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FORUM-7-2017-Titelthema-Interview-Altiner-Bader

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TITELTHEMA 20

K VB FORUM 7/2017

Herr Professor Altiner, wo steht Deutschland im internationalen Vergleich bei der Verordnung von Antibiotika und bei welchen Infektionskrankheiten werden Antibiotika häufig eingesetzt?

Deutschland ist im internationalen Vergleich kein Hochverordnungs- land für Antibiotika, sondern be- wegt sich im unteren Drittel der Industriestaaten. Bei uns werden die Medikamente jedoch relativ früh und als Breitspektrumantibio- tika eingesetzt. Die häufigste Indi- kation sind Atemwegsinfekte, dann erst folgen mit großem Abstand Harnwegsinfektionen. Antibiotika werden weltweit in der Human- medizin, aber auch in der Tiermast eingesetzt. Ähnlich wie beim glo- balen Klimawandel sind die Folgen

Verordnungsdruck bei Antibiotika im Bereich Atemwegsinfektionen kennen viele Ärzte. Es entsteht Stress für Patient und Arzt. Eine gemeinsame Entscheidungs- findung führt dagegen – so Studienergebnisse der Universität Rostock – sehr häufig zu weniger Verschreibungen. Professor Dr. med. Attila Altiner, Direktor des dortigen Instituts für Allgemeinmedizin, erklärt im Interview, warum das so ist.

„DIE ERWARTUNG DER PATIENTEN IST OFT GANZ ANDERS“

des Einsatzes aber nicht regional beschränkt. Das heißt, der Selek- tionsdruck auf die Erreger und die dadurch entstehenden Resistenzen betreffen uns alle. Deshalb sind wir meiner Meinung nach zu einem

verantwortungsvollen Umgang mit diesen Medikamenten, die hoch- wirksam sind und die letztendlich Leben retten können, verpflichtet.

Die Arzt-Patienten-Kommunika- tion im Zusammenhang mit Anti- biotika ist ein Schwerpunkt Ihrer universitären Forschungsarbeit.

Welche Rolle spielt dabei die so- genannte „gemeinsame Entschei- dungsfindung“?

Seit Ende der achtziger Jahre gab es für Ärzte vermehrt wissens-

basierte Fortbildungen zu Antibio- tika und der Notwendigkeit, sie nur dann zu verordnen, wenn es wirk- lich sinnvoll erscheint. Das Ver- ordnungsverhalten änderte sich allerdings kaum. Es lag nahe, den Blick von der rein rationalen medi- zinischen Seite auf das Arzt-Patien- ten-Gespräch zu lenken, wie es täglich millionenfach in Deutsch- lands Praxen stattfindet. Unsere Forschungen haben ergeben, dass die Ärzte die Erwartungshaltung ihrer Patienten bezüglich einer An- tibiotikaverordnung – insbesonde- re bei Atemwegsinfekten – regel- mäßig überschätzen. Zweifellos ist es so, dass sich die Patienten um ihre Gesundheit sorgen, unter Stress stehen und diesen Druck dem Arzt auch so kommunizieren.

Dass der Arzt hier einen Konflikt vermeiden will, ist nachvollziehbar und vollkommen berechtigt. Viele Kollegen – so unsere Untersuchung – fühlen sich dann durch eine Ver- ordnung auf der „sicheren“ Seite.

Wir haben allerdings auch festge- stellt, dass zwei Drittel der Patien- ten tatsächlich keine Verordnung von Antibiotika wünschen, wenn die Erwartung der Patienten durch den Arzt ergebnisoffen exploriert wird. Die „gemeinsame Entschei- dungsfindung“ von Arzt und Patient kann also allein schon zu einer enormen Reduktion von Verord- nungen führen. Das Modellprojekt Attila Altiner ist

seit 2009 Direk- tor des Instituts für Allgemein- medizin der Universität Rostock. Seine Forschungs- schwerpunkte liegen unter an- derem in der Arzt-Patienten- Kommunikation und der rationa-

len Pharmako- therapie.

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21 TITELTHEMA

K VB FORUM 7/2017

Bis zu 700 Tonnen Antibiotika werden in der Humanmedizin bundesweit pro Jahr eingesetzt. 85 Prozent davon verordnen die niedergelassenen Ärzte, wobei besonders der Verbrauch von Cephalosporin Sorgen macht. Die Folge: Selek- tionsvorteile für multiresistente Erreger – die Wirksamkeit der Antibiotika ist in Gefahr. Der Innovationsfonds fördert Projekte, die sich dieser Problematik annehmen: RESIST und ARena.

