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Archiv "Kontroversen um das neue Kassenarztgesetz" (15.07.1976)

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Kontroversen um das neue Kassenarztgesetz

Auszüge aus der zweiten und dritten Lesung im Bundestag vor der Schlußabstimmung

Nur anderthalb Stunden hat die Beratung des Tagesordnungspunk- tes 14 der 253. Sitzung (der 7. Wahlperiode) des Deutschen Bundes- tages am 24. Juni 1976 gedauert: Dann war das Krankenversi- cherungs-Weiterentwicklungsgesetz — KVWG — verabschiedet.

Nach Bericht und Kommentar im vorigen Heft, Seite 1851 ff., folgt in der vorliegenden Ausgabe eine Dokumentation der Bundestagsde- batte, beschränkt ausschließlich auf die Ausführungen zum Kassen- arztrecht, gekürzt um alle Ausführungen über die (auf die nächste Legislaturperiode) vertagte Regelung der Rentner-Krankenversiche- rung, um Wiederholungen und um Anredefloskeln. Die lesenswerte Debatte gibt in ihrer relativen Kürze einen erhellenden Eindruck von Argumenten und Gegenargumenten um eine umstrittene „Wei- terentwicklung" des Kassenarztrechts. DÄ

Bundestagspräsident Frau Annemarie Renger

... Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für heute die Zeit- dauer für die Aussprache über die Tagesordnungspunkte wie folgt vorgesehen: Krankenvensiche-

rungs-Weiterentwicklungsgesetz und Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts — Punkt 14 der Tagesordnung —: Eine Stun- de...

Günter Biermann (SPD)

... Daß das geltende Kassenarzt- recht, das aus der Mitte der fünfzi- ger Jahre stammt, revisionsbedürf- tig ist und unbedingt auf neue Er- fordernisse zugeschnitten werden muß, zeigt sich allein daran, daß sowohl die Bundesregierung als auch der Bundesrat Gesetzentwür- fe eingebracht haben, mit denen das Kassenarztrecht strukturell verändert, verbessert werden soll.

Der Regierungsentwurf stellt ein wirksames Instrumentarium dar,

mit dem die Ungleichmäßigkeit in der ambulanten Behandlung, in der ärztlichen wie der zahnärztlichen Versorgung der Krankenversicher- ten, abgebaut werden soll. Zwar verfügt die Bundesrepublik im in- ternationalen Vergleich über eine beachtliche Arztdichte. Jedoch kann nicht übersehen werden, daß in zahlreichen ländlichen Regionen und in Stadtrandgebieten ebenso Ärzte für Allgemeinmedizin wie auch Fachärzte fehlen. Die ärztli- che Unterversorgung mit ihren Nachteilen für Patienten und Ärzte wird nicht nur seit längerer Zeit von Experten lebhaft diskutiert, sie ist eine der drückendsten Benach- teiligungen der in diesen Räumen lebenden Menschen und einer der zentralen Punkte der Kritik am Sy- stem der Gesundheitssicherung.

Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß auch steigende Ärztezahlen eine gesetzliche Lö- sung nicht entbehrlich machen;

denn uns kommt es darauf an, da- für gerüstet zu sein, daß auch auf lange Sicht die ambulante ärztliche

Versorgung und Betreuung der Be- völkerung durch eine bedarfsge- rechte Verteilung der Kassenarzt- sitze gewährleistet werden könn- te...

... Um eine ausgewogene Struktur der ambulanten ärztlichen Versor- gung zu schaffen, ist eine bundes- weite und bundeseinheitliche Pla- nung erforderlich. Die Planung in den einzelnen Bundesländern muß sich an einheitlichen Bedarfskrite- rien orientieren. Der Gesetzentwurf bestimmt daher:

„Ziel der Sicherstellung der kas- senärztlichen Versorgung ist es, den Versicherten und ihren Fami- lienangehörigen eine bedarfsge- rechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung, die auch einen ausrei- chenden Not- und Bereitschafts- dienst umfaßt, in zumutbarer Ent- fernung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizi- nischen Wissenschaft und Technik sowie der Möglichkeiten der Ratio- nalisierung und Modernisierung zur Verfügung zu stellen."

Hieraus lassen sich Grundsätze und Merkmale für die Bedarfspla- nung ableiten.

Bei der Planaufstellung haben die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Landesverbänden der Krankenkassen zusammenzuarbei- ten. Der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen für die ambulante Versorgung wird im Gesetz präzisiert. Die Maßnah- men sind auf die Bedarfspläne aus- zurichten. Das Spektrum möglicher Maßnahmen zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung wird erwei- tert. So dürfen die Kassenärztli- chen Vereinigungen etwa auch Einrichtungen, die unmittelbar der medizinischen Versorgung der Ver- sicherten dienen, selbst schaffen, selbst betreiben oder sich hieran beteiligen.

Ob in bestimmten Gebieten eines Zulassungsbezirks eine ärztliche Unterversorgung vorliegt oder droht, hat der jeweilige Landesaus- schuß der Ärzte und Krankenkas-

1920 Heft 29 vom 15. Juli 1976 DEUTSCHESARZTEBLATT

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sen festzustellen. Befindet der Lan- desausschuß, daß eine Unterver- sorgung bereits eingetreten ist oder droht, ist der Kassenärztli- chen Vereinigung nach dem Ge- setz eine angemessene Frist einzu- räumen, in der alle geeigneten Mit- tel auszuschöpfen sind, um die Un- terversorgung zu beheben oder ab- zuwenden. Läßt sich die Unterver- sorgung nicht fristgemäß beseiti- gen, dann dürfen die Landesaus- schüsse noch ausreichend ver- sorgte Gebiete des Zulassungsbe- zirks für die Niederlassung von Ärzten und Fachärzten sperren. Auf diesem Wege dürften niederlas- sungswillige Ärzte veranlaßt wer- den können, sich offenen Kassen- arztsitzen zuzuwenden.

Die Beschränkung der Niederlas- sung ist das letzte Mittel, das die Kassenärztlichen Vereinigungen anwenden dürfen, um die Unterver- sorgung zu beheben. Erweist sich auch dieses Mittel als unwirksam, dann geht der Sicherstellungsauf- trag — aber erst dann — auf die Krankenkassen über. Sie können durch eigene Einrichtungen sowie durch Verträge mit Krankenhäu- sern und Gesundheitsämtern die

ambulante ärztliche Versorgung si- cherstellen. Die Bestimmungen gelten gleichermaßen für die zahn- ärztliche Versorgung.

