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Archiv "ln Sorge um ein freiheitliches Gesundheitswesen" (07.06.1979)

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82. DEUTSCHER ÄRZTETAG

ln Sorge um ein

freiheitliches Gesundheitswesen

Begrüßungsansprache des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. h. c. Franz Josef Strauß

bei der Eröffnungsveranstaltung am 15. Mai 1979

Ich möchte Ihnen zunächst ein Wort des Dankes und des Grußes sagen, daß Sie den Deutschen Ärz- tetag in diesem Jahr im Freistaat Bayern und in Nürnberg, der frän- kischen Metropole Bayerns, deren großartige Aufbauleistung Herr Prof. Sewering eben schon er- wähnt hat, abhalten.

Verteidiger der Freiheit

Der Gruß der Bayerischen Staats- regierung und mein persönlicher Gruß gilt Ihnen, dem Parlament der deutschen Ärzteschaft, und darüber hinaus allen deutschen Ärzten für ihren manchmal ver-

kannten, sicherlich oft mühevollen Einsatz in der Last des Alltags.

Dieser Dank schließt ein Ihre klare Haltung und Ihr entschiedenes Eintreten in einem wechselnden Großklima für unser freiheitliches Gesundheitswesen. Ohne dieses Bekenntnis der deutschen Ärzte- schaft wären seine Aufrechterhal- tung, Verteidigung und Weiterent- wicklung nicht möglich. Wir sind in Bayern in der dankenswerten Lage, mit unserer Landesärzte- kammer, ihrem Präsidenten und ihrem Präsidium die gleiche Grundüberzeugung zu teilen und seit Jahren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufweisen zu können.

Bewährtes System

Das Gesundheitswesen der Bun- desrepublik steht unter allen Kul- tur- und Zivilisationsstaaten der Erde auf einem beachtlich hohen Niveau. Es hat sich bewährt und wird von der Bevölkerung aner- kannt und getragen. Ein ideales System gibt es nirgends, auf kei-

nem Gebiete, weder bei uns noch anderswo. Die Frage ist nur, wel- ches System funktioniert am be- sten, welches System ist am frei- heitlichsten und welches System dient am meisten den Bürgern. Das Gesundheitswesen ist ein fe- ster Baustein in der Architektur unseres Staates aus freiheitlichem Rechtsstaat, parlamentarischer Demokratie, föderalistischem Staatsaufbau und sozialer Markt- wirtschaft. Das Gesundheitswesen kann aus diesem Organismus nicht herausoperiert und Sonder- belastungen unterworfen oder mit Sonderprivilegien ausgestattet werden. Es ist hineinverflochten in den Strom der politischen, gesell- schaftlichen, geistigen und sozia- len Entwicklungen und Verwick- lungen. Ich habe immer schon be- tont, daß die Bundesrepublik und Mitteleuropa bis Mitte der 80er Jahre in einen entscheidenden Ab- schnitt ihrer Nachkriegsgeschich- te hineingehen. Und aller Voraus- sicht nach wird auch das kom- mende Europäische Parlament, dessen gesetzgeberische Befug- nisse nicht größer sein werden als die des mittelbar gewählten Parla- mentes, auf dem Gebiete der ge- sellschaftlichen Entwicklung Eu- ropas, der großen geistigen Grundlinien und Grundströmun- gen ein beachtliches und nach meiner Überzeugung in seinem Gewicht noch wachsendes Wort mitzureden haben.

Verantwortung der Medien Die Krisenanfälligkeit Mitteleura- pas muß auch ein Signal dafür sein, die Versorgung unserer Be- völkerung in Katastrophenfällen sicherzustellen. Das geht weit

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über die Frage der Sicherung un- serer Energie- und Rohstoffver- sorgung hinaus. Dazu gehört aller- dings, das darf ich als mahnendes oder warnendes Wort sagen, die Pflicht der Verantwortung beson- ders für die Massenmedien, sich hier ihrer Grenzen und ihrer Auf- gaben bewußt zu sein, und nicht durch Überschriften und knallige Texte zwecks Steigerung der Auf- lage und zur Vermehrung des kommerziellen Erfolges die Bevöl- kerung von einer Panik in die an- dere zu treiben; von einer Unruhe in die andere zu stürzen. ln einem freiheitlichen Staatswesen darf nichts dem Bürger vorenthalten werden, es sei denn ganz eng um- rissene Geheimnisse der Staatssi- cherheit und andere damit verbun- dene Probleme. Aber auf der an- deren Seite darf der Bürger auch nicht aus kommerziellen Gründen aus einer Angst in die andere ge- trieben werden. Wenn man die Ab- läufe der letzten Wochen betrach- tet hat wie über Harrisburg oder auch die Berichterstattung über einen völlig normalen kleinen Brand in Garehing bei München -

"Feuersturm tobte durch den Atomreaktor, unvorstellbare Ge- fahren in der Nähe der Autobahn in München" - ... in Wirklichkeit ist in einem Stockwerk des Insti- tuts für Plasmaphysik ein Brand ausgebrochen, wie er schon oft ausgebrochen ist, wie er immer wieder ausbrechen wird. Der Atomreaktor ist eine kleine Pilot- anlage, die ich damals vor über 20 Jahren als Bundesminister für Atomfragen errichtet habe, nicht einmal ein Kernkraftwerk. Das ganze steht über einen Kilometer von der Autobahn weg. Die Gefahr war gleich Null, aber Millionen ha- ben gehört oder gelesen, daß hier die Menschheit wieder einmal hart an der Katastrophe vorbeigegan- gen sei. Und deshalb wäre es g-ut, wenn knallige Überschritten sich mehr mit dem Privatleben von Fußballgrößen beschäftigen wür- den, wenn damit ein kommerziel- ler Erfolg erreicht werden soll.

..,.. Ich halte es im Zusammenhang mit dem Stichwort der Katastro-

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phenversorgung für an der Zeit, daß die Bundesregierung endlich ein Gesundheitssicherstellungs- gesetz vorlegt, das zwar wirkungs- voll, aber nicht mit perfektionisti- schen Einzelregelungen über- frachtet ist, dessen Ausführung vor allem nicht in der Fülle von Verordnungen und Verwaltungs- vorschriften von vornherein bis zum Versiegen jeder Vernunft vor- belastet ist.

