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Archiv "Entzugszeichen und Abhängigkeitssyndrom nach „Spice Gold“-Konsum" (03.07.2009)

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464 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 27⏐⏐3. Juli 2009

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is Januar 2009 wurden in Deutschland und ande- ren europäischen Ländern fertig abgepackte Mi- schungen von Pflanzenbestandteilen vertrieben, deren Rauch beim Inhalieren angeblich Cannabis-ähnliche Ef- fekte bewirken sollte ohne jedoch Cannabinoide zu ent- halten. Beispiele für Bezeichnungen solcher Produkte sind „Spice“, „Smoke“, „Scence“, „Yucatan Fire“ oder

„Skunk“. Aufgrund ihrer bis Ende 2008 rapide anstei- genden Verbreitung wurde das möglicherweise damit verbundene Gefährdungspotenzial intensiv diskutiert.

Im Dezember 2008 wiesen mehrere Labore eine Bei- mengung der synthetischen cannabinomimetischen Substanzen JWH-018 und CP-47-497 nach, die mit ho- her Wahrscheinlichkeit die alleinige Ursache für psy- chotrope Wirkungen solcher Rauchwaren sind (1). Des- halb unterstellte das Bundesministerium für Gesundheit am 22. 1. 2009 per Eilverordnung alle Produkte, die die- se Substanzen enthalten, dem Betäubungsmittelgesetz.

Herstellung, Handel und Besitz sind damit verboten.

Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Wirkung dieser Substanzen beim Menschen fehlen bislang. Die Autoren beobachteten ein Abhängigkeitssyndrom nach deren regelmäßigem Konsum in Form von „Spice Gold“.

Anamnese

Ein 20-jähriger Patient (165 cm, 50,8 kg) wurde von einer Erzieherin vorgestellt, die ihn im Rahmen ei- ner beruflichen Rehabilitationsmaßnahme betreute. Er hatte seit vier Wochen nicht mehr an einem Praktikum teilgenommen und nun drohte der Verlust des Ausbil- dungsplatzes. Zur Drogenanamnese gab der Patient an, seit etwa drei Jahren illegale Drogen zu konsumieren.

Anfangs seien dies nur Haschisch, zeitweise zusätzlich halluzinogene Pilze und Salvia divinorum, eine Sal- beiart mit dem halluzinogenen Wirkstoff Salvinoin A, gewesen. Alkohol trinke er sehr selten, Opiate und an- dere als die genannten illegalen Drogen habe er nie re- gelmäßig und in den letzten Jahren gar nicht zu sich genommen. Seit acht Monaten konsumiere er neben zehn Zigaretten pro Tag nur noch „Spice Gold“, zunächst 1 g täglich. Aufgrund von Wirkungsverlust steigerte er die Dosis rasch auf zuletzt 3 g täglich – ver- teilt auf 3 bis 4 Dosierungen, die erste davon bereits frühmorgens. Er inhaliere dazu den Rauch der in einer Glaspfeife („Bong“) verbrannten Pflanzenmischung.

KASUISTIK

Entzugszeichen und Abhängigkeitssyndrom nach „Spice Gold“-Konsum

Ulrich S. Zimmermann, Patricia R. Winkelmann, Max Pilhatsch, Josef A. Nees, Rainer Spanagel, Katja Schulz

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Bis Januar 2009 wurden in Deutschland „Spice“

und andere Pflanzenmischungen verkauft, die Cannabis-ähn- liche Effekte bewirken sollten, ohne Cannabinoide zu enthal- ten. Nachdem man eine undeklarierte Beimischung syntheti- scher cannabinomimetischer Substanzen entdeckte, wurden diese Produkte dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt. Die Autoren beschreiben körperliche Entzugszeichen und ein Ab- hängigkeitssyndrom nach Konsum von „Spice“.

