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Perspektivwechsel
Mitarbeiter von nachsteuerndem zu vorausschauendem Verhalten führen
Qualität ist mehr als ein fehlerfreies Produkt oder ein stabiler Prozess. Nicht nur technische, sondern auch ver haltensbedingte Fehler verursachen Fehlerkosten. Das macht den Menschen zur größten Chance – aber auch zum Risiko eines auf den Kunden ausgerichteten Qualitätsmanagements. Ein Unternehmen aus der Automatisierungs
branche hat eine Qualitätsinitiative ins Leben gerufen mit dem Ziel, Qualität in allen Bereichen zu leben.
Ulrich Retter, Hannah Weißner und Ulrike Hole
I
n allen Branchen gehen die technischen Fehler zurück, während menschlich verursachte Fehler den größeren Teil aller Fehler ausmachen. Bewährte Qualitäts
werkzeuge wie Six Sigma oder Poka Yoke betrachten und greifen in Prozesse und Produkte ein. Diese Werkzeuge erfassen jedoch nicht die Mitarbeiter, im Gegenteil, man versucht, sie eher herauszunehmen.
Das geht aber nicht vollständig und über
all. Der menschliche Faktor also bleibt unberührt und damit auch die Fehler, die durch Menschen entstehen.
Dabei sind menschliche Fehler, die hohe Fehlerkosten erzeugen, weit verbrei
tet. Diese Fehlerkosten, die nicht durch vermeintlich bekannte Gründe wie Ver
schrottungen, Nacharbeit etc. verur
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AUTOREN
Ulrich Retter, geb. 1966, ist Leiter Corpo rate Quality and Environment bei der Festo AG & Co. KG, Esslingen.
Hannah Weißner, geb. 1988, und Ulrike Hole, geb. 1961, arbeiten im Bereich Corporate Quality and Environment Aware ness and Training bei Festo.
KONTAKT
Ulrich Retter T 0711 347-3215 ulrich.retter@festo.com
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INFORMATION & SERVICE
gruppe (Bild 2). Basis ist eine ganzheitliche Sicht auf das Thema Qualität, welches aus drei Dimensionen besteht: Produktquali
tät, Prozessqualität und Unternehmens
qualität. Der Mensch steht im Mittelpunkt der Qualitätsüberlegungen; Qualitätsma
nagement und Methoden aus der Personal
entwicklung werden so vereint.
Kunden sehen mehr als das Produkt Die Qualitätsinitiative setzt mit mehreren Hebeln an. Ein Grundpfeiler ist dabei die Arbeit mit Risiken und Verhaltensmustern.
Es soll eine Verhaltensänderung in puncto Qualität erreicht werden. Durch eine offene Lernhaltung auf allen Seiten können Risi
ken entdeckt werden. Im Mittelpunkt steht immer, die Kundenerwartungen zu erfüllen und ein Denken aus Kundensicht zu eta
blieren. Dafür braucht es Führungsverant
wortung in Richtung Qualitätsbewusst
sein. Hinzu kommt die fachliche Qualifizie
rung an den Stellen, an denen sie gebraucht wird. Qualität wird zum Tagesthema ge
macht und „vom Staub“ befreit. Alle Mitar
beiter sollen sich der Bedeutung der Unter
nehmensqualität bewusst werden. Dazu wird Qualität mit allen großen unterneh
mensweiten Projekten und Initiativen ver
zahnt. Die Qualitätsinitiative will so Mitar
beiter von nachsteuerndem zu voraus
schauendem Qualitätsverhalten führen.
Immer komplexere Produkte ziehen auch immer komplexere Prozesse sowie Kontroll und Steuerungsmethoden nach sich. Die klassischen Methoden dienen dazu, Fehler auszumerzen. Aber sie neh
men den Mitarbeitern zum Teil auch die eigene Verantwortung und Aufmerksam
keit, auf neue Fehlersituationen zu reagie
sacht werden, sondern durch schwer mess
bare Faktoren wie schlecht vorbereitete Meetings, unzureichende oder fehlende Kommunikation. Kunden, die nicht wieder oder erst gar nicht kaufen, sind in der Regel einem mangelnden Qualitätsbewusstsein der Mitarbeiter und Führungskräfte ge
schuldet.
Das schwäbische Automatisierungsun
ternehmen Festo hat das auch bei sich er
kannt und eine Qualitätsinitiative ins Leben gerufen. Auch bei Festo zeigten die Statisti
ken, dass das Gros der Fehler nicht allein technisch begründbar war. Durch Qualitäts
analysen und Auswertungen von Reklamati
onen wurde sichtbar: Der entscheidende Faktor ist der Mensch. Einerseits sind die Mitarbeiter die Erfolgsgaranten, anderer
seits jedoch auch die Risikofaktoren (Bild 1).
In den Analysen wurde auch sichtbar, dass das Phänomen nicht nur in der Produktion auftritt. In allen Bereichen des Unterneh
mens treten menschlich bedingte Fehler auf, die Ursachen für Reklamationen sind bzw.
zur Unzufriedenheit der Kunden führen.
