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Archiv "Die Bedeutung der genetischen Disposition für Risiken in der Arbeitswelt" (01.05.1992)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die Bedeutung

der genetischen Disposition für Risiken in der Arbeitswelt

Hugo W. Rüdiger' Friedrich Vogel2

Das diagnostische Spektrum der Medizin wurde vor allem im letz- ten Jahrzehnt um neue Verfahren bereichert, die in bisher nicht ge- kanntem Maße Einblicke in ver- borgene Struktur- und Funktions- zusammenhänge erlauben. Dazu gehört die genetische Analyse mit molekulargenetischen Methoden auf der Ebene des genetischen Materiales, der DNA. Die öffentli- che Diskussion um die Zulässig- keit solcher Verfahren, aus denen auch prognostische Aussagen für den Einzelnen abgeleitet werden können, richtet sich weniger auf Anwendungen dieser Verfahren innerhalb der kurativen Medizin, als auf präventivmedizinisch ori- entierte Fächer, darunter auch die Arbeitsmedizin. Die Übersicht soll deutlich machen, daß genetische Untersuchungen nicht auf mole- kulargenetische Methoden be- schränkt sind, daß die Berück- sichtigung individueller Unter- schiede in der Belastbarkeit un- verzichtbarer Bestandteil von Prä- ventivmeciizin ist, und daß es ärzt- lich-ethisch nicht zu vertreten ist, diese Möglichkeiten der Risiko- bestimmung nicht zum Schutz von Arbeitnehmern einzusetzen.

1 Arbeitsgruppe Toxikogenetik am Ordinariat für Arbeitsmedizin der Universität Hamburg

2 Institut für Humangenetik (Direktor: Prof.

Dr. med. Dr. h. c. Friedrich Vogel) der Rup- recht-Karls-Universität Heidelberg

Belastung,

Belastbarkeit und biolo- gische Variabilität

Hinter der Definition fast aller Grenzwerte steckt ein technisches Denken, deshalb sind Grenzwerte in der Regel statisch. Vorstellungsmo- dell ist ein Damm oder ein Deich.

Hier ist die tolerierte Grenze für die Flutwelle mit der Höhe der Deich- krone gegeben. Ist sie höher, gibt es eine Uberschwemmung, ist sie nie- driger, besteht hundertprozentiger Schutz. In der Medizin, wie auch ganz allgemein im Bereich der Biolo- gie, sind solche Grenzwerte aber problematisch, weil die Verhältnisse hier dynamisch sind.

So sind beispielsweise für eine körperliche Dauerbelastung die Grenzen für Trainierte und Untrai- nierte deutlich verschieden; nicht einmal für das gleiche Individuum sind sie über die Zeit konstant, denn aus einem Untrainierten wird nach kurzer Zeit ein Trainierter oder um- gekehrt. Oder, welches wäre der zeitliche Grenzwert für eine UV-Be- lastung an einem Sommertag am Strand? Es ist klar, daß hier kein all- gemeinverbindlicher Wert anzuge- ben ist, denn die Hälfte aller Urlau- ber läuft braungebrannt und somit adaptiert stundenlang in der Sonne umher Es gibt aber auch eine vorge- gebene Variabilität; Menschen mit einem bestimmten Hauttyp bei- spielsweise zeigen bereits nach einer Viertelstunde einen deutlichen Son- nenbrand. Patienten mit Xeroderma pigmentosum schließlich, einem ge- netischen Reparaturdefekt für UV- bedingte Schäden an der DNA (3) vertragen nicht einmal einen kurzen Aufenthalt im Freien bei bedecktem Himmel, wenn die Haut nicht ge- schützt ist. Die Probleme, angesichts dieser Situation einen verbindlichen

Grenzwert für UV-Strahlen anzuge- ben, ausgedrückt etwa in Joule pro Quadratmeter sind evident. Es gibt also Unterschiede in der Belastbar- keit, einmal erworben durch Adapti- on und Training, zum anderen aber auch anlagebedingt.

Voraussetzung, gesund zu blei- ben, ist nicht Abwesenheit jeder Be- lastung, sondern das Gleichgewicht zwischen Belastung und Belastungs- verarbeitung. Nicht die Belastung an sich stört dieses Gleichgewicht, son- dern nur eine Belastung, die zu den verfügbaren Kompensationsmecha- nismen nicht mehr in einem ausge- wogenen Verhältnis steht (12). Nur weil Belastung vielleicht conditio si- ne qua non für das Auftreten einer Schädigung ist, kann man auch nicht einwenden, die Kompensationsme- chanismen seien für das Risiko- Problem nicht wichtig, weil ihre Be- trachtung ja durch eine Elimination der schädigenden Noxen überflüssig gemacht wird. Diese Auffassung ist nur richtig unter der Voraussetzung, daß sich Noxen vollständig eliminie- ren ließen; aber das ist nicht immer möglich.

