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FORUM-11-2018

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Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns

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KVB FORUM

PSYCHOTHERAPIE IM WANDEL

Aktuelle Entwicklungen für Praxen und Patienten

BETRIEBSWIRTSCHAFT ERKLÄRT: Liquiditätsfallen erkennen und gegensteuern KVB INTERN: Neue Bereitschaftspraxen in Zwiesel und Lindau eröffnet

IT IN DER PRAXIS: Elektronische Gesundheitskarte der Generation 1+ wird ungültig

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Dr. med. Krombholz

Vorsitzender des Vorstands Dr. med. Schmelz

1. Stellv. Vorsitzender des Vorstands Dr. med. Ritter-Rupp

2. Stellv. Vorsitzende des Vorstands

Ihr KVB-Vorstand

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

den Entwurf eines Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) hat das Bundesgesundheits- ministerium Ende September im Bundeskabinett eingebracht. Auch wenn in dem Gesetzes- entwurf einige Ansätze hin zu einer angemesseneren Honorierung der Leistungen der nieder- gelassenen Ärzte und Psychotherapeuten zu finden sind, so ist dieser doch stark geprägt von einem tiefen Misstrauen der Politik gegenüber der Ärzteschaft. So suggeriert ja schon der Titel, dass es nur eines Gesetzes bedürfe, um schnellere Termine für Patienten zu er- halten. Doch so einfach ist es in der Realität natürlich nicht: Kein Arzt oder Psychotherapeut lässt seine Patienten gerne lange auf die Behandlung warten. Die bisherige geringe Inan- spruchnahme der Terminservicestellen wie auch mehrere Versichertenbefragungen zeigen, dass gerade auch im internationalen Vergleich hierzulande die Wartezeiten auf Termine bei Ärzten und Psychotherapeuten eher kurz sind. Die Praxen sind – gerade in kollegialer Ab- sprache zwischen Hausarzt, Facharzt und Psychotherapeut – sehr gut in der Lage, über die Dringlichkeit zu entscheiden und mit den Patienten geeignete Termine zu vereinbaren – und das ganz ohne staatliche Einflussnahme.

Dennoch sollen jetzt laut TSVG die Terminservicestellen noch erheblich ausgebaut und um zusätzliche Aufgaben erweitert werden. Die Terminservicestellen wurden im Januar 2016 bei den Kassenärztlichen Vereinigungen eingerichtet, um Termine bei Fachärzten zu vermitteln.

Im April 2017 kam dann die Vermittlung psychotherapeutischer Erstgespräche und Akut- behandlungen hinzu. Seit Oktober 2018 gehört nun auch die Vermittlung von zeitnah erfor- derlichen probatorischen Sitzungen zu dem Aufgabenspektrum der Terminservicestellen.

Wir haben dies zum Anlass genommen, um im Titelthema von KVB FORUM über die Termin- vermittlung für die Psychotherapie zu berichten, aber auch andere aktuelle Entwicklungen aus der psychotherapeutischen Versorgung einmal genauer zu beleuchten.

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Wichtiges für die Praxis

ZITAT DES MONATS ZAHL DES MONATS

2, 3

Millionen Patienten haben im Jahr 2017 in Bayern Leistungen gemäß den Psychotherapie-Richtlinien erhalten.

(Quelle: KVB)

„Es gibt kaum einen Bereich, in dem noch so viel gefaxt wird wie im Gesundheitswesen.“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (Quelle: Handelsblatt vom

8. Oktober 2018)

Seit 2012 sind die Kassenärztlichen Vereinigungen per Gesetz verpflichtet, Praxisnetze nach Paragraf 87b Absatz 4 SGB V anzuerkennen, seit 2015 auch zu fördern. Die neue Broschüre „Praxisnetze“ gibt einen Überblick, wie die KVB diese Vorgaben für vernetze Versorgungsformen umsetzt.

Unter anderem informiert die Publika- tion darüber, welche vielfältigen Ser- vice-Angebote und Unterstützungsmaß- nahmen die KVB Netzärzten und -psy- chotherapeuten, aber auch deren Patien- ten zur Verfügung stellt und welche Projekte die KV Bayerns bereits gemein- sam mit Praxisnetzen realisiert hat. Ein Ziel aller Praxisnetze ist es, die Kommuni- kation und den Informationsfluss sowohl unter den Netzärzten und -psychothera- peuten als auch zwischen den Patienten und den Ärzten verschiedener Fach- gruppen zu verbessern. Dafür engagieren sich einige Netze auch verstärkt in der Optimierung der Schnittstelle ambulant/stationär, zum Beispiel indem sie die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern ihrer Region – Stich- wort Überleitungsmanagement – verbessern. Mehr über das Thema Vernetzung, das aus der medizinischen Versorgung nicht mehr wegzu- denken ist und bei dem bayerische Praxisnetze einen wertvollen Beitrag für ihre Regionen leisten, lesen Sie in unserer Broschüre als Download unter www.kvb.de in der Rubrik Praxis/Alternative Versorgungsformen/

Praxisnetze.

Redaktion

BROSCHÜRE „PRAXISNETZE“

VERÖFFENTLICHT

Praxisnetze

Die KVB - Ihr Ansprechpartner rund um Praxisnetze

Elektronische Gesundheitsakten der Krankenkassen

Digitale oder elektronische Gesundheitsakten sind aktuell in aller Munde. Gemäß Paragraf 68 SGB V haben gesetzliche Krankenkassen die Möglichkeit, ihren Versicherten eine sogenannte persönliche elektronische Gesundheitsakte (eGA) zu finanzie- ren. Neben persönlich erhobenen oder von den Krankenkassen bereitgestellten Daten können Ver- sicherte auch Arztbriefe, Befunde oder Labordaten in diese Akten einstellen. Die elektronischen Ge- sundheitsakten, zu der auch die App „Vivy“ zählt, dienen dem Versicherten zur Information und sind nicht gleichzusetzen mit der elektronischen Patien- tenakte gemäß E-Health-Gesetz (Paragraf 291a Absatz 3 Nummer 4 SGB V), die ab 2021 für alle Versicherten von den Krankenkassen angeboten werden müssen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat Informationen zur Nutzung der digitalen Gesund- heitsakte „Vivy“ erarbeitet und gibt Tipps für nieder- gelassene Ärzte. Wir stellen diese Informationen auch unseren Mitgliedern auf der Startseite unter www.kvb.de zur Verfügung.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch haben Patien- ten ein Auskunftsrecht und somit Anspruch auf Gewährung „unverzüglicher“ Einsicht und Kopien ihrer vollständigen Patientenakte. Zudem können sie elektronische Abschriften von Patientenakten verlangen (Paragraf 630 Absätze 1 und 2 BGB). Auch nach der Datenschutzgrundverordnung besteht Anspruch auf Auskunft. Die Art der Zurverfügung- stellung von Daten können jedoch die Ärzte be- stimmen. Ärzte und Psychotherapeuten sind somit nicht verpflichtet, die Daten der Vivy-Akte auszu- werten, zu nutzen oder sie in der App hochzuladen.

Es können stattdessen auch konventionelle Wege genutzt werden, um dem Auskunftsrecht der Pa- tienten gerecht zu werden. Die in der digitalen Ge- sundheitsakte enthaltenen Informationen können mitunter sehr umfangreich sein. Eine entsprechende Vergütung des ärztlichen Aufwands bei der eGA- Nutzung ist derzeit noch ungeklärt.

Anja Schneider, Cordelia Gertz (beide KVB)

VERTRETERVERSAMMLUNGEN 2018

Die letzte Vertreterversammlung der KVB im Jahr 2018 findet an folgen- dem Termin in der Elsenheimerstraße 39, 80687 München, statt:

„ Samstag, 17. November 2018, 9.00 Uhr

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18 Blick über den Tellerrand Eine spezielle KVB-Arbeitsgrup- pe beschäftigt sich mit den Aus- wirkungen Internet- und mobil- basierter Interventionen auf die ambulante Versorgung 20 Fernbehandlung – auch in der Psychotherapie?

Mit der Änderung der Muster- berufsordnung durch den Deut- schen Ärztetag ist auch für die mittelbare Behandlung in der Psychotherapie einiges anders geworden

22 Möglichkeit eines neuen Therapieansatzes bei Rheuma- toider Arthritis

Das Innovationsfondsprojekt PETRA soll den Krankheitsverlauf von Patienten mit RA verbessern und zur Erhöhung ihrer Lebens- qualität beitragen

12 Psychotherapiereform aus Haus- und Fachärztesicht

Wie einfach ist der Zugang zum psychotherapeutischen Versor- gungsangebot seit der Struktur- reform für Patienten niedergelas- sener Haus- und Fachärzte?

13 Terminservicestelle Psycho- therapie

Wie wird das Angebot einer Ver- mittlung probatorischer Sitzungen durch die Terminservicestelle organisiert und von den Patien- ten in Anspruch genommen?

16 Psychotherapie online:

Vorsicht geboten!