Das äußerste Unrecht

Dazu kommen innereuropäische Fehlentwicklungen (oder positive Entwicklungen — je nachdem), die besonders die freien Berufe und damit auch Teile der Ärzteschaft treffen: die Bürokratisierung, die Perfektionierung der Vorschriften bis ins Unvollziehbare, die Bela- stung mit Statistiken und Melde- pflichten und die finanzielle Ein- engung. Es ist ja keine Übertrei- bung, daß heute die Summe der Rechtsvorschriften in den einzel- nen Disziplinen ein solches Aus- maß erreicht hat, daß auch kein vollziehender Beamter mehr sämt- liche Vorschriften voll erfassen kann, daß er sie deshalb meistens selektiv anwendet, so daß der von den Vorschriften Betroffene sich kaum dagegen wehren kann, weil eine Vorschrift ja immer auf seinen Fall zutrifft, und daß so das Sum- mum jus wirklich zur Summa inju- ria wird.

Ideologische Fehlentwicklungen

Mit dieser Entwicklung laufen par- allel die Versuche einer schrittwei- sen Veränderung unserer Gesell- schaftsordnung. Die deutsche Ärz- teschaft hat in dem ideologischen Trommelfeuer in den letzten Jah- ren sowohl ihre leidvollen Erfah- rungen gemacht als auch beispiel- hafte Zähigkeit bewiesen. Dabei ging es nicht in erster Linie oder nur um die Verteidigung oder Auf- besserung ihrer Honorare. Das Gesundheitswesen darf weder ein Jagdrevier zur Treibjagd gegen Ärzte noch ein Naturschutzpark

für diejenigen sein, die drin sind, mit einem Stacheldrahtzaun ge- gen die, die draußen stehen. Unse- re Ärzte wollen keine „Halbgötter in Weiß" sein. Die Ärzteschaft ist aber auch nicht das Lasttier der Nation und die Zielscheibe ständi- ger Nörgelei. Und wenn man von Demokratisierung der Gesell- schaft spricht, dann soll man die Dinge sorgfältig voneinander tren- nen: Das Wort Demokratisierung der Gesellschaft und ihrer Einrich- tungen hat viel Unheil und Verwir- rung angerichtet. Wenn mit Demo- kratisierung gemeint ist, daß zum Beispiel diktatorische Staaten ei- nen Prozeß einleiten, dessen Ziel ein parlamentarisch-demokrati- scher Rechtsstaat ist, wenn das gemeint ist — allerdings ein ge- quälter sprachlicher Ausdruck —, dann kann man dazu stehen.

Wenn man aber meint, daß man fachliche Kompetenz und persön- liche Autorität ersetzen. kann durch Paritätsfragen und durch sterile Gleichheitsregelungen, dann wäre das gleichbedeutend mit einer zunehmenden Ineffizienz unserer gesellschaftlichen Ein- richtungen, auch unserer Kran- kenhäuser und anderer Institu- tionen.

Elemente einer freiheitlichen Gesundheitspolitik

Ich habe die Sorge, daß wir vor einer massiven Verschlechterung unseres hochwertigen Gesund- heitswesens stehen, wenn wir nicht gegensteuern. Vorhandene punktuelle Mängel, Widersprüche und Lücken werden dazu miß- braucht, das System selbst in Fra- ge zu stellen und von hinten her aufzurollen. Im Mittelpunkt einer freiheitlichen Gesundheitspolitik muß auch die Eigenverantwortung des Bürgers stehen. Es ist die Auf- gabe der Gesundheitspolitik, sie zu schützen und dort, wo die Kraft dazu schwindet, sie zu unterstüt- zen. Ich habe in meiner Regie- rungserklärung vor dem Bayeri- schen Landtag am 14. November 1978 betont, daß dazu gehören:

I> die freie Arztwahl des Pa- tienten,

I> die Niederlassungsfreiheit für den Arzt,

I> das Nebeneinander von öffent- lichen, freigemeinnützigen und privaten Krankenhäusern,

> eine gegliederte soziale Kran- kenversicherung mit Selbstverwal- tung der Beteiligten und

> private Versicherungen.

Staatliche Gesundheitspolitik kann nur in der Bereitstellung der Rahmenbedingungen für die Vor- beugung, Erkennung, Heilung, Linderung und Rehabilitation von Krankheiten bestehen. Jede Mo- nopolwirtschaft durch staatliche Träger, die soziale Krankenversi- cherung oder Teile der Ärzteschaft ginge letzten Endes zu Lasten der Patienten, Ärzte und Studenten.

Der Endzustand wäre ein verstaat- lichtes oder vergesellschaftetes Gesundheitswesen mit dem Arzt als Funktionär einer Gesundheits- bürokratie und dem Patienten als Nummer im Kollektiv.

Reform-Flagellanten

Wir erleben seit 10 Jahren eine Re- formneurose und eine Programm- inflation in der Gesundheitspolitik bei Parteien und Regierungen, Ge- werkschaften und Unternehmern, berufenen und selbsternannten Experten, alles in der Absicht oder mit dem Vorwand der Verbesse- rung. Es entsteht bei mir oft der Eindruck, daß im Quadrat des Ab- standes zum Gesundheitswesen die selbstangemaßte Legitimation steigt, einen kritischen Beitrag zur Systemveränderung zu liefern.

Wenn man diese Programme durchblättert, stößt man geradezu auf eine flagellantische Lust an Kontrolle, Kommissionen, Über- prüfung, Verhinderung, Kürzung, Selbstbeschränkung, Investitions- lenkung, Dirigismus, Vereinheitli-

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Begrüßungsansprache: Strauß

chung, Aufsichtsgremien, und im- mer wieder ist von dem Erforder- nis neuer Überprüfung die Rede.

Mitleidsgruppen

Eine weitere Last für unser Ge- sundheitswesen ist die Manie ge- wisser politischer Gruppierungen, immer wieder neue Randgruppen in unserer Gesellschaft zu entdek- ken, sie zu Mitleidsgruppen zu be- fördern, auf die sich dann der Staat oder gesellschaftliche Ein- richtungen mit ihrer geballten So- zialpotenz stürzen können. Dabei ist besonders makaber, daß sich die regierungsamtlichen Täter dann selbst zum Sozialvormund und Retter ihrer Opfer ernennen.

Die Aufbürdung der sachfremden Kosten der „Reform" des § 218 auf die gesetzliche Krankenversiche- rung ist nur ein Beispiel.