Falldarstellung und Verlauf: Ein 20-jähriger Patient rauchte seit 8 Monaten täglich „Spice Gold“. Er entwickelte eine Tole- ranz und steigerte die Dosis rasch auf 3 g täglich. Der Patient verspürte ein ständiges Substanzverlangen und setzte den Konsum trotz anhaltender kognitiver Beeinträchtigung fort. In der Folge vernachlässigte er substanzbedingt seine Pflichten am Ausbildungsplatz. Urin-Drogenscreenings am Aufnahme- und am Entlasstag waren negativ. Ab dem vierten bis zum siebten stationären Behandlungstag kam es bei dem Patien- ten zu innerer Unruhe, starkem Drogenverlangen, nächtlichen Alpträumen, profusem Schwitzen, Übelkeit, Zittern und Kopf- schmerzen. Blutdruck und Herzfrequenz (HF) waren zwei Ta- ge lang erhöht mit maximal 180/90 mm Hg bei HF 125/min.

Ein ähnliches Syndrom war nach Angabe des Patienten be- reits einige Wochen zuvor während einer Abstinenzphase aufgrund eines Versorgungsengpasses aufgetreten und nach erneutem Konsum von „Spice“ rasch wieder abgeklungen.

Schlussfolgerungen: Die Autoren interpretieren die beschrie- bene Symptomatik als Abhängigkeitssyndrom entsprechend den Kriterien des ICD-10 und DSM-IV. Das körperliche Ent- zugssyndrom entspricht weitgehend demjenigen bei Canna- bis-Abhängigkeit. Als Ursache vermuten die Autoren die an- derweitig berichtete Beimischung synthetischer Cannabino- mimetika wie JWH-018 und CP 47.497 zu „Spice Gold“ sowie die außerordentlich hohen täglichen Konsummengen.

Dtsch Arztebl Int 2009; 106(27): 464–7 DOI: 10.3238/arztebl.2009.0464 Schlüsselwörter: Designerdroge, Drogenmissbrauch, Suchtver- halten, Suchtgenese, Entzugstherapie

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus: PD Dr. med. Zimmermann, Winkelmann, Pilhatsch, Dr. med. Nees Institut für Rechtsmedizin, Technische Universität Dresden: Dr. rer. nat. Schulz Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Abteilung Psychopharmakologie, Mann- heim: Prof. Dr. rer. nat. Spanagel

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Aufgrund des Substanzkonsums sei er in letzter Zeit oft lustlos und „im klaren Denken behindert“ gewesen.

Anlässlich eines Versorgungsengpasses vor einigen Wochen mit notgedrungener Abstinenz habe er Be- schwerden in Form von heftigem Schwitzen tagsüber und vor allem nachts, sowie innerer Unruhe, Zittern, Herzrasen, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Diarrhö, Übelkeit und Erbrechen entwickelt. Zudem habe er sich plötzlich niedergeschlagen und verzweifelt ge- fühlt. Dies habe zwei Tage lang angehalten und sei erst nach erneutem Konsum schlagartig verschwunden.

Deshalb traue er sich jetzt ein selbstständiges Absetzen nicht zu. Im letzten Monat habe er zudem ungewollt 5 kg abgenommen und könne nachts nur etwa fünf Stunden schlafen. Der Hausarzt habe deshalb vor vier Tagen erstmals Zopiclon verschrieben, wovon er 7,5 mg zur Nacht genommen habe.

Vorgeschichte

Im Alter von vier Monaten war der Patient an Histiozy- tose X erkrankt. Im zweiten Lebensjahr wurde er erfolg- reich chemotherapeutisch behandelt und wegen einer chronischen Otitis media operiert. Seither hatte sich ei- ne Hypophyseninsuffizienz entwickelt, die eine Substi- tution von Wachstumshormon bis zum 18. Lebensjahr und die dauerhafte Behandlung eines Diabetes insipidus mit Vasopressin (Desmopressin Nasenspray) erforderte.

Diese Konstellation lässt auf ein damals abgelaufenes Hand-Schüller-Christian-Syndrom schließen.

Wegen sozialen Rückzugs und zeitweise auftreten- den Essstörungen wurde der Patient vom dritten bis zum zehnten und erneut im 16. Lebensjahr ambulant psychotherapeutisch behandelt. Der vorbehandelnde Psychiater berichtete, bereits damals eine Aufmerk- samkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) dia- gnostiziert zu haben, die sich während einer Behand- lung mit unretardiertem Methylphenidat bis 2 × 15 mg/d gebessert habe. Der Patient verneinte jedoch jeg- liche positive Wirkung, er habe diese Behandlung viel- mehr wegen gehäuft auftretendem impulsivem und ag- gressivem Verhalten nach sechs Monaten abgebrochen.