Günter Biermann MdB verteidigte als erster SPD-Sprecher Zielsetzung und Inhalt der einzelnen Kapitel des Kran-

kenversicherungs-Weiterentwicklungs- gesetzes (kurz: KVWG)

sen und ihre Landesverbände. Der Instrumentenkasten ist differenziert ausgestaltet und bietet einen abge- stuften und aufgefächerten Maß- nahmenkatalog.

Insofern unterscheidet sich der Re- gierungsentwurf auch vom Bundes- ratsentwurf, der auf eine Initiative des Freistaates Bayern zurückgeht.

Dieser weiß-blaue Vorschlag ist

durch weitgehenden Dirigismus ge- kennzeichnet

(Graf Stauffenberg [CDU/CSU]:

Dummes Zeug!)

— das ist „dummes Zeug", das kann ich mir vorstellen; Sie werden noch begründen können, warum das „dummes Zeug" ist; ich bin sehr gespannt darauf —, da er sich im wesentlichen auf die Bedarfs- planung und die Zulassungssper- re bei einer Unterversorgung be- schränkt. Der sogenannte Alterna- tivvorschlag des Bundesrates ist für uns Sozialdemokraten daher keine akzeptable Alternative. Er fördert auch die tiefe Kluft zutage, die zwischen den schönfärberi- schen gesundheitspolitischen De- klamationen der Union und ihrer tatsächlichen Gesundheitspolitik besteht.

Wir Sozialdemokraten werden dem Regierungsentwurf über die Bun- destagshürde hinweghelfen, weil er im Gegensatz zum Bundesratsent- wurf das Prädikat freiheitlich ver- dient.

(Beifall bei der SPD und der FDP

— Lachen bei der CDU/CSU)

Durch dieses Konzept zieht sich wie ein roter Faden der Gedanke, dem Anspruch der Versicherten und ihrer Familien auf eine quanti- tativ und qualitativ gleichmäßige ambulante Arztversorgung zu ent- sprechen. Der staatliche Einfluß bleibt weitgehend im Hintergrund.

Der Sicherstellungsauftrag bleibt in den Händen der beruflichen Selbstverwaltung der Kassenärzte und der sozialen Selbstverwaltung der Versicherten. Großes Gewicht kommt dabei der Zusammenarbeit der Beteiligten zu. Der Entwurf richtet sich keinesfalls gegen die Ärzte, sondern er überträgt den Kassenärztlichen Vereinigungen wichtige Aufgaben und liefert ihnen die Instrumente, damit sie diese Aufgaben auch wirksam erfüllen können. Das gilt auch für die Kas-

Bundestagspräsidentin Frau Annemarie Renger (Bild links) drückte, sozusagen, aufs Tempo der Aussprache über das neue Kassenarztgesetz — Der Abgeordnete Johannes Müller, CDU (Bild Mitte), schilderte als Berichterstatter einleitend den Hergang der Ausschußberatungen, bei denen alle subtantiell wichtigen Anträge der CDU/CSU-Minderheit von der SPD/FDP-Mehrheit abgelehnt worden waren — Der Abgeordnete Heinrich Franke, CDU (Bild rechts), beschäftigte sich überwie- gend mit der Krankenversicherung der Rentner; eine Darstellung dieses Teils der Bundestagsdebatte, so hochinteressant sie wäre, würde den hier gegebenen Raum sprengen Fotos (4): Bundesbildstelle

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 29 vom 15. Juli 1976 1921

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Hansheinrich Schmidt (Kemp- ten) (FDP)

Ich bedaure eigentlich, daß auf Grund des vorhin gemeinsam ge- faßten Beschlusses für die Abhand- lung dieses Tagesordnungspunktes nur 60 Minuten zur Verfügung ste- hen und mir nur zehn Minuten blei- ben.

(Franke [Osnabrück] [CDU/CSU]:

Ich habe auch nicht länger gespro- chen!)

... Die Bundesregierung hat hier einen Entwurf vorgelegt. Der Aus- schuß hat ihn auf Anregung der Freien Demokraten in einigen Pas- sagen noch verbessern können.

Der Abgeordnete Hansheinrich Schmidt, Kempten (FDP), der vorwie- gend über die Rentner-Krankenversi- cherung debattierte, stellte seinen Bei- trag zum Kassenarztrecht auf die Aus- einandersetzung „Freiheit oder Sozia- lismus" ab Foto: Bundesbildstelle

Dieser Entwurf hat das Beiwort

„freiheitlich", mit dem der Kollege Biermann hier geendet hat, wirk- lich verdient ...

... Was wir hier auf Grund der Vorlage der Bundesregierung mit Mehrheitsentscheidung des Aus- schusses verabschieden, ist eine freiheitliche Alternative zu den diri- gistischen Maßnahmen, die Sie in diesem Bereich wollen, ist eine Verbesserung des Kassenarzt- rechts im Sinne des Sicherstel-

lungsauftrags der Reichsversiche- rungsordnung, ist abgestellt auf die Selbstverwaltung, von der wir Frei- en Demokraten eine sehr hohe Meinung haben, ist abgestellt — — (Zuruf des Abgeordneten Stücklen [CDU/CSU])

— Sehen Sie, Herr Kollege Stück- len, so leicht kann man es sich nicht machen. Hier ist man als Op- position dirigistisch, legt dirigisti- sche Anträge vor, aber woanders behauptet man, die Regierung sei dirigistisch und das dürfe alles nicht geschehen. Bleiben Sie ein- mal bei einer Meinung! Zeigen Sie mir einmal, wo hier Ihr Freiheitsbe- griff ist, wenn das zur Durchfüh- rung käme, was Sie bezüglich der kassenärztlichen Versorgung wol- len! Wo ist da Freiheit? Was Sie in Ihrem Vorschlag haben, ist ein Stückchen Sozialismus. Das lehnen wir ab. Deshalb ist die Mehrheits- entscheidung des Ausschusses die freiheitliche Alternative für das Kassenarztrecht und wird mit Si- cherheit dazu beitragen, daß die ärztliche Versorgung, die in den letzten Jahren schon wesentlich besser geworden ist, noch besser werden kann, so daß jeder Bürger in seinem Land die ärztliche Ver- sorgung hat, die wir als Freie De- mokraten wünschen.

