Horst Jaunich, MdB
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Arzneimittelgesetz THEMEN DER ZEIT
gen kompetenten und selbstver- antwortlichen Arzt qua Gesetz (§
19 AMG) normiert. Bislang sind nur die Verantwortungsbereiche des Herstellungs-, Kontroll- und Vertriebsleiters entsprechend gesetzlich geregelt, ohne daß der Entwurf einem gleichbe- rechtigten und gleichgestellten verantwortlichen Arzt in der pharmazeutischen Industrie ei- ne ebenso quasi öffentlich- rechtliche Aufgabe zuerkannt hätte.
Den Forderungen der Bundes- ärztekammer und ihres Fach- ausschusses „Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzte- schaft" zufolge soll der zustän- dige Arzt für sämtliche medizini- schen Entscheidungen und Aus- sagen über Arzneimittel (Arznei- mittelinformationen/Werbung) unabhängig und losgelöst von etwa anderen rechtlichen oder wirtschaftlichen Erwägungen, insbesondere der Unterneh- mensleitung, persönlich verant- wortlich sein. Nur ein Arzt kann die Funktionen der Fachinfor- mationen und Kontrolle über Arzneimittelrisiken für den Her- steller wahrnehmen.
Die „Nachbesserung" im über- arbeiteten Kabinettsentwurf, nämlich die Einführung eines
„Stufenplanbeauftragten", kann kein sachliches wie inhaltliches Äquivalent für den von der Ärz- teschaft geforderten „verant- wortlichen Arzt in der Arzneimit- telindustrie" darstellen. Laut Referentenentwurf obliegt näm- lich dem Stufenplanbeauftrag- ten lediglich die Aufgabe, be- kanntgewordene Meldungen über Arzneimittelrisiken, Ne- benwirkungen und Gegenanzei- gen zu sammeln und zu bewer- ten. Die Zuständigkeit des ver- antwortlichen ärztlichen Leiters ist viel weitergehend.
Kleineren und mittleren Unter- nehmen, die keinen hauptamt- lichen ärztlichen Leiter bestel- len können, bleibt es unbenom- men, einen zum Beispiel an der
„Wir wol- len, daß Arzneimit- telanbieter und Arznei- mittelnach- frager am Markt gleichge- wichtig auftreten und dort ihre Inter- essen zum Ausgleich bringen"
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Deutscher Bundestag
Hochschule tätigen Sachver- ständigen zu verpflichten.
Weitere Forderungen der Ärzte- schaft bleiben: im Wege des Auftrags- und Delegationsver- fahrens
• Aktualisierung der Ge- brauchsinformation für Fach- kreise;
• Sämtliche „bedenkliche Hilfs- stoffe" sollten deklariert wer- den; Präzisierung der Zulassung von Kombinationspräparaten;
• generelle Überprüfung der pharmazeutischen Qualität sämtlicher in öffentlichen Apo- theken vorgehaltenen und ange- botenen Spezialitäten (analog zu § 32);
• Einführung von Vorausset- zungen für eine patientenge- rechtere Packungsbeilage;
• geeignete Maßnahmen soll- ten ergriffen werden, um ei- ne „Kleineinfuhr" bedenklicher Arzneimittel aus dem Ausland zu unterbinden.
• Der Direktversand von Probe- mustern müsse so gehandhabt werden, daß die Sicherheits- kette Hersteller—Großhandel- Apotheker—Patient geschlossen und nicht unterbrochen werde.
Dr. rer. pol. Harald Clade
Rentenfinanzen
mittelfristig gesichert
Wenn die konjunkturelle Entwick- lung weiterhin halbwegs stabil verläuft, so sind bis Anfang der neunziger Jahre keine Eingriffe in das Rentenrecht notwendig. Dann aber beginnt der Prozeß der Ver- schlechterung der Altersstruktur, der erst in 20 bis 30 Jahren seinen Höhepunkt erreichen wird.