Die Grenzen der Belastbarkeit Unser Sozial- und Bildungsstaat ist an die Grenzen der Belastbar- keit gestoßen. Das wird zwar von bestimmter Seite bestritten — aber dazu ein Beispiel: Alle haben Pro- paganda gemacht für den Eintritt der freien Berufe, des Handwerks, des Handels in die Sozialversiche- rung. Man hat das ihnen angebo- ten — man müßte etwas nachzah- len, und zum Schluß käme sogar vielleicht mehr heraus, als man eingezahlt hat —, aber der massiv- ste Anziehungspunkt war die In- aussichtstellung der freien Heilfür- sorge. Auf Grund der freien Heil- fürsorge sind viele eingetreten;

nachdem sie aber drin waren und nicht mehr rauskamen, hat man ihnen gesagt: „April, April" ...

Dieses Beispiel muß Veranlassung sein, daß man einmal prüfen soll, wo die Grenze der Belastbarkeit liegt.

Wir stehen angesichts eines ver- minderten Wirtschaftswachstums und möglicher höherer Preisstei- gerungsraten, die sich bereits ab- zeichnen, sowie schwerwiegender gesamtwirtschaftlicher Probleme

(Stichwort Energieversorgung zu tragbaren Preisen, Stichwort Be- wirtschaftung der 18 für die Welt- wirtschaft und ihre Industrien wichtigsten Rohstoffe) vor der Frage: Wieviel an sozialer Sicher- heit, wieviel an gesundheitlichen Dienstleistungsangeboten sind auf alle Fälle notwendig? Und wenn ich das Wort notwendig er- wähne, dann im ursprünglichen, philologischen Sinn des Wortes:

notwendig ist etwas, was die Not wendet. Deshalb soll man das Wort notwendig nicht inflationär gebrauchen. Ich weiß, Politik ist die Kunst des Möglichen. Von Carlo Schmid habe ich einmal ge- hört, die Politik sei die Kunst, das Notwendige möglich zu machen.

Das sei zugegeben, aber ich muß hinzufügen, Politik ist dann auch die Gabe der Selbstbeschränkung, den Begriff der Notwendigkeit oh- ne Anlegen ambitiöser Maßstäbe auszulegen. Und deshalb ist bei der Prüfung der Frage, was ist not- wendig auf diesem Gebiet, auch eine nüchterne Prüfung der Frage notwendig, wieviel an sozialer Si- cherung, wieviel an Gesundheits- leistungen finanzierbar ist.

Belastungs-Utopien

Finanzierbar ist vieles, nur nicht alles ist finanzierbar. In der Ver- gangenheit hat man einmal die Auffassung gehabt, es sei alles machbar. In der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, daß beileibe nicht alles machbar ist. Allmählich bricht sogar die Überzeugung Bahn, daß man nicht alles machen darf, was man kann. Aber was ist finanzierbar? Dabei geht es nicht allein um die Frage, was ist nach arithmetischen Maßstäben finan- zierbar, sondern was ist auf die- sem Gebiet finanzierbar, sei es auf dem Wege von Steuern, sei es auf dem Wege von Abgaben, ohne daß der Widerstand der Bürger gegen die zunehmende Verminderung der Verfügungsquote an ihrem Ar- beitseinkommen spürbar wird?

Diese Frage wird sich dann, wenn die heutige Bevölkerungsentwick- lung anhalten würde, mit einer von

Jahr zu Jahr dringender werden- den Unabweisbarkeit stellen. Denn man kann natürlich sagen, 18 Pro- zent Sozialversicherung, 19 Pro- zent, 20, 22, 24, 28 bis 30, ja Mo- delle, die bis zum Jahre 2030 rei- chen, gehen dann in die Größen- ordnungen 35, 36 Prozent hinein.

Aber das ist doch dann alles Uto- pie! Wir dürfen nicht glauben, daß der Bürger es hinnimmt, wenn 30 Prozent für die Altersversi- cherung, soundsoviel Prozent für die Krankenversicherung, für die Unfallversicherung, für die Ar- beitslosenversicherung Abgaben zu zahlen sind, und dabei hat der Staat für seine Einkünfte noch gar nichts. Bei der Lohnsteuer langt er kräftig zu, und dann ist man bei einer Beanspruchung des Indivi- dualeinkommens von 50 oder 55 Prozent, und das Grenzeinkom- men für jede weiter verdiente Mark sinkt dann auf 30 oder 25 Prozent.

Ich weiß, daß allein die Stellung dieser Frage einen schon verdäch- tig macht, man wolle den Sozial- staat „demontieren". Aber wir müssen mit der wohlfahrtsstaatli- chen Lebenslüge aufräumen, wo- nach das dicht gefügte Netz der sozialen Sicherung gewisserma- ßen ein Eigenleben führe, unab- hängig vom Auf und Ab der Wirt- schaftsentwicklung, der Investi- tionstätigkeit und einer funktionie- renden Finanz- und Wirtschafts- politik. Sie sind die Grundlage so- zialer Sicherheit.

Dirigismus ...

Wir stehen hier vor einer ebenso unausweichlichen wie schwieri- gen Gratwanderung. Denn das Ge- sundheitswesen und insbesonde- re das Krankenhaus können nicht in voller Schärfe einer Nutzen-Ko- sten-Analyse unterworfen werden.

Schmerz und Leid, Hoffnung und Verzweiflung dürfen nicht nur in Zahlen berechnet werden. Blinde finanzwirtschaftliche Eingriffe des Staates gefährden die humane Di- mension des Krankenhauses ge- nauso wie der bürokratische Per- fektionismus in der Bewilligung

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der Mittel für seine Ausgestaltung, denn der Mensch ist ja dem Kran- kenhaus in einer seelischen Aus- nahmesituation anvertraut. Er hat den Anspruch auf einen leistungs- fähigen, nicht aber auf einen ab- gehetzten und durch Büropflich- ten verbrauchten Arzt.

Die Bundesrepublik ging ab 1972 mit drei Gesetzen in drei Schritten ein Stück in Richtung Dirigismus:

Es waren

C> 1972 das Krankenhausfinanzie-

rungsgesetz mit dem gegenwärti- gen Änderungsentwurf (KHG), der einer sehr genauen Prüfung im Parlament und auch im Bundesrat bedarf,

C> 1976 das Krankenversiche-

rungs-Weiterentwicklungsgesetz (KVWG) und

C> 1977 das Krankenversiche-

rungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG).

Weil ich ein Liebhaber der deut- schen Sprache bin, fällt es mir sehr schwer, diese Ausdrücke in den Mund zu nehmen, da es an- scheinend nicht möglich ist, bes- sere Ausdrücke dafür zu finden.