Er fühle sich seit frühester Kindheit auf störende Weise innerlich unruhig und nervös, was auch der Auslöser seines Drogenkonsums sei. Die Unruhe ließe sich sei- ner Erfahrung nach nur durch Cannabis und „Spice Gold“ bessern. Eine Halbschwester des Patienten war abhängig von Methamphetamin („Crystal“) gewesen und hatte sich im Alter von 31 Jahren suizidiert. Die übrige Familienanamnese war unauffällig. Der Patient bat aufgrund seiner vorangegangenen Erfahrung eines Entzugssyndroms um ärztliche Behandlung zur Entgif- tung von „Spice Gold“ und wurde hierzu auf freiwilli- ger Basis stationär aufgenommen.

Aufnahmebefunde

Bei der körperlichen Untersuchung fielen der sehr schlanke Körperbau und die skoliotisch gekrümmte Wirbelsäule auf. Der internistische und neurologische Befund war unauffällig. Psychopathologisch wirkte der Patient situationsadäquat etwas ängstlich und verunsi-

chert, ansonsten unauffällig bei negativem Atemalko- holtest. Immunologische Schnelltests auf Cannabinoi- de, Benzodiazepine, Amphetamine, Kokain, Opiate und Methadon im Urin waren negativ. Im Routinelabor fan- den sich Normwerte bis auf eine grenzwertige Anämie mit Hb 8,5 mmol/L (Norm: > 8,6). Die Herzfrequenz (HF) lag bei 82/min, der Blutdruck bei 130/70 mm Hg, das EKG war unauffällig.

Stationärer Verlauf

Der erste abstinente Behandlungstag verlief beschwer- defrei. Am Abend des zweiten Tages beklagte der Pati- ent eine zunehmende innere Unruhe. Auf seinen Wunsch hin wurde Zopiclon jedoch von 7,5 mg auf 3,75 mg reduziert und nach einmaliger Gabe abgesetzt. In der darauffolgenden Nacht trat erstmals starkes Schwitzen auf.

Ab dem vierten Tag kam es zu zunehmender innerer Unruhe, starkem Verlangen nach „Spice“, nächtlichen Alpträumen, profusem Schwitzen, Übelkeit, Zittern und Kopfschmerzen. Diese Symptome besserten sich auch nach erneuter einmaliger Gabe von 7,5 mg Zopiclon nicht. Zudem berichtete der Patient, „wie neben sich selbst zu stehen“ sowie über ein ihm bereits bekanntes intermittierend auftretendes Gefühl von elektrischen Schlägen und „Zuckungen“ im Schulterbereich, gefolgt von einem Taubheitsgefühl im rechten Arm, das bis in die Finger ausstrahle und etwa eine Minute anhalte. Der Blutdruck stieg bis maximal 180/90 mm Hg bei maxi- maler HF 125/min und lag zwei Tage lang zumeist um 140/90 bei HF um 95/min. Orale Einmalgaben von Pro- methazin 25 mg und Clonidin 0,175 mg senkten den Blutdruck, änderten die übrigen Beschwerden jedoch kaum.

Ab dem Morgen des siebten Tages verschwand die Symptomatik, der Patient fühlte sich wohl trotz weiterer Hypertonie um 140/85 mm Hg bei HF um 100/min, die bis zur Entlassung am 21. Tag anhielt. Ab dem zehnten Behandlungstag war er im Gegensatz zu seinem sonst freundlichen Wesen für einige Tage im Auftreten deut- lich gereizt und berichtete von vermehrten Auseinander- setzungen mit seinen Eltern. Eine EEG-Ableitung am 14. Tag ergab einen Alpha-Beta-Mischtyp ohne epilep- sietypische Potenziale.

Ab dem achten Behandlungstag klagte der Patient zu- nehmend über die ihm seit langem bekannte innere Un- ruhe und Nervosität, die ihn insbesondere abends störe und am Einschlafen hindere. Aufgrund der ungünstigen Vorerfahrungen mit Methylphenidat und unter dem Ver- dacht auf eine Unterfunktion des dopaminergen Sys- tems wurde der Patient ab dem elften Tag nach vorheri- ger Aufklärung off-label mit 0,175 mg Pramipexol zur Nacht behandelt. Diese Vorgehensweise brachte eine leichte Besserung. Nach Steigerung der Dosis auf 0,35 mg am 18. Tag berichtete der Patient über eine nachhaltige Besserung der Unruhe und guten Nacht- schlaf, wie er es in der Vergangenheit ausschließlich durch den Drogenkonsum habe erreichen können. Uner- wünschte Wirkungen wurden weder berichtet noch be- obachtet.

