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Archiv "Organspende in Deutschland: Wege aus einer angespannten Situation" (08.11.2013)

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ls das erste deutsche Trans- plantationsgesetz 1997 in Kraft trat, hatte die postmortale Or- ganspende mit 12,5 Spendern pro Million Einwohnern einen Tief- stand erreicht. Das Gesetz sollte Sicherheit schaffen in medizinethi- schen Kernfragen und das Vertrau- en in die Transplantationsmedizin verbessern – der Beginn einer neu- en Ära. Nur langsam stieg die Zahl der postmortalen Organspender, sie blieb aber mit maximal 16 Spen- dern pro Million Einwohnern im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer im unteren Mittel- feld. Dann traten 2012 erstmals größere Gesetzesänderungen in Kraft: die Entscheidungslösung, bei der die Bevölkerung regelmä- ßig schriftlich über Organtrans- plantation informiert und gebeten wird, sich zur Frage der Organ- spende zu erklären. Ziel sei, die Bereitschaft zur Organspende zu fördern (1). Eine weitere wichtige Änderung: die flächendeckende

Implementierung von Transplanta- tionsbeauftragten an Kliniken mit postmortalen Spendern.

In dieser neuen Ära gilt vielen nun der 16. Juli vergangenen Jahres als Stunde null. Damals erfuhren die Mitglieder der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) bei der 21. Jahrestagung in Berlin von systematischen Verstößen ge- gen Richtlinien zur Transplantation.

Starke Auffälligkeiten

Die Prüfungs- und Überwachungs- kommission (PÜK) bei der Bundes- ärztekammer (BÄK) hatte am Uni- versitätsklinikum Göttingen falsche Angaben zum Krankheitszustand und zu den Laborwerten von Leberkran- ken festgestellt, offenbar mit dem Ziel, dass eigene Patienten bei der Zuteilung von postmortalen Organen bevorzugt würden. Von Auffälligkei- ten bei 26 von 91 Organempfängern war die Rede, eine bis dahin in Deutschland unbekannte Größenord- nung systematischer Regelverstöße.

ORGANSPENDE IN DEUTSCHLAND

Wege aus einer angespannten Situation

Die Rate der postmortalen Organspenden ist seit Bekanntwerden schwerer Regelverstöße gesunken. In der Debatte um Wege aus der Krise werden nun Grundsatzfragen wieder intensiv thematisiert.

Politik und Ärzteschaft reagierten damals prompt. Im August 2012 vereinbarte das Bundesministerium für Gesundheit gemeinsam mit al- len an der Transplantationsmedizin beteiligten Institutionen und Orga- nisationen einen Katalog von So- fortmaßnahmen, darunter die Prü- fung aller 24 Lebertransplantations- programme. Anfang September die- sen Jahres machte die PÜK ihren Bericht öffentlich (2, 3). Bei 218 der 1 180 geprüften von insgesamt 2 303 Lebertransplantationen (meist 2010/11) stellten die Kommissio- nen schwerwiegende Richtlinien- verstöße fest. Betroffen waren le- diglich vier Zentren: die Universi- tätskliniken Leipzig, München rechts der Isar, Münster und Göttin- gen. Dort hatte sich die Zahl der Verstöße von 26 auf 79 von 105 ge- prüften Fällen erhöht.

Nachdem über die Ereignisse be- richtet wurde und Staatsanwalt- schaften ermittelten, zeigten mehre- re Umfragen in der Bevölkerung,

Foto: laif

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8. November 2013 warum gegen die Regeln und ethi- schen Grundsätze in der Transplan- tation im jetzt sichtbaren Ausmaß verstoßen werden konnte, ohne dass dies zu früherem Zeitpunkt auffallen musste“, heißt es dort (4).

Derzeit ruht die DTG-Mitglied- schaft bei zehn Personen.

Aufarbeitung der Verstöße

„Es erstaunt mich, dass der Aufar- beitung des Transplantationsskan- dals beim Jahrestreffen nicht viel Raum gegeben wurde, denn auch ein Teil von uns Ärzten ist verunsi- chert“, sagt ein Transplantations- mediziner, der in einer universitäts- medizinischen Kommission mögli- ches Fehlverhalten geprüft hatte.

