Brigitte LUTZ-WESTPHAL, Berlin1
Typisch diskret - Was macht diskretes Arbeiten aus?
Diskrete Mathematik in der Schule: heute und fr ¨uher
An vielen Stellen im Unterricht befinden sich Elemente der diskreten Ma- thematik, allerdings wird die spezielle Charakteristik diskreten Arbeitens nur selten thematisiert. In den neuen Lehrpl¨anen von Hamburg (seit 2005) und Berlin (ab 2006) befinden sich in der Oberstufe bzw. Mittelstufe Wahl- (pflicht)module zur Graphentheorie und kombinatorischen Optimierung.
Doch die Idee, diese Themen in den Mathematikunterricht zu integrieren, ist nicht neu.
Bigalke beschrieb bereits 1974 das hohe didaktische Potenzial dieses Stof- fes: die immense Anwendungsfreudigkeit, die große Anschaulichkeit und die weitgestreute Problemfreudigkeit auf jedem beliebigen Niveau (siehe (1)). Eine ¨ahnliche Sichtweise hatte auch Floer (siehe (2)). Andere Auto- ren betonten eher die N¨ahe der Graphentheorie als Zweig der kombina- torischen Topologie zur Mengenlehre und versuchten die Graphentheorie damit im Rahmen der sogenannten
”Strukturmathematik“ in den Unter- richt einzugliedern
Im Rahmen der prop¨adeutischen Geometrie in der Grundschule entdeckte Heinrich Winter schon 1971 Graphentheorie und kombinatorische Opti- mierung (die damals noch nicht diesen Namen trug) f ¨ur den Unterricht (siehe (6)). Einige dieser Ideen fanden damals Eingang in den Grund- schulunterricht. In den weiterf ¨uhrenden Schulen konnten sich die Themen nicht durchsetzen:
”Graphentheoretische Fragestellungen haben seit eini- gen Jahren Eingang in die neuere Schulbuchliteratur gefunden. Die letzten zwei, drei Jahre verst¨arkten diese Tendenz nicht.“ (siehe (4)). Gr ¨unde sind u. a. eine Abneigung gegen
”moderne Mathematik“ nach dem Scheitern der Ideen der Rahmenrichtlinien von 1986 und daraufhin eine R ¨uckbe- sinnung auf bew¨ahrte Inhalte, aber auch dass die Graphetheorie damals noch keiner eigenen Fachrichtung zugeordnet werden konnte und somit keinen klaren Platz innerhalb der Curricula finden konnte.
Erst zu Beginn des neuen Jahrtausends wuchs das Interesse an Graphen- theorie und kombinatorischer Optimierung in Deutschland wieder, wie einige Publikationen und Projekte bezeugen, u. a. das von der Volkswa- genstiftung finanzierte MATHEON-Projekt
”Diskrete Mathematik f ¨ur die
1gef¨ordert von der Volkswagenstiftung
Schule“ (Gr¨otschel, (7)) und das MATHEON-Projekt
”Visualisierung von Algorithmen“ (Kortenkamp, (8)). Das wiedererwachte Interesse ist durch durch die rasante Entwicklung des Fachgebietes und seiner Anwendun- gen, aber auch durch die Kompetenzorientierung in der Schulmathematik und die damit verbundene Suche nach kompetenzf ¨ordernden Inhalten be- gr¨undet.
Typisch diskret
Was ist nun typisch diskret? Diskrete Objekte sind oft schwer auf einen Blick zu erfassen, sind h¨aufig zun¨achst amorph erscheinende Gebilde.
Man kann ihre Elemente aber z¨ahlen, ordnen oder strukturieren und das sind T¨atigkeiten, die wir im Alltag mit den Dingen, die uns umgeben st¨andig tun. Diskrete Grundt¨atigkeiten kennen wir aus dem Alltag.
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3 4 1 6 9 2 5 7 8 7
8 5 2 9 6 1 4 3 3
4 1 6 9 2 5 7 3 4 1 6 9 2 8 5 7 3 4 1 9 6 8 2 5 7 7
5 2 8 9 6 1 4 3 9 4 3
1 6 8 2 5 7 9
9 3
3 4 4 1 1 6 6 8 8 2 2 5 5 7 7 7 5 2 8 6 1 4 3 9
7 2 5 8 6 1 4 3 9
5 2 7 8 6 1 4 3 9
8 6 7 2 5 1 4 3 9
8 8
8 9 9 9 3 3
3 4
4 4 1 1 1 6 6 6 7 7 7 2 2 2 5 5 5 5 2 7 6 1 4 3 8 9
2 5 6 1 4 3 8 9
6 5 2 1 4 3 8 9
7 1 6 5 4 3 8 9 9
8 3 4 7 1 6 2 5 2
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3 4 1 6 5 2 2
5 6 1 4 3 7 8 9
2 1 6 4 3 7 8 9
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3 4 1 5 5 2 7
7
8 7
7
1 2 4 3 6 7 8 9
5 4 1 2 3 6 7 8 9 9
8 7 6 5 4 1 2 2 1 4 3 3
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1 2 4 3 5 6 7 8 9
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Abb. 1: Diskrete Grundt ¨atigkeiten: z¨ahlen, ordnen, strukturieren/in Beziehung setzen.