Warum der Umgang mit Online- Interventionen nicht nur aufgrund berufs- und haftungsrechtlicher Bedenken kritisch zu hinterfragen ist

TITELTHEMA

6 Psychotherapie:

Strukturreform im Überblick Kurze inhaltliche Zusammenfas- sung der vor eineinhalb Jahren in Kraft getretenen Strukturreform in der ambulanten Psychotherapie 7 Kommentar: Politik der Glaubwürdigkeit

Dr. med. Claudia Ritter-Rupp, zweite stellvertretende KVB-Vor- standsvorsitzende, über die Zei- tenwende in der Psychotherapie 8 Schnelleres Erstgespräch, aber weiterhin Wartezeiten auf Therapieplätze

Eine Bilanz zur größten Psycho- therapiereform der letzten 50 Jahre und was sie aus Sicht der psychotherapeutischen Versor- ger bewirkt hat

Die Struktur- reform Psycho- therapie hat unter anderem zu einer besseren persönlichen Erreichbarkeit der Psychotherapeu- ten beigetragen

6

Über die Termin- servicestelle Psychotherapie werden zum Bei- spiel Erstgesprä- che im Rahmen der Psychothera- peutischen Sprechstunde zeitnah vermittelt

13

Patienten mit Rheumatoider Arthritis können vom Projekt PETRA enorm profitieren

22

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VERSORGUNG FÖRDERN 35 HNO-Ärzte sind im Landkreis Haßberge willkommen

Die KVB fördert Hals-Nasen- Ohren-Ärzte, die im Landkreis Haßberge die vertragsärztliche Versorgung unterstützen möchten

KURZMELDUNGEN

36 Broschüre zur ASV aktualisiert 36 Bayerisches Hospiz- und Palliativbündnis

36 Digitalisierung: Praxis der Zukunft

37 LESERBRIEFE 37 IMPRESSUM

38 KVB SERVICENUMMERN BETRIEBSWIRTSCHAFT ERKLÄRT

30 Liquiditätsfallen erkennen und gegensteuern

Damit eine Praxis von Beginn an wirtschaftlich erfolgreich betrieben werden kann, muss der Inhaber seine Funktion als Unternehmer wahrnehmen

KVB INTERN

33 Weitere KVB-Bereitschafts- praxen eröffnet

Die Anzahl der KVB-Bereitschafts- praxen wächst. Am 25. Septem- ber haben zwei weitere Praxen ihre Pforten geöffnet

34 Meine KVB – Funktion „Dateien einreichen“ ver- bessert

Unter die umfangreichen Neue- rungen im Mitgliederportal „Mei- ne KVB“ fällt ab Mitte November auch die Modernisierung der Funktion „Dateien einreichen“

24 Chancen des Projekts PETRA im Sinne des Patienten nutzen Wie bewerten Ärzte und Psycho- therapeuten den Ansatz der

„Personalisierten Therapie bei Rheumatoider Arthritis“?

IT IN DER PRAXIS

26 eGK der Generation 1+ ab 2019 ungültig

Die elektronischen Gesundheits- karten der Generation 1+ dürfen nur noch bis 31. Dezember 2018 eingesetzt werden. Was bedeutet das für die Praxen?

HYGIENE IN DER PRAXIS 28 Hygieneplan – wichtiges Instrument des Hygiene- managements

Was der Hygieneplan zum Schutz der Patienten und des Praxisper- sonals beiträgt und was bei seiner Erstellung zu beachten ist

Die KVB bietet interessierten HNO-Ärzten im unterversorgten Landkreis Haß- berge bei Auf- nahme einer Praxistätigkeit finanzielle Unter- stützung an

35 28

Die wichtigsten Grundlagen des Hygieneplans sollten in jeder Praxis bekannt sein

Die neue Bereit- schaftspraxis der KVB in Lindau befindet sich an der dortigen Asklepios Klinik

33

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E

inen einfacheren Zugang zur Psychotherapie für die Pa- tienten sowie bessere Ko- operationsmöglichkeiten zwischen Psychotherapeuten sowie Haus- und Fachärzten – das waren zwei der Ziele, die der Gesetzgeber mit dem GKV-Versorgungsstärkungs- gesetz unter anderem verfolgte.

Die Strukturreform Psychotherapie hatte dabei das Ziel, den Patienten zeitnah einen niederschwelligen Zugang zur Psychotherapie zu er- möglichen und das Versorgungs- angebot insgesamt flexibler zu ge- stalten. Zu diesem Zweck wurden telefonische Erreichbarkeitszeiten der Psychotherapeutenpraxen auf 200 Minuten in der Woche ver- pflichtend erweitert, verpflichtende Sprechstunden für Erstgespräche

zur frühzeitigen diagnostischen Ab- klärung sowie die Terminvermittlung für psychotherapeutische Sprech- stunden und Akutbehandlungen durch die Terminservicestellen ein- geführt. Die Möglichkeit der neu eingeführten Akutbehandlung wie- derum ermöglicht Menschen in einer konkreten Krisensituation einen direkten Zugang zum Psycho- therapeuten ohne lange Genehmi- gungsverfahren der Krankenkasse.

Vor jeder Kurzzeit- beziehungsweise Langzeittherapie finden nach den Sprechstunden mindestens zwei probatorische Sitzungen zur Klärung des geeigneten Psychotherapiever- fahrens statt. Daneben wurde die Kurzzeittherapie (KZT) unterteilt in die nunmehr nur noch anzeige- pflichtigen KZT1 und KZT2 (jeweils zwölf Sitzungen à 50 Minuten). Das Antrags- und Gutachterverfahren wurde vereinfacht. Die Zahl der Teil- nehmer von Gruppentherapien wurde einheitlich auf drei bis neun festgelegt. Einzel- und Gruppensit- zungen können ohne Mitteilung an die Krankenkasse getauscht wer- den, sofern sich das überwiegend durchgeführte Setting nicht ändert.

Auch gibt es die Möglichkeit, Ein- zel- und Gruppentherapien zu kom- binieren, gegebenenfalls bei zwei unterschiedlichen Therapeuten. Die Rezidivprophylaxe nach beendeter Psychotherapie wurde zur Siche- rung des Behandlungserfolgs neu

eingeführt. Die hierfür notwendigen Sitzungen werden vom Gesamt- kontingent abgezogen.

Im Rahmen der Strukturreform wurden auch die Psychotherapie- Richtlinie überarbeitet, die Psycho- therapie-Vereinbarung angepasst sowie neue Abrechnungsziffern und Vordrucke entwickelt. Infolge der Schiedsamtsentscheidung zur Vermittlung von Terminen für zeit- nahe probatorische Sitzungen durch die Terminservicestelle musste da- rüber hinaus zum 1. Oktober 2018 der Vordruck PTV 11 angepasst werden, mit dem die Notwendigkeit einer zeitnahen psychotherapeuti- schen Behandlung bestätigt wird.

Die Abrechnungsziffern im EBM wurden nach einer einheitlichen Systematik für Kurzzeit- und Lang- zeittherapien ausgestaltet sowie für die Vergütung von Einzel- und Grup- pentherapien neu entwickelt.

Der Bewertungsausschuss, also das Verhandlungsgremium von KBV und GKV-Spitzenverband, hat rück- wirkend zum 1. April 2017 eine Anpassung der Bewertung der psychotherapeutischen Sprech- stunde sowie der Akutbehandlung und weiterer Gebührenordnungs- positionen im EBM beschlossen, was zu einer besseren und gleich- wertigen Vergütung der neuen Leistungen geführt hat.

Stefan Schlosser (KVB)

Mit einer kurzen Zusammenfassung der Inhalte der vor eineinhalb Jahren in Kraft getretenen Strukturreform in der ambulanten Psychotherapie liefert der nachfolgende Beitrag einen Einstieg in das Thema, das in den folgenden Artikeln durch Interviews mit Praxen zu ihren Erfahrungen vertieft wird.

PSYCHOTHERAPIE:

STRUKTURREFORM IM ÜBERBLICK

Die wichtigsten Veränderungen auf einen Blick

„ Bessere persönliche Erreichbarkeit der Psychotherapeuten (200 Minuten pro Woche)

„ Mindestangebot von 100 Minuten für Sprech- stunden pro Woche

„ Einführung von psychotherapeutischer Sprechstunde und Akutbehandlung

„ Einführung der Terminservicestelle Psycho- therapie

„ Vereinfachung in der Antragstellung und Gruppentherapie

„ Verwendung des letzten Therapieabschnitts zur Rezidivprophylaxe

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Die Psychotherapie erlebt gerade eine Zeitenwende in mehrfacher Hinsicht. Zwei Punkte möchte ich herausgreifen.

Zum einen die „Online-Therapie“ als angebliches Heilsversprechen für psychische Beschwerden bezie- hungsweise Erkrankungen. Bereits der Name ist irreführend und macht das Thema noch unübersichtlicher.

Auch im allgemeinen Digitalisie- rungs-Hype sollten die Möglichkei- ten nicht überschätzt oder ver- wechselt werden. Falsch angewen- det können Online-Therapien sogar patientengefährdend sein. Sie er- setzen keinesfalls den Psychothera- peuten und dürfen auch nicht als Sparangebot der Krankenkassen fungieren, auch wenn sie zuweilen relativ aggressiv vermarktet werden.