Es soll versucht werden, dies am Beispiel der krebserzeugenden Ar- beitsstoffe auszuführen (11), die in der Arbeitswelt eine herausragende Bedeutung haben. Trotz bedeuten- der Fortschritte in der Reduktion einzelner Kanzerogene am Arbeits- platz kann eine Vermeidungsstrate- gie allein hier nicht zum Erfolg füh- ren. Das hat mehrere Gründe:

1. Die Zahl der zu testenden Noxen ist zu groß

Etwa zehn Millionen Verbin- dungen wurden bisher chemisch de- finiert. Es dürfte nicht möglich sein, alle diese Substanzen auf kanzeroge- ne Potenz zu testen, insbesondere A1-1622 (52) Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992

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Arbeitsstoffe — Spezies — Unterschiede — empfindlich unempfindlich

Maus Ratte

Ratte, Maus Mensch

Hamster, Meerschwein Hamster, Ratte Ratte, Maus Meerschwein

Maus Ratte

dann nicht, wenn man berücksich- tigt, daß die Dunkelziffer der noch nicht identifizierten chemischen Verbindungen, darunter die nahezu unendlich große Zahl der Naturstof- fe, bisher nicht einmal annäherungs- weise geschätzt werden kann. Selbst wenn man annähme, daß sich eine Testung für 90 Prozent aller chemi- schen Verbindungen erübrigt, schon deswegen, weil mit einer Exposition nicht gerechnet werden muß, und wenn es gelänge, alle relevanten Substanzen entsprechend ihrem Wirkmechanismus in Gruppen zu- sammenzufassen (die Zahl solcher Gruppen wird dann auf etwa 50 000 geschätzt), selbst dann wäre eine vollständige Testung in absehbarer Zeit nicht zu erreichen.

Tabelle 1: Kanzerogene Substanz

Benzo(a)pyren

sein, um mit ihr noch etwas praktisch anzufangen, weil diese Liste keiner mehr auswendig lernen, geschweige denn sich gleichzeitig vor allen die- sen Stoffen schützen kann.

3. Unsicherheiten in der Identi- fizierung von Kanzerogenen Bisher gibt es zur Identifizierung von Kanzerogenen keinen zuverlässi- gen Test. Der in vivo Versuch am Tier ist in der Regel zuverlässiger als eine Testung in vitro, — selbst im Vergleich zu der wegen ihrer Ein- fachheit auf den ersten Blick so at- traktiven Testung an Bakterien unter Zugabe von Leber-Mikrosomen- Faktionen (Ames-Test); doch auch er ist nicht unproblematisch, weil es

ren erarbeiteten Kenntnisse über die biologischen Mechanismen der Krebsentstehung darf man anneh- men, daß auch ihre krebserzeugende Wirkung primär eine gentoxische Wirkung ist; sie erfolgt also stocha- stisch, nach dem Trefferprinzip. Das bedeutet, daß mit sinkender Schad- stoffkonzentration lediglich die Wahrscheinlichkeit des Schadens- ereignisses abnimmt, aber so lange nicht null wird, solange noch ein ein- ziges Molekül einwirkt. Es ist darum so, daß wir mit Minimierung von Ex- positionen immer nur eine beliebig große Mehrheit, nie jedoch alle Pro- banden schützen können. Unter der kleinen Minderheit, die dennoch er- kranken, finden sich vornehmlich solche, die aufgrund konstitutionell disponierender Faktoren eine erhöh- te Sensitivität gegenüber einem spe- zifischen kanzerogenen Schadstoff aufweisen. Wir haben also mit ver- ringerter Schadstoff-Exposition eine Tendenz weg vom Jedermann-Risiko hin zum Minderheiten-Risiko.

Methylenchlorid Maus Ratte, Hamster

Asbest

[3-Naphthylamin Beryllium Trichloräthylen

2. Die Zahl potentiell geno- toxischer Stoffe ist zu groß Durch Extrapolationen ausge- hend von der noch kleinen Zahl aller bisher getesteten Stoffe kann man schließen, daß etwa 90 Prozent aller chemischen Verbindungen eine ge- notoxische Potenz und damit prinzi- piell auch eine kanzerogene Potenz haben (4). Dieses Ergebnis ist nicht überraschend und war eigentlich zu erwarten, denn die genetische Sub- stanz DNA ist ein reaktives Molekül, und ein Stoff, der chemisch nicht mit DNA reagiert, reagiert unter biologi- schen Bedingungen wahrscheinlich überhaupt mit nichts. Damit dürfte nach einer abgeschlossenen Testung aller vorkommenden chemischen Substanzen — angenommen dies sei überhaupt je möglich — die Zahl der potentiellen Kanzerogene zu groß

für jedes bisher getestete Kanze- rogen hochsensible und immer auch wenig sensible Spezies gibt (Tabelle I ) . Die Unterschiede können mehre- re Größenordnungen betragen, sie können zwischen verschiedenen Tierstämmen auch innerhalb der gleichen Spezies vorhanden sein; — analog zu Verhältnissen beim Men- schen, wo zum Beispiel die UV-Sen- sitivität bei der schon erwähnten Erbkrankheit Xeroderma pigmento- sum um den Faktor 3000 über die von Normalprobanden gesteigert ist.

4. Krebserzeugende Stoffe haben in der Regel keine Grenzwerte

Die meisten krebserzeugenden Stoffe können mit der DNA reagie- ren und diese verändern. Deshalb und aufgrund der in den letzten Jah-

Hierunter fallen zahlreiche Nah- rungsbestandteile, die natürliche Ra- dioaktivität, aber auch essentielle Stoffe, wie Luftsauerstoff und der UV-Anteil des natürlichen Lichtes.