Daher ist auch in allen Bereichen ein Be
wusstsein für Qualität notwendig. Was die beste Qualität ist, bestimmt letztendlich der Kunde. Dieser sieht nicht nur das Produkt als solches, sondern auch die Dienstleistung, die Kommunikation mit ihm, die Begegnung bei einem Messeauftritt oder wie schnell seine Anfragen beantwortet werden.
Die Qualitätsinitiative bei Festo starte
te vor fünf Jahren als Projekt und wird heu
te von einer etablierten Abteilung betreut.
Ziel der Initiative ist die Steigerung des Qualitätsbewusstseins aller Mitarbeiter in
klusive der Führungskräfte sowie die Qua
lifizierung in Qualitätsthemen je nach Ziel
Bild 1. Der Mensch als entscheidender Faktor
Unternehmensqualität wird durch die Menschen eines Unternehmens geprägt.
Basis sind die notwendige Einstellung und ein aktiver Lernprozess.
Einstellung Einstellung zu
Qualität allgemein Einstellung zur
eigenen Leistung
Einstellung der Führungskraft zur Qualität
Einstellung zur Leistung anderer
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rungskräfte und des Managements. Genau hier liegt jedoch auch eine der größten Schwierigkeiten. Bevor in Abteilungen oder Produk tionswerken gestartet werden kann, muss die Führung überzeugt werden. Qua
litätsbewusstsein ist ein sogenanntes „Soft
thema“, also ein Hygienefaktor, der im hek
tischen Arbeitsalltag oder angesichts der Priorisierung von Terminen und Kosten leicht untergeht. Qualitätsbewusstsein ist nicht so klar messbar wie beispielsweise eine ppmRate bei Reklamationen. Im Ge
gensatz zu klassischen Werkzeugen, deren Effekt zähl oder messbar ist, brauchen die Softthemen „Quick Wins“, schnelle sichtba
re Effekte, die zeigen, dass es klappt.
Qualität gibt es nur mit der Führung Ein Programm, das auf Verhaltensänderun
gen abzielt, kann nur Erfolg haben, wenn es von den Bereichen gewollt ist. Nachhal
tige Verhaltensänderung ist nicht erzwing
bar. Gleichzeitig müssen Strukturen ge
schaffen werden, die einen Anreiz und auch einen geringen Druck aufbauen, das Pro
gramm im eigenen Bereich tatsächlich zu beginnen. Natürlich bedeutet die Durch
führung auch Mehrarbeit. Deshalb war die Vernetzung mit Projekten und vorhande
nen Strukturen äußerst wichtig. Durch ren. Genau das wäre aber angesichts der
vielen raschen Veränderungen in Produk
ten und Prozessen nötig. Fehlende Auf
merksamkeit führt dazu, dass die Mitar
beiter nicht jede Änderung oder Störung erkennen und nicht selbst agieren. Hinzu kommen Führungskräfte, die sich neben dem Thema Qualität immer mehr The
men zuwenden müssen, überlastet sind und dadurch zum Engpass werden. Das
macht eine konsequente Führung zu Qua
lität unmöglich.
Führungskräfte leben den Mitarbeitern die Einstellung vor, stellen die Qualifi
zierung sicher und prägen die Unterneh
menskultur. Ohne Leadership in Bezug auf Qualität wird sich auch nur wenig an der Ba
sis verändern. Deshalb setzt die Qualitätsi
nitiative hier an. Alle Maßnahmen begin
nen konsequent auf der Ebene der Füh
Bild 3. Visualisierung des eigenen Standorts und der Vernetzung im Unternehmen mit Lego Serious Play. (© Festo AG & Co. KG/Ulrich Retter) alle Führungskräfte
Quality by Leadership Qualität in der praktischen Führungsarbeit
Start with Quality Information zur Qualität bei Festo für neue Mitarbeiter
Quality in Action Basis-Schulung:
Qualitätsbewusstsein bei Festo
Quality in Mind Aufbauschulung:
Qualitätssystem bei Festo Qualitätsanspruch Festo
und Verhaltens- erwartungen an die Mitarbeiter
Methode zur Qualitätsverbesserung im Tagesgeschäft zur nachhaltigen Fehlerbeseitigung
Six Sigma
FMEA ICM/ICP
etc.
SPC
Q-Vorausplanung eigener Beitrag zur
ganzheitlichen Qualität mit
„LEGO Serious Play”
für den Arbeitsplatz relevante Inhalte und Methoden des ganzheit- lichen Qualitätsanspruchs Führungswerkzeuge
zur Nachhaligkeit von Qualität am Arbeitsplatz
Qualifizierung (Fähigkeiten/Wissen)
Leadership in Bezug auf Qualität
Bewusstsein (Einstellung) alle Mitarbeiter
bedarfsorientierte Teilnahme
CAPA(Corrective and preventive Actions) Q-Spezialschulungen
Bild 2. Bevor Mitarbeiter die Trainings besuchen, muss die Führungskraft trainiert werden.