Sie sind keine Lösung für politisch gewollte Versorgungslücken, um den Mangel zu kaschieren. Die im per- sönlichen Kontakt erbrachte Psycho- therapie sollte weiterhin auf Nach- haltigkeit und – wo immer möglich – auch auf Heilung ausgerichtet sein.

Eine Behandlung, die den Patienten

in den Mittelpunkt stellt, ist mehr als die Beseitigung von vorder- gründigen Symptomen und spart auf lange Sicht Kosten.

Zum anderen ist die Politik von Jens Spahn mit „ Zuckerbrot und Peitsche“ psychologisch höchst unklug, zerstört Vertrauen und ist kein guter Auftakt für eine gelin- gende Beziehung. Vermutlich wäre eine Politik nach dem Motto „Lust statt Frust“ geeigneter, auch um die zweifelnde und zögerliche Nach- wuchsgeneration für ihren Beruf und die Niederlassung zu motivie- ren. Eine – wie aktuell beabsichtigt – gesetzlich vorgegebene hierar- chisch gesteuerte Zuweisung von psychisch erkrankten Patienten zu definierten Behandlungsformen würde die in unserem Fachgebiet so wichtige partizipative Entschei- dungsfindung der Patienten hinsicht- lich verschiedener Behandlungs- formen unzulässig einengen. Es würde eine Diskriminierung der Pa- tienten und längere Versorgungs- wege bedeuten. Mit der neuen Psychotherapierichtlinie, die aller-

dings noch ergänzt werden müsste durch eine sinnvolle Bedarfsplanung, haben wir bereits eine gestufte Versorgung mit entsprechenden Möglichkeiten eines flexibleren und eines niederschwelligeren Zu- gangs zu hoch qualifizierter Psycho- therapie. Wichtig ist, dass diese neu geschaffenen Zugangsmög- lichkeiten unter den zuweisenden Haus- und Fachärzten noch be- kannter und in einer guten Koope- ration genutzt werden. Für mich persönlich liegt der Schlüssel einer guten Patientenversorgung unter anderem in der engen Kooperation aller Fachbereiche und in einer Kul- tur gegenseitiger Wertschätzung.

Erfreulicherweise gelingt dies auch in der internen Zusammenarbeit mit meinen beiden Vorstandskol- legen Dr. med. Wolfgang Kromb- holz und Dr. med. Pedro Schmelz.

Nur mit einer Politik der Glaubwür- digkeit können wir den Herausfor- derungen etwas entgegensetzen.

Lassen Sie uns dabei gemeinsame Sache machen!

Ihre Dr. med. Claudia Ritter-Rupp

KOMMENTAR: „POLITIK DER GLAUBWÜRDIGKEIT“

Psychotherapie: Online aktuell informiert

Die KV Bayerns stellt auf ihrer Internetseite www.kvb.de laufend wichtige Informationen für ihre psychotherapeutisch tätigen Mitglieder, aber auch für überweisende Ärzte sowie für Patienten ein. Für Psychotherapeuten und Ärzte – beispiels- weise zur Strukturreform Psychotherapie und zu Formularen, Anträgen sowie Vordrucken aus diesem Bereich:

www.kvb.de in der Rubrik Praxis/Praxisführung/Strukturreform Psychotherapie www.kvb.de in der Rubrik Service/Formulare und Anträge/Formulare mit „P“

www.kvb.de in der Rubrik Service/Formulare und Anträge/Formulare mit „K“

(Für die PTV-Vordrucke des Kohlhammerverlags)

www.kvb.de in der Rubrik Praxis/Online-Angebote/Therapieplatz-Verwaltung

www.kvb.de in der Rubrik Service/Partner/Innovationsfonds/Aktuelle Kooperationen (zu PETRA)

Für Patienten – beispielsweise zur Terminservicestelle (mit Patienteninfoblatt) und zur Koordinationsstelle Psychotherapie:

www.kvb.de in der Rubrik Service/Patienten/Terminservicestelle/Terminservicestelle-Psychotherapie www.kvb.de in der Rubrik Service/Patienten/Koordinationsstelle Psychotherapie

www.kvb.de in der Rubrik Service/Patienten/Psychotherapeutische Versorgung

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Frau Böttcher, Herr Waldherr, Herr Dr. Vogel, ein wichtiges Ziel der Psychotherapie-Reform war es, die langen Wartezeiten – also sowohl auf ein Erstgespräch als auch auf einen Therapieplatz – zu verkürzen. Wie sieht die Rea- lität in den Praxen aus?

Maria Böttcher: Die Wartezeiten auf ein Erstgespräch haben sich durch die Einführung der Sprech- stunde bei Kinder- und Jugendli- chenpsychotherapeuten auf jeden Fall verkürzt. Meine Kolleginnen und Kollegen nutzen die Sprech- stunde für Eltern, Kinder und Ju- gendliche, um eine erste Abklärung vorzunehmen. Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz hingegen ha- ben sich kaum verändert. Durch die Einführung der telefonischen Erreichbarkeit und der Sprech- stunde steht real weniger Zeit für die Richtlinientherapie zur Verfü- gung. Besonders bei Kindern und Jugendlichen besteht das Problem der Verschlimmerung der psychi- schen Erkrankung und der psycho- sozialen Problematik.

Benedikt Waldherr: Es gelingt zwar auch in meiner Praxis, anfragende Patienten schneller in ein Erst-

gespräch zu überführen. Aber oft habe ich dann eben auch keinen Therapieplatz zur Verfügung und muss diese Menschen dann doch wieder warten lassen. Sehr stark leidende Patienten und dringende Fälle versuche ich selbst in Thera- pie zu nehmen. Dadurch wird aller-

dings nur meine Selbstüberlastung größer und auf lange Sicht be- fürchte ich auch eine Abnahme meiner persönlichen Leistungs- fähigkeit und Wachsamkeit als Therapeut. Das ist also keine wirk- liche Lösung für die mangelnde Bedarfsplanung und führt früher oder später zu Arbeitsüberlastung

und Selbstausbeutung der Kolle- gen. Zumindest im Hinblick auf die langfristige Versorgung der schwer- kranken Patienten hat die Psycho- therapierichtlinie keine nachhalti- ge Verbesserung gebracht.

Dr. Christian Vogel: Aus meinem Praxisalltag kann ich bestätigen:

Menschen mit psychischen Er- krankungen gelangen jetzt schneller in das psychotherapeutische Ver- sorgungsystem. Das Instrument der psychotherapeutischen Sprech- stunde wird in allen Fachgruppen, die es anwenden können, auch gut angenommen. Wird dort allerdings die Indikation für eine weitere Be- handlung gestellt und differential- indikatorisch eine Kurz- oder Lang- zeittherapie für notwendig erachtet, stoßen die Patienten wieder auf das bekannte Kapazitätsproblem. Aus Sicht der psychiatrischen Praxen ist es aber ein deutlicher Fortschritt, dass der Leistungsinhalt der Sprechstunde – den wir übrigens immer schon erbracht haben – nun auch versorgungstechnisch adäquat abgebildet wird. Das Inst- rument der Akutbehandlung etab- liert sich hingegen trotz positiver Steigerungsraten noch eher zöger- lich.

Vor eineinhalb Jahren fand die größte Psychotherapie-Reform der letzten 50 Jahre statt. Ein guter Zeitpunkt also, um eine erste Bilanz zu ziehen. Was ist seither besser geworden, was ist gleich geblieben, was hat sich unter Umstän- den nicht so positiv entwickelt? KVB FORUM hat sich mit drei Praxen, die in der psychotherapeutischen Versorgung tätig sind, unterhalten.

SCHNELLERES ERSTGESPRÄCH, ABER WEITERHIN WARTEZEITEN AUF THERAPIEPLÄTZE

Als Kinder- und Jugendlichen- psychotherapeu- tin ist es Maria

Böttcher aus Wasserburg am Inn wichtig, dass auch auf dem Land eine gute Versorgung ge- währleistet ist.

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Die beratenden und präventiven Aufgaben von Psychotherapeu- ten wurden deutlich erweitert.

Wie macht sich das bemerkbar?

Waldherr: In unserer Praxis geben wir bei Bedarf den anrufenden Pa- tienten ausführlich über Selbsthil- fegruppen oder komplementäre Beratungsangebote Auskunft. So verweisen wir zum Beispiel bei rei- nen Partnerschaftsproblemen oder klaren Erziehungsfragen re- gelmäßig an die Beratungsstellen der Caritas oder der Diakonie. Bei

sozialer Isolation und entsprechen- der Vorgeschichte empfehlen wir auch die Teestube des sozialpsych- iatrischen Dienstes. Diese vielen zusätzlichen Angebote sind zwar hilfreich, stellen aber Patienten, die einen Therapieplatz suchen, nicht wirklich zufrieden.