Niemand kennt bisher die quantitati- ve Bedeutung endogener Kanzeroge- ne. Darunter sind Einflüsse zu ver- stehen, die nicht nur unvermeidbar, sondern auch ein Bestandteil unse- rer Biologie sind (6, 10). Die Tabelle 2 nennt hier einige Beispiele. Bei diesen Einflüssen ist das individuelle Risiko ausschließlich durch die Wirksamkeit der konstitutionellen Schutzmechanismen festgelegt. Da- zu zählen Fremdstoffmetabolismus und DNA-Reparatur wie auch im- munologische Faktoren. Diese sind zwar vielfältig, aber dennoch — mit Ausnahmen vielleicht immunologi- scher Prozesse — von begrenzter Spe- zifität. Das bedeutet, daß sich ihre Schutzwirkung oder Abwehrfunktion gleichermaßen auch auf Schäden von außen erstreckt, so zum Beispiel auf Schadstoff-Exposition am Arbeits- platz.

5. Es gibt unvermeidbare Kanzerogene

89, Heft 18, 1. Mai 1992 (55) A1-1625 Dt. Ärztebl.

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Tabelle 2: Kanzerogene durch endogene Mechanismen Wirkungs-Beispiele

Desaminierung, Hydrolyse, Strang- brüche, Dimerisierung, Depurinierung Ursachen

DNA-Instabilität

Zucker, Formaldehyd Chinone (Oestrogen)

Lipidperoxidase Arachid onsäurekas- kade

Elektrophile Radikale/Peroxide

Intestinale Metabolite Fecapentaene

Methylierung von DNA S-Adenosylmethionin 6. Niemand ist nur einem

definierten Schadstoff allein ausgesetzt

Hier handelt es sich um Misch- expositionen aus allen bisher ange- sprochenen Quellen. Dabei kann es durch einige Noxen zu direkten Beeinflussungen von Abwehr- und Schutzmechanismen kommen, was dann die Toxizität anderer ebenfalls vorhandener Stoffe entweder stei- gert oder vermindert. Solche Zusam- menhänge werden nur verstehbar, wenn Mechanismen der Belastungs- verarbeitung in Risikobetrachtungen einbezogen werden.

Natürlich kann diese Betrach- tung nicht bedeuten, daß man resi- gnierend die Hände in den Schoß le- gen und nun nichts mehr tun sollte, um den Arbeitnehmer nach Mög- lichkeit vor krebserzeugenden Stof- fen zu schützen. Ganz im Gegenteil:

Der Schutz sollte so weit ausgebaut werden, wie das überhaupt möglich und praktikabel ist. Nur eben: Einen absoluten Schutz — und vor allem, ei- nen absoluten Schutz für alle Men- schen — kann es nicht geben.

Krebserzeugende Arbeitsstoffe dienten hier zur Verdeutlichung der Zusammenhänge; das Fazit gilt aber generell: Sicherheit am Arbeitsplatz kann man nicht ausschließlich auf ein Konzept der Gefahrenvermei- dung gründen. Um Risiken beurtei- len zu können, müssen wir Expositio- nen in Beziehung setzen zu der Wirksamkeit von Mechanismen, Be- lastung zu tolerieren. UV-Strahlung ist ein hochpotentes Kanzerogen,

aber wenn die spezifischen Repara- turmechanismen der DNA intakt sind, ist die Kanzerogenität in der Praxis unerheblich. Schädlichkeit und Gefährlichkeit sind so gesehen nicht nur Eigenschaft von Substan- zen, sondern sie hängen — neben der Dosis — auch entscheidend ab von der Interaktion zwischen Agens und Wirtsorganismus.

Quantitative und qualitative Bedeutung genetischer Disposition in der Arbeitswelt

Bisher sind allein über 2000 Merkmale und Krankheiten mit ein- fachem Erbgang bekannt (7). Die Zahl der Einzelgene wird für den Menschen auf 10 geschätzt (verglei- che 16); da die meisten phänotypisch sichtbaren Merkmale durch das Zu- sammenwirken zahlreicher Gene entstehen, ist die biologische Vielfalt hier nahezu unbegrenzt. Es läßt sich deshalb auch nicht vorhersagen, wie- viele verschiedene Merkmale es gibt, die bei Belastung der unterschied- lichsten Art, wie sie in der Arbeits- welt vorkommt, für den Träger das Krankheitsrisiko erhöhen. Die mei- sten solcher genetischer Risikofakto- ren werden sehr selten sein, und ein Teil davon wiederum wird nur bei bestimmten Expositionen relevant sein, und nur für ganz wenige Arbeit- nehmer. Es gibt allerdings auch häu- fige genetische Varianten — soge- nannte Polymorphismen —, die Un- terschiede im Krankheitsrisiko nach Belastung zur Folge haben.

Für die so Betroffenen ist es aber natürlich kein Trost, daß Er- krankungen, für die sie selbst ein ho- hes Risiko haben, in der Arbeitswelt sonst kaum eine Rolle spielen mö- gen. Das ist ganz analog zu geneti- schen Krankheiten, die ja auch in der Bevölkerung global betrachtet, sel- ten sind. Aber hier muß Bevölkerung getrennt betrachtet werden als die riesengroße Gruppe mit dem Null- Risiko und die sehr kleine Minder- heit, bei der eine bestimmte seltene Krankheit vorkommt — häufiger viel- leicht als alle häufigen Krankheiten sonst —. Diese Menschen haben ein Recht darauf, daß ihr Risiko erkannt wird durch Diagnostik und daß Hilfe angeboten wird durch Beratung und Prävention. Das kann in der Arbeits- welt nicht anders sein.