... und Dirigismus

Die Krankenhausfinanzierung ist ein Bilderbuchbeispiel für überzo- gene Bürokratisierung, Dirigismus und lnvestitionslenkung. Ich habe das nie so deutlich bemerkt, auch nicht als Parlamentarier in Bann, wie jetzt bei meinen sogenannten Amtsfahrten, wo ich mich in Ab- ständen von acht Wochen von ei- nem Regierungsbezirk zum ande- ren bewege, um mir die Klagen und Leiden der kommunalen Man- datsträger anzuhören. Interessant und besonders deutlich wird es, wenn dann der sozialdemokrati- sche Oberbürgermeister einer bayerischen Stadt, ein von mir hoch verehrter Kommunalpoliti- ker, in besonders heftigen, um nicht zu sagen auch deftigen Aus- drücken sich gegen den Perfektio-

nismus wendet, den die in Bann beschlossenen Gesetze über sein Haupt herabbeschworen h'aben.

Wenn der Einbau einer Kühlanlage oder Heizungsanlage in Abschnit- ten genehmigt werden muß, ist dann natürlich erst einmal ein Banner Genehmigungsverfahren beteiligt - dann ist ein Münchner Genehmigungsverfahren beteiligt, dann ist die Bezirksregierung im Genehmigungsverfahren beteiligt, dann ist die Kommune im Geneh- migungsverfahren beteiligt, dann gibt es gleiche Vorstellungen oder verschiedene Vorstellungen, dann prüfen zwei Rechnungshöfe hin- tereinander, voreinander, neben- einander, gegeneinander jeweils dasselbe Projekt.

Mischfinanzierung abschaffen!

Ich bin der Meinung (nicht weil ich Föderalist bin- das sind ja angeb- lich alle), daß man mit den Mischfi- nanzierungen möglichst aufhören soll. Bei der Mischfinanzierung stoßen große bürokratische Appa- raturen und ihre Rechnungsprü- fungseinheiten aufeinander, und das gibt nicht mehr Sicherheit oder Fortschritt, sondern nur mehr bürokratische Erschwerung. Es ist auch nicht damit getan, daß man dem Krankenhausträger einen ge- setzlichen Anspruch auf die Er- stattung der Investitionskosten si- cherstellt und damit einen Rechts- anspruch gibt, bis auf die einzelne Mark und die Stellen hinter dem Komma die Forderungen einzu- treiben. Viel besser wäre es, man könnte hier mit Pauschalleistun- gen operieren, sie auf Grund von Erfahrungswerten zur Verfügung stellen und im übrigen den Kom- munen den Sachverstand zutrau- en, daß sie selbst, beraten durch die Ärzte und die entsprechenden Organisationen, das Bestmögliche aus dem Gelde dann auch heraus- holen.

Die mangelnde Beweglichkeit der Bundesregelung hat zur Kosten- explosion im Krankenhauswesen maßgeblich beigetragen. Auf der anderen Seite zieht sich die Bun- desregierung leider aus der Fi-

nanzhilfe für die Errichtung von Krankenhäusern Stück für Stück zurück. Aus der ursprünglich ver- sprochenen, aber nicht eingehal- tenen Drittelbeteiligung wurde seit 1977 ein sinkender Prozentsatz. Während der Neubauplafond des Bundes, der Preisentwicklung hin- terherhinkend, bis 1976 auf 404 Millionen DM anstieg, sackte er bis 1979 auf 213 Millionen DM ab. Der Wert dieser Bundesfinanzhilfe ist damit unter Berücksichtigung der Preisentwicklung real auf 45 Pro- zent des Betrages von 1976 abge- sunken. ln Bayern schrumpfte der Bundesanteil am Krankenhausbau von 1976 bis 1978 von einem Sie- bentel auf ein Neuntel.

Das bundesgesetzlich vorge- schriebene komplizierte Förde- rungsverfahren und die Versuche Banns zur Kompetenzausweitung und zentralen Planung schaffen ein Netz von investitionshemmen- den Vorschriften in Reinkultur, mit einem Vorschriftendickicht aus Krankenhausbedarfsplan, Jahres- krankenhausbauprogramm, fach- lichen Prüfungsverfahren mit Vor- prüfung und fachlicher Prüfung, mit der Einschaltung einer Fülle von, meist gleichen, Behörden, Ausschüssen, Körperschaften. Es ist am besten, wenn jeder, der em Krankenhaus bauen oder umbau- en will - ich sage es humorvoll, nicht gehässig -, zugleich eine psychiatrische Abteilung mitbean- tragt, in die er sich nach dem Bau gleich selbst einweisen lassen kann.

Krankenhäuser wieder Ländersache

~ Deshalb ist die Bayerische Staatsregierung der Auffassung, daß die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser vom Bund wie- der auf die Länder zurückübertra- gen werden sollte. Dies wäre bei einer entsprechend verbesserten Finanzausstattung der Länder et- wa über eine Erhöhung ihres UIT' Satzsteueranteils möglich.

Für das Krankenhauswesen in Bayern habe ich in meiner Regie-

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Die Delegierten bei der Arbeit. Oben: eine der vielen Abstimmungen; das Ergebnis scheint knapp zu sein, vielleicht muß — wie nicht selten bei diesem Ärztetag — ausgezählt werden. Mitte: Wortmeldungen und Anträge gehen ein. Unten: ein Blick in die Reihen der Delegierten (hier solche aus Baden-Württemberg)

Begrüßungsansprache: Strauß

rungserklärung in voller Überein- stimmung mit dem Staatsministe- rium für Arbeit und soziale Ord- nung folgende Grundsätze her- ausgestellt:

> Leistungsfähigkeit bei größt- möglicher Bürgernähe, größtmög- liche Trägerfreiheit auch beim Vollzug des Bundesrechts,

Trägerpluralität kommunaler, freigemeinnütziger und privater Krankenhäuser,

> Gleichrangigkeit aller Träger- gruppen.

Menschlichkeit und Technik Für den Bürger sollen Einrichtun- gen vorhanden sein, die eine über- schaubare Größe haben und in zu- mutbarer Entfernung liegen. Ziel kann nicht allein der technisch perfekte Klinikbetrieb sein, auch das Krankenhaus muß Bürgernähe und Menschlichkeit bewahren. Wir müssen Rücksicht darauf nehmen, daß Kranke, besonders ältere Menschen, die häufiger krank sind, auch häufig Krankheiten ha- ben, die nicht eine Behandlung auf dem letzten medizinischen Stand mit der letzten verbesserten Technik in den riesigen Kliniken erfordern — dies ist meine persön- liche Überzeugung, die ich hier einmal sagen möchte —, daß diese Kranken nach psychosomatischen Grundsätzen angesehen und be- handelt werden müssen. Ihre inne- re, ihre seelische Gesundung ist ein wesentlicher Faktor auch für ihre physische Gesundung.