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Ein zweites immunochemisches Drogenscreening im Urin am Entlassungstag war negativ für Cannabis-Me- taboliten, Amphetamine, Kokain-Metaboliten und Opiate. Der Patient nahm vollständig am strukturierten suchtspezifischen Psychotherapieprogramm mit vier- mal wöchentlich stattfindenden verhaltenstherapeutisch orientierten Gruppensitzungen teil. Vier Tage nach der Entlassung präsentierte sich der Patient in unverändert gutem Zustand, die angebotenen weiteren ambulanten Termine nahm er jedoch nicht wahr. Vier Monate nach der Entlassung stellte er sich nochmals ambulant vor und berichtete, sich wohl zu fühlen sowie abstinent von Spice-Produkten zu sein. Allerdings habe er seit der Ent- lassung etwa vier Mal Cannabis konsumiert. Das Prami- pexol habe er nach etwa einem Monat abgesetzt, da er mittlerweile sowohl ohne dieses Medikament als auch ohne Zopiclon ausreichend gut schlafen könne.

Diskussion

Übereinstimmend mit den in einschlägigen Internet- foren diskutierten Erfahrungen anderer Konsumenten beschrieb der Patient die Wirkung von „Spice Gold“

als dem Cannabis ähnlich, und zwar insbesondere als entspannend und beruhigend. Es erzeuge ebenfalls Heißhungerattacken, der Hauptunterschied sei jedoch, dass „Spice“ weniger euphorisierend wirke als Canna- bis. Insgesamt empfand er die Wirkung jedoch stärker als die von Haschisch. Eine Probe von „Spice Gold“, die über das Internet erworben wurde, untersuchten die Au- toren mittels Gaschromatografie und Massenspektro- skopie; dabei konnten keine Cannabinoide oder andere bekannte Inhaltsstoffe illegaler Drogen nachgewiesen werden. Dass die hier untersuchte Probe dennoch psy- chotrope Wirkungen zeigte, wurde von zwei erfahrenen Cannabiskonsumenten durch inhalatives Rauchen veri- fiziert.

Die beschriebene Symptomatik ist als körperliches Entzugssyndrom infolge des Absetzens von „Spice Gold“ zu interpretieren, das einige Ähnlichkeiten mit den Entzugszeichen nach Absetzen von Cannabis auf- weist. Theoretisch ist auch ein Zopiclon-Entzugssyn- drom zu erwägen, das klinisch einem Benzodiazepin- Entzug entspricht (2). Dagegen spricht jedoch

die nur sehr kurzzeitige und niedrigdosierte Ein- nahme von Zopiclon

der spontane Wunsch des Patienten nach Dosisre- duktion

das Fehlen von beobachtbaren Ein- und Durch- schlafstörungen

das Persistieren der Entzugssymptome trotz erneu- ter Zopiclon-Gabe und

deren replizierbares Auftreten nach Absetzen von

„Spice Gold“.

Deshalb wurde diese Differenzialdiagnose als Ursache des Entzugssyndromes ausgeschlossen.

Neben den Entzugszeichen liegen im geschilderten Fall auch andere Suchtkriterien vor, nämlich

Dosissteigerung

starkes Substanzverlangen mit heftigem Drang zum Konsum

fortgesetzter Konsum trotz Folgeschäden („oft lustlos und im klaren Denken behindert“)

Vernachlässigung anderer Interessen beziehungs- weise Pflichten (Praktikumsteilnahme).

Somit sind fünf Abhängigkeitskriterien innerhalb ei- nes Zeitraumes von acht Monaten erfüllt, was die Dia- gnose eines Abhängigkeitssyndromes sowohl nach ICD-10 als auch DSM-IV begründet.

