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Archiv "Kontroverse Positionen zum Erlanger „Fall“: Zwischen Recht auf Leben und Verletzung der Menschlichkeit" (13.11.1992)

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Kontroverse Positionen zum Erlanger „Fall"

Zwischen Recht auf Leben und Verletzung der Menschlichkeit

Eine 18jährige Zahnarzthelferin, die im vierten Monat schwanger war, wurde auf dem Weg zur Arbeit schwer verletzt. Drei Tage nach Einlieferung in die Erlanger Universitätsklinik trat der Hirn- tod ein. Weil der Fötus unverletzt blieb, wird der Körper der Frau weiter versorgt. Seit einigen Wochen liegt Marion Ploch jetzt auf der Intensivstation, und die Meinungen zu der Entscheidung, ihr Kind zu retten, gehen weit auseinander.

Mb,

AKTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

I

n einer Stellungnahme der Di- rektion der Chirurgischen Uni- versitätsklinik Erlangen wird festgestellt, daß unter dem Gesichts- punkt der Verhältnismäßigkeit die

„Benutzung" des Körpers der ver- storbenen Frau zugunsten des Kin- des sicherlich zumutbar sei. Die An- gehörigen der Verstorbenen seien zwar erheblichen Belastungen ausge- setzt, sie wären jedoch bereit, diese zu tragen. Ebenso wollten sich Ärzte und Pflegepersonal zugunsten des Kindes in vollem Umfang einsetzen.

Dabei sei die Leitung der Chirurgi- schen Universitätsklinik bemüht, Ka- pazitätsprobleme auf ihrer Intensiv- station zu Lasten anderer Patienten zu vermeiden.

„Schließlich erscheint der Auf- wand auch in einem vertretbaren Verhältnis zu den Chancen zu ste- hen, die dem Kind erhalten werden", heißt es weiter. Zwar seien die bishe- rigen weltweiten Erfahrungen in ähnlichen Situationen zu gering, um die Erfolgsaussichten zu beziffern.

Es gebe jedoch einige Berichte über das erfolgreiche Austragen von Kin- dern durch hirntote Mütter; in allen zugänglichen Literaturmitteilungen hätten sich die Kinder nach der Ent- bindung normal entwickelt.

Prof. Dr. Hans Bernhard Wuer- meling, Rechtsmediziner in Erlan- gen, sagte gegenüber dem Deut- schen Ärzteblatt: „Wir haben uns für das Lebensrecht des Ungeborenen entschieden, das Vorrang vor der Pietät gegenüber einer toten Frau haben sollte." Diese schwerwiegende Entscheidung hätten sich die Ärzte und Juristen nicht leicht gemacht.

Zahlreiche Leserbriefschreiber, die zum Kommentar „Würdelos"

(Deutsches Ärzteblatt 44/1992) Stel- lung nehmen, unterstützen die Ent- scheidung der Erlanger Ärzte. „Es geht vor allem auch um das Leben des Kindes, das mit voller geneti- scher Ausstattung heranwächst. Hier würde, wenn man das durch techni- sche Hilfe mögliche Leben der Frau, die den Tod ja nicht gesucht hat, ab- bricht, zumindest ein Akt der Tötung vollzogen. Wir können natürlich nicht den Wunsch der Frau kennen, die vielleicht gerade dadurch, also durch das Weiterleben nach ihrem persönlichen Tod, eine letzte Erfül-

lung erfährt", schreibt Prof. Dr. med Richard M. A. Suchenwirth, Nerven- arzt in Herrsching.

Dr. med. Michael L. Meiser, Arzt für Innere Medizin in Brilon, vertritt die Ansicht, daß Menschen- würde dem Begriff nach an mensch- liches Leben gebunden sei. Die (von ihm bestrittene) Würde einer (Hirn-) Toten sei grundsätzlich davon zu un- terscheiden und nicht durch das Grundgesetz geschützt. Sie sei des- halb dem Recht auf Leben des Fötus untergeordnet (vgl. „Leserbriefe" in diesem Heft).