Bisher wurden in der Arbeitsme- dizin nur solche genetischen Fakto- ren regelhaft berücksichtigt, die häu- fig sind. Nachfolgend dazu einige Beispiele:

Farbtüchtigkeit

Rot/grün Schwäche ist ein X- chromosomal rezessiv vererbtes Merkmal, das in unserer Bevölke- rung bei etwa acht Prozent der Män- ner festgestellt werden kann. Hier ergeben sich Gefährdungen an be- stimmten Arbeitsplätzen, zum Bei- spiel bei Fahrberufen oder bei Elek- trikern (Farbkodierung von Kabeln und Anschlüssen). Das Besondere bei diesem Merkmal ist, daß nicht nur der Träger selbst geschützt wer- den muß, sondern jeweils auch ein größerer unbeteiligter Personen- kreis, im Falle des Busfahrers oder Lokführers beispielsweise. Den mei- sten Ärzten dürfte nicht einmal be- wußt sein, daß sie bei der simplen Prüfung mit der Farbtafel eigentlich einen „genetischen Test" durchfüh- ren, und daß es eigentlich eine „Dis- kriminierung" aufgrund einer beson- deren Eigenschaft des Genoms ist, wenn man Männer, die nicht ausrei- chend farbentüchtig sind, von be- stimmten Berufen ausschließt.

> Neigung zu Allergien

Obwohl allergische Reaktionen im Prinzip auf nahezu jeden Stoff er- folgen können, ist die Wahrschein- lichkeit, mit der dies geschieht, bei A1-1626 (56) Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992

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Tabelle 3: Häufige Allergene in der Arbeitswelt Stoffgruppen

Chrom und seine Salze Färbemittel

Mehlstaub

Berufskrankheiten, Betroffene Ekzeme, lederverarbeitende Indu- strie, Maurer (Zement)

Ekzeme, z. B. im Friseurhandwerk Asthma bei Bäckern

Antibiotika (z. B. Penicillin) , Reaktionen an Haut und Schleimhäu- ten, Medizinberufe

Tierhaare Asthma, Tier-Pfleger, Züchter

Baum- und Gräserpollen Rhinitis und Asthma, Gärtner, Land- wirte

Tabelle 4: Genetische Disposition zu Tumoren autosomal dominant

Wilms-Tumor Polyposis coli Neurofibromatose Retinoblastom Neuroblastom MEA-Syndrome Goltz-Gorlin-Syndrom

autosomal rezessiv Fanconi Anämie Ataxia telangiectasia Xeroderma pigmentosum Werner-Syndrom

Cockayne-Syndrom Bloom-Syndrom einigen Reizstoffen besonders groß

(Tabelle 3), bei anderen dagegen wird eine allergische Reaktion fast nie beobachtet. Ist es einmal zur Ausbildung einer Allergie gekom- men, so genügen in der Regel klein- ste Mengen des auslösenden Stoffes, die im einzelnen weit unter dem lie- gen können, was analytisch noch er- faßbar ist, um die Symptome hervor- zurufen. So können der Kontakt mit einem vernickelten Knopf an einer Jeans-Hose oder das bloße Hantie- ren mit einem Gefäß aus nickelhalti- gem rostfreien Stahl bei Nickelaller- gie bereits zu erheblichen Hauter- scheinungen führen. Da Grenzwerte, unterhalb derer ein Schutz vor aller- gischen Reaktionen besteht, nicht angebbar sind, kommt hier der gene- tischen Disposition ein besonderer Stellenwert in der Prävention zu. Ei- ne solche Disposition gibt sich zu er- kennen durch eine Häufung von Al- lergien und Bronchialasthma bei na- hen Verwandten oder durch frühere Reaktionen beim Probanden selbst (18). Auch ein sogenannter Milch- schorf ist ein frühes Indiz für eine Disposition zu Allergien. Sie kann zum Beispiel das individuelle Risiko für ein Bäckerasthma auf über 30 Prozent erhöhen, eine Erkrankung, die gleichbedeutend ist mit einer Be- rufsunfähigkeit.

> Erbliche Merkmale mit hohem Krebsrisiko

Zahlreiche Krankheiten und Merkmale mit einfachem Erbgang sind bisher bekannt, bei denen für den Träger erhöhtes Risiko zu Krebserkrankungen besteht (Tabelle 4). Der genaue Mechanismus ist nur in wenigen Fällen geklärt; es kann aber davon ausgegangen werden, daß solche Menschen generell ge- genüber kanzerogenen Noxen aus der Umwelt und Arbeitswelt eine er- höhte Sensitivität haben. Die ange- sprochenen Krankheiten und Merk- male sind durchweg selten, stellen aber durch ihre große Zahl zusam- mengenommen einen ernstzuneh- menden disponierenden Faktor dar.