Wir haben hier eine langjährige Auseinandersetzung. Niemandem soll natürlich, gleichgültig welches Einkommen er hat oder wo er wohnt, die Behandlung nach modernsten wissenschaftlichen Grundsätzen bei Krankheit oder Unfall verwehrt sein, aber in vielen Fällen ist es so, daß gerade die älteren Leute und Kinder zusätz- lich leiden, wenn sie aus ihrem ge- wohnten Lebenskreis herausgeris- sen werden, wenn sie nur mehr

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wesentlich seltener besucht wer- den können. Der Besucherkreis setzt sich häufig aus Personen zu- sammen, die kein Automobil ha- ben, abgesehen von den Kosten, und die öffentlichen Verkehrsmit- tel sind nicht gerade so - siehe Streckenstillegungspläne -, daß man den Krankenhausbesuch in den Flächenstaaten, wie wir einer sind, damit durchführen könnte.

Natürlich ist es in Berlin oder Hambu rg oder Bremen erfreuli- cherweise nicht so, aberwenn man nach Niederbayern geht oder in die Oberpfalz oder nach Oberfran- ken, da sehen die Dinge eben an- ders aus. Hier ist es in vielen Fällen für die Kranken, vor allem wenn es ältere Menschen sind, die ohnehin schon etwas der Vereinsamung anheimfallen, eine zusätzliche Be- lastung, wenn sie in einem moder- nen Bettensilo perfekt versorgt sind, aber dann den Kontakt mit ihrer Umwelt und ihrem Lebens- kreis und die Kontinuität ihrer Le- bensart verlieren.

~ Gerade deshalb lassen wir uns manchmal gern als rückständig schelten, wenn wir hier Maßstäbe anwenden, die zwar von karriere- süchtigen Reformern nicht als ide- al angesehen werden, die aber wahrscheinlich mehr Menschlich- keit gewährleisten als ein perfek- tes Krankenhaus.

Der angebliche Bettenberg Mit 100 Millionen DM Anlagever- mögen, mit einem Jahresumsatz von 35 Millionen DM- das ist etwa der Eineinviertelfache des VW- Werkes -, und mit über 700 000 Beschäftigten stellen die Kranken- häuser in der Bundesrepublik ei- nen Wirtschaftsfaktor ersten Ran- ges für unsere soziale Marktwirt- schaft dar. Auch für Kliniken müs- sen deshalb, wenn auch in einge- schränktem Umfang, die vier gro- ßen Freiheiten der Marktwirtschaft gelten: Die Freiheit der untern'l:lh- merischen I nvestitionsentschei- dung, das Recht auf Privateigen- tum am Produktionsmittel, die Freiheit der Wahl des Arbeitsplat-

zes, die Freiheit in der Entschei- dung über den eigenen Ver- brauch, d. h. hier der Benutzung.

Zur Freiheit gehört auch eine ge- wisse Angebotselastizität

Dies sollte man bei der Errech- nung eines etwaigen Bettenbergs mit dem Ziel seines Abbaus be- rücksichtigen. Wir erleben ja ei- gentlich in unserem Leben immer zwei konträre Extremsituationen:

Entweder steht drohender Mangel vor der Tür, oder es ist von einem Überfluß die Rede, den man ab- bauen müsse. Ich habe noch nie erlebt, daß wir für längere Zeit das Glück haben, in einer Normalsi- tuation leben zu dürfen. Früher hatten wir Lebensmittelmarken - hoffentlich kommt das nie wieder - heute ist vom Butterberg, vom Milchsee oder von der Getreide- schwemme die Rede, oder wir hö- ren, wie schrecklich die Unterver- sorgung beim Krankenhausange- bot sei, mangelnde Bettenzahl, und kaum hat man sich mit diesem schrecklichen Übel vertraut ge- macht und sich einigermaßen see- lisch damit abgefunden, dann ist die Rede vom Bettenberg, von dem Überangebot an Betten, das abgebaut werden müßte, wobei ich manchmal den peinlichen Ein- druck habe, um satirisch zu reden, daß Überfluß und Mangel sich oft mehr in gewissen Köpfen sozusa- gen wegen mangelnder innerer Gleichgewichtslage widerspie- geln.

Der Bettenbedarf mag zwar in sta- tistisch einwandfreier Methode am grünen Tisch errechnet werden.

Wie wir bei den Anhörungen der Mandatsträger auf dem Land und auch in den Städten immer wieder erfahren, sieht es in der Wirklich- keit oft anders aus.

Zurück zum Vorhalteprinzip Das Ziel der gegenwärtigen Kon- junkturpolitik besteht darin, Ar- beitsplätze zu schaffen und Inve- stitionen zu fördern oder vorzu- nehmen, nicht aber, solche zu ver- nichten und vorzuenthalten. Der

hochinvestive Bereich des Kran- kenhauswesens darf um so weni- ger eine Ausnahme bilden, als die zwölf Konjunkturprogramme der Bundesregierung seit 1973 mit rund 34,6 Milliarden DM ohnehin spurlos am Krankenhausbau vor- beiliefen. Wären die anderen Fi- nanzierungsmethoden ausrei- chend, dann würde ich das nicht erwähnen. Aber für zukünftige Konjunkturprogramme, deren Notwendigkeit umstritten sein mag, deren Ausmaß wie immer Gegenstand des Kalküls ist, sollte man auch an die Krankenhäuser denken, wenn öffentliche Planung und öffentliche Investitionspla- nung vorgesehen ist.

Nicht nur in Bayern sollte die Poli- tik für die strukturschwachen Ge- biete vom sogenannten Vorhalte- prinzip ausgehen. Dies ist das ge- naue Gegenstück zur passiven Sa- nierung. Die Teilnahme aller Lan- desteile am gesamtwirtschaftli- chen, kulturellen und sozialen Fortschritt, auch der wirtschaftlich schwächeren Landesteile, setzt die Bereitstellung von Infrastruk- tureinrichtungen auch dann vor- aus, wenn sie auf mittlere Frist manchmal nicht garantiert hun- dertprozentig ausgelastet sind. Das Gesundheitswesen als der le- benswichtigste Teil der Infrastruk- tur kann davon nicht ausgeklam- mert bleiben.