Gerade darin, dass viele von ihnen

als Gutachter oder in Untersu- chungsgremien arbeiten oder tätig waren, sahen andere einen Hinde- rungsgrund für die Debatte: wegen der geforderten Neutralität in lau- fenden Verfahren und möglicher- weise unbedachten Äußerungen in einer spontanen Diskussion.

Der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation (StäKO) bei der BÄK, Prof. Dr. jur.

Hans Lilie von der Universität Hal- le, kündigte nächste Schritte der StäKO im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Richtlinienverstö- ße an: Die StäKO werde in Kürze in einer zweitägigen Klausurtagung zusammen mit betroffenen Zentren und externen Experten wissen- schaftliche Fragestellungen be- stimmter Richtlinienverstöße aufar- beiten und daraus gewonnene Er- dass die Zustimmung zur Organ-

spende sank. Die Zahl der postmor- talen Organspender nahm im Au- gust und September 2012 sprung- haft ab, sie sank über das gesamte Jahr um 12,8 Prozent im Vergleich zu 2011 und könnte sich in diesem Jahr Hochrechnungen zufolge noch einmal um 14 Prozent im Vergleich zu 2012 vermindern, wie Dr. jur.

Rainer Hess, Interimsvorstand der Deutschen Stiftung Organtrans- plantation (DSO), jetzt beim 22.

DTG-Kongress in Frankfurt/Main berichtete (Grafik 1). Den starken Abfall führt die DSO im Wesentli- chen auf das Bekanntwerden von Fehlverhalten zurück, das sowohl die allgemeine Öffentlichkeit wie das Klinikpersonal beeinflusst ha-

ben könnte: „Es hat weniger Zu- stimmung bei den Angehörigen ge- geben, aber auch weniger Meldun- gen aus den Kliniken“, sagt Birgit Blome, Sprecherin der DSO.

Die Rate postmortaler Organ- spender hatte schon 2012 mit 12,8 Spendern pro Million Einwohner etwa den Stand von 1997 erreicht, am Ende dieses Jahres könnte sie möglicherweise darunter liegen. Er- höht hat sich die Zahl der pro Spen- der entnommenen und transplan- tierten Organe, berichtet Hess: auf durchschnittlich 3,5 pro Spender.

„Der Transplantationsskandal hat uns schmerzhaft vor Augen ge- führt, wie dramatisch die Organ- spendebereitschaft durch Missstän- de und Fehlverhalten an einzelnen Zentren beeinflusst werden kann“, sagte Priv.-Doz. Dr. med. Frank Ul-

rich, Universitätsklinik Frankfurt/

Main, einer der beiden Tagungsprä- sidenten. Es gelte, das Vertrauen von Bevölkerung und Patienten zu- rückzugewinnen und zu festigen:

mit Qualität und Transparenz.

Über das Spannungsfeld zwi- schen den vertrauensfördernden Ef- fekten, die eine Offenlegung von Prüfergebnissen zu Regelkonformi- tät und Versorgungsqualität einzel- ner Zentren haben kann, und dem Risiko einer rufschädigenden Wir- kung für Ärzte oder einzelne Kran- kenhäuser wird in der Transplanta- tionsmedizin seit langem diskutiert.

„Man hätte auch innerhalb der Fachgesellschaft früher aktiv und offener über Fehlverhalten diskutie- ren und reagieren müssen“, meint

der Vorsitzende der Ethikkommissi- on der DTG, Prof. Dr. med. Richard Viebahn vom Knappschaftskran- kenhaus in Bochum. Zugleich dro- he das Fachgebiet durch zunehmen- den Regulierungsdruck in einem hochkomplexen Alltag für den ärzt- lichen Nachwuchs unattraktiv zu werden.

Ursachenforschung nötig Ein Teil der DTG-Mitglieder hätte jetzt, ein Jahr nach Bekanntwerden vermutlich gravierenden Fehlver- haltens, gern über Art, Ursachen und Folgen der Richtlinienverstöße im offiziellen Rahmen der Jahresta- gung intensiver diskutiert. Der DTG-Vorstand verwies auf Stel- lungnahmen der Fachgesellschaft, zum Beispiel vom Anfang des Jah- res: Es müsse „ergründet werden,

Die postmortale Organspende hat- te im Langzeitver- lauf einen leicht po- sitiven Trend. Im letzten Jahr sank die Zahl deutlich.