Die deutliche Verbesserung der Finanzlage der Rentenversiche- rung in den letzten Monaten geht schon daraus hervor, daß die Ren- tenversicherung den ursprünglich bereitgestellten zusätzlichen Bundeszuschuß von 1,5 Milliarden DM nicht voll in Anspruch nehmen muß. Um zum Jahresende die ge- setzlich vorgeschriebene Min- destrücklage von einer Monats- ausgabe zu gewährleisten, reicht ein Zuschuß von etwa 600 Millio- nen DM aus. Das überrascht, denn das beitragspflichtige Arbeitsent- gelt hat sich 1985 nur um 3,1 Pro- zent erhöht, während in den Vor- ausberechnungen noch eine Lohnrate von 3,3 Prozent unter- stellt worden war. Die Einkom- mensentwicklung hat also bisher noch keinen größeren Beitrag zur Stabilisierung der Rentenfinan- zen geleistet.
Ausschlaggebend für die Verbes- serung der Rentenbilanz ist vor al- lem die letzte Beitragserhöhung auf 19,2 Prozent und der Anstieg der Beschäftigtenzahl um wenig- stens 160 000. Jeder zusätzlich beschäftigte Arbeitnehmer ist ein neuer Beitragszahler. Diese posi- tive Entwicklung am Arbeitsmarkt dürfte auch 1986 anhalten. Der Sachverständigenrat rechnet mit einer Zunahme der Beschäftigten- zahl um etwa 300 000. Die aus die- sen Beitragsleistungen erwach- senden Ansprüche schlagen erst sehr viel später auf die Rentenbi- lanz in der Form von Rentenzah- lungen durch. Im Rentenanpas- sungsbericht werden, wie gesetz- lich vorgesehen, Modellrechnun- Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 1/2 vom 3. Januar 1986 (23) 19
Rentenfinanzen
gen über die langfristige Entwick- lung der Rentenfinanzen präsen- tiert. Dabei werden die Annahmen über die Wirtschaftsdaten so vari- iert, daß die Spannbreite der mög- lichen Entwicklungen erfaßt wer- den dürfte. Das Ergebnis läßt sich wie folgt zusammenfassen: We- gen der Verschlechterung der Al- tersstruktur muß der Beitragssatz in den neunziger Jahren um annä- hernd zwei Prozent angehoben werden. Bei einer ungünstigeren wirtschaftlichen Entwicklung wird die Entscheidung schon Anfang der neunziger Jahre fällig, bei hö- heren Lohnraten und Beschäftig- tenzahlen läßt sich die Beitragser- höhung bis etwa Mitte des näch- sten Jahrzehnts hinausschieben.
Der Sozialbeirat, der die Renten- anpassung und den Anpassungs- bericht jeweils zu kommentieren hat, macht zu Recht darauf auf- merksam, daß die Beitragserhö- hung nur eine der möglichen Maßnahmen sei; denkbar sei ein ganzes Maßnahmenpaket Die vielfach entstandene Unruhe über die langfristige Entwicklung des Rentensystems wird vom Sozial- beirat als unbegründet hinge- stellt. Eine Strukturreform sei An- fang der neunziger Jahre unab- weisbar. Es zeige sich aber schon jetzt, daß ein "totaler Umbau" des Rentensystems, der die erworbe- nen Ansprüche in Frage stelle, nicht erforderlich sei.
ln dem Entwurf des Rentenanpas- sungsgesetzes schlägt die Bun- desregierung die Erhöhung der Renten zum 1. Juli 1986 um 3,1 Prozent vor. Das entspricht den vorläufigen Zahlen über den Lohnanstieg im Jahr 1985; die endgültigen Zahlen, die erst im März vorliegen werden, können davon noch geringfügig abwei- chen. Dennoch werden die Ren- ten effektiv nicht um 3,1 Prozent, sondern nur um 2,34 Prozent er- höht. Dieser Steigerungssatz er- gibt sich aus der Gesetzesbestim- mung, daß der Beitrag zur Rent- ner-Krankenversicherung Mitte 1986 um weitere 0,7 Prozentpunk- te auf 5,2 Prozent der Rente her-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
aufgesetzt wird. Im Jahresdurch- schnitt erhöhen sich die Renten damit um nur 1,9 Prozent.
