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FORUM-10-2017-Titelthema-Einstieg-Versorgungsforschung

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K VB FORUM 10/2017

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Der Begriff Versorgungsforschung ist in letzter Zeit in aller Munde. Doch was genau versteht man darunter? Welche Player mischen mit und was ist hierbei die spezielle Funktion einer Kassenärztlichen Vereinigung? Welche Potenziale muss eine gelungene Versorgungsforschung aufweisen? Und wie sollten diese optimalerweise genutzt werden? Ebenso wichtig: Welche Rolle kommt dabei den bayerischen Praxen zu? KVB FORUM ist den wesentlichen Fragen nachgegangen.

DIE KVB ALS WICHTIGER PLAYER DER VERSORGUNGSFORSCHUNG

D

as deutsche Gesundheits- system erlebt derzeit einen tiefgreifenden Wandel. Die Herausforderungen einer alternden Bevölkerung, der rasche medizini- sche Fortschritt und eine zuneh- mende Digitalisierung der Gesell- schaft haben zur Folge, dass neue Lösungen für die zentralen Fragen der Versorgung gesucht werden müssen. Wissenschaftliche Insti- tute, Krankenkassen und Kassen- ärztliche Vereinigungen ringen um neue Versorgungs- und Analysepro- jekte und um entsprechende Förder- mittel in Millionenhöhe. Die Politik ist deshalb gefragt, die Versorgungs- forschung als einen integralen Be- standteil des Gesundheitswesens finanziell zu unterstützen. Aber was genau versteht man unter dem Be- griff Versorgungsforschung und welche Relevanz hat sie für die KVB?

„Versorgungsforschung ist ein fach- übergreifendes Forschungsgebiet, das die Kranken- und Gesundheits- versorgung und ihre Rahmenbe- dingungen beschreibt und kausal erklärt, zur Entwicklung wissen- schaftlich fundierter Versorgungs- konzepte beiträgt, die Umsetzung neuer Versorgungskonzepte be- gleitend erforscht und die Wirk- samkeit von Versorgungsstruktu- ren und -prozessen unter Alltags- bedingungen evaluiert.“[1]

Ausführungen zum Thema Versor- gungsforschung beginnen oft mit einer präzisen Definition, die diese Tätigkeit genau beschreibt und von anderen Forschungsfeldern ab- grenzen soll. Auch wenn dies hilf- reich ist, so besteht die Gefahr, dass solche Definitionen eine sehr einfache Tatsache verdecken. Näm- lich die, dass die Dokumentation und Analyse des realen Versor- gungsgeschehens ein hohes Poten- zial für dessen Verbesserung be- sitzt. Bereits Mitte des 19. Jahr- hunderts erkannte die englische Krankenschwester und Statistikerin Florence Nightingale [2] die Not- wendigkeit, Versorgungsdaten systematisch zu erfassen und ge- zielt auszuwerten. Ihre Argumen- tation, die durch innovative Grafi- ken wirkungsvoll visualisiert ist, hat die Verbesserung der Krankenhaus- hygiene bewirkt und dadurch un- zähligen Menschen das Leben ge- rettet. Zudem konnte Nightingale das Potenzial der Daten eindrucks- voll nachweisen und so zu einer neuen Kultur der Versorgungsfor- schung inspirieren.

Pragmatische Tätigkeit Die Versorgungsforschung ist im Grunde eine sehr pragmatische Tätigkeit. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie sich für die

Realität des alltäglichen Gesund- heitssystems interessiert. Während klinische Studien unter streng kon- trollierten Bedingungen durchge- führt werden, sind es gerade die

„Störfaktoren“, zum Beispiel die Multimorbidität, das Verhalten der Patienten oder komplexe Anreiz- systeme, die die Versorgungsfor- schung ausdrücklich berücksichti- gen will. Als angewandte Wissen- schaft bedient die Versorgungs- forschung ein breites Feld und setzt das interdisziplinäre Mitwir- ken von Ärzten, Gesundheitsöko- nomen, Epidemiologen, Sozialwis- senschaftlern, Geografen und Sta- tistikern voraus, um nur die wich- tigsten Player zu nennen.

Ein ganz wesentliches Mittel der Versorgungsforschung ist die Ana- lyse von Daten. Es gibt unterschied- liche Datenquellen, zum Beispiel Studiendaten, die zu einer konkre- ten Fragestellung erhoben werden.

Oder Routinedaten, die unter an- derem für administrative Zwecke wie die Abrechnung erhoben wer- den. Da die Routinedaten umfang- reich und in hoher Qualität im deutschen Gesundheitssystem er- hoben werden, ist ihre weiterge- hende Nutzung naheliegend. Die Routinedaten der KVB stellen eine äußerst wichtige Grundlage für die Versorgungsforschung dar. Aus

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TITELTHEMA diesem Grund beteiligt sich die

KVB bereits seit vielen Jahren an diversen Studien der Versorgungs- forschung. Die Fragestellungen sind vielfältig und decken prinzipiell alle Aspekte der ambulanten Ge- sundheitsversorgung ab. Im Folgen- den wird anhand von Beispielen erläutert, was die KVB zu den un- terschiedlichen Teilbereichen der Versorgungsforschung beiträgt.