(Beifall bei der FDP und der SPD) Staatsminister

Dr. Fritz Pirkl (Bayern)

Das Gesetz, über das Sie jetzt be- raten und entscheiden, das Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassen- arztrechts, ist ein Gesetz, das auf die vom Freistaat Bayern im Bun- desrat bereits im Juli 1974 einge- brachte Initiative zurückgeht.

Reichlich spät, aber immerhin noch in dieser Legislaturperiode soll nun mit diesem Gesetz das un- sere Bevölkerung so hautnah be- rührende Problem einer hinrei- chenden und alle Regionen der Bundesrepublik einigermaßen gleichmäßig erfassenden ambulan- ten ärztlichen Versorgung gesetz- lich gelöst werden. Ich ergreife in

diesem Hohen Hause nicht nur deshalb das Wort, weil die erste In- itiative zu diesem Gesetz vom Frei- staat Bayern ausging, sondern vor allem auch deswegen, weil seine Regelungen die Flächenstaaten der Bundesrepublik und damit natür- lich auch Bayern in besonderer Weise tangieren.

(Beifall bei der CDU/CSU Stück- len [CDU/CSU]: So ist es! Das hat Schmidt überhaupt nicht kapiert!) Leider muß ich aber nun feststel- len, daß die Fassung des Gesetzes, wie sie Ihnen der Ausschuß für Ar- beit und Sozialordnung mehrheit- lich zur Annahme empfiehlt, nicht geeignet ist, die Fragen einer aus- reichend gleichmäßigen ambulan- ten kassenärztlichen Versorgung freiheitlich und selbstverwaltungs- gerecht, konfliktfrei und dauerhaft zu lösen. Nur eine Lösung auf der Grundlage der Vorschläge des Bundesrates würde die zuverlässi- ge Gewähr dafür bieten, daß künf- tig jeder, insbesondere eben auf dem flachen Land, also auch in den unbeliebten Regionen, der den Arzt braucht, diesen auch in Orts- nähe findet.

Bei der ersten Lesung der beiden Gesetzentwürfe zur Weiterentwick- lung des Kassenarztrechts vor fast genau einem Jahr in diesem Hohen Hause ging unser dringender Ap- pell an Sie, sich nicht für das Mo- dell der Bundesregierung, son- dern für das selbstverwaltungsge- rechte Kooperationsmodell des Bundesrates zu entscheiden. Der Ausschuß ist in seiner Mehrheit, wie gesagt, diesem Appell nun nicht gefolgt. Er hat sich mit seiner Zustimmung zur Konzeption der Bundesregierung einem Lösungs- vorschlag angeschlossen, der von Anfang an — davon sind wir fest überzeugt — den Keim neuer, kaum lösbarer Konflikte zwischen Ärzteschaft und Versichertenge- meinschaft bereits in sich trägt.

Lassen Sie mich diese Befürchtung wenigstens in einigen wichtigen Hinsichten kurz näher erläutern.

Erstens. Wir sind uns sicher darin einig, daß wir ähnlich wie schon

1922 Heft 29 vom 15. Juli 1976 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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bisher im Bereich der stationären gesundheitlichen Versorgung unse- rer Bevölkerung, also im Kranken- hauswesen, künftig auch für die ambulante kassenärztliche und kassenzahnärztliche Versorgung einen Bedarfsplan brauchen. Wie wir eben durch die Krankenhaus- planung dafür zu sorgen haben, daß Krankenhäuser in allen Land- strichen in genügender Zahl und Qualität und in zumutbarer Entfer- nung unserer Bevölkerung zur Ver- fügung stehen, genauso müssen wir nun in dem Sektor der ambu- lanten Versorgung vorausschauend gewährleisten, daß genügend in freier Praxis tätige Allgemeinärzte, Fachärzte und Zahnärzte in allen Landesteilen für die Versicherten erreichbar sind.

Der Bedarfsplan, und zwar ein fach- lich und regional möglichst weit dif- ferenzierter Bedarfsplan, als Kern- stück und entscheidende Grund- lage der Sicherstellung der kassen- ärztlichen Versorgung kann aber nur dann seinen Sinn und Zweck erfüllen, wenn er einvernehmlich von der Ärzteschaft und den Kran- kenkassenverbänden getragen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerade in diesem Punkt weicht un- sere Auffassung von der Entschei- dung der Ausschußmehrhelt we- sentlich ab. Wer nämlich die Not- wendigkeit solcher Einvernehm- lichkeit in der Regelung übersieht, riskiert schon bewußt ein brüchi- ges Fundament, er riskiert die Wur- zel sich fortpflanzender Konflikte, die dann in allen schwierigeren Einzelfällen aufbrechen werden, wenn man sich nicht von vornher- ein und ganz allgemein einver- nehmlich geeinigt hat.

Mit dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen, rechtlich kaum faßbaren Postulat der bloßen Zu- sammenarbeit statt der Einver- nehmlichkeit tut man sicherlich auch der Ärzteschaft — wenn das vielleicht mit dieser Regelung be- absichtigt sein sollte — im Ergeb- nis wirklich keinen Gefallen. Zwei-

Staatsminister Dr. Fritz Pirkl (Bayern) legte ausführlich den Bundesratsvor- schlag zur Weiterentwicklung des Kas- senarztrechts dar, den die Bundestags- mehrheit in keinem substantiellen Punkt berücksichtigt hatte Foto: Bachen

felsohne wären die Kassenärztli- chen Vereinigungen fachlich und organisatorisch in der Lage, aus- gezeichnete Bedarfspläne in allei- niger Verantwortlichkeit aufzustel- len. Aber darum geht es hier ja nicht: .um das Vermögen, um das In-der-Lage-Sein, solche Bedarfs- pläne aufzustellen, sondern es geht darum, daß Ärzteschaft und Kassen von vornherein verpflichtet werden, eine gemeinsame, tragfä- hige und damit wirklich durchsetz- bare Planungsgrundlage zu erar- beiten.

Es ist eine, wie ich meine, einfach logische Konsequenz aus der un- serem Kassenarztrecht ganz allge- mein und generell zugrunde liegen- den Partnerschaftsidee, auch die Kassen von Anfang an in die Ver- antwortung mit einzubinden. An- dernfalls würden sich die in schon genügend zahlreichen Bereichen auftretenden Spannungen zwi- schen Krankenkassen und Ärzten um eine weitere Variante vermeh- ren. Daran kann doch wirklich nie- mandem gelegen sein.