Im Dezember 2008 wurden in „Spice“ und allen ande- ren eingangs genannten Produkten verschiedene syntheti- sche Substanzen nachgewiesen, die agonistisch an den Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2 wirken und dabei eine wesentlich höhere Rezeptoraffinität als natürliche Cannabinoide aufweisen. Hierbei handelt es sich um JWH-018, CP-47-497, Homologe und Stereomere davon, sowie um Oleamid (1). Deshalb ist die Abhängigkeitser- krankung des vorgestellten Patienten mit hoher Wahr- scheinlichkeit auf die Wirkung dieser Cannabinomimeti- ka zurückzuführen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass bei der stationären Aufnahme keine Körperflüssig- keiten asserviert wurden und deshalb der Nachweis über den tatsächlichen Konsum dieser Substanzen fehlt.

Mit dieser Einschränkung dienen die Beobachtungen der Autoren als weiterer Hinweis auf die lange umstrit- tene Existenz eines spezifischen Cannabinoid-Entzugs- syndroms (3). Dieses Syndrom konnte erst infolge von zwei neueren Entwicklungen zweifelsfrei als eigene kli- nische Entität gesichert werden (4). Einerseits wurde in den letzten 20 Jahren der THC-Gehalt (THC, Tetrahy- drocannabinol) der gehandelten Cannabisprodukte durch gezielte Züchtung und künstliche Beleuchtung der Pflanzen verdoppelt (5), nach anderen Quellen sogar vervierfacht (6). Andererseits änderten sich die Kon- sumgewohnheiten insofern, als das immer häufiger rei- nes Haschisch in einer „Bong“ verbrannt und in einem einzigen Zug inhaliert wird, anstatt es mit Tabak ver- mischt über einen Zeitraum von mehreren Minuten hin- weg als Joint zu rauchen. Hierbei fluten die Inhaltsstof- fe wesentlich rascher an und erzeugen intensivere psy- chotrope Wirkungen. Dies führt typischerweise zum Konsum höherer Mengen, intensiveren Entzugssympto- men und höherer Suchtgefährdung (7). Auch der hier beschriebene Patient benutzte eine „Bong“. Diese Kon- sumform und die damit verbundenen hohen Mengen von täglich 3 g „Spice Gold“ führten möglicherweise dazu, dass das theoretisch zu erwartende Suchtpotenzial der genannten cannabinomimetischen Substanzen sich als voll entwickelte Abhängigkeitserkrankung manifes- tierte. Das anzunehmende ADHS verstärkte diesen Pro- zess vermutlich noch, da der Patient die Substanz zur Selbstbehandlung seiner dauerhaften, störenden Unru- he, Nervosität und Schlafstörungen verwendete.

Die Beobachtungen bestätigen die Notwendigkeit der im Januar 2009 vorgenommenen Einstufung der genann- ten synthetischen Cannabinomimetika als Betäubungs- mittel. Das Besondere am Phänomen „Spice“ ist, dass hier erstmals synthetische Suchtmittel in verdeckter Wei- se als „Kräutermischung“ getarnt kommerziell vertrieben wurden, was als arglistige Täuschung der Konsumenten aufgefasst werden muss. Dies ist um so bedenklicher, als

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bislang weder JWH-018 noch CP-47-497 hinsichtlich ih- rer Sicherheit bei der Anwendung am Menschen unter- sucht wurden. Dasselbe gilt für die circa 100 anderen strukturchemisch ähnlichen Cannabinomimetika, die in den letzten Jahren synthetisiert wurden (8). Hier muss die Möglichkeit einer Welle von anderen cannabinomimeti- schen „Designerdrogen“ bedacht werden. Angesichts der zunehmenden Erkenntnisse über die Nutzbarkeit von Cannabinoiden zur Behandlung therapieresistenter Sym- ptome (9) sollte dies jedoch nicht Anlass dazu geben, die wissenschaftliche Untersuchung innovativer cannabino- mimetischer Substanzen zu vernachlässigen.

Danksagung

Die Autoren danken dem Pflegeteam der Station PSY-S3 für die professionelle Hilfe bei der Erfassung der Entzugssymptome und der Dokumentation des Ver- laufs.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 24. 11. 2008, revidierte Fassung angenommen: 12. 3. 2009

LITERATUR

1. Auwärter V, Dresen S, Weinmann W, Müller M, Pütz M, Ferreiros N:

'Spice' and other herbal blends: Harmless incense or cannabinoid de- signer drugs? J Mass Spectrom 2009; im Druck. DOI

10.1002/jms.1558

2. Ströhle A, Antonijevic IA, Steiger A, Sonntag A: Abhängigkeit von

„Non-Benzodiazepinhypnotika“. Nervenarzt 1999; 70: 72–5.