Ein noch wenig beachtetes Problem in diesem Zusammenhang ist die er- höhte Krebsinzidenz, die sich auch bei den asymptomatischen heterozy- goten Genträgern seltener Syndrome

findet (13, 14, Literatur bei 15). Dies ist sowohl durch systematische Fami- lienuntersuchungen belegt, als auch durch in vitro-Untersuchungen, bei denen Zellkulturen jeweils unter standardisierten Bedingungen mit gentoxischen Agenzien belastet wur- den (2) Ein instruktives Beispiel ist

das - oben bereits erwähnte - Xero- derma pigmentosum. Bei den Homo- zygoten fehlt ein Enzym der Exzisi- ons-Reparatur von UV-Schäden an der DNA; bei UV-Belastung treten deshalb Basaliome auf. Da nach all- gemeiner Erfahrung bei Heterozygo- ten rezessiver Erbleiden die Aktivi- tät der betreffenden Enzyme auf et- wa die Hälfte vermindert ist, lag es nah zu fragen, ob etwa auch bei den Heterozygoten die Basaliom-Häufig- keit - besonders die Häufigkeit früh im Leben auftretende Basaliome -

erhöht ist. In den meisten Staaten der USA konnte eine solche Erhö- hung jedoch nicht nachgewiesen werden. Sie fand sich aber - wenn auch in geringem Ausmaß - in den südlichen Staaten des sogenannten

„sunny belt", wo die Menschen der natürlichen UV-Bestrahlung beson-

ders stark ausgesetzt sind (für beson- dere Schwächen bei Heterozygoten anderer rezessiver Erbleiden verglei- che 15).

Bindegewebsschwäche Die Belastbarkeit des Bindege- webs- und Stützapparates ist indivi- duell stark verschieden und maßgeb- lich durch anlagebedingte Faktoren und durch den individuellen Trai- ningszustand festgelegt. Diese kon- stitutionellen Gegebenheiten sind selbstverständlich zu berücksichti- A1 -1628 (58) Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992

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gen, wenn es um die Beurteilung der Eignung, zum Beispiel in Hebe- und Trageberufen geht. Würde eine sol- che Bewertung der körperlichen Lei- stungsfähigkeit unterbleiben, wären mit Sicherheit in kurzer Zeit Be- schwerden, vielleicht sogar irrever- sible Schäden die Folge. Es ist bei den enormen individuellen Schwan- kungen der Leistungsbreite hier auch nicht realistisch anzunehmen, daß konstitutionelle Schwächen in jedem Falle durch geeignete mecha- nische Hilfen auszugleichen sind.

Neigung zu Bronchitiden Die Sensitivität des Bronchialsy- stems gegenüber inhalativen Bela- stungen ist durch genetische Fakto- ren weitgehend festgelegt (5; 8). Zu inhalativen Belastungen zählen un- ter anderem Lufttrockenheit, hohe Staubbelastung und die Anwesen- heit schleimhautreizender Stoffe.

Lufttrockenheit ist das große Pro- blem insbesondere bei klimatisierten Räumen und kann bei bestimmten Personen zu einem chronischen Reizzustand ihres Bronchialsystems mit gehäuften Infekten führen. Dies ist durch Veränderungen und Ver- besserungen der Klimaanlagen noch nicht völlig zu beseitigen, denn auch eine systematische Anfeuchtung der Raumluft hat ihre Risiken, zum Bei- spiel durch die Gefahr der Keimbe- siedelung von Luftbefeuchtern.

Probleme der Erkennung und Bewertung

anlagebedingter Risiken

Es fällt auf, daß die genannten Konstitutionsmerkmale mit Auswir- kungen für bestimme Arbeitsplatzsi- tuationen zum Teil unscharf erschei- nen und einer großen Variabilität unterliegen. Nur in wenigen Fällen sind eindeutige und zweifelsfreie Testverfahren angebbar. Welche Konsequenzen zu ziehen sind, insbe- sondere im Hinblick auf das Risiko an einem bestimmten Arbeitsplatz, kann also immer nur das Ergebnis ei- ner umfassenden ärztlichen Untersu- chung und Beurteilung sein, bei der zum Beispiel auch Gesichtspunkte aus dem sozialen Bereich herangezo- gen werden müssen. So ist die Situa-

tion anders für einen Berufsanfänger mit 17 Jahren als für einen älteren Arbeitnehmer mit 50. Im letzteren Falle wird man ein Erkrankungsrisi- ko auch abwägen müssen gegen die Gefahr einer sozialen Isolierung bei Herauslösung aus einem vielleicht über Jahrzehnte ausgeübten Beruf oder der Zugehörigkeit zu einem be- stimmten Arbeitsplatz oder zu der gleichen Firma. Der Betriebsarzt wird in vielen Fällen hier nur bera- tend tätig sein können und, wo es geht, den Wunsch des Betroffenen und dessen eigene Einstellung zu ei- nem Arbeitsplatzrisiko bei seiner Entscheidung mit berücksichtigen.

Der Betriebsarzt ist schließlich frei in seiner Entscheidung, er muß sie dem Arbeitgeber nicht im Detail be- gründen, und die Diagnose darf die- ser nicht einmal erfahren.

Die angesprochene Unschärfe in der Festlegung von genetischen Risi- ken ist bedingt durch die Komplexität der meisten menschlichen Eigen- schaften. Es ist praktisch kein Merk- mal und keine Funktion nicht auch ge- netisch determiniert; aber umgekehrt gibt es nur ganz ganz wenige, die es ausschließlich sind. Man kann die Ge- samtheit aller Eigenschaften, Merk- male und auch Krankheiten in einem Spektrum anordnen, an dessen einem Ende Merkmale stehen, die rein gene- tisch bestimmt sind, wie etwa Chro- mosomen-Defekte, und an dessen an- derem Ende dann Ereignisse oder Merkmale stehen, die ausschließlich durch die Umwelt determiniert sind und bei denen genetische Faktoren gar keine Rolle spielten, wie zum Bei- spiel bei Unfällen. Zwischen diesen Extremen liegt aber die große Masse der Eigenschaften und Merkmale, die wir in der Arbeitswelt zu beurteilen haben, und hier sind in der Regel beide, Umwelteinflüsse und geneti- sche Einflüsse zusammengenommen, maßgebend für das Erscheinungsbild.