Eines aber verstehe ich vor allem nicht, auch nicht bei den bereits heute vormittag hier vorgetragenen Argumenten: wie man den Bundes- ratsvorschlag als dirigistisch be- zeichnen kann. Denn eine einver-

nehmliche Regelung in freier Part- nerschaft, wie wir sie fordern, ist doch gerade das Gegenteil von Di- rigismus; es ist die freiheitliche Lö- sung, auf die wir hinsteuern müs- sen, um den Dirigismus zu vermei- den.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die zweite entscheidende Schwä- che des Regierungsentwurfs und damit auch des Ausschußbeschlus- ses ist die mangelnde Koppelung von Bedarfsplanung und allenfalls notwendiger Zulassungsbeschrän- kung für neue ärztliche Praxen.

Aus der Nichterfüllung des Bedarfs- plans werden nämlich dort keiner- lei unmittelbare Konsequenzen ge- zogen. Als Grundlage für mögliche Zulassungsbeschränkungen wird erst ein zusätzliches Kriterium, der kaum justitiable Begriff einer beste- henden oder gar nur drohenden ärztlichen Unterversorgung, einge- führt. Man muß sich doch ernstlich fragen, was die Aufstellung eines Bedarfsplans überhaupt noch soll, wenn seine Nichterfüllung nicht un- mittelbar Konsequenzen ermög- licht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Zusammenhang darf ich auf einen weiteren wichtigen Tat- bestand in der Gesetzesvorlage hinweisen. Wir begrüßen es zwar, daß die verfassungsrechtlich not- wendige Regelung, eine Zulas- sungsbeschränkung nur als aller- letztes Mittel einzuführen, jetzt im Gesetz wenigstens ausdrücklich er- wähnt ist. Wir bedauern es aber er- neut, daß die nähere Regelung der Zulassungsbeschränkung weiterhin nicht im Gesetz selbst, sondern in einer Verordnung erfolgen soll.

Dies halten wir wegen der Wichtig- keit der hier zu regelnden Tatbe- stände für einen wesentlichen Mangel.

Als vierten gewichtigen Einwand gegen die hier vorliegende Kon- zeption des Gesetzes muß ich noch folgendes vorbringen. Mit der Schaffung der Möglichkeit zur Ein- führung kasseneigener Ambulatori- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 29 vom 15. Juli 1976 1923

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en in § 368 s wird zweifelsohne ein Schritt getan, um den freien ärztli- chen Berufsstand und die freie Arztpraxis zu gefährden. Die Er- wartung der Bundesregierung, durch festangestellte Ärzte bei kas- seneigenen Einrichtungen ambu- lante Versorgungsprobleme lösen zu können, muß schlechthin als Utopie erscheinen. Denn es dürfte doch wohl völlig unmöglich sein, in eine unterversorgte Region über Ambulatorien angestellte Ärzte zu bekommen, wenn man sie nicht in die freie Praxis bekommt. Dies ist doch eine Utopie.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser § 368 s zeigt übrigens — ge- rade im Zusammenhang mit ander- wärts in diesem Gesetz vorgesehe- nen Möglichkeiten — gefährliche Tendenzen auf, denen es schon in den Anfängen zu wehren gilt, näm- lich Tendenzen zur Aushöhlung der ärztlichen Tätigkeit in freiberufli- cher Praxis. Und hier sind nun die dirigistischen Tendenzen erkenn- bar, nicht an einem anderen Punkt, sondern hier tritt der Dirigismus heraus. Als Beispiele möchte ich hier nur nennen: erstens die unmit- telbare Inanspruchnahme von be- teiligten Krankenhausärzten ohne Überweisungsschein; zweitens die sachwidrige Gleichstellung der Lehrkrankenhäuser mit poliklini- schen Einrichtungen; drittens die ohne fachliche Prüfung vorgesehe- ne Öffnung der psychiatrischen Krankenanstalten für ambulante Behandlung in der vom federfüh- renden Ausschuß vorgeschlagenen Weise.

Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Die vorhandene Chan- ce, Grundprobleme der ärztlichen Versorgung im Geiste der Partner- schaft und auf der Basis der frei- heitlichen ärztlichen Berufsaus- übung zu lösen, ist mit dieser Kon- zeption nicht genutzt worden. Die Vorstellungen der Regierungskoali- tion sind in dieser Form nicht ge- eignet, die Probleme kassenärztli- cher Versorgung krisenfest und dauerhaft zu bewältigen. Ich be- fürchte, daß mit diesem Gesetz kei- ne tatsächliche Verbesserung der

ärztlichen Versorgung verbunden sein wird. Gelingt uns diese Ver- besserung der ambulanten ärztli- chen Versorgung aber nicht, kann niemand ausschließen, daß dann Kräfte auf den Plan treten, die nach einer grundsätzlichen Verän- derung unseres freiheitlichen und bewährten Kassenarztrechts rufen werden. Dies gilt vor allem dann, wenn durch dieses hier zu verab- schiedende Gesetz bereits Wege beschritten werden sollten, die, wie soeben aufgezeigt, die Grenzen un- serer jetzigen Ordnung überschrei- ten.

Für den Freistaat Bayern muß ich hier deshalb leider erklären, daß wir dem Gesetz in der Fassung des Ausschusses im Bundesrat nicht zustimmen könnten. Ich bedaure dies um so mehr, als wir doch mit dem Entwurf des Bundesrates ei- nen konkreten und sachgerechten Lösungsvorschlag für die anste- henden Probleme auf den Tisch gelegt haben ...

Frau Dr. med. dent.

Hanna Neumeister (CDU/CSU) Die Opposition sieht in dem vorlie- genden Gesetzentwurf der Bundes- regierung zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts die gegen- über der entsprechenden Vor- lage des Bundesrates eindeutig schlechtere Möglichkeit, die anste- henden Probleme im Rahmen des seit 1955 bewährten Kassenarzt- rechts zu lösen. Deshalb legen wir Ihnen die wesentlichen Punkte des Bundesratsentwurfs in Gestalt von Änderungsanträgen zum Entwurf der Bundesregierung vor.

Zwar gibt es auch bei uns über einzelne Vorschläge des Bundes- ratsentwurfs unterschiedliche Auf- fassungen: Das wollen wir freimü- tig zugestehen.

(Wehner [SPD]: Hört! Hört!)

Aber der entscheidende Vorzug dieses Entwurfs gegenüber dem der Bundesregierung liegt eindeu- tig darin, daß er den Rahmen des

geltenden Kassenarztrechts nicht sprengt und insbesondere die dar- in vorgeschriebene Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigun- gen für die Sicherstellung der ärzt- lichen Versorgung unserer Bevöl- kerung nicht durchlöchert ...