Eine Art letzter

Wille der jungen Frau

11111111v

Dr. med. Wolfgang Rühle von der Medizinischen Universität zu Lü- beck macht darauf aufmerksam, daß notfallmedizinische Entscheidungs- abläufe kaum Zeit ließen für ein

„ethisches Konzil" Sie hätten den Charakter von Schiedsrichterent- scheidungen, die in den Zeiten des Fernsehens nachher aus „gemütli- chen Sesseln beliebig kommentier- bar werden". Der verantwortliche Arzt, „nicht des Ego-Trips verdäch- tig", habe dies verantwortet und sich der wenig ergiebigen öffentlichen und für ihn nicht kalkulierbaren Dis- kussion gestellt.

Nicht nur Mediziner, sondern auch Theologen und Politiker be- schäftigen sich mit dem Erlanger

„Fall”. So wirft der CDU-Bundes- tagsabgeordnete Hubert Hüppe den Parlamentskolleginnen, die gegen die getroffene Entscheidung in Er- langen sind, vor, sie hätten auch den kleinsten Funken an politischem An- stand vermissen lassen und würden ihren Kampf für die Fristenregelung auf dem Rücken des Kindes austra- gen.

Nach Ansicht der katholischen Theologin Prof. Dr. Uta Ranke-Hei- nemann sollte man den Willen der Mutter beachten, die dieses Kind entschieden gewollt habe. Es werde eine Art letzter Wille der jungen Frau erfüllt, wenn man ihrem Kind zum Leben verhelfe. Auch der Wille der Großeltern, das Kind aufzuzie- hen, sollte nicht einfach weggewischt werden. Der Wille von Mutter und Großeltern sollte entscheidender sein als die Befürchtung Außenste- hender, die Tote werde zu einem Ex- periment mißbraucht. Das Kind sei nicht wegen eines Experiments ins Dasein getreten, sondern durch den lebendigen Willen der Mutter.

In einer Erklärung, die von Hochschullehrern der Fächer Evan- gelische und Katholische Theologie an der Universität Dortmund verfaßt und unterzeichnet wurde, wird die

„Aktion von Erlangen" dagegen als ein Beispiel dafür bezeichnet, „wie die Faszination des

technisch Mach-

baren

Menschen dahin bringt, daß alles, was technologisch möglich ist, auch getan werden muß, so daß die Dt. Ärztebl. 89, Heft 46, 13. November 1992 (19) Ar3851

(2)

Entwurf zum Gesundheits-Strukturgesetz

Neue Bundesländer: Honorarbudget

vergrößert, Fachambulanzen zugelassen

11L-11■11 ___

Verletzung der Menschlichkeit, die darin geschieht, nicht einmal mehr zum Ausdruck kommt"

Die Frauenbeauftragte der Er- langer Universität, Andrea Abele- Brehm, bemängelte, daß an der Ent- scheidung keine einzige Frau betei- ligt sei. Nicht einmal die Kranken- schwestern, die den Leichnam der 18jährigen Frau betreuen müssen, seien um ihre Meinung gefragt wor- den.

Nach Ansicht des Genarchivs Essen ist der „Menschenversuch, der augenblicklich in Erlangen stattfin- det, lediglich eine Eskalation im Pro- zeß der medizinischen Durchdrin- gung und Eroberung des Todes und des Frauenkörpers". Die Frau, be- griffen als Funktionsträgerin mit bio- logischem und psychologischem Be- deutungsrahmen, werde ersetzbar.

Ihre Leibesfrucht sei umgedeutet worden in ein von ihr unabhängiges Objekt, das von Wissenschaft, Staat und Kirche mit eigenen Rechtsan- sprüchen und Interessen belegt wer- den könne.

Von Ärzten gibt es nur wenig Kritik an der Erlanger Entscheidung.

Lisa Schneiten vom Feministischen Frauengesundheitszentrum in Berlin hat die Nachricht erschüttert, „daß die Apparate abgeschaltet werden sollen, wenn beim Fötus eine Behin- derung nachweisbar ist".

Der Arzt dürfe beim Menschen nicht alles ausprobieren, was durch die Hochleistungsmedizin machbar ist. Diese Ansicht vertritt Dr. med.

Helmut Becker, Mitglied der Ethik- kommission der Ärztekammer Ber- lin. Es wäre ärztlich und ethisch ge- boten gewesen, den Embryo mit der Mutter sterben zu lassen. „Die Ret- tung eines werdenden Lebens ist dann geboten, wenn zum Zeitpunkt des Todes durch Kaiserschnittent- bindung der Fötus außerhalb der Gebärmutter im Brutkasten eine Chance zum Überleben hat. Das war hier nicht der Fall."