ANTIBIOTIKA: EIN KOSTBARES GUT VOR MRSA UND Co. SCHÜTZEN!

D

er aktuelle Bericht über den Antibiotikaverbrauch und die Verbreitung von Resis- tenzen in Deutschland – GERMAP – nennt für das Jahr 2014 in der Humanmedizin insgesamt 45 Mil- lionen Verordnungen von Antibio- tika mit 448 Millionen Tagesdosen (DDD). Als Einzelwirkstoff wird Amoxicillin (85 Millionen DDD) am häufigsten verordnet, gefolgt von Cefuroxim (55 Millionen DDD). Den stärksten Anstieg in den letzten zehn Jahren als Einzelsubstanz hatte Cefuroximaxetil als Zweitgenera- tions-Oralcephalosporin, obwohl es in keiner deutschen Behandlungs- leitlinie das Mittel der ersten Wahl ist. Im Vergleich zu anderen euro- päischen Ländern liegt Deutsch- land mit einer ambulanten Verord- nungsdichte von unter 16 DDD Ge-

samt-Antibiotika pro 1.000 GKV- Versicherten und Tag im unteren Drittel. Die Niederlande sind mit weniger als elf DDD am besten [1].

Zi-Versorgungsatlas

Das Zentralinstitut für die kassen- ärztliche Versorgung in Deutsch- land (Zi) berichtet im Portal Ver- sorgungsatlas ebenfalls über den Antibiotikaeinsatz in der ambulan- ten Versorgung [2]. Für den Zeit- raum 2008 bis 2014 ergaben die Auswertungen folgende Resultate (siehe auch Abbildung 1):

„ Die Antibiotikaverordnungs- dichte ist quantitativ weitgehend unverändert (Altersgruppen über 14 Jahren).

„ Bei den unter 15-Jährigen zeigt sich bundesweit ein statistisch

signifikanter Rückgang (- 6,7 Prozent jährlich).

„ Es gibt deutliche regionale Un- terschiede im Verordnungsver- halten: In den alten Bundeslän- dern, insbesondere im Westen und Südwesten, kommen mehr Antibiotika als in den neuen Ländern zum Einsatz.

„ Cephalosporine: signifikanter Anstieg der Verordnungsdichte bundesweit (+ 7,6 Prozent jähr- lich).

„ Fluorchinolone: signifikanter Rückgang bei den über 70-Jäh- rigen in 13 Bundesländern, über alle Altersgruppen ausgewertet bundesweit aber nur leicht rück- läufiger Trend.

„ Antibiotikaverordnung bei einzel- nen Infektionsarten: Insbeson- dere bei Infektionen der oberen RESIST liefert hierzu ein schlüssi-

ges Konzept. Für den Patienten ist unter anderem die Klärung wichtig, was zu tun ist, wenn die Symptome nicht abklingen.

Wir haben darüber hinaus auch Instrumente wie die verzögerte Verordnung untersucht. Hier be- kommt der Patient ein Rezept mit dem Hinweis, es nur dann einzulö-

sen, wenn sich nach einem Tag sein Gesundheitszustand nicht gebes- sert hat. Das sogenannte „Infozept“

hingegen – also eine verständliche Information beispielsweise zu einer Atemwegserkrankung – greift das Ritual einer Verschreibung auf und lässt den Patienten dadurch nicht mit leeren Händen aus der Praxis gehen. Diese Zuwendungsgeste kann individuell sinnvoll sein und

wird in den untersuchten Praxen ganz unterschiedlich gehandhabt.

Einige sind davon sehr überzeugt, andere setzen sie nur gelegentlich als Add-on ein.

Herr Professor Altiner, vielen Dank für das Gespräch!

Interview Markus Kreikle (KVB)

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TITELTHEMA 22

K VB FORUM 7/2017

Atemwege zeigt sich ein deutli- cher Rückgang (2010 bis 2014);

im Bundesdurchschnitt bei Atem- wegsinfektionen inklusive Bron- chitis erhielten 30,6 Prozent al- ler Patienten Antibiotika (2009).

„ Europäische Qualitätsindikato- ren für Antibiotikaverordnung bei Atemwegsinfektionen inklu- sive Bronchitis: maximal 30 Pro- zent, bundesweite Spanne: 22 bis 38 Prozent; Fluorchinolon- Verordnung: maximal fünf Pro- zent, bundesweite Spanne: sechs bis knapp 15 Prozent. Bayern liegt hier jeweils im Mittelfeld.