Die Rentner fallen damit ein we- nig hinter dem Anstieg der Netto- Verdienste der Arbeitnehmer zu- rück; das Netto-Rentenniveau ver- ringert sich von 65 Prozent 1985 auf etwa 63,5 Prozent. Dennoch will die Bundesregierung am gel- tenden Recht über die Kranken- versicherung der Rentner festhal-
ten. Sie wird darin von einer Mehr-
heit des Sozialbeirates unter- stützt, der am einmal beschlosse- nen Recht festhalten will und der der längerfristigen finanziellen Stabilität Vorrang vor kurzfristi- gen verteilungspolitischen Über- legungen gibt. Es bleibt freilich abzuwarten, ob dieser Kurs im Jahr vor der nächsten Bundes- tagswahl durchzuhalten sein wird.
Nicht nur die SPD verlangt die vol- le Rentenanpassung um 3,1 Pro- zent und damit die Verschiebung der Erhöhung des Rentner-Kran- kenversicherungsbeitrages. Auf Änderungen für die kleinen Ren- ten drängt die CSU und innerhalb der Union auch die Berliner CDU.
Pflichtversicherte Selbständige:
Wahl zwischen zwei Übeln Für die Rentenpolitik von Bedeu- tung ist auch ein neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der erste Senat hat den Gesetzgeber verpflichtet, den pflichtversicher- ten Selbständigen, die aufgrund des Rentenreformgesetzes von 1972 der Rentenversicherung frei- willig als Pflichtmitglieder beige- treten sind, die Möglichkeit zu er- öffnen, die Pflichtmitgliedschaft rückwirkend in ein freiwilliges Versicherungsverhältnis umzu- wandeln. Der Senat hat diesem Personenkreis wegen der Abwer- tung der Ausbildungs-Ausfallzei- ten im Jahre 1977 Vertrauens- schutz nach Artikel 14 des Grund- gesetzes gewährt.
Das bedeutet, daß die betroffenen Versicherten die Pflichtversiche-
rung nunmehr beenden können und damit die Freiheit über ihre künftige Gestaltung ihrer Bei- tragsleistungen zurückgewinnen, während sie bislang Monat für Monat durchweg die Höchstbei- träge zu entrichten hatten. Auf der anderen Seite hat dies zumeist sehr nachteilige Folgen; diese Versicherten verlieren nämlich bei der Umwandlung ihrer in der Vergangenheit entrichteten Pflichtbeiträge in freiwillige Bei- träge jene Vorteile, die an die Pfl ichtm itg I iedschaft gebunden sind, so zum Beispiel den An- spruch auf Zurechnungszeiten bei Invalidität vor dem 55. Lebensjahr.
Auch kann mit freiwilligen Beiträ- gen nicht die sogenannte Halbbe- legunQ erreicht werden, von der die Anrechnung der Ausbildungs- Ausfallzeiten abhängt.
..,.. Der Vertrauensschutz, den der Senat einräumt, ist damit wenig wert. Den betroffenen Versicher- ten wird die Entscheidung zwi- schen zwei Übeln zugemutet.
Wenn das Gericht konsequent ge- wesen wäre, so hätte es im Sinne eines wirklich wirksamen Vertrau- ensschutzes die Erstattung der bereits geleisteten Beiträge zulas- sen oder diesen Versicherten die Möglichkeit geben müssen, die bisherige Pflichtversicherung als freiwillige Versicherung weiterzu- führen. Die Entscheidung ist im Senat nur mit Mehrheit gefallen;
zwei Richter hielten die Gewäh- rung des Vertrauensschutzes nicht für geboten. Sie sehen darin einen Verstoß gegen den Gleich- behandlungsgrundsatz der Ver- fassung, weil den Versicherten, die kraft Gesetzes pflichtversi- chert sind, ein solches Wahlrecht nicht eingeräumt werden kann.
Bedeutsam bleibt immerhin, daß der Senat nun schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit die Be- deutung des Vertrauensschutzes bei Eingriffen in nach Artikel 14 geschützte Rentenanwartschaf- ten unterstreicht. Der Gesetzge- ber wird diese Signale künftig mehr als bisher zu beachten ha-
ben. wst
20 (24) Heft 1/2 vom 3. Januar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A