Die Diskussion um den Erlanger

„Fall" wird sicherlich noch lange nicht beendet sein. So bereitet die Akademie für Ethik in der Medizin (Göttingen) für Anfang Dezember eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Hirntod und Schwanger- schaft vor. Kli

Mit dem Gesundheits-Struktur- gesetz verhält es sich so wie mit allen Gesetzeswerken: Bis zur letzten Mi- nute werden einzelne Artikel er- gänzt, verändert, verworfen. Das gilt auch für jene Regelungen, welche die niedergelassenen Ärzte in Ost- deutschland betreffen.

Was die Gestaltung der Gesamt- vergütung fiir die niedergelassenen Ärzte anbelangt, so gilt derzeit: In- nerhalb der neuen Bundesländer werden die beitragspflichtigen Ein- nahmen der Mitglieder aller dort- igen Krankenkassen zugrundegelegt.

Ausgangspunkt für die Budgetierung 1993 ist das verdoppelte Vergütungs- volumen des 1. Halbjahres 1992. Zu- sätzlich wird diese Summe um vier Prozent erhöht, gegebenenfalls noch ergänzt um die entsprechende Zu- wachsrate der beitragspflichtigen Versicherteneinkommen. In den Jahren 1993 und 1994 wird die Ho- norarsumme dann um jeweils drei Prozent und um die Zuwachsrate der beitragspflichtigen Versichertenein- kommen erhöht.

Zum Vergleich: Innerhalb der alten Bundesländer ist die Gesamt- vergütung 1991 Basis der Budgetie- rung in 1993. Die Ausweitung der Honorarsumme soll in Zukunft an den Zuwachs der beitragspflichtigen Einkommen der Kassenmitglieder gekoppelt werden.

Dr. jur Rainer Hess, Hauptge- schäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), sieht in der Neuformulierung des Gesetzent- wurfs eine Verbesserung für die ost- deutschen Kassenärzte: „Mehr ist nicht möglich gewesen", versicherte Hess. Ob die niedergelassenen Ärzte in den fünf neuen Bundesländern damit zufrieden seien, wisse er aber nicht.

Zweiter wichtiger Änderungs- punkt ist die Neufassung des § 311 SGB V. Dort heißt es derzeit, daß

„die bestehenden ärztlich geleiteten kommunalen, staatlichen und freige- meinnützigen Gesundheitseinrich- tungen einschließlich der Einrich- tungen des Betriebsgesundheitswe- sens (Polikliniken, Ambulatorien, Arztpraxen) sowie diabetologische, nephrologische, onkologische und rheumatologische Fachambulanzen mit Dispensaireauftrag kraft Geset- zes zur ambulanten Versorgung zu- gelassen (werden), soweit sie am 1.

Oktober 1992 noch bestanden."

Damit wäre die bisherige Be- grenzung der Zulassungen bis maxi- mal 31. Dezember 1995 aufgehoben;

außerdem würden diese nicht, wie früher in der Diskussion, generell auf konfessionell geleitete Facham- bulanzen beschränkt. Andererseits werden im jetzigen Gesetzestext für die Krankenhausfachambulanzen in- haltliche Einschränkungen gemacht.

Dr. jur Rainer Hess wollte sich deswegen auch zu den Auswirkun- gen noch nicht genauer äußern. Man müsse erst einmal abwarten, welche Fachambulanzen unter diese Rege- lung zu fallen glauben. Insgesamt be- zeichnete Hess die jetzige Vorschrift als „unbefriedigend". So sei die Fra- ge nicht gelöst, in welcher Form Po- likliniken und Fachambulanzen zu- künftig in die Bedarfsplanung einbe- zogen werden sollen. Dies müßten sie, da sich sonst die Ärzte in solchen Einrichtungen beliebig „vermehren"

könnten. Probleme werde vermutlich auch die Vertretung der Kranken- hausfachambulanzen in den Kassen- ärztlichen Vereinigungen bereiten, da die angestellten Ärzte häufig wechselten. Hess geht davon aus, daß es auch innerhalb einer Klinik Diskussionen geben kann: Werde nämlich eine Ambulanz zur Versor- gung zugelassen, dann entfiele die persönliche Ermächtigung für die entsprechenden Ärzte. th

I KBV: Neuformulienum bedeutet Verbessenuig

Ai-3852 (20) Dt. Ärztebl. 89, Heft 46, 13. November 1992

Referenzen

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