Böttcher: Heute wenden sich mehr Eltern und Jugendliche an uns mit der Bitte um eine Abklärung und Beratung über das weitere Vorge- hen. Von den Kolleginnen und Kol- legen werden zwar auch andere ambulante und stationäre Hilfen vorgestellt, dennoch bleibt nach meiner Einschätzung im überwie- genden Teil die Richtlinienpsycho-

Benedikt Wald- herr ist in Lands- hut als Psycho- logischer Psy- chotherapeut niedergelassen und Mitglied der Vertreterver- sammlung der KVB.

Sind Therapeuten nun in ihrer Praxis besser telefonisch er- reichbar?

Waldherr: Ich selbst biete meinen Patienten über die Sprechstunden- hilfe wöchentlich eine 20-stündige telefonische Erreichbarkeit an. Ich weiß auch von vielen Kollegen, dass sie die telefonische Verfügbarkeit deutlich erhöht haben und dass die früher übliche „Anrufbeantworter- praxis“ ein echtes Auslaufmodell ist. Allerdings beschweren sich natürlich auch die Kollegen darü- ber, dass sie, wenn sie selbst am Telefon sitzen, diese Zeit nicht mehr in die Patientenversorgung unmittelbar in Form von Therapie- sitzungen einbringen können.

Vogel: Für eine bessere Erreich- barkeit sprechen auch die Rück- meldungen von Patienten, denen eine Kontaktaufnahme mit ärztli- chen oder psychologischen Psycho- therapeuten empfohlen wurde.

Auch wir als vermittelnde Fachärzte für Psychiatrie oder psychiatrisch tätige Nervenärzte erleben dadurch eine bessere Kommunikation, sei es zur Vermittlung, sei es im Ver- lauf der Behandlung, falls beide Behandler im Sinne des Patienten Koordinationsbedarf haben.

Böttcher: Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Eltern und Jugendlichen außerhalb der telefonischen Sprech- zeiten anrufen und um einen Rück- ruf bitten. Die telefonische Erreich- barkeit ist in diesem Zusammen- hang meiner Meinung nach zeitlich zu hoch angesetzt. Zweihundert Minuten pro Woche bei vollem Versorgungsauftrag und hundert Minuten bei hälftigem Versorgungs- auftrag werden vom Patienten nicht in diesem Umfang genutzt.

Auch die Einrichtung von so- genannten Terminservicestellen in den KVen sollte dabei helfen, Patienten rascher in eine Thera- pie zu vermitteln.

Vogel: Es werden vor allem Kolle- gen auf dem Land häufiger ange- fragt. Da Psychiater und Neurolo- gen – nach den ärztlichen und psychologischen Therapeuten – zu den am meisten von der Termin- servicestelle kontaktierten Fach- gebieten gehören, wäre eigentlich zu erwarten, dass alle mit Anfra- gen überhäuft werden. Es wird aber lediglich ein kleiner Teil der Patienten – auch bei psychiatri- schen Notfällen und psychischen Krisensituationen – über die Termin- servicestelle in psychiatrische Sprechstundenpraxen vermittelt.

Böttcher: Bisher gibt es noch we- nige Kontaktaufnahmen der Termin- servicestelle mit Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, viele sind noch nie kontaktiert worden. Fast immer wenden sich Eltern und Jugendliche direkt an die Praxen.

Waldherr: Die Terminservicestelle erfüllt im Moment noch eine Rand- funktion, da sie nur etwa fünf Pro- zent der Fälle vermittelt. Der Groß- teil der Anmeldungen findet so- wohl bei mir als auch bei anderen Kollegen direkt in den Praxen statt.

Die Zusammenarbeit mit den Mit- arbeitern der Stelle läuft völlig reibungslos. Sie sind freundlich, machen keinen Druck auf die Kollegen und respektieren auch, wenn man mal keinen Termin für eine Erstkontaktaufnahme frei hat.

Allerdings scheinen die schwer ge- störten, chronischen Patienten dieses Angebot nicht so effektiv nutzen zu können wie jüngere, technikaffine Menschen.

(10)

therapie das empfohlene Angebot.

In der Überbrückungszeit auf einen Therapieplatz erhalten die Patien- ten das psychotherapeutische Ge- spräch oder zur Einleitung einer schnellen Intervention die Möglich- keit einer Akuttherapie.

Vogel: In der psychiatrischen Sprechstundenpraxis macht sich das weniger bemerkbar, da bera- tende und präventive Aufgaben, die Koordination des gesamten psychosozialen Spektrums, die Funktion als ‚Lotse im Psycho- dschungel‘ schon immer die Auf- gabe des Psychiaters und psychia- trisch tätigen Nervenarztes war.

Deutlich spürbar, auch im Sinne einer Änderung der Praxisstruktur und informellen Vernetzung, müsste dies für die ärztlichen und psycho- logischen Psychotherapeuten sein – zumal psychologische Psychothe- rapeuten parallel auch eine Reihe von Verordnungsbefugnissen er- halten haben wie beispielsweise die Verordnung von Soziotherapie oder die Einweisung in psychothe- rapeutische und psychosomatische Rehakliniken.

Akut kranke Menschen in Krisen- situationen, die nicht in der Lage sind, auf eine Richtlinienpsycho- therapie zu warten, haben jetzt mehr Möglichkeiten?

Waldherr: Die Einführung der Akut- therapie stellt eine deutliche Ver- besserung dar, da durch sie Pa- tienten, die dringend eine Behand- lung brauchen, rascher in Behand- lung kommen. Auch die Möglichkeit, in der Akuttherapie vom eigenen Richtlinienpsychotherapie-Verfah- ren abweichen zu können, stellt für uns eine Bereicherung dar. Aller- dings fehlen bei Kindern und Ju- gendlichen die Stundenkontingen- te für die notwendige Einbeziehung von Angehörigen. Das muss drin- gend nachgebessert werden.

Vogel: Die Nutzung der Akutbe- handlung läuft momentan noch verzögert zur psychotherapeuti- schen Sprechstunde an. Es geht auch hier um die Frage der Kapazi- tät. Die Menge der Behandlungs- plätze hat sich durch die Psycho- therapiereform ja nicht erhöht. Of- fen ist, wie viele Kollegen ihre Pra- xisstruktur verändern, um Akut- therapien anzubieten. Häufigste Anlaufstelle für psychiatrische Notfälle und Krisen werden wohl die psychiatrischen Sprechstun- denpraxen bleiben, die ohnehin schon immer offene Sprechstun- den angeboten haben.

Werden Patienten aus Kapazitäts- gründen oft auf andere Praxen verwiesen und ist es aufwendig, einen Platz bei Kollegen zu orga- nisieren?

Böttcher: Da die Terminvergabe für die Sprechstunde unabhängig von einem verfügbaren Therapie- platz angeboten wird, ergibt sich eine erhöhte Vermittlungsdring- lichkeit an andere Praxen oder die Weitervermittlung an die Termin- servicestelle. Vor allem im ländli- chen Bereich sind lange Wartezeiten die Regel, wobei viele Praxen ver- suchen, durch persönliche Kon- takte zu Kolleginnen und Kollegen Notlagen abzumildern.

Waldherr: Nach meiner Einschät- zung stehen für etwa zwei Drittel der Patienten, welche die Sprech- stunde aufsuchen, keine zeitnahen Kapazitäten für die Behandlung zur Verfügung. Der Aufwand, für diese Patienten einen Platz bei Kollegen zu finden, ist deutlich angestiegen und in der Regel nicht von Erfolg gekrönt, da auch dort oftmals keine freien Plätze vorhanden sind.

Vogel: Es gibt weiterhin eine hohe Nachfrage und auch Indikations- breite für Langzeittherapien. Selbst bei hoher Therapeutendichte wie in München ist es oft schwierig, einen Platz zu finden – insbeson- dere dann, wenn es sich um kom- plexe Krankheitsbilder handelt. Ein Grund für die steigende Nachfrage liegt auch darin, dass sich die Indi- kation für eine Psychotherapie in den letzten Jahren stark verbreitert hat. Viele neue Leitlinien enthalten neben anderen Behandlungsstra- tegien auch differenzierte Indika- tionen für eine Psychotherapie.

Stichwort: Stadt versus Land.

Welche Unterschiede zeigen sich?

Vogel: Zwar zeigen epidemiologi- sche Untersuchungen meines Wis- sens keine wesentlichen Unter- schiede zwischen Stadt und länd- lichen Regionen, aber möglicher- weise ist auf dem Land die Schwelle höher, einen Psychiater oder Psy- chotherapeuten aufzusuchen.

Schwer psychisch Kranke mit so- zialer Desintegration als Folge ihrer Erkrankung sammeln sich aller- dings eher in den Städten. Sollte die Bedarfsplanung endlich auf wissenschaftliche Grundlagen ge- stellt werden, so wäre diese Frage noch einmal gründlich zu untersu- chen.

Böttcher: Die psychotherapeuti- sche Versorgung von Kindern und Der in München

niedergelassene Christian Vogel erweitert das Interview um die Perspektive der Fachärzte für Neurologie, Psy- chiatrie und Psy- chotherapie.