Die Gesundheitspolitik ist ein selb- ständiger Teil der Gesamtpolitik neben der Sozialpolitik, allerdings mit einer langen Berührungslinie zu ihr. Gesundheitspolitik ist ein Querschnittsfach aus Sozialpoli- tik, Bildungspolitik, Arbeitsmarkt- politik, Berufspolitik, Finanzpolitik und auch Familienpolitik.

Die Bundesrepublik ist zum gebur- tenschwächsten Land der Erde mit allen nachteiligen Konsequenzen geworden. Es wäre deshalb eine Schizophrenie, einerseits in brei- ter Front in der Familienpolitik ge- gen den Bevölkerungseinbruch anzukämpfen, für eine Verbesse- rung des generativen Verhaltens der Bevölkerung alle möglichen

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Begrüßungsansprache: Strauß

Maßnahmen zu ergreifen, aber in der Krankenhauspolitik für die gleiche zeitliche Zielstrecke vom Bevölkerungsschwund, also von der Erfolglosigkeit des eigenen Bemühens auszugehen. Auch hier sollte eine mittlere Linie gesteuert werden.

Der Zwangsverwaltungsstaat

~ Unvereinbar mit einem freiheit- lichen Gesundheitswesen sind ei- ne totale Investitions-, Bedarfs- und Berufslenkung, Zwangsbe- wirtschaftung und Rationalisie- rung, unvereinbar auch zum Teil ein überzüchtetes Prädikatisie- rungswesen bei den Heilberufen.

Die exakte Berechnung bis zum letzten Bett, zum letzten Arzt, zum letzten Studenten, dazu noch in der regionalen Aufschlüsselung und diese als alleinige Grundlage der Politik, wäre die Kapitulation vor dem Zwangsverwaltungsstaat Die Bayerische Staatsregierung hat frühzeitig und wider den an- geblichen Zeitgeist den Zusam- menhang zwischen Bildungswe- sen und Arbeitsmarkt berücksich- tigt und daher auch die Grenzen gesehen, die einer uferlosen Aka- demisierung gesetzt sind. Nun ist man ja von dem Aberglauben wie- der abgekommen, daß der Mensch erst beim Abiturienten beginnt und daß das Bildungsziel darin be- stehen müsse, jedem zweiten ju- gendlichen Menschen zum Abitur zu verhelfen und jedem vierten, das heißt jedem zweiten Abiturien- ten, zu einem akademischen Diplom.

Es ist unwahr, daß wir in Deutsch- land eine allgemeine ärztliche Un- terversorgung haben. Das Netz der ambulanten ärztlichen Versor- gung ist leistungsfähig. Dennoch- ich sage das ohne jeden Vorwurf und ohne jede negative Wertung- ist die Lage bei den Allgemein- praktikern, in einigen Facharztbe- reichen, auf vielen Berufsfeldern und in mancher Region, auch in Teilen von Großstädten, aber auch bei gewissen Heilhilfsberufen, auf

geraume Zeit noch angespannt.

1970 trafen noch drei Allgemein- ärzte auf zwei Fachärzte in Bayern, 1977 war das Verhältnis schon fast 1:1, und es verschiebt sich immer mehr in dieser Richtung. Die ärztli- che Versorgung ist durch den star- ken und dankenswerten, oft weit über das Menschenmögliche hin- ausgehenden Einsatz von Ärzten für unsere Bürger als recht zufrie- denstellend zu bezeichnen.

Aufruf an die Selbstverwaltung Aber die Praxis sieht natürlich auch so aus: Ich greife hier einen Zeitungsausschnitt heraus, Pas- sauer Neue Presse vom 12. Mai 1979, und da heißt es: Vilshofen, Ärzteschwemme reicht nicht ins flache Land - ich lese jetzt zwei Sätze vor: Ohnehin ist die Situa- tion für den Oberarzt Dr. Moghad- dam Chari Und seine Assistenzärz- te schwierig genug. Alle Ärzte, er- klärt Dr. Chari, machen Überstun- den, er selbst sei seit acht Wochen praktisch Tag und Nacht im Dienst bzw. in Rufbereitschaft, man müs- se vorsichtig sein, um nicht einen Herzinfarkt zu bekommen. Assi- stenzarzt Dr. Österreicher hat etwa zehnmal im Monat rund um die Uhr Bereitschaftsdienst, hinzu kommen der normale Stations- dienst und etwa 50 weitere Über- stunden im Monat. Außerdem wirkt in dem Krankenhaus ein be- reits pensionierter ehemaliger Chefarzt noch mit. Man spricht hier von einer Übergangslösung, die allerdings schon geraume Zeit anhält ...

~ Und deshalb geht auch meine Bitte dahin, auf dem Wege der Selbstverwaltung und Selbstver- antwortung die Mängel abzustel- len, die einem freiheitlichen Ge- sundheitssystem leider als unver- meidlicher Preis für diese Freiheit anhaften können.

Ich könnte eine ganze Menge Be- merkungen dazu machen. Ich ha- be viele Jahre auf dem Lande ge- wohnt. Wir sind seit über 20 Jah- ren bei ein und demselben Haus-

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arzt-ein großartiger Mann, er hat meine Familie, sowohl meine Schwiegereltern wie meine Frau und mich und unsere drei Kinder nunmehr seit insgesamt drei Jahr- zehnten auf das beste betreut.

Aber wenn er jetzt in Pension geht, stellt sich die Frage, wer wird sein Nachfolger.

Bis 1974/75 waren Programme zur Verbesserung der ärztlichen Ver- sorgung heiße Themen der Politik.

Anfang 1977 schlug der Zeitgeist plötzlich um und weht seitdem aus einer anderen Richtung. Ich habe noch nie etwas von der Mode des Zeitgeistes gehalten. Wir sollten deshalb nicht unbedingt steigende Ärzte- und Studentenzahlen als Katastrophennachricht oder Son- dermeldung betrachten und in Pa- nik und Dramatisierung verfallen.

Die Ärzte in der Freizeitgesellschaft

Nach den schlechten Erfahrun- gen, die man mit Bildungspla-

nung, Bildungsökonomie und Bil-

dungsstatistik gemacht hat- nach dem Fehlschlag der meisten Kon- junkturprognosen möchte ich das unterstreichen, was der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie Ende April in München dazu sagte:

~ Die Überlastung und Überbe- anspruchung unserer niedergelas- senen Ärzte mit 60 bis 70 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit,

~ unserer Klinikärzte mit einer Überstundenzahl, für die Freizeit- ausgleich meist unmöglich ist, fi- nanzielle Vergütungen ständig auf Schwierigkeiten stoßen, mit den oft unüberwindlichen Schwierig- keiten, eine Urlaubs- oder Krank- heitsvertretung zu finden,

~ die Intensität, der Zeitdrucl<

und Zeitmangel

bei ihrer Arbeit sind in einer Ge- sellschaft ein Ärgernis, in der die Freizeit bereits zur langweiligen Selbstverständlichkeit geworden ist und in der zusätzliche Finanz-

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quellen zur Bewältigung der Frei- zeit gefordert werden.