3. Bonnet U, Harries-Hedder K, Leweke F-M, Schneider U, Tossmann HP: Cannabisbezogene Störungen. In: Schmidt LG, Gastpar M, Flakai P, Gaebel W (Hrsg.): Evidenzbasierte Suchtmedizin. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag 2006; 143–70.

4. Budney AJ, Hughes JR, Moore BA, Vandrey R: Review of the validity and significance of cannabis withdrawal syndrome. Am J Psychiatry 2004; 161: 1967–77.

5. Pijlman FT, Rigter SM, Hoek J, Goldschmidt HM, Niesink RJ: Strong in- crease in total delta-THC in cannabis preparations sold in Dutch cof- fee shops. Addict Biol 2005; 10: 171–80.

6. Bonnet U, Scherbaum N: Evidenzbasierte Behandlung der Cannabis- abhängigkeit. Dtsch Arztebl 2005; 102 (48): A 3334–41.

7. Chabrol H, Roura C, Armitage J: Bongs, a method of using cannabis linked to dependence. Can J Psychiatry 2003; 48: 709.

8. Huffman JW, Padgett LW: Recent developments in the medicinal che- mistry of cannabinomimetic indoles, pyrroles and indenes. Curr Med Chem 2005; 12: 1395–411.

9. Deutscher Bundestag, Ausschuss für Gesundheit: Öffentliche Anhörung zur medizinischen Anwendung von Cannabis am 15. 10. 2008.

http://www.bundestag.de/aktuell/archiv/2008/22381411_kw42_

gesundheit/index.html

Anschrift für die Verfasser PD Dr. med. Ulrich S. Zimmermann

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden Fetscherstraße 74, Haus 25

01307 Dresden

E-Mail: ulrich.zimmermann@uniklinikum-dresden.de

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Caassee RReeppoorrtt:: WWiitthhddrraawwaall PPhheennoommeennaa aanndd DDeeppeennddeennccee SSyynnddrroommee A

Afftteerr tthhee CCoonnssuummppttiioonn ooff ""SSppiiccee GGoolldd""

Background: "Spice" and other herbal blends were marketed in Ger- many until January 2009 as substances purportedly exerting similar ef- fects to cannabis, yet containing no cannabinoids. These products were recently forbidden in Germany under the provisions of the German Nar- cotics Law after they were found to contain undeclared, synthetic can- nabinomimetic substances. The authors describe physical withdrawal phenomena and a dependence syndrome that developed after the con- sumption of "Spice."

Case presentation and course: A 20-year old patient reported that he had smoked "Spice Gold" daily for 8 months. He developed tolerance and rapidly increased the dose to 3 g per day. He felt a continuous desire for the drug and kept on using it despite the development of persistent cognitive impairment. His substance use led him to neglect his duties in his professional training position. Urinary drug screens were negative on admission to the hospital, as they were again on discharge.

On hospital days 4–7, he developed inner unrest, drug craving, noctur- nal nightmares, profuse sweating, nausea, tremor, and headache. His blood pressure was elevated for two days, with a maximal value of 180/90 mm Hg accompanied by a heart rate of 125/min. The patient stated that he had experienced a similar syndrome a few weeks earlier during a phase of abstinence owing to a short supply, and that it had quickly subsided after he had started consuming "Spice" once again.

Conclusions: The authors interpret the symptoms and signs described above as a dependence syndrome corresponding to the ICD-10 and DSM-IV criteria for this entity. The physical withdrawal syndrome closely resembles that seen in cannabis dependence. The authors postulate that the syndrome in the patient described was due to an admixture of synthetic cannabinomimetics such as JWH-018 and CP 47497 in

"Spice Gold," in combination with the patient's daily consumption in very large amounts.

Dtsch Arztebl Int 2009; 106(27): 464–7 DOI: 10.3238/arztebl.2009.0464 Key words: designer drugs, drug abuse, addictive behavior, pathogene- sis of addiction, drug-withdrawal therapy

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

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