(11)

Jugendlichen ist – was die Warte- zeiten angeht – in städtischen Ge- bieten deutlich besser als auf dem Land. Viele Eltern suchen daher sogar Therapieplätze in der nächst- gelegenen Stadt. Die Bedarfspla- nung entspricht hier nicht dem realen Bedarf – mit negativen Fol- gen für die Patienten. Durch die Sprechstunde ist zwar ein schnel- leres Versorgungsangebot ent- standen, aber kein schnellerer Therapiebeginn. Die Kolleginnen und Kollegen fühlen sich persön- lich mehr unter Druck, bereits kon- taktierte Patienten aufzunehmen, vor allem wenn sie nicht an andere Praxen vermittelt werden können.

Waldherr: Meines Erachtens gleicht sich die Lage in Stadt und Land mehr und mehr an und in länd- lichen Regionen ist eine ähnliche Nachfrage nach psychotherapeu- tischen Behandlungen zu beobach- ten. Allein die Tatsache, dass viele Menschen an ihre Arbeitsstätten pendeln müssen, ergibt eine ge- wisse Verschiebung der Versor- gungsanteile über Mitversorger- effekte.

Mit der Reform sollten auch Gruppenpsychotherapien geför- dert werden.

Waldherr: Tatsächlich wurde für die Gruppenpsychotherapie vieles vereinfacht. Es ist auch ein zuneh- mendes Angebot zu beobachten, weil sich die wirtschaftlichen Be- dingungen verbessert haben. Viele Einzeltherapeuten wollen nun zu- sätzlich die Zulassung für die Gruppenpsychotherapie erwerben.

Der zusätzliche Bürokratieaufwand ist aber der wunde Punkt: Für die Genehmigung einer Gruppenthera- pie muss der Therapeut für jeden einzelnen Gruppenteilnehmer einen entsprechenden Antrag auf den Weg bringen. Das konterkariert natürlich die auf der anderen Seite erfolgten Vereinfachungen etwa bei der Zusammenlegung von Kon- tingenten.

Vogel: Der organisatorische Auf- wand ist tatsächlich hoch. Die Zweiteilung der Kurzzeittherapie sollte daher vereinfacht werden.

Generell hat die Gruppentherapie ein geringeres Ansehen und wird

von vielen Patienten und auch von einigen Kollegen als weniger wert- voll und effektiv eingeschätzt – was allerdings nicht stimmt. Hier ist es Aufgabe der Wissenschaft und der Verbände, offensiv etwas für die Akzeptanz der Gruppen- therapie zu tun!

Frau Böttcher, Herr Waldherr, Herr Dr. Vogel, Ihnen allen vielen Dank für das Gespräch!

Interview Markus Kreikle (KVB)

(12)

Dr. med. Marianne Röbl-Mathieu, niedergelassene Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburts- hilfe aus München, Regionale Vorstandsbeauftragte der KVB für München Stadt und Land

„Den Ansatz der Psychotherapie- reform, den Patientinnen und Pa- tienten einen einfacheren Einstieg in eine Psychotherapie zu ermögli- chen und das Versorgungsangebot besser an ihre Bedürfnisse auszu- richten, finde ich grundsätzlich sehr gut. Für mich persönlich hat sich in

der Praxis jedoch keine unmittelbar spürbare Veränderung ergeben.

Schon bisher hatte ich gute Erfah- rungen mit der Empfehlung an mei-

ne Patientinnen gemacht, sich an die Koordinationsstelle Psychothe- rapie zu wenden.

Natürlich ist es gut zu wissen, dass seit der Reform bei Bedarf noch flexiblere und niedrigschwelligere Vermittlungsmöglichkeiten be- stehen. Auch die verpflichtende telefonische Erreichbarkeit der Psychotherapeuten kann von Vor- teil sein.

Auf der Internetseite der KVB ist dazu unter www.kvb.de in der Rubrik Service/Patienten/Psycho- therapeutische-Versorgung ein de- tailliertes Verzeichnis zu finden.“

Dr. med. Markus Beier, nieder- gelassener Facharzt für Innere- und Allgemeinmedizin aus Erlan- gen, Mitglied der KVB-Vertreter- versammlung und beratenden KVB-Vorstandskommission

„Im hausärztlichen Umfeld hat sich – zumindest gefühlt – an der Ver- mittlungssituation noch nicht viel geändert, da die Möglichkeiten und daraus resultierenden Verbesse- rungen, die nun bei der Vermittlung psychotherapeutischer Termine be- stehen, noch nicht so bekannt sind.

Konkret gibt es ja inzwischen einige neue Angebote, wie die telefonische

Vermittlung, die sehr hilfreich sind.

Dieser Vermittlungsservice ist auch über die Internetseite der KVB zu erreichen und sowohl für uns als auch für unsere Patientinnen und Patienten gedacht.

Grundsätzlich sind die psychothe- rapeutisch tätigen Kollegen seit der

Strukturreform für uns anfragende Ärzte deutlich besser telefonisch zu erreichen. Jetzt sollten wir alle gemeinsam darauf hinwirken, dass die bereits angebotenen Möglich- keiten noch bekannter werden.“

Redaktion

Ist es für niedergelassene Haus- und Fachärzte seit der Strukturreform der ambu- lanten Psychotherapie in Bayern einfacher geworden, für eigene Patienten einen geeigneten Therapieplatz zu finden beziehungsweise ihnen den Weg zu psycho- therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten zu ebnen? Wie niedrigschwellig ist der Zugang zum psychotherapeutischen Versorgungsangebot? KVB FORUM hat einen niedergelassenen Allgemeinmediziner und eine Gynäkologin in eigener Praxis nach ihren aktuellen Erfahrungen gefragt.

PSYCHOTHERAPIEREFORM AUS

HAUS- UND FACHÄRZTESICHT

(13)

D

ie Vermittlungen der neu- en Versorgungsangebote, Erstgespräche im Rahmen der Psychotherapeutischen Sprech- stunde und der sich aus der Abklä- rung gegebenenfalls ergebenden

zeitnah erforderlichen Psychothe- rapeutischen Akutbehandlung sol- len laut Versorgungsstärkungsge- setz über die Terminservicestelle erfolgen.

Die Psychotherapeutische Sprech- stunde und die Akutbehandlung wur- den im Rahmen der Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie durch den Gemeinsamen Bundesaus-

Seit Inkrafttreten der neuen Psychotherapie-Richtlinie im April 2017 werden nun auch psychotherapeutische Erstgespräche und Akutbehandlungen über die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen vermittelt. Ab Oktober dieses Jahres muss zusätzlich auch die Vermittlung von zeitnah erforderlichen probatorischen Sitzungen im Rahmen der Terminservicestelle angeboten werden.

Der folgende Artikel erläutert, wie diese Einrichtung bei der KVB organisiert ist und wie sie von Mitgliedern und Patienten in Anspruch genommen wird.

TERMINSERVICESTELLE PSYCHOTHERAPIE

Terminservicestelle Psychotherapie Servicenummer 09 21 / 7 87 76 55 50 30 Mo, Di, Do 8.00 bis 17.00 Uhr

Mi, Fr 8.00 bis 13.00 Uhr

Psychotherapeutische Sprechstunde Voraussetzung:

  Keine. Eine Überweisung ist nicht notwendig.

Psychotherapeutische Akutbehandlung

(zwölf Sitzungen à 50 oder 24 Sitzungen à 25 Minuten) Voraussetzung:

  Psychotherapeutische Sprechstunde

  PTV 11 mit entsprechender Kennzeichnung

„Akutbehandlung“

Zeitnah erforderliche probatorische Sitzung Voraussetzung:

  Psychotherapeutische Sprechstunde

  PTV 11 mit entsprechender Kennzeichnung

„Zeitnah erforderlich“

Terminierung

  Telefonische Kontaktaufnahme und Terminanfrage bei Psychotherapeuten (zu der von ihnen angegebenen Erreichbarkeit/

200 Minuten pro Woche)

  Die Patienten haben Anspruch auf eine Vermittlung innerhalb von vier Wochen. Die Terminvergabe muss innerhalb einer Woche erfolgen.

Terminvergabe

  Die Terminservicestelle teilt den Patienten die Termine mit einem entsprechenden Hinweis zur Verbindlichkeit mit.

  Der terminvergebende Psychotherapeut legt fest, ob die Terminvergabe zusätzlich durch persönliche Rückmeldung des Patienten beim Psychotherapeuten erfolgen muss.

(14)

schuss mit dem Ziel eingeführt, Menschen mit psychischen Pro- blemen einen schnelleren und niedrigschwelligen Zugang zu einer psychotherapeutischen Versorgung zu ermöglichen.

Die sogenannte Psychotherapeuti- sche Sprechstunde dient dazu, im Rahmen eines Erstgesprächs ab- zuklären, ob der Patient eine The- rapie benötigt oder ob ihm mit an- deren Beratungs- und Unterstüt- zungsangeboten geholfen werden kann. Die Psychotherapeutische Akutbehandlung – bestehend aus zwölf Sitzungen à 50 oder 24 Sitzungen à 25 Minuten – ermög- licht wiederum Menschen in einer konkreten Krisensituation einen direkten Zugang zum Psychothera- peuten ohne lange Genehmigungs- verfahren der Krankenkasse.