Dies gilt für so simple Merkmale wie Körpergröße und Körpergewicht ebenso wie für die hochkomplexen Eigenschaften Intelligenz, Sponta- neität, Originalität, Anpassungsfähig- keit und alle Charaktereigenschaften (17).

Dennoch sind für einige der an- lagebedingten Merkmale und für vie- le weitere dann auch spezifische La-

bortests vorstellbar. Die Entwicklung solcher Testverfahren ist aus ärztli- cher Sicht und im Interesse der Be- troffenen wünschenswert, um die Diagnostik zu verbessern. Testver- fahren können auch dazu dienen, ärztliche Entscheidungen auf eine reproduzierbare und nachprüfbare Grundlage zu stellen.

Genetische Analyse in der Arbeitsmedizin

Ein großer Teil aller Merkmale, die im Rahmen ärztlicher Diagnostik erfaßt werden, ist zumindest teilwei- se genetisch determiniert. In diesem Sinne waren genetische Untersu- chungen immer schon Bestandteil klinischer Medizin. Stärker in das öf- fentliche Bewußtsein gedrungen ist die Untersuchung genetischer Merk- male aber in jüngster Zeit durch die Möglichkeiten der Molekularen Ge- netik. Genetische Untersuchungen sind jedoch nicht auf molekulargene- tische Verfahren (Gen-Ebene) be- schränkt, sondern sind auf der Ebe- ne der Chromosomen und der Gen- produkte gleichermaßen möglich, wie auch klinisch auf der Ebene des Phänotyps, vor allem in Form der in- dividuellen Anamnese und der Fa- milienanamnese.

Je komplexer Eigenschaften sind, desto weniger sind sie testbar, auch nicht, und eigentlich gerade nicht, mit molekulargenetischen Me- thoden. Diese Techniken, mit denen es heute möglich ist, direkt auf der DNA-Ebene einzelne Merkmale zu lesen, werden aus einem biologi- schen und deterministischen Denken heraus gerade durch Nicht-Geneti- ker in ihrem Aussagewert oft über- schätzt. Molekulargenetische Tech- niken haben hier die folgenden prin- zipiellen Limitierungen:

• Es können nur einzelne Merkmale gelesen werden, es gibt aber beim Menschen noch kaum Möglichkeiten, das Zusammenwir- ken mehrerer Gene für die Ausprä- gung eines Merkmals zu erfassen.

• Mit molekulargenetischen Verfahren lassen sich nur Informa- tionen

auf der Strukturebene gewin-

nen,

aber nicht auf der Funktions- ebene. Die Erfahrung lehrt, daß die Kenntnis, wie ein Gen aussieht, we- Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992 (61) A1-1629

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nig bedeutet, wenn nicht auch klar ist, wozu es dient und welche Funk- tionsänderungen mit Änderungen der Struktur im Einzelfall einherge- hen. So kennen wir heute zahlreiche Beispiele, wo das Gen früher bekannt war als die Funktion, die das von ihm codierte Produkt ausübt. Diese wurde oft erst später mit Hilfe einer Kombi- nation von Methoden aus der Moleku- larbiologie, der Biochemie und der Physiologie experimentell aufgeklärt (Reverse genetics).

Die Fortschritte auf dem Gebiet der molekularen Genetik haben zwar die Grundsatz-Diskussion über das Persönlichkeitsrecht des Arbeit- nehmers auch gegenüber dem Be- triebsarzt von neuem in Gang ge- bracht — die praktischen Probleme, die dabei im Vordergrund stehen, stellen sich derzeit aber wohl kaum durch die Methoden der molekula- ren Genetik, die zudem in der Ar- beitsmedizin derzeit überhaupt nicht verwendet werden. Es ist weiterhin festzustellen, daß es auch Labor- Tests auf rein genetische Merkmale auf Genprodukt-Ebene in der Ar- beitsmedizin bisher nicht gibt, wenn es auch gerade im Interesse der Ar- beitnehmer wünschenswert wäre, solche Methoden einzuführen. So könnte man zum Beispiel Träger von Mangelvarianten des Alpha-1-Anti- trypsins (Pi-System) durch Auswahl eines geeigneten Arbeitsplatzes vor der Belastung durch Bronchialinfek- tionen und damit in gewissem Um- fange auch vor der Gefahr eines frü- hen Lungenemphysems schützen. — Heute noch erfolgt die Beurteilung jedoch in erster Linie klinisch, nach der Anamnese und der Untersu- chung. Damit ist sie aber auch nur begrenzt objektivierbar und formali- sierbar. Das muß nicht unbedingt ein Nachteil sein, weil — wie schon aus- geführt — die wichtige Frage, wie hoch denn ein genetisches Risiko sein muß, damit daraus Konsequen- zen zu ziehen sind, immer eine ärztli- che Entscheidung sein sollte.

Besonderheiten der Präventivmedizin

Wir stehen vor dem merkwürdi- gen Sachverhalt, daß sich zahlreiche

Sorgen und Ängste in Hinblick auf die Möglichkeiten einer diagnosti- schen Anwendung der Gentechnolo- gie gerade in der Arbeitsmedizin entwickeln, obgleich diese Methoden dort gar nicht verwendet werden.