Es ist doch beute so, daß wenige Menschen immer mehr arbeiten müssen, damit mehr Menschen immer weniger arbeiten müssen.

Man spricht von einem Abbau der Lebensarbeitszeit und von einem Abbau der Wochenarbeitszeit - hierbei sollte man den Ärzten ein Mindestmaß von Teilnahme an den sozialen Errungenschaften eröffnen, die andere für selbstver- ständlich halten. Es gibt heute ganz eigenartige Entwicklungen: Man verhandelt nach wie· vor über Lohnerhöhungen, Gehaltserhö- hungen, Einkommenserhöhun- gen, aber dieses Thema steht nicht mehr mit derselben Dringlichkeit als Nummer 1 auf der Liste. Das Thema, weniger zu arbeiten, mehr vom Leben zu haben, setzt sich immer· stärker durch gegenüber dem selbstverständlichEm, durch- aus legitimen Erwerbstrieb. Dazu trägt allerdings auch die steigende Abgabenbelastung der Leistung bei. Je mehr die Leistung mit Ab- gaben belastet wird, desto mehr schwindet der Anreiz, überhaupt noch eine größere Leistung zu er- bringen. Mehr Urlaub mit Urlaubs-

geld, mehr Freizeit, mehr persönli-

che Selbstentfaltung außerhalb des beruflichen Lebens sind dann die unvermeidlichen Ausweichbe- strebungen gegenüber dieser Er- scheinung.

..,.. ln keinem vergleichbaren aka- demischen Beruf ist das Durch- schittsalter höher als bei den Kas- senärzten, mit Ausnahme der ka- tholischen Geistlichen in Bayern- in München 53 Jahre und 4 Mona- te. ln Bayern sank es bei den Kas- senärzten zwischen 1972 und 1978 nur von 53,2 auf 51,0 Jahre.

..,.. ln keinem einzigen Beruf ist die Erwerbsquote oberhalb des 65. Lebensjahres so hoch. Sie betrug zum Beispiel in Bayern 1977 in der Altersklasse zwischen 70 bis 74 Jahren noch 47,8 Prozent. Das sind gerade aus der Sicht der Ärz- teschaft alarmierende Zahlen. So- ziale Gerechtigkeit und Markt-

gleichgewicht haben sich hier of- fensichtlich noch nicht ausge- wirkt. Hier bieten sich ideale Ein- bruchstellen für eine Systemver- änderung an.

Widerspruch zwischen Gesundheits-

und Bildungspolitik

Ohne Wertung möchte ich auf ein paar weitere Widersprüche im Zeitablauf der Politik hinweisen: Nach dem Bildungsbericht 1970 der Bundesregierung sollen 1980 25 Prozent jedes Geburtsjahr- gangs studieren. Im gleichen Jah- re beschloß man eine Approba- tionsordnung, zugeschnitten auf 4000 bis 5000 Studienanfänger.

Wenn man zum Beispiel den Al- tersjahrgang 1960 mit 968 000 Ge- burten nimmt, wären das insge- samt 242 000 Studenten, davon waren aber nur 1,99 Prozent Stu- dienanfänger in der Medizfn. Ent- weder war das eine richtig .oder das andere. Beides kann nicht zu- gleich richtig sein. Man sollte auch hier die gesamte Bildungspla- nung, und das, was man an Stu- dienanfängern zuzulassen ge- denkt, in eine vernünftige Relation zueinander bringen.

Es ist eine Tatsache, daß sich die absolute Zahl der Medizinstuden- ten im Vergleich zu anderen klas- sischen akademischen Berufen

wie Rechts- oder Naturwissen-

schaften weit unterproportional erhöhte und der prozentuale An- teil der Studenten der Humanme- dizin an allen Studenten seit 1960 zurückgegangen ist. Er hat sich seit Jahren bei etwa 8 Prozent ein- gependelt.

Ein weiterer Widerspruch: Vor Jahren versprachen die Reform- euphoriker noch die Abschaffung des Numerus clausus, also die Universität als Selbstbedienungs- laden. Jetzt plötzlich erklärt sich auch die Bundesregierung für ein Einfrieren der Studienanfänger- zahlen in Medizin bei 11 000, weni- ge Jahre, nachdem der heutige

Bundeskanzler am 16. Dezember 1976 höchst fernseh- und presse- wirksam die baldige Abschaffung des Numerus clausus auf allen Ge- bieten als demnächst bevorste- hend erklärt hatte. Es bedarf eines Gewaltaktes an Logik, wie gerade aus einem Bereich ein Überschuß herausquellen und das Gespenst der Arbeitslosigkeit drohen soll, der als erster und bedeutendster seit 15 Jahren der gnadenlosasten Rationierung unterworfen wurde und bei dem erst 30 Jahre nach Beginn unseres Wirtschaftswun- ders eine allmähliche Entlastung in Sicht ist.

Einig im Ergebnis, unvereinbar im Motiv

Man sollte sich nicht täuschen las-

sen, die Endergebnisse dieser Po-

litik wären die gleichen, ihre Moti- ve sind aber gegensätzlich und unvereinbar. lsl es die Angst, den Multiplikatoren-Beruf des Arztes weiter zu verprellen, ist es die Eb- be in den Kassen oder der Ver- such, durch Steuerung des Ärzte- angebots, Rationierung der Stu- dienplätze, Investitionslenkung in der Krankenhausplanung und Möglichkeiten der Bedarfslenkung allmählich zu einer Systemverän- derung zu kommen?

Bisher haben sich alle Prognosen und Dichteziffern, alle Zahlenrei- hen hinein in die Zukunft als Astrologie oder günstigstenfalls Futurologie erwiesen, wobei ich offenlasse, was der Unterschied zwischen den beiden ist. Sie wur- den durch die Wirklichkeit in allen Teilen regelmäßig widerlegt. An- stelle der Diskussion um die Her- absetzung der Studienanfänger- zahl auf die Hälfte oder, wie es von der SPD jetzt verlangt wird, auf ein Drittel scheint es mehr das Haupt- problem zu sein, daß nicht durch den Numerus clausus die Fal- schen zu Ärzten ausgebildet werden.