Uns scheinen die Vorschriften über die Bedarfsplanung in besonderem Maße zukunftsweisend zu sein.

Hier bieten sich bedeutende Chan- cen auch im Hinblick auf das aktu- elle Problem der Kostenentwick- lung im Gesundheitswesen. Ich meine damit nicht nur eine Bedarfs- planung nach bundeseinheitlichen Kriterien für die ambulante Versor- gung, sondern zugleich auch die sinnvolle, d. h. kosteneffiziente Ver- zahnung dieser ambulanten Be- darfsplanung mit den Kranken- hausbedarfsplänen der Länder für die stationäre Versorgung unserer Mitbürger. Es kommt hier darauf an, daß der Bedarf an Kassenarzt- sitzen in optimaler Weise mit dem Bedarf an Krankenhausbetten ab- gestimmt wird, und zwar nicht nur regional, sondern überregional und damit bundesweit.

Im übrigen scheint meinen Freun- den und mir der jetzt immerhin 21 Jahre währende soziale Friede zu- gunsten der Sozialversicherten auf der Grundlage des geltenden Kas- senarztrechts durch den Gesetz- entwurf der Bundesregierung — al- lerdings für den Außenstehenden wegen der geschickt gemachten Verpackung kaum bemerkbar — bedroht, ja substantiell gefährdet.

Denn diesmal haben die Verände- rer, die Reformer, die das als Para- dies anzupreisen pflegen, was sich bei näherer Betrachtung gewöhn- lich als sehr irdischer Platz ent- puppt, einen anderen, stilleren Weg gewählt als den, den wir in der gleichen Materie in den Mas- senmedien in der letzten Zeit mit steigender Sorge beobachten muß- ten.

Wir messen also den Wert dieses Gesetzentwurfs und vor allem der Änderungsvorschläge der Koalition nicht an den wohltönenden Worten, die seine Entstehung begleiten und

1924 Heft 29 vom 15. Juli 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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die besagten und besagen, daß in ihm die bewährten Grundsätze des fast ein Vierteljahrhundert gelten- den Kassenarztrechts aufrechter- halten werden, sondern an dem, was er wirklich mit sich bringt.

In ihm gibt es vier Punkte, in denen es Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ei- gentlich hätte leichtfallen müssen, unseren Wünschen und Anträgen entgegenzukommen, wo Sie aber durch die Art und Weise Ihrer Re- aktion mit der wünschenswerten Deutlichkeit haben klarwerden las- sen, worauf es Ihnen eigentlich an- kommt und was Sie mit allen Wort- tiraden für den Sachkenner nur schwer verpacken konnten, näm-

lich auf die De-facto-Beseitigung einer der Grundsäulen des Kassen- arztrechts, der Aufrechterhaltung des Systems der ambulanten ärztli- chen Versorgung durch freiberuf- lich tätige Kassenärzte.

Lassen Sie mich das deutlich ma- chen. Der Gesetzentwurf der Bun- desregierung enthielt zur Regelung der Teilnahme der Universitätspoli- kliniken an der kassenärztlichen Versorgung für Zwecke der Lehre und Forschung die Bestimmung, daß ihnen zukünftig die sogenann- ten akademischen Lehrkranken- häuser wegen der für die Durch- führung der im Rahmen der ärztli- chen Ausbildung vorgeschriebenen praktischen Ausbildung gleichge- stellt werden sollen. In der Begrün- dung des Gesetzentwurfs wurde dazu ausgeführt, daß es sich hier- bei um eine Folgeregelung einer in der Approbationsordnung vorgese- henen Klarstellung handeln solle.

Der Bundesrat beschloß in seiner Stellungnahme den Antrag auf Streichung dieser Vorschrift und begründete dies u. a. mit personel- len, räumlichen und finanziellen Verhältnissen, die es in absehbarer Zeit nicht möglich erscheinen lie- ßen, Polikliniken an akademischen Lehrkrankenhäusern zu eröffnen.

Wie wenig glaubhaft die Versiche- rung der Bundesregierung ist, daß der Einbau der sogenannten aka-

demischen Lehrkrankenhäuser in die RVO nur eine Folgeregelung darstellen solle, zeigt die Tatsache, daß die Bundesregierung selbst es war, die in ihrer Antwort auf unsere kleine Anfrage im Dezember 1975 wörtlich erklärt hat:

„Die Bundesregierung zieht eine Änderung der Bundesärzteordnung und der Approbationsordnung für

Die Abgeordnete Frau Dr. Hanna Neu- meister (CDU) erregte politisches Auf- sehen mit einer detaillierten und fun- dierten Kritik an etlichen in das Gesetz eingebauten „Einstiegen" zu einer In- stitutionalisierung der ambulanten Ver- sorgung Foto: Bundesbildstelle

Ärzte mit dem Ziel einer Änderung der ärztlichen Ausbildung nicht in Betracht."

Ich wiederhole: „nicht in Be- tracht"! Ich zitiere weiter mit Ge- nehmigung der Frau Präsidentin:

„Dies entspricht auch der Auffas- sung der Mehrzahl der Länder."

Offenbar um nicht vollends das Ge- sicht zu verlieren, haben die Koali- tionsparteien als § 8 a in die Über- gangsbestimmungen des Gesetz- entwurfs eine Vorschrift aufgenom- men, welche die sogenannte Folge- vorschrift solange außer Kraft setzt, bis die Grundvorschrift vor- handen ist. Dies halten wir erstens für juristisch in bemerkenswerter Weise unlogisch und zweitens des- wegen für dekuvrierend, weil es die Absicht zeigt, die dahintersteht.

Da wir für gesetzgeberische Logik sind, fordern wir deshalb heute zum wiederholten Male die Strei- chung aller Vorschriften über die Teilnahme von akademischen Lehrkrankenhäusern an der kas- senärztlichen Versorgung aus dem Entwurf, solange die Approbations- ordnung nicht wirklich eine Ausbil- dungsphase für den Medizinstu- denten in poliklinischer ambulanter Tätigkeit vorsieht. Wer dem nicht zustimmt, gibt nach unserer festen Überzeugung deutlich zu erkennen, daß er einen nach außen hin unver- dächtigen Weg gesucht hat und glaubt gefunden zu haben, um das Kassenrecht auszuhöhlen.