Das liegt vermutlich auch daran, daß Arbeitsmedizin Präventivmedizin ist, in der Krankheit nur als Möglichkeit gedacht wird. Es gibt daher in der Arbeitsmedizin auch kein ausgespro- chenes Vertrauensverhältnis zwi- schen Arzt und Patient, wie es — zu- mindest im Idealfall — in der kurati- ven Medizin existiert. Ein derartiges Vertrauensverhältnis als Betriebs- arzt auf der Basis ärztlicher Bera- tung, Belehrung sowie der Empfeh- lung von vorbeugenden Untersu- chungen zu entwickeln, ist sehr viel schwieriger und geht langsamer, wenn es überhaupt gelingt.

Falls in der kurativen Medizin ein Heilerfolg nur durch den Einsatz einer neuen Technik oder eines neu- en Verfahrens möglich ist, wer wollte dieses Verfahren aus grundsätzli- chen Erwägungen verbieten und dies auch gegenüber dem Patienten be- gründen und vertreten?

In einer präventiven Disziplin wie der Arbeitsmedizin dagegen ist mühsam deutlich zu machen, daß Eignungs- und Vorsorgeuntersu- chungen sowie Beratungen ebenso einer soliden diagnostischen Grund- lage bedürfen wie in der kurativen Medizin.

Sehr vielen Menschen — und ge- rade jungen Menschen, die sich ge- sund fühlen — fällt es schwer, sich in den 20 oder 30 Jahre Älteren hinein- zudenken, der sie einmal sein wer- den und der dann an den Folgen von gesundheitlichen Belastungen leiden wird, die sie sich jetzt zufügen — durch ihre Arbeit, aber noch viel mehr durch ihr Verhalten im außerberuflichen Leben. Besonders schwer ist es offenbar, sich mit eige- nen, angeborenen und erblichen Schwächen konfrontieren zu lassen, wenn sie einem selbst eine Vorsicht in der Lebensführung und der Wahl des Arbeitsplatzes nahlegen, die für den Freund oder Nachbar unnötig wäre.

In der Präventivmedizin hat Ge- neralprävention noch immer Vor- rang vor Individualprävention. Maß-

nahmen zur Beseitigung der Noxen besitzen Priorität vor solchen Maß- nahmen, die zur Verbesserung des persönlichen Schutzes dienen. Der Generalprävention sind aber in der Regel technische Grenzen gesetzt, es sei denn, man setzt sich über alle ökonomische und soziale Vernunft hinweg und beseitigt arbeitsplatzbe- dingte Gefahren zugleich mit dem Arbeitsplatz, indem man „wegsa- niert". Generalprävention und Indi- vidualprävention sind keine alterna- tiven, sich ausschließenden Konzep- te, sondern das Erste muß durch das Zweite ergänzt werden, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind; im wohlverstandenen Interesse des arbeitenden Menschen selbst.

Das Problem der Prognose

Die Möglichkeiten im Bereich der Medizin, mehr zu wissen und in- dividuelle Voraussagen zu machen, sind gewachsen. Das ist keine schlimme Entwicklung, sondern das muß so sein, denn ist nicht Vorsorge- medizin überhaupt wesentlich davon abhängig, daß Risikogruppen defi- niert werden können, und sind dies in der Medizin nicht überwiegend Individualrisiken? Ein Hypertoniker oder ein Diabetiker hat zum Beispiel ein erhöhtes Risiko durch Gefäßlei- den, Schlaganfall oder Herzinfarkt.

Aber sind solche Menschen durch diese Tatsache notwendigerweise schon diskriminiert?

Es muß das Recht auf Nichtwis- sen geben. Niemand sollte gezwun- gen werden, seine zukünftigen Risi- ken zu kennen; insbesondere dann nicht, wenn er nach Lage der Dinge nichts unternehmen kann, diesen Ri- siken vorzubeugen — etwa durch Än- derung seines Verhalten. Das ist zum Beispiel bei manchen erblichen Krankheiten der Fall, die sich relativ spät im Leben manifestieren. Medi- zinische Genetiker setzen sich mit diesem Problem intensiv auseinan- der. Dennoch ist Wissen an sich nichts, was ethisch als bedenklich eingestuft werden muß. Vielmehr sollten wir realisieren, daß heute die Möglichkeiten des Wissen-Könnens im Bereich der Medizin in eine neue A1-1630 (62) Dt. Ärztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992

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FÜR SIE REFERIERT

Dimension vorgestoßen sind, näm- lich in die Region der spezifischen Prognose. Zwischen dem prognosti- schen Aussagewert eines positiven HIV-Tests für den Betroffenen und der Feststellung einer bestimmten genetischen Anlage für eine spätere Krankheit liegt kein grundsätzlicher Unterschied, auch wenn das eine an- lagebedingt und das andere ein er- worbenes Merkmal ist. Was der Ein- zelne und auch unsere Gesellschaft als Ganzes lernen muß, ist mit Pro- gnosen umzugehen. Wir haben bis- her aber nur gelernt mit Diagnosen umzugehen. Im Bereich der Arbeits- welt gibt es da z. B. die Quotenrege- lung, die eine Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen der verschiedensten Art vermeiden hilft.

Ist etwas ähnliches nicht auch anzu- streben für das Umgehen mit der in- dividuellen Prognose?