Seit Oktober 2018 müssen auch – trotz des intensiven Einsatzes der Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigungen auf Bundesebene und der eingelegten juristischen Mittel über das Bundesschiedsamt – zeitnah erforderliche probatori- sche Sitzungen über die Termin- servicestellen vermittelt werden.

Die Terminservicestelle Psycho- therapie unterstützt Patienten auf Wunsch dabei, so schnell wie mög- lich einen Termin bei einem Psycho- therapeuten zu vereinbaren.

Zu erreichen ist die Terminservice- stelle Psychotherapie telefonisch zu den Servicezeiten unter der Num- mer 09 21 / 78 77 65 – 5 50 30.

Weitere Informationen finden Pa- tienten auch unter www.termin- servicestelle-bayern.de.

Vermittelt werden Termine für

„ Psychotherapeutische Sprechstunden

Vermittlung des für Patienten seit April 2018 verpflichtenden Erstgesprächs zur Abklärung des Behandlungsbedarfs und der Diagnostik

„ Psychotherapeutische Akutbehandlung

Vermittlung zeitnah erforderli- cher Akutbehandlung bei Vor- liegen einer entsprechend ge- kennzeichneten individuellen Patienteninformation PTV 11 (zur Stabilisierung, Umfang:

zwölf Sitzungen à 50 oder 24 Sitzungen à 25 Minuten)

„ Probatorische Sitzungen Vermittlung zeitnah erforderli- cher probatorischer Sitzung, die bei gegebener Indikation und Passung in eine Richtlinien- therapie mündet. Vorliegen einer entsprechend gekennzeichne- ten individuellen Patienten- information PTV 11 notwendig Zur Vermittlung der Terminanfra- gen kontaktiert die Terminservice- stelle entsprechende Psychothe- rapeuten und bittet um einen Ter- min. Je nach Wunsch des termin- gebenden Psychotherapeuten wird der Termin dem Patienten direkt verbindlich mitgeteilt, oder der Pa- tient wird gebeten, den übermit- telten Termin persönlich beim Psy- chotherapeuten zu bestätigen. In jedem Fall gibt die Terminservice- stelle den klaren Hinweis, dass es sich um einen verbindlichen Termin handelt, der gegebenenfalls früh- zeitig abgesagt werden muss.

Zur Vermittlung der Termine für eine zeitnah erforderliche proba- torische Sitzung geht die Termin- servicestelle zusätzlich primär auf diejenigen Mitglieder zu, die freie Kapazitäten bei der Koordinations- stelle Psychotherapie gemeldet haben, da diese Vermittlung idealer-

Koordinationsstelle Psychotherapie

Die Koordinationsstelle ist ein freiwilliges Zusatzangebot der KVB zur Unterstützung von Patienten bei der Suche nach einem Psychotherapieplatz. Für Erwachsene und Kinder beziehungsweise Jugendliche vermittelt sie Kontakte zu Psychotherapeuten, die ihr freie Psychotherapieplätze gemeldet haben.

Unterschied Koordinationsstelle Psychotherapie zur Terminservicestelle Koordinationsstelle Psychotherapie

„ Vermittlung von Psychotherapeutenkontakten für:

„ Probatorische Sitzungen (ohne Dringlichkeitsvermerk auf PTV 11)

„ Richtlinientherapie

„ Freie Kontingente werden durch den Psychotherapeuten gemeldet

„ Terminvereinbarung findet direkt zwischen Psychotherapeut und Patient statt

„ Keine limitierte Zurverfügungstellung von Psychotherapeutenkontakten Terminservicestelle

„ Vermittlung konkreter verbindlicher Termine für:

„ Psychotherapeutische Sprechstunde

„ Psychotherapeutische Akutbehandlung (mit Dringlichkeitsvermerk auf PTV 11)

„ Probatorische Sitzungen (mit Dringlichkeitsvermerk auf PTV 11)

„ Vermittlung innerhalb Vier-Wochen-Frist

„ Vermittlung von maximal zwei Terminvorschlägen

„ Kein Wunschtherapeut

„ Kein Wunschtermin

(15)

459

Grafik 1 Quelle: KVB

Fallentwicklung Terminservicestelle Psychotherapie im Zeitraum von April 2017 bis Juli 2018

konkrete Terminanfragen Psychotherapeutische Sprechstunde Psychotherapeutische Akutbehandlung Start der verpflichtenden Psychotherapeutischen Sprechstunde für Patienten

100 200 300 400 500 600

11 2017 12

2017 01

2018 02

2018 03

2018 04

2018 05

2018 06

2018 07 2018 0

11 6 3 3 5 8 9 9 11

700 800

417

306 542

713

428

312 545

462 450

455 705

04

2017 05

2017 06

2017 07

2017 08

2017 09

2017 10

2017

21 21 14 6 15

3 4

463 468

358 326

416 401 484 489

316

364 341

419 405

302

714

703 596 624

587 615

weise einen freien Therapieplatz voraussetzt. Grundsätzlich vermit- telt die Terminservicestelle bei Be- darf in der Regel nur einmalig einen weiteren Termin.

Inanspruchnahme

Trotz der Bereitstellung von aus- reichend Terminen für die Psycho- therapeutische Sprechstunde und Akutbehandlungen ist die Inan- spruchnahme der Terminservice- stelle Psychotherapie seit dem Start eher gering. Dies steht im Zusam- menhang mit der deutlich verbes-

serten persönlichen telefonischen Erreichbarkeit der Psychothera- peuten.

Monatlich wurden durchschnittlich zirka 400 konkrete Terminanfragen bearbeitet und vermittelt. Mit der seit April 2018 umgesetzten ver- pflichtenden psychotherapeuti- schen Sprechstunde für Patienten vor jeder weiteren psychotherapeu- tischen Versorgung ist die Nach- frage merkbar gestiegen. So stieg bereits im ersten Monat die Anzahl der konkreten Terminanfragen um 70 Prozent.

Zur Inanspruchnahme der seit 1. Oktober 2018 zu vermittelnden zeitnah erforderlichen probatori- schen Sitzungen konnte bis Re- daktionsschluss noch kein aussage- kräftiges Fazit gezogen werden.

Grundsätzlich konnten alle der an- gefragten Termine, sowohl in städ- tischen wie auch ländlichen Regio- nen, fristgerecht vermittelt werden und es kam zu keiner einzigen Ver- mittlung in die ambulante Kranken- hausversorgung.

Stefanie Lind (KVB)

(16)

D

as Angebot hat sich in den letzten Jahren rasant ent- wickelt und ist ähnlich wie seine Begrifflichkeiten unüber- schaubar: Mal ist die Rede von E-Mental-Health, mal von internet- und mobilbasierten Interventionen (IMIs), mal von Online-Therapie.

Dies suggeriert, dass es sich um eine Psychotherapie handeln könnte. Hervorzuheben ist, dass

„Online-Therapien“ derzeit nicht Bestandteil der Regelversorgung sind, sondern lediglich im Rahmen von Forschungsprojekten angebo- ten werden, unter anderem auch wegen berufs- und haftungsrecht- licher Bedenken.

Die Übertragbarkeit von Program- men aus den Niederlanden, Aust- ralien oder Großbritannien ist schwierig, da die Gegebenheiten und Systeme völlig unterschiedlich sind. In Deutschland gehört eine gut funktionierende, hoch qualifi- zierte psychotherapeutische Ver- sorgung zur Regelversorgung und wird weitgehend flächendeckend angeboten.

Breites Angebotsspektrum Bei den Angeboten ist zu unter- scheiden zwischen sogenannten Apps sowie geleiteten oder nicht- geleiteten internetbasierten Inter- ventionen, Videochat-Angeboten und Blended Therapy.

Weiter ist zu unterscheiden zwi- schen präventiven und therapeu- tischen Anwendungen sowie Nach- sorgeprogrammen. Für die etwa 100.000 im Internet frei verfüg- baren Apps zur Anwendung bei Depressionen oder psychischen Beschwerden gibt es bisher keiner- lei Studien zu deren Wirksamkeit, Nutzen und Risiken. Nutzerratings beziehen sich lediglich auf die Be- nutzerfreundlichkeit. Meist ist der Schutz der Daten unzureichend und somit risikobehaftet. Den ent- haltenen Informationen mangelt es häufig an Korrektheit. Die Ver- breitung von Informationen zur Ätiopathogenese und Behandlung von Depressionen ist daher äußerst alarmierend, die Abbrecherquote ist hoch.

Bei den Selbstmanagementpro- grammen gibt es geleitete und nicht- geleitete Interventionen. Meist han- delt es sich um psychoedukative Inhalte, Stimmungsmonitoring oder Selbsthilfe-Tools, häufig Ansätze aus verhaltenstherapeutischen Kon- zepten. Die Programme arbeiten mit Videos oder sind textbasiert.