(Stücklen [CDU/CSU]: So ist es!) Es gibt neben diesen eben genann- ten, mehr formalen Gründen auch ganz handfeste sachliche Argu- mente, die gegen die von der Koa- lition gewünschte Einbeziehung der poliklinischen Ausbildung an den Lehrkrankenhäusern in den Gesetzentwurf sprechen. Es führt eindeutig zu einer weiteren Spezia- lisierung und geradezu zu einer Superspezialisierung bei der ärztli- chen Ausbildung, und wir entfern- ten uns immer weiter von der For- derung, die wir alle gemeinsam stellen, nämlich daß wir in Zukunft mehr Allgemeinärzte für die besse- re Versorgung der Bevölkerung ha- ben sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser zweites Indiz dafür, daß es der Regierungskoalition gar nicht um die Erhaltung der Grundsätze des Kassenrechts, sondern letzt- lich um deren langfristige Aushöh- lung geht, ist die Erweiterung des

§ 368 n Abs. 6 RVO, den wir gerade vor kurzem im Zusammenhang mit der Neuregelung des § 218 StGB in die RVO eingeführt haben und der bekanntlich einen Anspruch von Krankenhäusern als Institutionen auf Abschluß von Verträgen mit den Kassenärztlichen Vereinigun- gen über den ambulanten Schwan- gerschaftsabbruch schaffte. Hier haben — und jeder kann es nach- lesen — Vertreter der Koalitions-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 29 vom 15. Juli 1976 1925

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fraktionen in diesem Hause und der Ausschuß für Arbeit und So- zialordnung in seinem Schriftlichen Bericht ausdrücklich erklärt, daß dies eine absolute Ausnahmerege- lung sein solle und werde. Herr Kollege Hölscher von der FDP hat z. B. gesagt, daß hierin nicht etwa ein erster Schritt zu Ambulatorien gesehen werden dürfte — „ganz und gar nicht" hat er sogar hinzu- gefügt —, sondern eine einmalige Ausnahmeentscheidung im Interes- se einer optimalen Versorgung der Hilfesuchenden.

Es ist sicher nicht nur für die Ärzte, sondern darüber hinaus für viele an der Funktion der sozialen Kran- kenversicherung Mitwirkende von ganz besonderem Interesse, jetzt feststellen zu können, einen wie kurzen Bestand diese seinerzeit doch so klaren, so eindeutigen Er- klärungen des politischen Willens gehabt haben. Man wird mir entge- genhalten, daß der Bericht des Ausschusses ja die Klarstellung enthalte, daß die Vorschrift über die psychiatrischen Krankenhäuser und über selbständige, unter fach- ärztlicher Leitung stehende psych- iatrische Abteilungen keinen Ersatz für die persönliche Beteiligung von Ärzten darstellen soll.

Nach dem von mir eben erwähnten Realitätsgehalt und der Bestands- dauer der schriftlichen und mündli- chen Erklärungen im Zusammen- hang mit dem ambulanten Schwan- gerschaftsabbruch in Krankenhäu- sern sehen wir uns jedoch nicht imstande, unsere Zustimmung zu dieser Vorschrift zu geben, es sei denn, die Regierungskoalition ist bereit, die schriftlichen und münd lichen politischen Erklärungen über ihr Wollen und ihre Vorstel- lungen in das Gesetz selbst aufzu- nehmen. Das, meine Damen und Herren, können Sie doch eigentlich nur verweigern, wenn Sie Ihre ei- genen Erklärungen nicht so ernst genommen sehen möchten, son- dern hinter diesem Vorhang das zu erreichen wünschen, was der Sachkenner hinter solchen Winkel- zügen vermuten muß, nämlich die Einführung von Ambulatorien und

Polikliniken in die ambulante Kran- kenversorgung, beginnend mit dem Bereich der Psychiatrie und dann fortschreitend mit Hilfe des Grund- satzes der Gleichbehandlung glei- cher Tatbestände auch für Kran- kenhausabteilungen anderer Fach- gebiete.

Herr Staatssekretär Wolters hat vor dem Bundesverband der Ortskran- kenkassen bereits am 14. Septem- ber 1973 in Boppard in dankens- werter Offenheit erklärt, daß seiner Auffassung nach die uneinge- schränkte Aufrechterhaltung des monopolartigen Sicherstellungs- auftrags der Kassenärztlichen Vereinigungen nichts mehr gemein habe mit den sozialpolitischen Ab- sichten bei der Entstehung des Kassenarztrechts und lediglich mit ökonomischen Partikularinteressen erklärbar sei.

ECHO

Zu: „Die ärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutsch- land" von Klaus Gehb in Heft 19/1976, Seite 1323 ff.

Von Ärztenotstand keine Rede

„Erstmals kommen jetzt in der Bundesrepublik auf einen Arzt weniger als 500 Einwoh- ner. Insgesamt gibt es 139 472 Ärzte und Medizinalassisten- ten, die zu 43 Prozent in Krankenhäusern, 38,2 Pro- zent in freier Praxis und sie- ben Prozent in Forschung und Verwaltung tätig sind. Die restlichen 11,3 Prozent üben ihren Beruf nicht oder nicht mehr aus ...

Wie das DEUTSCHE ÄRZTE- BLATT kommentiert, könne man bei dieser Situation kei- neswegs mehr von einem Ärztenotstand sprechen."

(dpa in: Bonner Rundschau und anderen Zeitungen)

Sollte dies nicht Ihre Auffassung sein, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, können Sie dies nur dadurch zum Aus- druck bringen, daß Sie das, was Sie als Ihren Willen bezeichnen, nicht de facto völlig unverbindlich im Ausschußbericht niederlegen, sondern im Gesetz selbst.

Lehnen Sie das aber ab, dann sei- en Sie sich darüber im klaren, daß Sie damit endgültig den Beweis für die Richtigkeit meiner Ausführun- gen über das Ziel, das Sie auf die- se Art und Weise erreichen wollen, vor der gesamten interessierten Öf- fentlichkeit geliefert haben und lie- fern, ganz abgesehen davon, daß Sie nach meinem persönlichen Empfinden der Glaubwürdigkeit politisch-parlamentarischer Erklä- rungen über die Motive für Geset- zesänderungen einen schweren Schlag versetzt haben.

Wir verwenden in der Medizin so- genannte Einmalspritzen, die nach Gebrauch weggeworfen werden.

Wenn Erklärungen über das Ziel von Gesetzentwürfen bzw. Geset- zen so behandelt werden wie diese Spritzen, dann dürfen wir uns nicht über Reaktionen wundern, die uns allen unlieb sind. Das geschieht gleichzeitig mit dem gerade von den Kassenärzten tätig bewiesenen Willen, der Kostenexpansion im Gesundheitswesen und in der so- zialen Krankenversicherung an füh- render Position entgegenzuwirken.