Scblußbetrachtung

In dem vostehenden Beitrag wurden Probleme erörtert, die mit genetischen Analysen bei Arbeitneh- mern verbunden sein können. Die mit diesen Methoden verbundene Möglichkeit, einen Blick in das bis- her „Verborgene" zu tun, ist einer- seits das Neue, aber andererseits auch das Beunruhigende daran. In Zukunft werden diese Möglichkeiten jedoch zweifellos zunehmen. Das ist kein Anlaß zur Angst; es sollte je- doch sehr wohl zum Anlaß dienen, die sich daraus ergebenden Proble- me nüchtern ins Auge zu fassen, da- mit wir die Chancen gerade für den Einzelnen ergreifen, ohne uns den zweifellos auch vorhandenen Risiken auszuliefern. Die Tendenz geht im- mer mehr dahin, Krankheitsdisposi- tionen und beginnende Krankheiten schon zu erkennen, bevor sie zu mas- siven und oft irreversiblen Sympto- men führen. Endziel ist es natürlich, dem Entstehen dieser schweren Symptome vorzubeugen; aber leider ist das nicht immer möglich. Der Blick in das Verborgene ist jedoch keine Besonderheit der arbeitsmedi- zinischen Untersuchung; ganz im Gegenteil, es charakterisiert viele Entwicklungen in der modernen me- dizinischen Diagnostik; nicht nur in

der medizinischen Genetik, sondern zunehmend auch in vielen anderen Feldern der Medizin. Man denke et- wa an die Bedeutung moderner bild- gebender Verfahren wie der Kern- spinresonanz-Tomographie und der Positronen-Emissions-Tomographie.

Sie können neben der einmaligen

„Momentaufnahme" auch fortlau- fende Einblicke in Funktionsabläufe komplexer Art vermitteln. Dadurch kann man den Funktionszustand des Gehirnes beobachten und Schäden frühzeitig erkennen. Verglichen mit diesem zukünftigen Gewinn durch die bildgebenden Verfahren sind die Erkenntnisse, die derzeit durch ge- netische Analysen gewonnen werden können, bescheiden und rechtferti-

Besuchsgründe außerhalb der Sprechstundenzeit

In einer prospektiven Studie über den Zeitraum eines Jahres mit anschließender Fallkontrolle ein- schließlich Analyse der Aufzeich- nungen und persönlicher Interviews identifizieren die Autoren mögliche Gründe, warum manche Kinder häu- figer einen Arztbesuch außerhalb der Sprechstundenzeit benötigen als andere.

In einer städtischen Allgemein- Gemeinschaftspraxis mit drei Ärzten in der schottischen Grafschaft West- Lothian mit 4812 eingeschriebenen Patienten benötigten 40 Kinder un- ter zehn Jahren häufiger den Arzt außerhalb der Sprechstundenzeiten (mehr als zwei Besuche im Jahr). 40 Kinder gleichen Alters und Ge- schlechts dienten als Kontrollen.

147 von 756 (19 Prozent) Besu- chen außerhalb der Sprechstunden- zeiten betrafen Kinder unter zehn Jahren; 109 davon (74 Prozent) wa- ren Besuche bei nur 41 Kindern (6 Prozent). Die Probleme, die zur Be- suchsanforderung führten, waren bei ihnen meist von geringer Bedeutung und erforderten nur wenig aktive Behandlungsmaßnahmen. Familiäre und soziale Faktoren, die bei diesen

gen weder jetzt noch in vorhersehba- rer Zukunft die viel geäußerte Be- fürchtung vom „gläsernen Men- schen".

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -1622-1633 [Heft 18]

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordem über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Hugo W. Rüdiger Ordinariat für Arbeitsmedizin der Universität Hamburg Adolph-Schönfelder-Straße 5 W-2000 Hamburg 76

Fällen signifikant häufiger auftraten als bei den Kontrollpatienten, um- faßten alleinstehende Mütter (15 ge- genüber 4), geringer Bildungsstand der Mutter (25 gegenüber 14), Bezug von Unterhaltszahlungen (22 gegen- über 7) sowie den Nicht-Besitz einer Wohnung (45 gegenüber 22) oder ei- nes Autos (19 gegenüber 9). Die Mütter dieser Gruppe neigten eher dazu, einen Arztkontakt zu suchen, wenn ihnen in einem Vignetten-Test Bilder von allgemeinen Kinder- krankheiten gezeigt worden waren.

Kinder, die häufiger Arztbesu- che außerhalb der Sprechstunden- zeiten benötigten, stammten also in dieser Studie aus sozial benachteilig- ten Familien, und die Mütter such- ten schon bei leichteren Erkrankun- gen der Kinder häufiger ärztlichen Rat. Eine anleitende Erziehung die- ser Mütter, die ihnen mehr Selbst- vertrauen bei der Behandlung von leichteren Erkrankungen vermittelt, könnte, so meinen die Autoren, die Beanspruchung der Ärzte außerhalb der Sprechstundenzeiten vermin- dern. lng

Morrison, J. M. et al.: Children seen fre- quently out of hours in one general practi- ce. Brit. Med. Journ. 303 (1991) 1111-1114 Dr. Jillian M. Morrison, Department of General Practice, University of Glasgow, Woodside Health Centre, Glasgow G 20 7 LR, Großbritannien.

Dt. Arztebl. 89, Heft 18, 1. Mai 1992 (65) A1-1633

Referenzen

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