieren, tönt es da vollmundig. Was habe ich eigentlich von einer Filmabspielanstalt, die mir zu einem Zighunderttausendstel gehört? Bisher dachte ich im- mer, mit Bildung würde man der Zukunft gewappnet ge- genüberstehen und nicht mit dem genauen Gegenteil.
Der Gipfel der Paradoxie:
Am Ende wird sich die Emis- sion für den Anleger lohnen, da mit einer zigfachen Über- zeichnung zu rechnen ist, schlicht, weil jedermann Be- sitzer einer Fernsehanstalt werden will. So komme ich leider nicht umhin, wider bes- seres Wollen zur Zeichnung zu raten. Börsebius
[32] Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 20, 16. Mai 1997
S C H L U S S P U N K T
Post Scriptum
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s gilt, eines Kollegen zu gedenken, mit dem der Schreiber dieser Zeilen die Freude an dem gleichen Gebäude teilte: 7 Adam Street, Adelphi, London WC2. Ich habe auf dem täg- lichen Weg in mein Londo- ner Büro öfter einen kleinen Umweg gemacht, um den Blick auf diese elegante, strahlend weiße georgiani- sche Fassade zu genießen;durchs Erdgeschoßfenster sah man ihn dann bei der Ar- beit, und wir nickten uns zu.
Tatsächlich hat jener Kollege die Entwicklung der medizinischen Wissen- schaft in seiner Weise nach- haltig beeinflußt, obwohl viele, die von seiner Arbeit profitierten, kaum seinen Namen wußten: Ian Arthur Hoyle Munro, M. B. Lond., F.R.C.P., Arzt, 37 Jahre lang Redakteur der briti- schen medizinischen Zeit- schrift The Lancet, zwölf Jahre davon (1976 bis 1988) ihr Chefredakteur. Zu
Dr. Munros Zeit bestand immer noch die Tradition der 1823 gegründeten Zeit- schrift, nach der kein Redakteur jemals einen Beitrag mit seinem Na- men zeichnete. Er verband die penible Objektivität des wissenschaftli- chen Berichter- statters mit ho- hen Ansprüchen an das Niveau der Beiträge;
wenn denn über- haupt möglich, hat er das Anse- hen des Lancet in der Wissenschaft noch gesteigert.
Als medico- politischer Kom- mentator äußer- te er dezidiert
seine Meinung. Er war ein glühender Verfechter der Idee des britischen Staatli- chen Gesundheitsdienstes
und schreckte nicht davor zurück, die Leser des Lan- cet-Editorial dazu aufzuru- fen, die Konservativen ab- zuwählen, weil sie seiner Meinung nach den National Health Service zu schlecht behandelten.
Seine letzten Amtsjah- re als Chefredak- teur wurden ihm allerdings vergällt durch Einspar- maßnahmen des Verlages, dem Lancet gehörte;
sie gipfelten kurz vor seiner Pensio- nierung im Ver- kauf jenes schö- nen Gebäudes in der Adam Street, das hier in der leicht stilisierten Darstellung vom Deckblatt eines Lancet-Inhaltsver- zeichnisses abgebildet ist.
Mir erschien diese Fassade
immer wie besonders zu Lancet passend: geradlinig, ausgewogen, unprätentiös, ohne Schnörkel – klassisch schön. Ein typisches Beispiel für den Baustil von Robert Adam (1728 bis 1792) und seinen drei Architekten- Brüdern – an einen von ih- nen erinnert eine blaue Ge- denkplakette neben der Haustür –, die seinerzeit das ganze Adelphi-Viertel zwi- schen der Straße „Strand“
und der Themse bebaut hat- ten. Wer einmal in London ist, kommt bestimmt zum Trafalgar Square; dann lohnt sich ein kleiner Abstecher al- le Male, es sind nur ein paar Minuten zu gehen. Bloß: Dr.
Ian Munro hinter dem Fen- ster an der Schreibmaschine, den gibt es nicht mehr; vor einigen Wochen ist er im Al- ter von 73 Jahren gestorben – in einem Krankenhausbett des National Health Service, wie die „Times“ in ihrem Nachruf ausdrücklich ver- merkt hat. Günter Burkart