Von einem Spender können durch- schnittlich drei bis vier Organe zur Transplantation ent- nommen werden.

Postmortale Organspender in Deutschland (Veränderungen zum Vorjahr in %)

1 400 1 200 1 000 800 600 400 200

0 ø1995−

1999 ø2000−

2006

2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 1 066 1 118

1 313

1 198 1 217 1 396 1 200

1 046 900

4,9 % 17,4 % −8,8 % 1,6 % 6,5 % −7,4 % −12,8 % −14,0 %

rot: Hochrechnung für 2013 auf Basis der ersten drei Quartale, Daten: DSO

GRAFIK 1

Foto: dpa

T H E M E N D E R Z E I T

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kenntnisse in die Weiterentwick- lung von Richtlinien einfließen las- sen. Die Richtlinienarbeit gehöre zum Aufgaben- und Kompetenzbe- reich des Gremiums, nicht aber de- ren Auslegung in Einzelfällen, zu denen die StäKO in der letzten Zeit vermehrt Anfragen erhalten habe, erklärte Lilie. „Diesen ärztlichen Verantwortungsbereich kann und möchte die StäKO nicht überneh- men“, sagte Lilie, die Fragen gehör- ten in die interdisziplinären Trans- plantationskonferenzen. Grundsätz- lich aber müsse die Transplantati- onsmedizin anerkennen, dass im Gegensatz zu anderen Fachgebieten hier der Arzt nicht die Freiheit habe zu entscheiden, zu welchem Zeit- punkt er die dem Patienten zuge-

dachte Behandlung vornimmt. Vie- bahn regt an, künftig für Fallkon- stellationen, bei denen eine von den Richtlinien abweichende Indikati- onsstellung sinnvoll sein könnte, externe Audits oder Transplantati- onskonferenzen einzurichten. So könnten Ausnahmeentscheidungen nachvollziehbar gemacht werden, sagte er dem Deutschen Ärzteblatt.

Ethikkodex verabschiedet Die Notwendigkeit, sich strikt an die Regeln zu halten, aber auch Transparenz und die sachgerechte Information der Öffentlichkeit sind Kernpunkte eines von der DTG- Ethikkommission erarbeiteten Trans - plantationskodex, den die Mitglie- der nun verabschiedet haben. Der Kodex vermerkt auch, dass vor Ab-

schluss der Hirntoddiagnostik keine speziellen Maßnahmen erfolgen dürfen, die ausschließlich das Ziel einer Organentnahme oder -alloka- tion haben.

Der Kodex weist außerdem auf Perspektiven hin, die vor dem Hin- tergrund des eklatanten Organman- gels vermehrt diskutiert werden:

Die Lebendspende sei zwar dem Gesetz nach subsidiär zur postmor- talen Spende. Der Mangel an Orga- nen aber – für postmortale Nieren beträgt die durchschnittliche Warte- zeit fünfeinhalb Jahre – und die de- mografische Entwicklung könnten zur Neubewertung führen. Dies dürfte vor allem bei Nieren eine Option sein (Grafik 2). Zur besse- ren Einschätzung von Spenderrisi-

ken nach Nephrektomie untersucht ein neuer Forschungsverbund klini- sche und pychosoziale Ergebnisse bei Spendern unter Einschluss von Daten, die vor der Nephrektomie erhoben werden (5).

Es müsse intensiver aber auch über Lebendspenden von Teilen nicht paariger Organe wie der Le- ber nachgedacht werden, fordert Prof. Dr. med. Peter Neuhaus von der Charité Berlin. Und die Abwä- gung zwischen Dringlichkeit und Erfolgsaussicht bei der Leberallo- kation bedürfe dringend einer Neu- bewertung. Dafür hatten kürzlich auch Experten bei einer Anhörung des Deutschen Ethikrats plädiert.

Offenbar sehen sich Ärzte ange- sichts des Organmangels, des steten Trends zu einem größer werdenden

Anteil von vorgeschädigten post- mortalen Organen und einer stärke- ren Gewichtung der Dringlichkeit gegenüber der Erfolgsaussicht der Behandlung zunehmend im Spagat, wenn sie über die Aufnahme von Patienten auf die Warteliste ent- scheiden sollen oder darüber, ob ein konkretes Organangebot für einen bestimmten Patienten geeignet ist.

