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Archiv "Migration und Gesundheit: Ähnliche Krankheiten, unterschiedliche Risiken" (21.11.2008)

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A2520 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 47⏐⏐21. November 2008

T H E M E N D E R Z E I T

F

ast ein Fünftel (19 Prozent) der Menschen in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Das ergab die Auswertung des Mikro- zensus 2005. Diese 15,3 Millionen Personen sind entweder selbst zuge- wandert oder Kinder und Enkel von Zuwanderern. Auch künftig werden Menschen nach Deutschland migrie- ren, darüber hinaus wird die Zahl der Personen mit Migrationshintergrund

aufgrund ihres Geburtenüberschus- ses weiter steigen.

Ein Migrationshintergrund kann die Gesundheit in unterschiedlicher Weise beeinflussen. Er kann Krank- heitsrisiken steigern, sich aber auch vorteilhaft auf die Gesundheit aus- wirken. So können einerseits die er- forderlichen Anpassungsleistungen an eine fremde Kultur sowie Stigma- tisierungserfahrungen wegen einer anderen ethnischen Herkunft zu er- höhten gesundheitlichen Belastun- gen führen. Darüber hinaus war ins- besondere die sogenannte erste Gast-

arbeitergeneration häufig gesund- heitsgefährdenden Arbeitsbedingun- gen ausgesetzt. Andererseits bringen Migranten oftmals bessere gesund- heitliche Voraussetzungen mit, da vornehmlich gesunde und aktive Menschen migrieren. Zuwanderer bauen außerdem häufig soziale Netz- werke im Rahmen ihrer „ethnischen Community“ auf, die als Identitäts- anker und damit gesundheitsför-

dernd wirken können. Daher kann der Gesundheitszustand von Men- schen mit Migrationshintergrund in manchen Aspekten besser sein als je- ner der nicht migrierten Mehrheits- bevölkerung.

Die Datenlage zur Gesundheit von Menschen mit Migrationshinter- grund in Deutschland ist bislang un- zureichend. Detaillierte Informatio- nen, beispielsweise aufgeschlüsselt nach Herkunftsländern oder Alters- gruppen, fehlen für Migranten oft ganz. Oft differenzieren amtliche Statistiken nur zwischen deutscher

und nicht deutscher Staatsangehörig- keit. Damit können keine Aussagen über eingebürgerte Migranten und Aussiedler getroffen werden, da beide Gruppen über eine deutsche Staatsangehörigkeit verfügen.

Um dieses Informationsdefizit zu- mindest teilweise zu beheben, hat ein Team der Fakultät für Gesundheits- wissenschaften an der Universität Bielefeld im Auftrag des Robert- Koch-Instituts den ersten umfassen- den Bericht zum Thema „Migration und Gesundheit“ in Deutschland er- stellt. Daran mitgearbeitet haben Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler der Universität Mainz, der Charité – Universitätsmedizin Ber- lin, des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover und des Robert-Koch- Instituts in Berlin.

Die Auswertungen der Datenquel- len zeigen, dass das Krankheitsspek- trum der Menschen mit Migrations- hintergrund dem der nicht migrierten Bevölkerung weitgehend ähnelt (mit Ausnahme einiger seltener erblicher Stoffwechselerkrankungen bei Mi- granten). In vielen Bereichen beste- hen aber Unterschiede hinsichtlich des Ausmaßes und der relativen Be- deutung bestimmter Gesundheitsri- siken. Beispiele aus den Bereichen Infektionskrankheiten, Mutter-Kind- Gesundheit, Gesundheit am Arbeits- platz sowie chronische Erkrankun- gen und deren Risikofaktoren illus- trieren die vielschichtige Situation.

Übertragbare Erkrankungen bei Migranten spiegeln zum Zeitpunkt der Zuwanderung die epidemiologi- sche Situation im Herkunftsland wider (zum Beispiel die dortige höhere Inzidenz bestimmter Erkran- kungen). Im weiteren zeitlichen Ver- lauf werden sie zunehmend durch die Lebensbedingungen im Zuzugsland und den Zugang zu medizinischer Versorgung bestimmt. Ausländische Staatsangehörige haben mit 24,4 neuen Fällen je 100 000 Einwohner eine mehr als fünfmal so hohe Tuber- kuloseinzidenz wie Deutsche. Die Fälle treten auch in deutlich jünge- rem Alter auf (medianes Alter: 34 Jah- re gegenüber 56 Jahre; Datenquelle:

Robert-Koch-Institut 2006).

