DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
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er „Arzt im Praktikum"(AiP) ist politische Rea- lität, seit der Bundesrat mit Billigung der geänder- ten Bundesärzteordnung grünes Licht für die Mitte 1988 erstmals ob- ligatorisch werdende Praktikums- phase gegeben hat, die sämtliche Medizinhochschulabsolventen nach dem Staatsexamen durchlaufen müs- sen (zunächst 18 Monate, nach Ab- lauf der Übergangsfrist 1992 24 Mo- nate). Obwohl bis zum Frühherbst 1988, dem Zeitpunkt, in dem die er- sten 6000 AiPler in die Krankenhäu- ser, in den öffentlichen Gesund- heitsdienst, in Werksarztdienste, in Justizvollzugsanstalten, in die Bun- deswehr oder in die Praxen der nie- dergelassenen Ärzte „einrücken"
werden, noch viel Wasser den Rhein hinunterlaufen wird, kann nicht früh genug mit zielgerechten „Arbeits- platzbeschaffungsmaßnahmen" be- gonnen werden. Man weiß zwar, daß bis Ende 1989 insgesamt 18 000 Stellen und bis 1992 24 000 AiP- Plätze benötigt werden, doch eine Garantie für deren Bereitstellung kann niemand abgeben. Die Verant- wortlichen in Bund und Ländern stützen ihre Zuversicht, daß die AiP-Phase reibungslos anlaufen wird, auf vage Hoffnungen und auf Appelle an die Beteiligten.
Krankenhausgesellschaften und Ärztekammern haben rechtzeitig an die Kliniken und die niedergelasse- nen Ärzte appelliert, sich für die Zu- satzaus-(Weiter)bildungs-Aufgaben von AiPlern zu öffnen. Die Bundes- länder wollen zusammen mit den Ärztekammern und den KVen auch die Landesarbeitsämter als Stellen- vermittler einschalten.
Bei allem guten Willen darf man nicht verkennen: Die Startvoraus- setzungen für die Beschäftigung von Ärzten im Praktikum in Klinik und Praxis sind sehr unterschiedlich.
Dies insbesondere im Hinblick auf die finanziellen Bedingungen und gesetzlichen Möglichkeiten. So ist bereits Anfang 1987 zwischen den Tarifpartnern im Krankenhauswe- sen ein Tarifgehalt von 1500 DM für den AiP im ersten Jahr (ohne Fami- lienzuschlag) ausgehandelt worden, ein Anfangssalär, das zwar nicht op- timal ist, aber den noch nicht „ferti-
gen" Arzt füglich über Wasser hal- ten kann. Andererseits dürfen die Krankenhäuser Personalkosten, die durch die Beschäftigung von Ärzten im Praktikum entstehen, in die Pfle- gesätze einrechnen. Zudem ist die öffentliche Finanzierungsförderung oftmals an die Bereitstellung von AiP-Stellen geknüpft.
Allerdings darf man sich nicht Illusionen hingeben, allein durch diese minimalen existenziellen Start- voraussetzungen seien sämtliche fi- nanziellen, organisatorischen und sozialversicherungsrechtlichen Pro- bleme der Ärzte im Praktikum aus der Welt. Schon gar nicht lassen sich die benötigten AiP-Stellen dadurch
„herbeizaubern", daß die Kliniken vorhandene Assistenzarztstellen oder Planstellen in AiP-Stellen um-
Ärzte im Praktikum:
Der Countdown läuft
wandeln und teilen (bis hin zur ge- forderten Drittelung). Und die Praktikumsphase wäre von Anfang an zum Scheitern verurteilt, wenn die Krankenhaus-Träger ihre Ar- beitgeber- und Dienstherrenfunk- tion mißverständen und die AiPler lediglich als billige und kostendämp- fende Arbeitskräfte einspannen wollten.
Ungleich schwieriger sind die Voraussetzungen für die Beschäfti- gung von AiPlern in der Praxis nie- dergelassener Ärzte. Öffnet ein Kas- senarzt seine Praxis für einen Jung- kollegen im Praktikum, so ist die Beschäftigung für ihn gewiß nicht kostenneutral; sie erhöht die Perso- nalkosten. In der Praxis gibt es für den AiP kein verbrieftes Tarifgehalt wie in der Klinik Es wird also allen- falls Vergütungsansprüche nach Ein- zelverträgen geben.
Schon machen Alternativ- und Palliativ-Pläne die Runde: Die Krankenkassen sollen das AiP-Salär in der Kassenarztpraxis refundieren, oder die Kassenärztlichen Vereini- gungen sollen „aus übergeordneten Gesichtspunkten" einspringen. So kommt aus der Ecke des Marburger Bundes, Landesverband Bayern, ein
ganz und gar nicht ausgegorener Vorschlag: Die KV solle Ärzte im Praktikum „einstellen", diese über die Verwaltungskostenumlage aller Kassenärzte finanzieren und diese vorfinanzierten Jungkollegen an AiP-Ausbildungspraxen „auslei- hen". Der Praxisinhaber sollte je nach Umsatz einen entsprechenden Anteil der Aufwendungen der KV für den AiP zurückerstatten. Eine solche Regelung entbehre zwar der Rechtsgrundlage, wie zugegeben wird, sei aber in etwa vergleichbar mit der seit Jahren geübten Praxis der (um der Sicherstellung der allge- meinärztlichen Versorgung der Be- völkerung willen) KV-finanzierten Weiterbildungsassistenten in Allge- meinarztpraxen.
Dieser Vorschlag mag zwar gut gemeint sein, ist aber zu kurz ge- dacht. In der Konstruktion und der faktischen Rechtsgrundlage gibt es zwischen Weiterbildungsassistenten und AiPlern gravierende Unter- schiede. Weiterzubildende Assi- stenzärzte in Allgemeinpraxen sind zudem fertige Ärzte, die eine gere- gelte Weiterbildung durchlaufen wollen. Ärzte im Praktikum sind aber, so auch die amtlichen Inter- pretationen, Ärzte, die in unselb- ständiger, untergeordneter und be- aufsichtigter Stellung unter Anlei- tung eines „erfahrenen Chefs" ar- beiten. Solange die Praktikumspha- se nicht klar strukturiert ist und auf eine spätere Weiterbildung teilweise angerechnet werden kann, gibt es keine formalen Berührungspunkte zur Weiterbildung, auch nicht in All- gemeinmedizin. Falls es doch zu ei- ner (wünschenswerten) Grobstruk- turierung und einem kurrikularen Aufbau der AiP-Phase kommen sollte, wäre der Arzt im Praktikum allenfalls ein Weiter-Auszubilden- der, jedenfalls rechtlich eine Zwit- tergestalt, die sich weder völlig unter
„Ausbildung" noch unter „Weiter- bildung" einordnen ließe.
Man kann das Kapitel AiP nicht einfach abhaken und feststellen, alle müßten mit dem AiP leben, er sei eben in der Welt. Alle mit dem AiP- Problem Konfrontierten müssen noch ein gerüttelt Maß an Aufgaben erledigen, und zwar zeitig, bevor die Praxisphase beginnt HC A-2764 (20) Dt. Ärztebl. 84, Heft 42, 15. Oktober 1987