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Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Peter Sawicki, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: „Wir haben uns immer festgelegt!“" (28.05.2010)

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A 1054 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 21

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28. Mai 2010 Herr Professor Sawicki, nach sechs

Jahren geht Ihre Amtszeit zu Ende. Zeit für eine Bilanz. Was ist das Wichtigste, das Sie erreicht haben?

Sawicki: Meine Aufgabe war es, das Institut aufzubauen. Das ist ge- lungen. Und es ist hoch anerkannt – aus politischen Gründen allerdings eher im Ausland als in Deutschland.

Wo lagen die Schwerpunkte Ihrer Ar- beit?

Sawicki: Das Wichtigste war, dass wir eine Methodik entwickelt haben:

die systematische Recherche und ei- ne nachvollziehbare Bewertung des patientenrelevanten Nutzens. 40 Pro- zent unserer Berichte befassen sich mit Arzneimitteln. Wir haben auch viele Leitlinien und nichtmedika- mentöse Verfahren bewertet.

Als Sie Ihre Methodik vorgestellt ha- ben, stießen Sie auf viel Gegenwind vor allem aus der Pharmaindustrie. Ist der Wind inzwischen abgeebbt?

Sawicki: Nein. Der Wind ist nur anders. Wir haben es hier mit ei- nem Grundkonflikt zu tun, den man nicht durch Gespräche auflö- sen kann: Die Pharmaindustrie strebt nach Gewinnmaximierung.

Die ist aber nur dann möglich, wenn man bestimmte Dinge, die nicht so nützlich sind, als nützlich bezeichnet – und dafür braucht man eine Beliebigkeit der Metho- den. Und wir sind nicht für Belie- bigkeit zu haben.

Welchen Stellenwert hat das Institut inzwischen in der gesundheitspoliti- schen Landschaft?

Sawicki: Es ist nicht mehr wegzu- denken. Niemand, auch nicht der schärfste Kritiker, fordert, dass es abgeschafft wird, sondern nur, dass es anders arbeiten soll. Das Pro- blem ist: Je valider, je unabhängi- ger und je stringenter die Metho- dik, desto weniger frei kann die Po- litik hinterher die Ergebnisse inter- pretieren.

Allerdings haben die verschiede- nen Bänke im Gemeinsamen Bun- desauschuss noch nicht verstanden, dass unsere Empfehlungen nur ein Teil ihrer Entscheidungsgrundlage sind und keine Negativbewertung der einen oder der anderen Partei.

Wir sagen: Das weiß man, und das weiß man nicht. Und das ist nicht verhandelbar. In der Wissenschaft geht es nicht wie in der Politik nach Mehrheiten. Wir können nicht dar- über abstimmen, ob ein bestimmtes Medikament wirkt oder nicht.

Im Grunde plädieren Sie für eine Rollen- teilung: Sie bewerten, und die anderen entscheiden.

Sawicki: Richtig. Wir stellen dar, was man weiß. Was man politisch dann daraus macht, ist etwas ande- res. Man kann auch sagen: „Diese Metaanalyse interessiert uns jetzt nicht.“ Sehr schön hat das der ehe- malige Abteilungsleiter im Bun- desgesundheitsministerium, Franz Knieps, sinngemäß gesagt: „Wenn Mütter mit Kindern auf dem Arm vorm Ministerium stehen und Fern- sehkameras sind dabei, dann inter- essiert keine Wissenschaft.“

Ähnliche Reaktionen würden Sie ja provozieren, wenn Sie zum Beispiel in die Bewertung von Krebsmedikamen- ten einsteigen . . .

INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Peter Sawicki, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen

„Wir haben uns immer festgelegt!“

Der streitbare Arzt, der Ende August aus dem Amt scheidet, spricht über die Unabhängigkeit des IQWiG, fehlenden Mut in der Politik und persönliche Enttäuschungen.

Peter T. Sawicki (53) ist Internist und Diabetologe. Bevor er 2004 die Leitung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) übernahm, war er Direktor der Abteilung für Innere Medizin am St.-Fran- ziskus-Hospital in Köln.

Fotos: Eberhard Hahne

P O L I T I K

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Deutsches Ärzteblatt

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28. Mai 2010 A 1055 Sawicki: Sicher. Wir brauchen da-

für eine Akzeptanz in der Bevölke- rung. Aber wenn wir gute Medizin wollen, die langfristig bezahlbar bleibt, müssen wir anfangen, uns die Sachen vernünftig anzuschauen und nicht polemisch. Für mich stand im- mer an erster Stelle eine gute Quali- tät des Gesundheitswesens. Denn ein Krebspräparat, das vielleicht nur ein paar Tage Lebensverlängerung bringt, in besonderen Studien, die nicht mal gut sind, hat auch Neben- wirkungen. Es ist unter Umständen sogar schlecht für den Menschen.

Ein anderes Problem ist die schlechte Datenlage. Wir haben es nicht geschafft, dass die Kassen oder die Politik verstehen, dass wir patientenrelevante Studien brau- chen. Seit fünf Jahren diskutieren wir über Insulinanaloga. In der Zeit hätte man 20 Studien machen kön- nen. Stattdessen gibt man das Geld aus und streitet sich.

Sind die Kassen hier gefordert?