Die Nutzer erhalten ein auf Algo- rithmen basierendes Feedback und werden so durch das Programm geleitet. Nichtgeleitete Programme haben eine hohe Abbruchquote.

Die geleiteten Programme bieten den Kontakt zu einem „Experten“, dessen Qualifikation nicht eindeu-

tig geregelt ist, wobei es sich übli- cherweise nicht um fertig aus- gebildete Psychotherapeuten han- delt. Diese können per Chat oder Telefon bei Bedarf kontaktiert wer- den, entweder synchron oder zeit- versetzt per E-Mail. Der Experten- kontakt entspricht nicht dem im Rahmen einer üblichen Psycho- therapie, sondern zielt eher auf Verständnisfragen oder Adhärenz- förderung beziehungsweise Moti- vation zur Teilnahme am Programm ab.

Bei der sogenannten Videochat- Therapie, die mittlerweile von einer privaten Klinikkette angeboten wird, findet die Therapiesitzung per Bewegtbild statt und setzt einen persönlichen Erstkontakt zur Dia- gnoseerhebung voraus. Wesentli- che Aspekte einer Face-to-Face- Psychotherapie, wie zum Beispiel Beziehung oder Kommunikations- möglichkeiten, sind im Rahmen einer Videochat-Therapie nur be- grenzt umsetzbar. Im Falle einer Krise bestehen kaum Einwirkungs- möglichkeiten.

Videochat-Therapie sowie internet- basierte Interventionen eignen sich sicherlich für den Einsatz in Krisengebieten, geographisch ab- gelegenen Gebieten oder für Pa- tienten mit Mobilitätseinschrän- kungen.

Die Nutzung des Internets und moderner elektronischer Kommunikationsmedien ist für die meisten Menschen alltäglich geworden. Dies wirkt sich auch auf den psychosozialen Sektor, insbesondere auf die Psychotherapie, aus. Der Trend, der den gegenwärtigen Zeitgeist widerspiegelt, wird unter anderem vom Streben nach größtmöglicher Kosteneffektivität und auch kommerziellen Interessen beeinflusst.

PSYCHOTHERAPIE ONLINE:

VORSICHT GEBOTEN!

(17)

Online-Therapien sind derzeit nicht Bestandteil der Regelversorgung und werden le- diglich im Rah- men von For- schungsprojek- ten angeboten.

Bei der Blended Therapy werden internetbasierte Interventionen, vorwiegend verhaltenstherapeu- tisch, im ambulanten oder statio- nären Setting in eine Face-to-Face- Psychotherapie einbezogen.

Kritik und offene Fragen In der Analyse und Zusammen- schau von Online-Angeboten dür- fen kritische Stimmen nicht unge- hört bleiben. Die Studienlage ist aktuell noch äußerst heterogen.

Es existieren noch keine einheitli-

chen Qualitätsstandards. Es be- stehen Anzeichen, dass die Wirk- samkeit in der Routineversorgung deutlich niedriger ist als im gut strukturierten Studiendesign. Teil- nehmer von Online-Angeboten fül- len zumeist nur einen Selbstein- schätzungsfragebogen aus. Dies ersetzt keinesfalls eine sorgfältige Diagnoseerhebung im persönli- chen Kontakt. Die Gefahr, schwere oder komplexe Störungen zu über- sehen, ist erheblich, auch in Hin- blick auf das unzureichende oder fehlende Notfall- oder Krisenma- nagement. Eigentlich notwendige psychotherapeutische Behandlun- gen werden so nur hinausgezögert oder gar verhindert. Insbesondere die Behandlung von schwereren

psychischen Erkrankungen erfor- dert dringend den persönlichen Kontakt und die Expertise eines Psychotherapeuten.

Es hat sich gezeigt, dass Warte- listenpatienten nur ein geringes Interesse an einer Versorgung durch Online-Interventionen haben. Des- halb darf man nicht zu viel erwar- ten, wenn es darum geht, mit On- line-Angeboten Versorgungslücken zu schließen. Auch Aspekte des Datenschutzes sind häufig nicht transparent.

Ungeklärte Haftungsfragen Bei Apps liegt das Risiko beim Nutzer. Bei Videochat-Therapien und Online-Programmen liegt die Verantwortung für Behandlung und Datenschutz beim behandelnden Arzt oder Psychotherapeut. Einige haftungsrechtliche Aspekte sind ebenfalls noch zu klären.

Online-Anwendungen – auf dem Weg in die Versorgung?

Online-Angebote eignen sich daher eher als präventive Maßnahme oder für Menschen mit psychischen Be- schwerden, die nicht bereit sind, sich in die Behandlung eines Psy- chotherapeuten zu begeben. Sie

sind kein geeignetes Mittel, den Mangel an Psychotherapieplätzen zu beheben. Viele Störungen sowie biografisch determinierte Probleme können nur in einer vertrauensvol- len, persönlichen, therapeutischen Face-to-Face-Beziehung bearbei- tet werden. Aus Sicht der KVB darf man sich der Entwicklung von Online-Angeboten in der Psycho- therapie nicht grundsätzlich ver- schließen, sollte diese aber kritisch verfolgen und analysieren. Hierzu sind weitere, unabhängige Studien zur Wirksamkeit in der Routinever- sorgung sowie die Entwicklung von einheitlichen Qualitätsstan- dards und eine klare Abgrenzung bestimmter Krankheitsbilder not- wendig.

Durch die Tatsache, dass viele Krankenkassen in die Entwicklung von Online-Programmen und Apps investieren, besteht die Gefahr, dass sie ihre Versicherten bewusst in kostengünstige Online-Programme steuern. Die KVB sieht eine fort- schreitende Ökonomisierung der Psychotherapie sowie eine zuneh- mende Fragmentierung der Bezie- hung zwischen Arzt beziehungs- weise Psychotherapeut und Pa- tient kritisch. Einzelne Elemente aus dem Bereich der Online-Inter- ventionen könnten auf Dauer in definierten Situationen in einem Blended Therapy-Ansatz zum Ein- satz kommen. Allerdings müssen auch hier einheitliche Qualitäts- standards gelten. Diagnostik und Therapie müssen in den Händen der Fachexperten, der ärztlichen und psychologischen Psychothe- rapeuten, bleiben und dürfen nicht in Online-Anwendungen ausgela- gert werden. Online-Programme können den menschlichen Psycho- therapeuten nicht ersetzen.

Dr. med. Claudia Ritter-Rupp, Tanja Kreiser (beide KVB)

(18)

D

ie Arbeitsgruppe setzt sich aus niedergelassenen Psy- chotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsycho- therapeuten aller Therapieverfah- ren zusammen und trifft sich in regelmäßigen Abständen.

Im Vordergrund steht dabei die Beobachtung und Analyse des E-Mental-Health-Marktes: Die Ent- wicklungen sind hier rasant und es kommen nahezu täglich neue An- gebote auf den Markt. Die Teilneh- mer recherchieren aktuelle Entwick-

lungen und neue Angebote, stellen sie im Plenum vor, wo sie bespro- chen und diskutiert werden. Hier- unter fallen auch Studien zur Wirk- samkeit von Internet- und mobil- basierten Interventionen, die in der Gruppe kritisch hinterfragt werden.

Aber auch Meinungsbildung, aktive Mitgestaltung und Positionierung gehören zu den Zielen: Welche Aus- wirkungen hat beispielsweise die Zunahme von Internet- und mobil- basierten Interventionen auf die

psychotherapeutische Versorgung?

Welche Gefahren entstehen durch das Fehlen einheitlicher Qualitäts- standards?

Den Blick über den Tellerrand ge- währleistet ein regelmäßiger Aus- tausch mit externen Experten, um die Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.

Erfahrungen sammeln

Um ein differenziertes Bild von In- ternet- und mobilbasierten Inter-

ventionen zu erhalten, hat die Ar- beitsgruppe Anfang des Jahres ver- schiedene Angebote selbst getes- tet und dabei festgestellt, dass die Programme häufig sehr unter- schiedlich funktionieren und auf- gebaut sind. Sehr schnell wurde deutlich, dass eine Online-Inter- vention keine Psychotherapie ist, auch wenn Anbieter dies durch Formulierungen wie beispielswei- se „Online-Therapie“ suggerieren.

Eine Online-Intervention stellt nie-

mals einen Ersatz für eine Face- to-Face-Psychotherapie dar.

Im Mai hatte die Arbeitsgruppe beispielsweise Gelegenheit, sich mit Professor Dr. phil. Florian Steger, Universitätsprofessor und Direktor des Instituts für Ge- schichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm, aus- zutauschen. Steger beleuchtete die Thematik in einem Impulsvor- trag aus medizinethischer Sicht und lieferte in der intensiven Dis- kussion mit der Arbeitsgruppe in- teressante Denkanstöße. Dies galt auch für den Austausch im Sep- tember mit Professor Dr. phil. Ha- rald Baumeister, Leiter der Abtei- lung für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Institut für Psychologie und Pädagogik, Uni- versität Ulm, der Online-Angebote intensiv erforscht.