Diese hier beispielhaft angef ¨uhrten diskreten Grundt¨atigkeiten werden nun zu neuen Methoden verkn¨upft, Geschicktes Z¨ahlen durch Anordnen bei- spielsweise, was direkt zur Beweismethode
”Beweisen durch Weiterz¨ah- len“, der vollst¨andigen Induktion f¨uhrt. Dort wird der sonst nicht n¨aher be- trachtete Schritt des Weiterz¨ahlens genau analysiert. Ein weiteres Beispiel sind Kombinationen von Ziffern, die zu Codierungs- und Decodierungs- methoden f¨uhren.
Im Englischen wird f ¨ur Diskrete Mathematik gelegentlich auch der Be- griff
”Decision Mathematics“ verwendet. Dieser Begriff hebt eine weitere wichtige diskrete Grundt¨atigkeit hervor: Entscheidungen treffen. Bei der Modellierung mit Graphen findet man diesen Aspekt, etwa bei der Model- lierung eines Labyrinths. Eine typische erste L ¨osung sieht so aus, dass an jeder Knickstelle des Weges im Labyrinth ein Knoten gezeichnet wird, um dann sp¨ater festzustellen, dass ein Knoten nur dann gebraucht wird, wenn es eine Entscheidung zu treffen gibt.
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Abb. 3: Modellierung eines Labyrinths. Knoten markieren Entscheidungsm ¨oglichkeiten.
Graphen besitzen eine große Anschaulichkeit und einen sehr hohen Auf- forderungscharakter. Ein Grund daf ¨ur ist der leichte ¨Ubergang zwischen enaktiver, ikonischer und symbolischer Darstellungsebene (vgl. dazu auch Floer a. a. O.). Dieser schnelle und leichte ¨Ubergang wird von Sch ¨ulerinn- en und Sch¨ulern insbesondere bei der Entwicklung von Graphenalgorith- men ausgiebig genutzt. Mit der Software
”Visage“ k¨onnen Graphen und ihre Adjazenzmatrizen gleichzeitig dargestellt werden (siehe (3)).
Ein weiteres hervorzuhebendes Charakteristikum diskreten Arbeitens ist, dass oft die Einzelschritte (Grundt¨atigkeiten) sichtbar und dadurch leicht nachvollziehbar bleiben.
”Es gibt keine Formel“ ¨außerte sich ein Sch ¨uler erstaunt, w¨ahrend er das chinesische Postbotenproblem erarbeitete. So- wohl bei der Konstruktion von Objekten wie etwa aufspannenden B¨aumen, als auch beim Beweisen von Aussagen, wie etwa der Anzahl der Kanten eines Baumes mit n Knoten, bleibt das Vorgehen algorithmisch. es kann nicht im Nachhinein zu einer geschlossenen Form bzw. Formel zusam- mengefasst werden. F ¨ur die leichte Fasslichkeit von diskreten Methoden ist dies vermutlich einer der Hauptgr ¨unde.
Literatur/Links
(1) H.-G. Bigalke: Graphentheorie im Mathematikunterricht?
Der Mathematikunterricht 20 (1974), Nr. 4, S. 5-10
(2) J. Floer: Optimierung von Netzwerken - k¨urzeste Wege und gr¨oßte Fl¨usse, Praxis der Mathematik 19 (1977), Nr. 1, S. 1-6, 40-44
(3) A. Geschke, U. Kortenkamp, B. Lutz-Westphal, D. Materlik:
Visage - Visualization of Algorithms in Discrete Mathematics,
Zentralblatt f¨ur Didaktik der Mathematik 37 (2005), Nr. 5, S. 395-401 (4) K.-D. Klose: Netze und Landkarten, Der MU 24 (1978), Nr. 3, S. 53-99 (5) B. Lutz-Westphal: Versuch einer Charakterisierung diskreten Arbeitens, Preprint (2006)
(6) H. Winter: Geometrisches Vorspiel im Mathematikunterricht der Grundschule, Der Mathematikunterricht 17 (1971), Nr. 5, S. 40-66
(7) http://www.math.tu-berlin.de/ westphal/projekt (8) http://www.cinderella.de/visage