Gesundheitsökonomie

Die Gesundheitsökonomie beschäf- tigt sich mit der Frage, wie sich knappe Ressourcen im Gesund- heitswesen effektiv einsetzen las- sen. Sie hat somit eine hohe stra- tegische Relevanz für die Positio- nierung der KVB. Aus den zahlrei- chen Analysen und Studien sollen hier stellvertretend zwei Gutach- ten erwähnt werden:

Gutachten 1: In Zusammenarbeit mit Professor Dr. rer. pol. Günter Neubauer vom IfG – Institut für Gesundheitsökonomik in Neuher- berg – wurde die bessere Oppor- tunität untersucht [3]. Es ging in dieser Untersuchung um die fach- ärztlichen Verdienstmöglichkeiten je nach Tätigkeitsbereich und um die Konkurrenzfähigkeit der ver- tragsärztlichen Tätigkeit sowie die Auswirkungen auf die ambulante Versorgung. Das Ergebnis belegt, dass die Vergütung der Vertrags- ärzte spürbar aufgewertet werden muss.

Gutachten 2: Der Frage „Gibt es in Bayern eine besonders gute ärztli- che Versorgungsstruktur – und wenn ja, sollen die Krankenkassen für diese bessere ambulante Ver- sorgung zahlen?“ geht die Unter- suchung der Professoren Dr. med.

Saskia Drösler, Dr. med. Benno Neukirch, Dr. rer. oec. Volker Ulrich und Dr. rer. pol. Eberhard Wille nach. Das Gutachten [4] zeigt, dass Bayern ein gutes Beispiel für

die praktische Umsetzung des ge- setzlich verankerten Grundsatzes ist, nachdem die ambulante Versor- gung Vorrang vor der stationären haben soll. Dieses Versorgungsan- gebot sollte unterstützt und geför- dert werden. Zudem bietet die Un- tersuchung völlig neue Erkenntnis- se über die Unterschiede in der medizinischen Arbeitsteilung zwi- schen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern innerhalb Bayerns.

Versorgungsqualität

Die Einführung der Disease Ma- nagement Programme (DMP) im Jahr 2003 war nicht unumstritten.

Zum ersten Mal wurde jedoch ein dauerhafter und kontinuierlicher Prozess der Qualitätsverbesserung in Gang gesetzt. Auch heute stellt die DMP-Dokumentation sowohl im Rahmen des ärztlichen Feed- backwesens als auch bei der Weiter- entwicklung der Programme eine wichtige Informationsquelle dar. In Kooperation mit Prof. Dr. med. An- tonius Schneider vom Lehrstuhl für Allgemeinmedizin, Klinikum rechts der Isar, München konnte die KVB aufzeigen, dass dieses Engagement tatsächlich zu einer Verbesserung der Behandlungsqualität geführt hat (Referenzen: Asthma, COPD, DMP-Evaluationen) [5-7]. Unabhän- gig von den DMP nimmt die KVB aktuell beispielhaft die Versor- gungssituation von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz unter die Lupe. Mehr dazu auf Seite 18.

Medizin und Pharmako- epidemiologie

Routinedaten finden in der medizi- nischen Forschung immer mehr Anwendung. Sie bieten eine Pers- pektive, nämlich eine populations- basierte Verlaufsbeobachtung un- ter reellen Bedingungen, die bei randomisierten Kontrollstudien und Primärerhebungen fehlt. Auf

Grundlage der KVB-Daten konnten zahlreiche Studien in renommier- ten internationalen Magazinen ver- öffentlicht werden, darunter im Deutschen Ärzteblatt, im Journal of the American Medical Associa- tion, in Diabetologia sowie in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift

„Gut“ [8-11]. Solche Studien berei- chern die medizinische Literatur und die Ergebnisse fließen letzt- endlich über die Leitlinien in die klinische Praxis zurück.

Epidemiologie

Kenntnisse über die Inzidenzen und Prävalenzen von Erkrankungen bilden eine elementare Grundlage für die Gestaltung des Gesundheits- systems. Die in den Abrechnungs- daten enthaltenen ICD-Diagnosen sind zu einer bedeutsamen Quelle für solche Schätzungen geworden und führen nicht selten zu Überra- schungen. Im Jahr 2014 konnte zum Beispiel eine Studie des Bundes- versicherungsamts [12] zeigen,

Die richtige Ver- knüpfung und Interpretation aller Gesund- heitsdaten unter Wahrung des Datenschutzes ist für eine zu- kunftsorientierte Versorgungsfor- schung unerläss- lich.

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dass die Prävalenz der Multiplen Sklerose (MS) viel höher liegt als bislang gedacht. Unter der wissen- schaftlichen Leitung von Prof. Dr.

med. Bernhard Hemmer, Direktor der Neurologischen Klinik der Technischen Universität München, geht die KVB dieser Frage auf die Spur.