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Das Konzept der Qualitätsinitiative
Die Qualitätsinitiative basiert auf drei Säulen. Die erste Säule ist ein Programm zur Einstellungs- und Verhaltensänderung zu Qualität, das mit einer System analyse in einem Bereich startet. Dabei werden risikobehaftete Verhaltens- und Gewohnheitsmuster, die Fehler ver- ursachen können, erkannt und
positive Perspektivmuster (Ziel- bilder) für die Zukunft erarbei- tet. Das Ziel ist, in einer „Verant- wortungsgemeinschaft Quali- tät“ von einem nachsteuernden zu einem vorausschauenden Verhalten der Mitarbeiter und Führungskräfte zu gelangen.
Zentrales Element ist eine klare Führungskultur und das Ein- nehmen einer Lernhaltung.
Durch sogenannte Lerngänge und neue Standards im Verhal- ten wird eine Kommunikations- kultur zur Förderung der Unter- nehmensqualität etabliert.
Die zweite große Säule ist ein Schulungskonzept, das neben Fach- schulungen auch ein Programm mit Qualitätsbewusstseinsschu- lungen beinhaltet. Dabei ist wichtig, dass immer zuerst die Füh- rungskräfte trainiert werden, um eine Nachhaltigkeit und eine ge-
lebte Unternehmensqualität von oben zu gewährleisten.
Die Trainings selbst sind durch eine aktivierende und erleb- nisorientierte Didaktik ge- kennzeichnet.
Die dritte Säule ist die Verzah- nung des Qualitätsbewusst- seins mit laufenden Projekten und Strukturen im Unterneh- men (u. a. den Unternehmens- werten, dem Festo-Produk- tionssystem und Instrumenten der Personalabteilung) und ein Kommunikationskonzept, mit dem Qualität immer ein aktu- elles Gesprächsthema bleibt.
Einstellungs- und Verhaltens- änderung zur
Qualität:
Systemanalyse + Lerngänge
Schulungs- programm:
Qualitäts- bewusstseins-
schulungen + Fachschulungen
Kommunikationskonzept: „Qualität zum Thema machen und vom Staub befreien”
Vernetzung im Unternehmen
und mit vorhandenen
Strukturen Qualitätsinitiative:
Qualitätsbewusstsein aller Führungskräfte und Mitarbeiter
Die drei Säulen der Qualitätsinitiative eine intensive NetzwerkArbeit
wurde die Qualitätsinitiative beispielsweise mit weiteren Unternehmensprojekten und den daraus abgeleiteten Füh
rungsgrundsätzen verzahnt.
Weiter wurde die Initiative auch in bestehende Strukturen wie das Produktionssystem oder das Einarbeitungspro
gramm für neue Mitarbeiter eingebettet. Ansonsten bleibt eine Skepsis auf Führungssei
te und aus Mitarbeitersicht be
stehen, die ein ganzheitliches Arbeiten an und mit den Men
schen sehr erschwert. Um das Konzept umzusetzen, war es deshalb nötig, im obersten Management ein klares Com
mitment zu erhalten.
Qualität geht alle an Für ein einheitliches Qualitäts
verständnis im gesamten Un
ternehmen müssen alle Füh
rungskräfte und Mitarbeiter an Workshops zum Qualitätsbewusstsein teilnehmen. In diesen wird beispielsweise die eigene Wirkung im Unternehmen aufgezeigt. Die
Mitarbeiter visualisieren ihre eigene Ver
netzung. Dazu nutzen sie das für Unter
nehmenssimulationen entwickelte „Lego Serious Play“ (Bild 3). In allen Veranstaltun
gen geht es darum, den eige
nen Beitrag zur Unterneh
mensqualität und damit letzt
lich zur Kundenzufriedenheit zu erkennen sowie ein Grund
wissen über die drei Qualitäts
dimensionen zu erlangen und zu festigen. Die Bereiche haben nach und nach mit dem Pro
gramm begonnen. Vor jedem Start einer neuen Schulungsrei
he musste das Management wieder überzeugt werden. Pa
rallel zu den Schulungen be
gannen jeweils begleitende Maßnahmen zur Nachhaltig
keit, wie z. B. Kommuni ka tions
kampagnen oder Aktionstage (Bild 4). Die Ergebnisse spre
chen für sich:
Zum einen nehmen alle Beschäftigten, Führungskräfte wie Mitarbeiter, wahr, dass Qualität durch vorausschau
endes Verhalten mehr und mehr in den Mittelpunkt ge
rückt ist und Verschwendung nicht nur in den Produktionsprozessen reduziert wer
den kann. Zum anderen trat auch eine wei
tere Reduzierung der Fehlerrate ein. W
Bild 4. Aufkleber auf einer Treppe: eine Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu er- langen, ohne Arbeitszeit in Anspruch zu nehmen. (© Festo AG & Co. KG/Ulrich Retter)
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