Ausblick – Was ist geplant?

Die Arbeitsgruppe möchte sich auch in Zukunft mit externen Ex- perten austauschen, beispiels- weise mit Anbietern von Internet- und mobilbasierten Interventio- nen. Im Fokus stehen außerdem juristische Themen, wie zum Bei- spiel Sorgfaltspflicht oder Haf- tung, was im Hinblick auf die Ent- wicklung zur Abschaffung des Fernbehandlungsverbots von höchster Aktualität ist.

Tanja Kreiser (KVB)

Um den offenen Fragen im Bereich der Internet- und mobilbasierten Interven- tionen und deren Auswirkungen auf die ambulante Versorgung zu begegnen, hat sich auf Initiative von Dr. med. Claudia Ritter-Rupp im Herbst 2017 eine Arbeits- gruppe „Onlinebasierte Interventionen in der Behandlung psychischer Erkran- kungen“ gegründet.

BLICK ÜBER DEN TELLERRAND

Florian Steger (zweiter von links) lieferte der Arbeits- gruppe Impulse aus medizin- ethischer Sicht.

(19)

„Wie viel Mensch brauchen wir noch in der Psy- chotherapie? Wie individuell muss eine Psycho- therapie tatsächlich sein? Ist eine Schulenorien- tierung noch zeitgemäß? Die Entwicklung von on- linebasierten Interventionen wirft viele Fragen auf und stellt damit sogar unsere traditionelle Psycho- therapie immer mehr in Frage. Auch wenn die Evi- denzen für zahlreiche onlinebasierte Interventionen durchaus beeindrucken, sollten wir uns davon je- doch nicht zu sehr irritieren lassen. Unsere tradi- tionelle Psychotherapie ist ebenfalls wirksam! Eine Mensch-basierte Psychotherapie ist nicht ersetz- bar. Interaktionelle Probleme und biografische Hintergründe können auch weiterhin nur im „Face- to-Face“-Kontakt bearbeitet werden. Dennoch scheint es sinnvoll, manche entwickelten On- line-Programme in eine Therapie einzubeziehen.

Die weitere Entwicklung sollten wir aktiv mit- gestalten und Qualitätsstandards formulieren. Die Aufklärung über Psychotherapie und die Diagnostik von Krankheitsbildern gehört noch immer in den persönlichen Kontakt mit einem Psychotherapeuten.

In Krisensituationen ist eine professionelle Beglei- tung durch Psychotherapeuten erforderlich. Der Behandlungsplan für Psychotherapie muss bei ein- fachen Krankheitsbildern nicht immer individuali- siert sein. Die therapeutische Beziehung ist min- destens ebenso entscheidend für die Wirksamkeit einer Psychotherapie wie die Schulenorientierung selbst. In diesem Sinne sind die menschlichen Psychotherapeuten weiterhin unverzichtbar.“

Dr. phil. Anke Pielsticker, Psychologische Psychotherapeutin

„Ich bin für eine differenzierte Betrachtung:

Onlinebasierte Interventionen sind in manchen Bereichen wirksam und sinnvoll. Aber die Fach- kompetenz für Diagnostik und Therapieentschei- dung muss meines Erachtens in der Hand der dafür ausgebildeten ärztlichen und Psychologi- schen Psychotherapeuten und Fachärzte bleiben.

Hier tragen wir eine besondere Verantwortung zum Schutz für unsere Patienten und müssen

diese auch öffentlichkeitswirksam über mögliche Gefahren informieren und warnen, wie zum Bei- spiel den Umgang mit sensiblen Daten, Qualifika- tion der Berater und wissenschaftlich anerkannte Verfahren.“

Dr. med. Bettina van Ackern, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapie

„Angesichts der Flut der auf den Markt drängen- den Online-Psychotherapie-Programme erschien es uns in der Online-Arbeitsgruppe wichtig zu prüfen, ob die von der Bundespsychotherapeuten- kammer (BPTK) 2017 beschlossenen Rahmenbe- dingungen bei der Anwendung dieser Verfahren berücksichtigt werden. Die Grundforderungen, die die BPTK erhebt, sind: „Für Aufklärung, Diagnos- tik und Indikation ist ein Gespräch mit einem Psy- chotherapeuten im persönlichen Kontakt unum- gänglich!“ Außerdem ist auf Datenschutz und Datensicherheit zur Gewährleistung der ärztlichen Schweigepflicht und der Intimität psychothera- peutischer Sitzungen unbedingt zu achten (also auf keinen Fall einfach „skypen“). Unserer Sorg- faltspflicht ist in jedem Fall auch durch die Erstel- lung von Krisenplänen gerecht zu werden. (…)

In unserer Arbeitsgruppe warnten vor allem die Psychotherapeuten, die mit Kindern und Jugendli- chen arbeiten, dass in der Generation der „Native Digitals“ viele Jugendliche, die unter Internetsüch- ten leiden oder sich depressiv in den Raum virtu- eller Realität zurückziehen, nicht wirklich erreicht würden, weil die Online-Therapie genau ihrem Be- dürfnis nach Kontaktvermeidung entspricht. Um- so wichtiger erscheint hier der Verweis auf den notwendigen Real-Kontakt.“

Dietrich Winzer, Psychologischer Psychotherapeut Ein ausführlicheres Statement von Herrn Winzer zu der Thematik finden interessierte Leser unter www.kvb.de in der Rubrik Service/Mitglieder- informationen/KVB FORUM.

STIMMEN AUS DER ARBEITSGRUPPE

(20)

I. Berufsrecht – unterschiedliche Regelung für ärztliche und psy- chologische Psychotherapeuten in der Berufsordnung

Berufsrechtlich gelten für ärztliche und psychologische Psychothera- peuten unterschiedliche Regelun- gen.

Bisher bestand für ärztliche Psycho- therapeuten berufsrechtlich ein

„Fernbehandlungsverbot“ derge- stalt, dass eine Behandlung von Patienten über Kommunikations- medien ohne vorherigen persönli- chen Kontakt zwischen Arzt und Patient nicht zulässig war.[1] Der 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt leitete Anfang Mai 2018 eine Wen- de ein und stimmte dafür, dieses bislang geltende Verbot zu lo- ckern.[2] Nach dem neuen § 7 Absatz 4 MBO-Ä soll den Ärzten eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikations- medien im Einzelfall erlaubt sein, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorg- falt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Bera-

tung, Behandlung sowie Dokumen- tation gewahrt wird und die Pa- tientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließ- lichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien auf- geklärt wird [3].

Hiervon zu unterscheiden ist die berufsrechtliche Regelung für die nichtärztlichen Psychotherapeuten, welche die ausschließliche psycho- therapeutische Fernbehandlung über elektronische Kommunika- tionsmedien in begründeten Aus- nahmefällen bereits zulässt, sofern der Kontakt von den Patienten nicht anderweitig herstellbar ist.[4] Diese Vorgabe unterscheidet sich damit wesentlich von der für Ärzte neu geltenden berufsrechtlichen Be- stimmung, indem sie die Zulässig- keit von psychotherapeutischen Fernbehandlungen über elektroni- sche Kommunikationsmedien von vornherein einem sogenannten Subsidiaritätsgrundsatz unterstellt, das heißt nur im Ausnahmefall, wenn keine persönliche Behandlung durchgeführt werden kann, er- möglicht.

II. Die Videosprechstunde als Beispiel für die Fernbehandlung Ein Beispiel für die Fernbehandlung ist die Videosprechstunde bezie- hungsweise -behandlung, auch Videochat genannt, als eine Mög- lichkeit der internetbasierten psy- chotherapeutischen Intervention.

Der Bundesmantelvertrag definiert die Videosprechstunde als eine synchrone Kommunikation zwi- schen Arzt beziehungsweise The- rapeut und Patient über einen Bild- schirm, eine Kamera, ein Mikrofon und einen Lautsprecher als Kom- munikationsmedium (siehe §§ 1, 4 Absatz 1 Anlage 31b zum Bundes- mantelvertrag – Ärzte). Gegenwär- tig wird eine sogenannte „Video- chat-Psychotherapie“ von einigen Krankenkassen im Verbund mit einer privaten Klinikkette im Rah- men von Satzungsleistungen an- geboten.

Hervorzuheben ist, dass derzeit im EBM eine solche Intervention jedoch noch nicht abgebildet ist.

Auch die aktuelle Psychotherapie- Richtlinie sieht diese Form der

Fernbehandlung war lange Jahre im Rahmen der psychotherapeutischen Versorgung von gesetzlich Krankenversicherten kein relevantes Thema. Mit der Änderung der Musterberufsordnung (MBO-Ä) durch

den Deutschen Ärztetag am 10. Mai 2018 hat sich das geändert. Diese Form der mittelbaren Behandlung wird auch für die Psychotherapie diskutiert. Den rechtlichen Rahmen einer solchen psychotherapeutischen Intervention gibt zunächst das Berufsrecht vor.

FERNBEHANDLUNG – AUCH IN DER

PSYCHOTHERAPIE?

RECHT INTERESSANT

Referenzen

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