Die Müttersterblichkeit ist ein empfindlicher Indikator dafür, ob beim Zugang zu und der Nutzung MIGRATION UND GESUNDHEIT

Ähnliche Krankheiten, unterschiedliche Risiken

In Deutschland leben circa 15 Millionen Menschen mit Migrations- hintergrund. Jetzt liegt ein erster Bericht über ihre gesundheitliche Situation im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung vor.

Deutschland ist Zuwanderungs- land:Ein Migrati- onshintergrund kann Krankheitsrisi- ken steigern, sich aber auch vorteil- haft auf die Ge- sundheit auswirken.

Foto:vario images

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A2522 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 47⏐⏐21. November 2008

T H E M E N D E R Z E I T

von Gesundheitsdiensten Ungleich- heiten bestehen. Da Todesfälle von Müttern weitestgehend vermeidbar sind, weisen Unterschiede auf ge- sundheitliche Ungerechtigkeiten hin.

Die Müttersterblichkeit unter auslän- dischen Frauen lag bis Mitte der 90er-Jahre rund 1,5-mal so hoch wie unter deutschen Frauen. Seitdem ha- ben sich die – insgesamt rückläufi- gen – Werte angeglichen (Datenba- sis: Statistisches Bundesamt).

Die Lebensweise der Familie, ihr sozioökonomischer Status sowie möglicherweise genetische Faktoren bestimmen die Häufigkeit bestimm- ter Erkrankungen und Risikofakto- ren. Bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird sta- tistisch signifikant seltener die ärztli- che Diagnose einer atopischen Er- krankung gestellt als bei Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshinter- grund (17,7 Prozent gegenüber 23,9 Prozent, Alter: null bis 17 Jahre. Da- tenbasis: Kinder- und Jugendgesund- heitssurvey 2006). Übergewicht tritt bei Kindern mit Migrationshinter- grund deutlich häufiger auf als bei Kindern ohne (19,5 Prozent versus 14,1 Prozent. Alter: drei bis 17 Jahre.

Datenbasis: Kinder- und Jugendge- sundheitssurvey 2006).

Unfall-, Kranken- und Schwerbe- hindertenquoten können unter ande- rem Hinweise auf die Arbeitssitu- ation geben. Bei Vergleichen der Unfallhäufigkeit zwischen Deut- schen und Migranten ist zu beachten, dass Migranten häufiger körperliche Tätigkeiten mit einem erhöhten Un- fallrisiko ausüben. Deutsche und

nicht deutsche Männer weisen ähnli- che, insgesamt rückläufige Unfall- quoten auf. Arbeitsunfälle sind unter türkischen Staatsangehörigen aber rund 1,5-mal so häufig wie unter deutschen Staatsangehörigen (Da- tenquellen: Mikrozensus 1995 bis 2003, Statistisches Bundesamt; Bun- desministerium für Arbeit und Sozia- les 2005).

Die Schwerbehindertenquote liegt in der Altersgruppe 18 bis 54 Jahre

unter ausländischen Männern und Frauen nur rund halb bis zwei Drittel so hoch wie unter Deutschen. In den jüngeren und älteren Altersgruppen erreicht sie hingegen ähnliche Werte wie bei Deutschen (Datenbasis: Sta- tistisches Bundesamt 2003).

Die Krankenquote ausländischer Männer und Frauen liegt mit 9,7 und 10,2 Prozent niedriger als die deut- scher Staatsangehöriger (11,6 und 13,1 Prozent) – mit Ausnahme der wirtschaftlich aktiven mittleren Al- tersgruppe der 40- bis 64-Jährigen, dort ist sie bei Ausländern höher (Datenquellen: Mikrozensus, Statis- tisches Bundesamt 2005).