Zusammenfassend möchte ich zu diesem Änderungswunsch der Koalition gegenüber dem Regie- rungsentwurf festhalten, daß er auf eine von uns nicht gewünschte In- stitutionalisierung der psychiatri- schen Versorgung hinausläuft. Dies widerspricht auch dem wesentli- chen Anliegen der Psychiatrie-En- quete, nämlich die psychiatrische Behandlung endlich auch in den Augen der breiten Öffentlichkeit der übrigen ärztlichen Behandlung gleichzustellen. Wesensmerkmal der ärztlichen Behandlung — dies ist doch wohl bis jetzt zwischen uns noch unumstritten — ist gera- de nicht die Institutionalisierung, sondern das persönliche und indi-

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tagsdebatte über das Kassen- arztrecht — bei der abschlie- ßenden Behandlung des Kran-

kenversicherungs-Weiterent- wicklungsgesetzes am 24. Juni 1976 — ist wieder einmal der falsche Eindruck erweckt bzw.

bestärkt worden, als hätten die SPD/FDP-Abgeordneten die so heftig kritisierten Bestimmungen in Richtung einer Institutionali- sierung der ambulanten psych- iatrischen Krankenbehandlung

„in Erfüllung der vorgelegten Enquete zur Psychiatrie" in das Kassenarztrecht einbauen müs- sen.

In Wirklichkeit hat die Psychia- trieenquete im Kapitel „Zusam- menarbeit stationärer und am- bulanter Einrichtungen im Rah- men der kassenärztlichen Ver- sorgung" ausdrücklich bestä- tigt, daß „das geltende Recht auch für den Bereich der Ver- sorgung psychisch Kranker und Behinderter bereits die Möglich- keit vor(sieht), an den stationä- ren Einrichtungen tätige Ärzte und erforderlichenfalls auch die Einrichtungen selbst als Lei- stungsträger in die kassenärzt-

trieenquete (wiedergegeben in der Bundestagsdrucksache 7/

4200, Kapitel D. 3) und der Be- hauptung, die SPD/FDP-Abge- ordneten seien gewissermaßen in Zugzwang gewesen, erklärt die mißtrauische Frage nach den wahren Motiven einer Ge- setzes-„Ergänzung", die in der Psychiatrieenquete eben nicht verlangt worden ist. Denn alles, was man vorgeblich wollte, war und ist nach geltendem Recht bereits möglich.

Bundesrat, Vermittlungsaus- schuß und Bundestag könnten sich daher zu einer Streichung oder klarstellenden Abänderung der umstrittenen Institutionali- sierungsbestimmungen durch- ringen, ohne im geringsten dem gemeinsamen Anliegen zu scha- den, nämlich „das Bedürfnis des Versicherten nach einer be- darfsgerechten ärztlichen Ver- sorgung" zu erfüllen, „dem sich etwaige wirtschaftliche Erwä- gungen Dritter absolut unter- zuordnen haben".

Auch das steht wörtlich in der Psychiatrieenquete! DÄ viduelle Arzt-Patienten-Verhältnis.

Durch den Koalitionsantrag wird also unter diesen für den Thera- pieerfolg wesentlichen Gesichts- punkten die psychiatrische Versor- gung und damit der psychisch kranke Mitbürger erneut diskrimi- niert.

Meine Freunde und ich sind drit- tens der Auffassung, daß die Be- stimmung des § 268 s des Entwurfs, die den Krankenkassen die Mög- lichkeit eröffnen soll, nach Schei- tern aller sonstigen Sicherstel- lungsmaßnahmen Eigeneinrichtun- gen zu betreiben, gestrichen wer- den muß. Wer den Gesetzentwurf kennt, wird zugeben müssen, daß eine solche Bestimmung entweder nur der Fixierung einer weiteren Möglichkeit der institutionalisierten Behandlung von Patienten dient oder aber wirklich nur auf dem Pa- pier steht, weil jede denkbare an- dere Möglichkeit vorher ausgenutzt worden sein wird, es sei denn, Sie unterstellen der ärztlichen Selbst- verwaltung, wissentlich und willent- lich solche Situationen herbeizu- führen.

Hier muß auch einmal auf die inter- essanten Ausführungen des Vertre- ters der Ersatzkassenverbände bei der letztjährigen Sachverständi- genanhörung hingewiesen werden, der sich entschieden gegen eine solche Möglichkeit des Übergangs des Sicherstellungsauftrags in die alleinige Verantwortung der Kran- kenkassen aussprach, weil er sich keinen Erfolg von einer solchen Maßnahme versprechen könne, nachdem es bereits den Kassen- ärztlichen Vereinigungen mit ihrem umfangreichen Instrumentarium nicht gelungen ist, den betreffen- den freien Kassenarztsitz zu beset- zen. Man muß sich wirklich fragen, was die Koalition mit einer sol- chen, nicht einmal von den Kran- kenkassen einmütig gewünschten Verlagerung des Sicherstellungs- auftrags beabsichtigt, wenn nicht die Sprengung des gegenwärtigen Systems! Nach unserer Überzeu- gung handelt es sich hierbei also um eine sinnlose Vorschrift mit rein deklamatorischem Charakter

und einer unübersehbaren Signal- wirkung in Richtung einer weiteren Institutionalisierung der Medizin.

Im übrigen möchte ich hier die Wortführer der Koalition auf einen logischen Knick in ihrer Argumen- tation hinweisen, wenn sie einer- seits bei der Bedarfsplanung den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung mit dem Hinweis verteidigen, es gehe um die Beibehaltung kla- rer Verantwortungsbereiche der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen, anderer- seits aber mit der Vorschrift des

§ 368 s RVO sogar in Einzelfällen eine völlige Umkrempelung der Ver- antwortung für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung herbei- führen wollen.

Schließlich treten meine Freunde und ich mit allem Nachdruck dafür

ein, die Nr. 29 Buchstabe b des Entwurfs, die eine besondere kas- senärztliche Fortbildung vorsieht, zu streichen. Vor wenigen Wochen hat der Deutsche Ärztetag in einer Musterberufsordnung für die Ärzte- kammern der Länder die allgemei- ne Berufspflicht des Arztes zur Fortbildung klar und ausführlich geregelt. Frau Bundesminister Fok- ke hat diese Beschlüsse in aller Öffentlichkeit auf dem kürzlich be- endeten Berliner Fortbildungskon- greß ausdrücklich begrüßt.