Kritik an Allokationskriterien Die aktuellen Entwicklungen füh- ren bei den Lebertransplantationen zu einem deutlichen Rückgang der Kurzzeitergebnisse, aber auch des Langzeitüberlebens in Deutschland (6, 7). Hatten vor 20 Jahren an der Charité Berlin transplantierte Pa- tienten, die zum Zeitpunkt der Ope- ration älter als 55 Jahre waren, ein vergleichbares 20-Jahresüberleben wie eine gematchte Kontrollgruppe der Normalbevölkerung, dürften die Ergebnisse künftig deutlich schlech- ter ausfallen, heißt es in der Zusam- menfassung einer aktuellen Auswer- tung der Charité von insgesamt 313 Patienten (8). Für die schlechter werdenden Ergebnisse seien das bei der Leberallokation dominierende Kriterium der Dringlichkeit und die

„politisch gewollte ‚Entmachtung’

der Chirurgen bei der Auswahl und beim ‚Matching’ von Spender und Empfänger verantwortlich“. DTG- Generalsekretär Prof. Dr. med.

Bernhard Banas aus Regensburg wollte offenbar bei diesen Diskus- sionen Missverständnissen vorbeu- gen: Die Problematik könne jeden- falls nicht zum „Vorbeiarbeiten“ am Transplantationsgesetz führen.

Die Transplantationsmediziner – das wurde bei der DTG-Tagung deutlich – setzen große Hoffnungen auf die Implementierung eines na- tionalen Transplantationsregisters, einer einheitlichen und umfassenden Datenerhebung im gesamten Pro- zess. Bis Ende des Jahres soll dem Bundesministerium für Gesundheit dazu ein Gutachten vorliegen. Eine gesetzliche Verankerung wird er- wartet (9). Nur eine umfassende wissenschaftliche Datenbasis kön- ne Grundlage sein für die Gerech- tigkeitsfrage, anhand welcher Kri- terien Erfolg zu messen und zu be- werten sei, sagte Prof. Dr. med.

GRAFIK 2

Der Anteil lebend gespendeter Or- gane bei Nieren- transplantationen

nimmt zu – ein Trend, der in Län- dern wie den USA

oder den Nieder - landen noch aus- prägter ist.

Anteil der Lebendspenden an den Nierentransplantationen in Deutschland

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 16,1 %

19,8 % 19,2 % 18,8 % 19,5 %

20,5 % 21,6 % 22,6 % 27,9 %

405 490 522 522 567 565 600 665 795 766

29,6 %

Jahresbericht der DSO für 2012

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8. November 2013 Christian P. Strassburg von der Uni-

versität Bonn: Sollte sich der Erfolg an der unmittelbaren Lebensret- tung, an der erwarteten Überlebens- zeit, der Lebensqualität, dem indi- viduellen oder dem systemischen Nutzen orientieren? Fragen, die die Gesellschaft beantworten müsse.

Erstmals in Deutschland gibt es zur Gewichtung der Erfolgsaussicht

gegenüber der Dringlichkeit eine Umfrage in der Bevölkerung, wenn auch als Pilotstudie mit 200 Besu- chern einer Ambulanz am Klinikum rechts der Isar, TU München (10).

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass ähnlich wie in anderen Ländern Chancengleichheit oberste Priorität hat und bei der Frage nach gerechter Zuteilung von Organen die unmit- telbare Lebensrettung. 69 Prozent bejahten die Aussage: „Die Abwen- dung der unmittelbaren Lebensge- fahr (Dringlichkeit) ist ein wichtige- res Argument als die langfristigen Erfolgsaussichten.“ 57 Prozent lehn- ten die Aussage ab, rare Spenderor- gane sollten nicht an Kranke verge-

ben werden, bei denen das Ergebnis unsicher ist. 78 Prozent stimmten dem Satz zu: Patienten ohne andere Überlebenschance sollten, auch wenn die Hälfte dennoch sterben wird, vordringlich transplantiert werden, da jeder eine Überlebens- chance erhalten soll.