Die Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit ist ein subjektives Maß, das den Gesundheitszustand aber recht gut abbildet. Mit steigendem Alter nimmt die Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit bei Deut- schen und Zuwanderern ab. Bei tür- kischen Zuwanderern ist die Abnah- me stärker ausgeprägt als bei Deut- schen und Zuwanderern aus anderen Herkunftsländern (Quelle: Sozio- ökonomisches Panel 2002).

Die Prävalenz von Risikofaktoren wie Übergewicht und Rauchen wird durch Gewohnheiten im Herkunfts- land, Adaptionsprozesse im Zuzugs- land sowie durch psychosoziale Belastungen beeinflusst. Der durch- schnittliche Body-Mass-Index (BMI) ausländischer Frauen (24,5 kg/m2) unterscheidet sich nur geringfügig von dem deutscher Frauen (24,8 kg/m2). Ein deutlich höherer Anteil ausländischer Frauen im Alter von 65 Jahren und älter ist aber adipös (BMI ≥ 30 kg/m2; 28,1 gegenüber

17,6 Prozent. Datenbasis: Mikrozen- sus 2005). In allen Altersgruppen rauchen mehr ausländische Männer als deutsche (36,3 gegenüber 27,1 Prozent. Datenbasis: Mikrozensus 2005).

Weniger gut dokumentiert und schwer zu quantifizieren sind Er- krankungen durch psychosoziale Be- lastungen infolge der Trennung von der Familie oder politischer Verfol- gung im Herkunftsland. Personen ohne rechtlich gesicherten Aufent- haltsstatus sind besonders vulnera- bel, über ihre gesundheitliche Situ- ation sind aber kaum belastbare Daten verfügbar. Von zunehmender Bedeutung sind die gesundheitlichen Probleme und der Pflegebedarf von älteren Menschen mit Migrations- hintergrund.

Nicht zuletzt aufgrund der stei- genden Zahl älterer Migranten erlan- gen Menschen mit Migrationshinter- grund zunehmende Bedeutung als Nutzer der Gesundheitsdienste in Deutschland. Eine verbesserte Da- tenlage in der Versorgungsforschung könnte dazu beitragen, diese Ziel- gruppe beim Erhalt ihrer Gesundheit zu unterstützen und ihnen gleiche Zugangschancen zur Gesundheits- versorgung wie der Mehrheitsbevöl- kerung zu sichern.

Ein grundlegendes Problem ist das weitgehende Fehlen detaillierter Informationen zum sozioökonomi- schen Status in Routinedatensätzen.

Das erschwert es, mögliche Ursa- chen gesundheitlicher Benachteili- gungen zu analysieren und Strategi- en zu deren Überwindung aufzu- zeigen. Wenn Menschen mit Migra- tionshintergrund im Durchschnitt schlechtere gesundheitliche Befunde aufweisen als die Mehrheitsbevölke- rung, könnte dies zumindest teilwei- se auch auf ihre soziale Benachteili- gung zurückzuführen sein, wie das innerhalb der nicht migrierten deut- schen Bevölkerung in ähnlicher Wei- se zu beobachten ist. Inwieweit ge- sundheitliche Unterschiede zwi- schen Menschen mit und ohne Mi- grationshintergrund kulturell, migra- tionsbedingt oder sozial zu erklären sind, bedarf weiterer Forschung. n Prof. Dr. med. Oliver Razum Prof. Dr. med. Hajo Zeeb Dr. phil. Liane Schenk

DER BERICHT

Der Gesundheitsbericht „Migration und Gesundheit“ ist in der Reihe Gesundheitsberichterstattung (GBE) des Bundes erschienen. Die GBE des Bundes liefert daten- und indika- torengestützte Beschreibungen und Analysen zu allen Be- reichen des Gesundheitswesens. Der Bericht ist auf den Internetseiten des Robert-Koch-Instituts verfügbar (www.rki.de) und kann kostenfrei über das Robert-Koch- Institut bezogen werden: gbe@rki.de.

Die Zufriedenheit mit der Gesundheit ist ein subjektives

Maß, das den Gesundheitszustand aber recht gut abbildet.

Referenzen

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