Wir würden es für eine verhängnis- volle Fehlentwicklung halten, wenn man etwa neben der allgemeinen ärztlichen Fortbildung und den sie regelnden Berufsordnungsvor- schriften, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozial- gerichts ohnehin integraler Be- standteil des Kassenarztrechts

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 29 vom 15. Juli 1976 1927

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sind, eine besondere kassenärztli- che Fortbildung vorsehen und in der RVO verankern würde. Der Pa- tient hat nach den Vorschriften des

§ 368 e RVO das Recht auf die nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßige und notwendi- ge Behandlung. Was jeweils Re- geln der ärztlichen Kunst sind, das darzulegen ist eine wesentliche Aufgabe der allgemeinen ärztlichen Fortbildung und nicht etwa die ei- ner speziellen kassenärztlichen Fortbildung.

Lassen Sie mich abschließend wie- derholen, daß für uns das Kassen- arztrecht und seine weitere Ent- wicklung ein überaus bedeutungs- voller Teil der Gesellschaftspolitik ist. An unseren gesellschaftspoliti- schen Auffassungen und Überzeu- gungen haben wir den Gesetzent- wurf in der vorliegenden Form ge- messen und gewertet. Ich habe Ih- nen unsere Auffassung dargelegt, (Wehner [SPD]: Ein Rekord im Schnellesen!)

unsere Anträge begründet und Sie gebeten, logische klare Konse- quenzen aus Ihren eigenen mündli- chen und schriftlichen Erklärungen zu ziehen.

Präsident Frau .Renger: Ich bitte, die vorgesehenen Redezeiten ein- zuhalten. Ich bitte Sie herzlich, Frau Kollegin, zum Schluß zu kom- men.

Frau Dr. Neumeister (CDU/SCU):

Im Sinne einer sachlichen Verbes- serung unserer gemeinsamen An- liegen bleibt uns dann nur noch die Hoffnung auf den Bundesrat, der bei diesem zustimmungspflichtigen Gesetzentwurf nichts unversucht lassen sollte, um in den von mir genannten Punkten letztlich doch noch zu einigermaßen befriedigen- den Regelungen zu kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Dokumentation der Bundes- tagsdebatte wird im nächsten Heft fortgesetzt.

Dumpfe Drohung

„Lenins Bedeutung für das deut- sche Gesundheitswesen, vielen bislang verborgen, wurde von dem Hannoveraner Professor Kisker ins linke Licht gerückt: Unter Hinweis auf Lenins Proklamation eines ,uni- versellen Gesundheitsschutzes für jedermann' fordert Kisker — auf seinem Fachgebiet, der Psychiatrie

— eine ,staatlich verordnete Uni- versal-Psychohygiene'... Diese dumpfe Drohung eines Medi- zin-Sozialisierers erfolgte just zu dem Zeitpunkt, als im Bonner Gesundheitsministerium eine ,Sach- verständigenkommission' gebildet wurde, die den ,Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundes-

ZEITBÜHNE

republik` auszuarbeiten hatte. Das Schriftstück ... läßt — einschließ- lich seiner Entstehungsgeschichte

— Grundlinien der Auseinanderset- zung zwischen Freiheit und Sozia- lismus ... deutlich werden.

Erstens geht das Papier ursprüng- lich auf einen Antrag von CDU-Ab- geordneten im Bundestag zurück (und zwar bereits nach Willy Brandts Machtergreifung). Der CDU war dabei verborgen geblie- ben, daß die SPD Gremien aller Art mit ihren eigenen Parteigängern zu besetzen pflegt und daß die sol- cherart Auserwählten, überra- schend, dazu neigen, ihr Handeln von sozialistischen Überzeugungen

leiten zu lassen...

Zweitens ist die Psychiatrie der einzige Bereich der Medizin, der einen Nährboden für marxophile Ideologen hergibt... Die Faszina- tion ihres ‚geschlossenen Sy- stems' bläst den roten Utopisten Wind in die Segel und ermöglicht ihnen, eine im Psychiatrie-Gehege großgezogene Theorienpflanze der ganzen Medizin als Kost zu emp- fehlen. Dies entspricht der soziali- stischen Strategie, von unterwan- derten Teilbereichen her ganze Sy- steme von innen aufzurollen.

Drittens ist die von der Psychia- ter-Kommission geforderte ,Samm- lung und Auswertung aller relevan- ten Daten' der Prüfstein dafür, was Begriffe wie ‚Unverletzlichkeit der Person`, Patientengeheimnis' und ,ärztliche Schweigepflicht' noch wert sind. Gerade bei der Behand- lung nervlicher Störungen werden die Patienten unentwegt aufgefor- dert, ihr ,psycho-soziales' Umfeld zu schildern, d. h. alles, was es über Familienangehörige, Freunde und Berufskollegen Berichtenswer- tes gibt.

Viertens: Die Sozialisten bleiben — solange sie noch nicht im Vollbe- sitz der Macht sind — eher behut- same Leute. ... Dafür müssen im ersten Takt die freien Ärzte ange- gangen werden. Dies geschieht im Psychiatrie-Bericht mit der Be- hauptung, die notwendige Nachbe- handlung der Patienten (rehabili- tative Hilfen) sei ,durch niederge- lassene Ärzte nicht gesichert'. Das mag teilweise zutreffen, entlarvt [werden] die Absichten der Autoren aber durch den folgenden — nach- weislich falschen — Satz: die ge- forderten Hilfen könnten ,von den stationären psychiatrischen Einrich- tungen in der Regel angeboten werden' ..." K. L. Bayer

Abtreibungskliniken

„Bundesgesundheitsministerin Ka- tharina Focke hält es für ,möglich und eventuell sogar für notwendig`, daß in der Bundesrepublik Spezial- kliniken für Schwangerschaftsun- terbrechungen aufmachen werden.

Frankfurter Rundschau

,Ich hoffe jedoch, daß es nicht dazu kommt', sagte Frau Focke in einem Interview mit dem Südwest- funk (SWF) Baden-Baden. Es wäre besser, unterstrich die SPD-Politi- kerin, wenn die Ärzte sich auf ihre ärztlichen Aufgaben besinnen und versuchen würden, sich mit der neuen Lage positiv auseinanderzu- setzen." dpa

1928 Heft 29 vom 15.Juli 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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