EDITORIAL Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Amphetamine
zügler geführt; sie ist jedoch durch die vorliegenden Untersuchungen und Erfahrungen schwer zu recht- fertigen. Amphetamin hat praktisch keine direkte Wirkung auf den Grundumsatz (8); die Gewichtsab- nahme wird einer dämpfenden Wir- kung auf ein hypothalamisches Hun- gerzentrum zugeschrieben (9), (10).
Für das therapeutische Rationale von Appetitzüglern gilt folgendes (11): Alle Appetitzügler sind indirekt wirkende Sympathomimetika. Am- phetamin, Amfepramon, Phentermin und Mazindol (vgl. Tabelle) erfor- dern für ihren anorektischen Effekt ein funktionierendes catechola- minerges, Fenfluramin (Tabelle) da- gegen ein intaktes serotoninerges System. Dies könnte die vergleichs- weise geringere zentrale Stimulation und Euphorie nach Fenfluramin er- klären, welches demzufolge für die Appetithemmung vorzuziehen ist.
Ähnliches gilt für Chlorphentermin und Clortermin (Tabelle); diese drei Amphetamine sind deshalb der internationalen Suchtgiftkontrolle nicht unterstellt. In klinischen Kon- trollversuchen erwids sich der an- orektische Effekt von 5-20 mg Dex- troamphetamin als gering und unsi- cher (12), (13). Nach einigen Wo- chen tritt Wirkungsabnahme ein; ei- ne Dosissteigerung ist mit dem - Risi- ko der Entwicklung einer Abhärigig- keit belastet. Eine kausale Therapie der Übergewichtigkeit, welchen Ur- sprungs auch immer, ist mit Appetit- züglern prinzipiell nicht möglich, al- lenfalls eine Unterstützung diä- tetischer und gegebenenfalls psy- chotherapeutischer Maßnahmen (14-16).
2.2 Wirkungen auf den Kreislauf
Nach Aktivierung von a- und (3-Re- zeptoren durch Amphetamin steigen systolischer und in geringem Maße diastolischer Druck, begleitet von reflektorischer Bradykardie, die bei wieder fallendem Druck in Tachykar- die umschlägt. Nach hohen Dosen tritt gelegentlich eine Arrhythmie auf. Die periphere Vasokonstriktion wird in verschiedenen Ländern zur Schleimhautabschwellung benutzt (Benzedrine inhaler). Auf die thera- peutische Verwendung dieser Am-
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nie Reihe über klassische ifsuchterzeugende Drogen wird mit der Besprechung der Amphetamine beendet. Was noch folgt, sind Informatio- nen über „Neuheiten", die als „minor drugs" bezeichnet werden können, Ersatzstoffe für Schnüffler, Tranquillan- tien und ähnliches. Natürlich dürfen in einer Reihe über suchterzeugende Stoffe Al- kohol und Tabak nicht feh- len; auch Berichte über sie werden demnächst er- scheinen.
Wenn man verfolgt, wie Stof- fe in die Drogenszene abglei- ten, ergibt sich immer das gleiche Bild. Es läßt sich auch anhand der Karriere von Amphetaminderivaten und ähnlich wirkenden Stoffen beobachten: die zunächst rein medizinische Verwen- dung der Substanzen offen- bart psychische Wirkungen, die mit mehr oder weniger angenehmen Sensationen verbunden sind. Es finden sich Mittel und Wege, wie man die Versorgung der me- dizinischen Dienste benut- zend oder direkt beim Erzeu- ger an die Stoffe gelangen kann. Ihre Verbreitung ist weder durch Rezeptpflicht noch durch ähnliche Schran- ken zu verhindern.
Der vorläufige Schlußpunkt in der Kette der amphet- aminähnlich wirkenden Stoffe wird mit Ketamin und Phen- cyclidin gesetzt, das in der
Szene als „angel dust" oder
„peace pill" — um nur einige Synonyma zu nennen — ge- genwärtig von sich reden macht. Beide Verbindungen wurden als Kurznarkotika entwickelt. Die durch sie er- zeugten Rauscherlebnisse sind übrigens keineswegs
"positiv": Berichte über Selbstverstümmelungen schlimmsten Ausmaßes, die auf Phencyclidin-Räusche zu- rückgeführt werden, füllen augenblicklich die Boule- vardblätter.
Es gibt zwei Alternativen, um mit dem Problem fertig zu werden. Bei der ersten, einem Herstellungsverbot, sträubt sich schon die Feder, denn dieses Verbot ist prak- tisch nicht durchführbar.
Man kann auf die Entwick- lung und Erzeugung von Stoffen, die zentralnervöse Wirkungen haben, schlecht- hin nicht verzichten. Die an- dere läuft darauf hinaus, daß wir uns „disziplinieren": Er- findung und Entwicklung, Erzeugung und Verbreitung von Stoffen, die zur Beein- flussung menschlicher Be- findlichkeiten dienen kön- nen, sind höchst verantwor- tungsvolle Aufgaben. Sie können nur mit besonderen Genehmigungen und Aufla- gen und mit der uneinge- schränkten Bereitschaft wahrgenommen werden, die zur Überwachung von Ent- wicklung, Herstellung, Ver- kauf und Verwendung ver- pflichteten Administrationen bedingungslos zu unterstüt- zen. Das Ende der Liberali- tät? — Nein. Eher: Schluß mit einer bodenlosen Libertina- ge, die mit Liberalität nichts zu tun hat! Wolfgang Forth
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 50 vom 10. Dezember 1981 2399