Sawicki: Ja, denn die Studien der Industrie sind nie objektiv. Thera- pien, auch die nichtmedikamentö- sen, muss man objektiv untersuchen, bevor man damit auf die Menschheit losgeht – bevor man in orthopädi- schen Kliniken einen Robodoc kauft und die Leute hinterher nicht laufen können. Solche Studien kann man auch versorgungsrelevant machen.

Das müssten die Kassen eigentlich bezahlen. Mit einer Milliarde Euro pro Jahr könnten wir 90 Prozent der Fragen in der Versorgungsforschung klären. Das ist nicht viel angesichts der 250 Milliarden, die wir pro Jahr für das Gesundheitswesen ausgeben.

Sie setzen sich schon lange für die Un- abhängigkeit von der Pharmaindustrie und für evidenzbasierte Medizin ein.

Sind die Ärzte zu unkritisch?

Sawicki: Der einzelne Arzt, der in seiner Praxis den ganzen Tag arbei- tet, kann ja nicht am Abend selbst Metaanalysen auswerten. Das hat er auch gar nicht gelernt.

Aber was Ärzte häufig verwech- seln, ist der Regelfall mit dem Einzel- fall. Den Regelfall kann man wissen- schaftlich beschreiben. In der Regel ist es zum Beispiel gut, wenn man nach dem Herzinfarkt Acetylsalicyl-

säure einnimmt. Wie das im Einzel- fall ist, kann keine Studie beschrei- ben. Das kann auch kein Institut be- schreiben. Das muss der Arzt ent- scheiden, und wenn er darauf verzich- tet, muss er es begründen.

Man hat Ihrem Institut oft vorgeworfen, dass seine Methodik zu alltagsfern sei.

Sawicki: Manchmal wird uns vorge- worfen, wir würden nur randomisier- te kontrollierte Studien berücksich- tigen. Das stimmt nicht. Wir berück- sichtigen alle Studien, die eine zu verlässige Aussage erlauben. Aber:

Kleine Unterschiede, um die es bei uns meistens geht, kann man mit einer Fallbeobachtung nicht belegen. Dafür braucht man besondere Methoden.

Schützt die Trägerschaft durch die Selbstverwaltung das Institut vor poli- tischer Einflussnahme?

Sawicki: Es gibt immer und überall Versuche der politischen Einfluss- nahme, entweder durch das Minis- terium oder andere Interessengrup- pen – ob es da einen G-BA gibt oder nicht, spielt keine Rolle.

Im Koalitionsvertrag steht, dass man die Methoden des IQWiG überprüfen will, um die Akzeptanz der Entschei- dungen zu verbessern. Was bedeutet das für das Institut?

Sawicki: Wenn man jetzt die Me- thoden aufweicht, ist das nicht gut.

Was wir wollen, ist, dass die Politik oder der G-BA in Kenntnis der Tat- sachen entscheiden. Aber die wollen manchmal die Tatsachen verändern, damit sie ihnen besser passen. Es ist fraglich, ob man eine bessere Ge- sundheitsversorgung schafft, wenn man sich selbst in die Tasche lügt.

Wie viel Politik steckt denn hinter Ihrer verweigerten Vertragsverlängerung?

Sawicki: Das weiß ich nicht. Es gibt Papiere von Abgeordneten, die meine Abberufung gefordert haben.

Was mich persönlich getroffen hat, ist, dass die Trägerorganisatio- nen alle einstimmig dafür waren, meinen Vertrag nicht zu verlängern.

Und die Art war auch nicht nett.

Ich hätte es besser gefunden, wenn man gesagt hätte, wir finden für Sie keine Mehrheit, die Politik glaubt, mit einem anderen Leiter das Insti- tut besser führen zu können – ohne vorgeschobene Argumente. Das hätte mich nicht gefreut, aber ich hätte es verstanden und akzeptiert.

Gibt es etwas, das Sie gerne anders gemacht hätten?

Sawicki: Meine Freunde haben mir gesagt, ich habe zu wenig auf mich selbst geachtet. Zum Beispiel hätte ich meinen Vertrag juristisch genau überprüfen sollen. Oder ich hätte mir vielleicht einen Elektrorasen- mäher kaufen sollen.

Ulla Schmidt hat mal gesagt: „Sei- en Sie doch diplomatischer.“ Aber

„diplomatischer“ heißt, man legt sich nicht fest. Wir haben uns immer fest- gelegt. Damit macht man sich an- greifbar. Jemand, der diplomatischer ist, ist vielleicht politisch akzepta - bler, bequemer. Aber es geht nicht darum, dass das Institut politisch ak- zeptabler oder bequemer ist. Es geht darum, dass es eindeutige Bewertun- gen macht, die unbeeinflusst sind und validen international akzeptier- ten Methoden entsprechen. ■ Das Gespräch führten Heike Korzilius und Dr. Marc Meißner.

Umstritten: Sawic- kis Vertrag läuft im September aus. Of- fiziell stolperte er über eine „Dienst- wagenaffäre“. Kriti- ker halten das für vorgeschoben und wittern politische Einflussnahme.

Trägerverbände des Instituts für Qualität und Wirtschaft- lichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sind der GKV-Spit- zenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, die Bundesärzte- kammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Ver- treter der Verbände bilden den zwölfköpfigen Stiftungsrat und stellen vier der fünf Mitglieder des Vorstands. Ein Vorstandsmitglied wird vom Bundesministerium für Ge- sundheit benannt. Der Stiftungsrat schlägt den Leiter des IQWiG vor, der dann vom Vorstand bestellt wird.

ORGANISATION DES IQWIG

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