In einer anderen Studie [13] wur- den die Auswirkungen der Tyrosin- kinase-Inhibitoren (TKI) in der The- rapie der chronisch myeloischen Leukämie (CML) auf die Verord- nungsausgaben, das Überleben der CML-Patienten und Implikationen für die ambulante Versorgung un- tersucht. Durch das verlängerte Überleben einerseits und die Alte- rung der Gesellschaft andererseits (CML tritt vor allem bei älteren Men- schen auf) ist eine deutlich steigen- de Prävalenz der CML festzustellen.

Dies ist von großer Relevanz, un- ter anderem deshalb, da der Ein- satz der TKI mit direkten Kosten von vierzig- bis siebzigtausend Euro pro Jahr und Patient verbun- den ist, die TKI-Therapie eine dauer- hafte ist und bisher keine gesicher- ten Daten zur Prävalenz der CML in Deutschland vorlagen.

Zugang und Erreichbarkeit der Versorgung

Zu den Kernaufgaben der KVB zählt die Sicherstellung einer wohnort- nahen Versorgung. Auch hier spie-

len Versorgungsanalysen eine zen- trale Rolle. Zur Unterstützung der Bedarfsplanung steht der KVB ein detailliertes Geographisches Infor- mationssystem (GIS) zur Verfügung.

Diese Daten ermöglichen es, Pa- tientenströme zu analysieren, Er- reichbarkeitsanalysen durchzufüh- ren und so die bestmögliche Um- setzung der Bedarfsplanungsricht- linie zu erreichen.

Datenschutz und Datennutzung Als Hüter hochsensibler Versor- gungsdaten trägt die KVB in ho- hem Maße die Verantwortung für den Schutz der Daten. Versorgungs- analysen basieren stets auf anony- misierten Daten und werden mit- unter streng kontrolliert. Selbst in anonymisierter Form verbleiben die Versorgungsdaten während der Analyse in der KVB. Mit dem Be- sitz von Versorgungsdaten trägt die KVB jedoch auch eine beson- dere Verantwortung für ihre effek- tive Nutzung zum Wohle der baye- rischen Ärzte und Patienten (siehe Infokasten). Die KV Bayerns hat daher einen Leitfaden für die Durch- führung von Projekten der Versor- gungsforschung erstellt, um strin- gente und für die ambulante Ver- sorgung nützliche Projekte zu un- terstützen. Aus diesem Grund hat der Vorstand der KVB eine beson- dere Einrichtung ins Leben gerufen – das Wissenschaftliche Board, siehe Seite 9 –, die die Versorgungs-

forschung der KV Bayerns beratend unterstützt.

Die KVB als Hauptakteur in der Versorgungsforschung Eine Kassenärztliche Vereinigung hat zahlreiche Aufgaben zu bewäl- tigen. Viele davon, wie zum Bei- spiel die Abrechnung, sind funda- mental wichtig für den Erhalt eines funktionieren Versorgungssystems.

Eine Kassenärztliche Vereinigung ist jedoch viel mehr als ein opera- tiver Dienstleister oder Umsetzungs- gehilfe von Bundesvorgaben. Die KVB hinterfragt, analysiert, bewer- tet und macht Verbesserungsvor- schläge, unter anderem auch zur Versorgung, immer da, wo es für die Patienten und für die Ärzte nützlich ist, wo das Gesundheits- system Schwächen aufweist. In- formationen in Form von Daten sind ein wesentliches Element die- ser Tätigkeit. Doch die KVB verfügt nicht nur über einen einmaligen Bestand an Routinedaten, sondern auch über die notwendige Experti- se, um daraus valide Erkenntnisse gewinnen zu können. Versorgungs- forschung ist für die KV Bayerns also kein Selbstzweck. Sie dient vielmehr als objektive und wissen- schaftlich fundierte Entscheidungs- grundlage für die Weiterentwick- lung der ambulanten Versorgung.

Die KVB hat die Daten, die Kom- petenz und die Nähe zur Praxis.

Ihre aktive Beteiligung an der Ver- sorgungsforschung stellt sicher, dass die besonderen Bedürfnisse der ambulanten Versorgung in Bayern berücksichtigt werden.

Dr. rer. biol. hum. Martin Tauscher, Dr. rer. biol. hum. Roman Gerlach, Ewan Donnachie (alle KVB)

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Die Versorgungsdaten der KVB

Die KVB verfügt über einen einzigarten Datenschatz, dessen stra- tegisches Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft ist. Die ambu- lanten Routinedaten beinhalten:

„ Abrechnungsdaten seit 2003 bis heute

„ Leistungen und Diagnosen im ambulanten Bereich

„ anonymisierte Patienteninformation, zum Beispiel nach Alter und Geschlecht

„ Verordnungsdaten der Apothekenrechenzentren

„ DMP-Dokumentationsdaten Das Literatur-

verzeichnis zu diesem Artikel finden Sie unter www.kvb.de in der Rubrik Service/Mitglie-

der-Informa- tionen/KVB FORUM/Litera- turverzeichnis.

Referenzen

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