..,.. Die Selbstregulierung von An- gebot und Nachfrage in einer frei- heitlichen Gesellschaft hat sich

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Begrüßungsansprache: Strauß

noch immer der Mangelverteilung als überlegen erwiesen, wobei ich selbstverständlich zugebe, daß es ein perfektes, absolut gerechtes und alle Schwierigkeiten und Mängel vermeidendes und alle ir- dischen Glückseligkeilen in sich kombinierendes System nie gege- ben hat, nicht gibt und auch nie geben wird, ein System, wo man allen alles recht machen will.

Rationierung

der Zukunfts-Chancen - Ursache für SchulstreB

Die Bundesregierung hätte es sich ersparen können, per Zeitungsin- serat kostspielige Forschungsauf- träge über den Ärztebedarf auszu- schreiben. Vielleicht war damit ei- ne arbeitsmarktpolitische Maß- nahme beabsichtigt, um eine sinn- volle Beschäftigung in gewissen akademischen Bereichen zu schaffen. Es zeigt sich, daß das Gesetz von Angebot und Nachfra- ge auf dem Arbeitsmarkt durch be- schönigende und einebnende Bil- dungsideologien nicht außer Kraft gesetzt werden kann.

Eine verantwortungsvolle Politik sollte überall nach d~m Grundsatz handeln, daß der Bildungsstand und die wirtschaftliche Wettbe- werbsfähigkeit einer Nation nicht nur von der Zahl der Abiturienten und Akademiker abhängen.

Wir dürfen aber heute nicht die Augen davor verschließen, daß sich unter Teilen unserer Jugend Orientierungslosigkeit, Angst und Unsicherheit über die eigenen Zu- kunfts- und Lebenschancen aus- gebreitet haben, weil es einmal hin, einmal her, einmal in diese, einmal in jene Richtung geht.

Die Rückstoßwirkung des Nume- rus clausus hinein in die weiter- führenden Schulen ist einer der Gründe für den sogenannten Schulstreß. Wir haben deshalb in dieser Legislaturperiode im Rah- men des Hochschulausbaus als· Schwerpunkt auch die Universi- tätskliniken vorgesehen.

Entwicklungsgerechte statt ideologischer

Ausbildung

Zum Thema der ärztlichen Ausbil- dung möchte ich aus politischer Sicht nur so viel sagen, daß die theoretische Einheitsausbildung offenbar ein ausweitungsfähiges Modell sein soll: Bei den Medizi- nern ist sie bereits verwirklicht, bei den Juristen ist sie im Versuchs- stadium, den Lehrern wird sie vor- sichtig schmackhaft gemacht.

Es ist eine ideologisch verursachte Irrlehre, von der Hochschule als einer Mischung aus Berufsschule und Forschungsgemeinschaft gleichermaßen wissenschaftlich geschulte und praktisch geübte, am Tage nach dem Examen voll berufsfertige junge Menschen wie aus einem Fabrikbetrieb aussto- ßen zu wollen. Ich erinnere hier an die Ausbildung von Sozialpädage- gen und an die zunehmende Lük- ke zwischen der perfektionierten Theorie und der Unfähigkeit bzw.

dem unzulänglichen Können in der Praxis zu Beginn der Berufs- tätigkeit, weshalb eigene Einrich- tungen geschaffen werden müs- sen, um die Mängel des perfek- ten Systems dann tragbar zu ma- chen.

Auch im Zeitalter visionärer Re- formerleuchtungen entspri.cht es dem Lebensrhythmus und der gei- stigen Entfaltung des jungen r-{len- schen noch am besten, wenn sich ein Abschnitt mit der Vermittlung der wissenschaftlichen Theorie, darauf aufbauend und als Überlei- tung in den Beruf eine Phase der Einübung der praktischen Fertig- keiten anschließt. Sonst entsteht ein Produkt ohne Theorie und oh- ne Praxis, eine Mischung aus An- spruchserwartung und Unzufrie- denheit. Und niemand ist unzufrie- dener als der, der sich überfordert fühlt, weil er auf das, was auf ihn zukommt, nicht gebührend vor- bereitet ist. Wir brauchen nicht den Lehrer als Konflikttheoretiker, den Juristen als Sozialingenieur und den Arzt als Medizinfach- arbeiter.

1564 Heft 23 vom 7. Juni 1979 DElJTSCHES ARZTEBLATT

Daß der Zahlenrausch aus mehr Bauinvestitionen, Planstellen und Studienplätzen nicht das Alleinse- ligmachende ist, beweist die Ge- neration, die unmittelbar vor, in und nach dem Krieg unter heute unvorstellbaren Bedingungen und Entbehrungen, ohne Honnef und BAföG, aber mit einer wahren Lei- denschaft studierte.

Die Aufbau-Generation

.,... Diese Generation hat unseren freiheitlichen Staat mit seinem Massenwohlstand, den Mitwir- kungs- und Aufstiegsmöglichkei- ten, seinen sozialen Sicherungen und seinem hochstehenden Ge- sundheitswesen aufgebaut. Das sind die Ärzte, die heute noch als Praktiker draußen, als leitende Ärzte in den Kliniken, als Hoch- schullehrer, in der Verwaltung usw. unser Gesundheitssystem tragen, verteidigen und verbes- sern.

Ich bitte Sie nachträglich um Nachsicht und danke Ihnen für Ih- re Geduld, daß ich in meinem Grußwort auf die gebotenen und artigen Formeln der Höflichkeit verzichten durfte, daß ich im Schnellzugstempo einen Aufriß der Entwicklungen und Verwick- lungen und Grenzen deutscher Gesundheitspolitik aus politischer Sicht, auch aus der jungen Amts- erfahrung eines frischgebackenen Ministerpräsidenten zu geben ver- suchte.

Die deutsche Ärzteschaft ging in ihrer überwältigenden Mehrheit bis" heute unbeirrt einen geraden Weg durch die Mitte, in Standhaf- tigkeit gegenüber standespoliti- scher Versuchung und im Wider- stand gegenüber ideologischer Systemveränderung. Ich wünsche Ihnen dazu und für die Durchsat- zung Ihrer legitimen Ziele auch weiterhin Kraft und Mut, und ich verspreche Ihnen, daß die Bayerische Staatsregierung Sie auf diesem Weg der Freiheit mit aller Leidenschaft unterstüt-

zen wird. •

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