Um Fragen, ob mögliche Verstö- ße gegen Richtlinien der BÄK

strafrechtliche Relevanz durch Ver- letzung der Chancengleichheit auf der Warteliste haben können, geht es am Landgericht Göttingen. Dort hat im Sommer der erste Strafpro- zess im Zusammenhang mit Richt- linienverletzungen begonnen. Dem angeklagten 46-jährigen ehemali- gen Oberarzt wird versuchter Tot- schlag vorgeworfen. In elf Fällen seien Falschangaben zu Patienten gegenüber der Organvermittlungs- stelle gemacht und Laborwerte ma- nipuliert worden mit dem Ziel, dass die eigenen Patienten auf der War- teliste für eine Leber nach vorn rückten und schneller ein Organ er- hielten. Dadurch habe der Ange-

Der Transplantationsmediziner hat nicht die Frei- heit zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt er die Behandlung vornimmt.

Hans Lilie, Jurist, Universität Halle

klagte bewusst in Kauf genommen, dass andere, schwer kranke Patien- ten nicht regelkonform bei der Le- berallokation berücksichtigt wur- den und möglicherweise starben.

Dies begründe den Vorwurf des ver- suchten Totschlags, so die Anklage.

Eine der juristisch interessantes- ten Kernfragen ist, ob der Straftat- bestand des versuchten Totschlags erfüllt sein kann, auch wenn sich aus der Warteliste kein einzelner als Benachteiligter ergibt, sondern sich die Benachteiligten möglicherweise auf eine kleine Gruppe vermutlich Geschädigter eingrenzen lassen (11). Denn die Warteliste hat keine feste Rangfolge, sondern wird zum Zeitpunkt eines Organangebotes in Übereinstimmung mit den ET-Re- gularien und den nationalen Richtli- nien der Mitgliedsländer als soge- nannte Match-Liste erstellt.

In drei Fällen wird dem Medizi- ner – er sitzt seit Januar diesen Jahres in Untersuchungshaft – vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Er habe Lebern trans- plantiert, obwohl die Indikation ge- fehlt und es teilweise sogar Kontra- indikationen gegeben habe, so die Anklage. Ambulant stabile Organ- empfänger seien über die ungünstige Nutzen-Risiko-Relation nicht adä- quat aufgeklärt worden und an den Folgen der Transplantation gestor- ben. In diese Richtung zielen auch die drei Nebenklagen ab. Der be- schuldigte Arzt dagegen spricht von

„schicksalhaft tödlichen Verläufen“.

Von mehreren Gutachtern sind er- hebliche Zweifel an Indikationen zur Organtransplantation oder am richtigen Zeitpunkt der Behandlung geäußert worden, sie monieren eine teilweise äußerst lückenhafte Doku- mentation von Diagnosen und Ent- scheidungsprozessen, haben aber Probleme, Fragen nach einem Vor- satz direkt zu beantworten.

Ob das Gericht am Ende des auf 42 Verhandlungstage angesetzten Mammutprozesses Vorwürfe im Sin- ne der Anklage als erwiesene Straftat bewerten wird, ist zur Zeit noch voll-

kommen offen.

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4513 Der Hirntod ist Voraussetzung für die postmortale

Organspende in Deutschland. Deshalb kommt Ärzten und Pflegepersonal von Intensivstationen eine Schlüsselrolle bei der Organspende zu. Die Mitte letzten Jahres bekanntgewordenen schwe- ren Richtlinienverstöße könnten die Einstellung des Fachpersonals zur postmortalen Organspen- de beeinflusst haben, so lautet die Arbeitshypo- these von Wissenschaftlern aus dem Bereich In- tensivmedizin, Anästhesiologie und Pneumologie.

Vor diesem Hintergrund befragte das Team alle Teilnehmer (n = 4694) des 12. Kongresses der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für In- tensiv- und Notfallmedizin im Dezember 2012.

1 045 Fragebögen konnten ausgewertet werden, darunter zwei Drittel von Ärzten.

81 Prozent befürworteten die eigene Organ- spende im Falle des Hirntods: 84 Prozent der Me- diziner und 75 Prozent des Pflegepersonals. Ei- nen Organspendeausweis hatten 47 Prozent des medizinischen und 44 Prozent des pflegerischen

Personals. 46 Prozent der Befragten gaben an, bei entsprechender Indikation selbst ein Organ annehmen zu wollen, davon lehnten aber 16 Pro- zent eine postmortale Spende eigener Organe ab.