Fazit aus diesen Daten: Erfreulich ist der Rückgang der Antibiotika- verordnungen bei Kindern und Ju- gendlichen. Bei der großen Gruppe der Erwachsenen sieht man aber keine große Veränderung.

Der in allen Bundesländern ausge- prägte Verordnungsanstieg bei den Cephalosporinen erfordert beson- dere Aufmerksamkeit hinsichtlich der Resistenzentwicklung und mög- licher Clostridium difficile-Erkran- kungen. Der rückläufige Verord- nungstrend für Fluorchinolone bei älteren Patienten ist auch in dieser Hinsicht positiv zu beurteilen. Eine

weitere Reduktion ist auch bei jün- geren Erwachsenen anzustreben, um diese Wirkstoffe als Reserve- Antibiotika für schwere und lebens- bedrohliche Infektionserkrankun- gen zu erhalten.

Auswirkung auf Resistenzen Vor allem Cephalosporine der zweiten und dritten Generation so- wie Fluorchinolone sind als Breit- spektrum-Antibiotika auch beson- ders relevant für die Selektion von Problemerregern wie MRSA und die multiresistenten Gram-negati- ven Bakterien, insbesondere bei Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae, aber auch bei ande- ren Enterobakterien, Acinetobac- ter und Pseudomonaden. Gerade die Gruppe der 3MRGN [3] profi- tiert vom Selektionsvorteil beim Einsatz von Antibiotika dieser Wirk- stoffgruppen in der Human- wie in der Veterinärmedizin. 3MRGN und 4MRGN (zusätzliche Resistenz ge- gen Carbapeneme) nehmen global, aber auch in Deutschland in den letzten Jahren stark zu. Bei Infek- tionserkrankungen durch diese Erreger sind die Möglichkeiten für eine wirksame Antibiotikatherapie nur noch begrenzt.

RESIST und ARena

Im Rahmen dieser Innovationsfonds- Projekte (siehe auch Seiten 16 bis 19) sollen diverse Instrumente zur Optimierung des Verordnungsver- haltens in der vertragsärztlichen Versorgung bei häufigen Infektions- arten wissenschaftlich evaluiert werden. Leitfäden zur rationalen Antibiotikatherapie [4] werden da- bei zur wissensbasierten Fortbil- dung der Ärzte eingesetzt. Die Kommunikation zwischen Patien- ten und Arzt beziehungsweise Me- dizinischen Fachangestellten zu einer Behandlung mit oder ohne Antibiotika nimmt großen Raum ein. Durch Öffentlichkeitsarbeit soll allgemeines Wissen zu den Themen Antibiotika und Resisten- zen vermittelt werden. Die beiden Projekte weisen bei Inhalten, Um- fang und den angewandten Strate- gien wesentliche Unterschiede auf.

Sie haben als Gemeinsamkeit aber beide das Ziel, die ambulant täti- gen Ärzte bei der oft nicht einfa- chen Entscheidung für oder gegen eine Antibiotikatherapie zu unter- stützen.

Dr. med. Lutz Bader (KVB)

Definierte Cephalosporin-Tagesdosen (DDD) pro 1.000 GKV-Versicherte zwischen 15 und 69 Jahren nach Bundesländern

< 400 400 bis < 600 600 bis < 800 800 bis < 1.000 1.000 und mehr

Definierte Fluorchinolon-Tagesdosen (DDD) pro 1.000 GKV-Versicherte, die 70 Jahre und älter sind, nach Bundesländern

< 900 900 bis < 1.000 1.000 bis < 1.100 1.100 bis < 1.200 1.200 und mehr

2008 2014 2008 2014

Abbildung 1 Quelle: Bätzing-Feigenbaum J, Schulz M, Schulz M, Hering R, Kern WV: Antibiotikaverordnung in der ambulanten Versorgung.

Dtsch Ärztebl Int 2016; 113: 454–9. DOI: 10.3238/ärztebl.2016.0454 und versorgungsatlas.de, Newsletter 2/2016 Das Literatur-

verzeichnis zu diesem Artikel finden Sie unter www.kvb.de in der Rubrik Service/

Mitglieder-Infor- mationen/

KVB FORUM/

Literaturver- zeichnis.

Referenzen

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