Hauptgründe waren die Ablehnung des Hirntod- konzepts, Angst vor Missbrauch in der Transplan- tationsmedizin und die Verletzung des Körpers durch Organspende. Die Diskussionen im voran- gegangenen Jahr hatten bei 48 Prozent der Ärzte und 41 Prozent der Pflegekräfte zu einer vorwie- gend negativen Veränderung ihrer Einstellung zur Organspende geführt. Als wesentliche Gründe für die geringe postmortale Organspende wurden un- zureichende Aufklärung, Organisationsmängel in der Transplantationsmedizin und Ängste genannt.

Bessere Informationen – ein Viertel sah hier auch Bedarf für Ärzte –, Transparenz, Vertrauen in gute klinische Praxis und allgemeine Strukturverbesse- rungen dürften die notwendige Basis für Verbes- serungen der Organspende sein, folgern die Auto- ren (12).

DISKUSSIONEN BEEINFLUSSEN INTENSIVÄRZTE

T H E M E N D E R Z E I T

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Wege aus einer angespannten Situation

Die Rate der postmortalen Organspenden ist seit Bekanntwerden schwerer Regel- verstöße gesunken. In der Debatte um Wege aus der Krise werden nun Grundsatz- fragen wieder stärker thematisiert.

1. Gesetz zur Regelung der Entscheidungslö- sung im Transplantationsgesetz, vom Juli 2012. Bundesgesetzblatt 2012; 33:

1504–5

2. Richter-Kuhlmann E: Prüfung der Leber- transplantationszentren. Deutliche Verstö- ße in vier Zentren. Deutsches Ärzteblatt 2013; 37: A 1663–4

3. Bundesärztekammer, Berlin: Kommissi- onsberichte Teile I–IV; 2013; über die Homepage der Bundesärztekammer:

http://www.baek.de

4. Appell an die Deutsche Transplantations- medizin. Deutsche Transplantationsgesell- schaft. Stellungnahme vom 07.01.2013;

www.d-t-g-online.de

5. Multizentrischer Forschungsverbund zur Untersuchung des Outcomes von Nieren- lebendspendern (SOLKID). Burgmer M, Wolters H, Suwelack B, Universitätsklini- kum Münster, Kontakt über e-Mail:

lebendspende@ukmuenster.de 6. Schlitt HJ, Loss M, Scherer MN, et al.:

Current developments in liver transplanta- tion in Germany: MELD-based organ allo- cation and incentives for transplant cen- tres. Z Gastroenterol 2011; 49: 30–8 7. Seehofer D, Schöning W, Neuhaus P: Le-

bertransplantation mit postmortalen Orga- nen. Chirurg 2013; 84: 391–7 8. Schöning W, Büscher N, Rademacher S,

Andreou A, Kühn S, Neuhaus R, Guckel- berger O, Puhl G, Pascher A, Seehofer D, Neuhaus P: Twenty-year longitudinal fol- low-up after orthotopic liver transplanta - tion: a single-center experience of 313 consecutive cases. Abstr. V51: 22. Jahres- tagung der Deutschen Transplantationsge- sellschaft 24.–26.10.2013 in Frankfurt/

Main

9. Richter-Kuhlmann E: Transplantationsme- dizin. Weitere Gesetzesänderungen stehen an. Deutsches Ärzteblatt 2013; 27–28: A 1356

10. Golluscio R, Tobiasch M, Wagner KS, Um- gelter A: Outcome optimization or urgency – what matters more in the allocation of donor livers. A survey among outpatients of a medical university department. Abstr.

V32: 22. Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft 24.–26.10.2013 in Frankfurt/Main

11. Siegmund-Schultze N: Strafprozess gegen Transplantationsmediziner. Die Justiz be- tritt Neuland. Deutsches Ärzteblatt 2013;

31–32: A 1468–9

12. Söffker G, Bhattarai M, Welte T, Quintel M, Klue S: Einstellung des intensivmedizini- schen Fachpersonals zur postmortalen Or- ganspende in Deutschland. Med Klin In- tensivmed Notfmed 2013; doi 10.1007/s00063-013-0271

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