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Archiv "Medizinische Hochschulen in Ostdeutschland: „ ... ein Kulturschock war das damals schon ...“" (04.06.1999)

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DÄ:Unser Thema ist der Wandel an den Medizinischen Hochschulen in Ostdeutschland . . .

Bach:Also bei der Vorbereitung auf dieses Thema ist mir eine Bege- benheit eingefallen, die muß ich er- zählen. Als ich hier in Dresden Rek- tor wurde, 1991, da bin ich in das Amtszimmer eingezogen, in dem stand ein Wandschrank. Auf einer Seite Geschenkartikel von „sowjeti- schen Freunden“, Matroschkas und Schnaps, Bilder von Lenin und Pusch- kin in Bronze und so weiter. Und auf der anderen Seite hing ein Talar, rot, mit Zobelbesatz. Den hatten die En- de der 50er Jahre eingemottet und sich gesagt: „Der wird wieder ge- braucht.“ Als wir unsere Fakultäts- gründung feierten, hatte ich die Ehre, das Ding wieder anzuziehen. Dieses Phänomen, zeitüberschreitend eine bürgerliche Tradition zu bewahren, das habe ich immer wieder gefunden.

Diettrich: Das ist nie getötet worden.

DÄ:Wenn es noch Elemente bür- gerlicher Tradition gab, wenn die Ideo- logie der DDR sich nicht restlos durch- gesetzt hatte: Hätte man dann nicht bei der personellen Erneuerung an den Medizinischen Hochschulen nach der Wende ein Auge zudrücken können, wie manche meinen?

Geiler: Nein. Ich bin der Über- zeugung, daß die demokratische Er- neuerung auch der medizinischen Fa- kultäten einen Schnitt erforderte. Ein sogenannter sozialverträglicher Wech- sel hätte bedeutet, daß man eine große Gruppe von Hochschullehrern belassen hätte, die der alten Ideologie verhaftet waren. Die konnten keinen geistig-moralischen Erneuerungspro- zeß zum Tragen bringen.

Diettrich:Darf ich dazu eine Er- gänzung machen? Es gab im DDR- Hochschulwesen die ganz ausgefeil- ten Institute für Marxismus und Leni- nismus. Die spielten eine große Rolle,

wenn es um die Erziehung zu dieser Art Hochschullehrer ging.

DÄ:Spielten diese Institute auch für die Medizinischen Fakultäten eine große Rolle? Wurden die auch durch diese Mühlen gedreht?

Diettrich:Ja, aber sicher!

DÄ:Was für eine Bedeutung hatte denn die Zugehörigkeit zur SED zu DDR-Zeiten und welche nach der Wende?

Geiler: In der Gründungsphase der DDR waren noch sehr viele der alten bürgerlichen Ordinarien in Amt und Würden. Aber beim Ablösungs- prozeß dieser Generation spielte die Parteizugehörigkeit eine große Rolle.

Also, Nicht-Genossen waren auch bei hoher Kompetenz zunehmend chan- cenlos. Was man werden konnte, hing aber auch von äußeren Umständen ab. Ich zum Beispiel habe mich im Fe- bruar 1961 habilitiert und wurde 14 Tage danach ordentlicher Dozent, ob- wohl ich nie in der Partei war. Damals war der Wegzug von Ärzten nach We-

sten so groß, das war gigantisch. Bis ich außerordentlicher Professor wur- de, habe ich dann aber 22 Jahre war- ten müssen.

DÄ: Was bedeutete das Partei- buch bei Berufungen?

Diettrich:Die Entscheidung, wer berufen wurde, war eine Entschei- dung der Parteileitung der Hochschu- len. Das war ganz eindeutig ein SED- gesteuertes System.

Bach:Um auf den Wechsel nach der Wende zu kommen: Da ist man- ches an unterschiedlichen Hochschu- len auch unterschiedlich gelaufen. Bei uns zum Beispiel hat die Frage von Parteizugehörigkeit bezüglich Entlas- sung oder Nichtentlassung keine Rol- le gespielt.

Geiler:Das ist richtig.

Bach: Es mußte hinzukommen:

„IM“ oder Insuffizienz.

Diettrich: Richtig, es gab eine fachliche Evaluierung und eine politi- sche . . .

Bach:. . . und eines muß man sa- gen: Viele Ordinarien, die in der SED waren, die nicht das politische Wort geredet haben, sondern ihre Arbeit gemacht haben und die Nase genauso voll hatten wie alle anderen . . .

Geiler:. . . die wurden belassen . . . Bach: . . . die wurden belassen beziehungsweise mußten sich um ihre Stelle neu bewerben. Aber das betraf ja nicht nur die Genossen, sondern uns alle.

Diettrich:Genau so ist es.

DÄ:Hatten die alten Ordinarien denn Chancen, auch mit Parteibuch- Vergangenheit?

Diettrich: Sicher. (An Bach ge- wandt:) Wie viele SED-Ordinarien sind in Dresden nach der Evaluierung weiter tätig?

Bach:Das muß ich schätzen. Bei uns sind das, na, vielleicht zehn gewe- sen.

Diettrich: Zehn allein in Dres- den! Das ist eine große Zahl.

Geiler: Für Leipzig weiß ich es nicht auswendig, aber es waren schon viele.

Bach:Also fachlich war das so:

Man mußte seine Publikationen abge- ben, einen Lebenslauf, und dann hat die Personalkommission darüber be- funden. Bei uns erhielten dann zwei, drei Leute, die vorher eine C4-Profes- sur hatten, aber wissenschaftlich we- A-1464 (16) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 22, 4. Juni 1999

P O L I T I K INTERVIEW

Medizinische Hochschulen in Ostdeutschland

„ ... ein Kulturschock

war das damals schon ...“

Wie gerecht ist der personelle Wandel an den Medizinischen Hochschulen im Osten nach der Wende verlaufen? Hatten die eige- nen Leute eine Chance, oder ver- ließen viele aus Sorge um entwürdi- gende Evaluationsverfahren lieber die Medizinische Fakultät? Wie empfindet der Nachwuchs heute die Situation? Das Deutsche Ärzteblatt befragte dazu Prof. Dr. med. Otto Bach, ehem. Rektor der Medizini- schen Akademie Dresden, Prof. Dr.

med. Heinz Diettrich, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, und Prof. Dr. med. Gottfried Geiler, ehemals Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Ei- ne Gegenmeinung vertritt Prof. Dr.

med. Arno Hecht auf den nächsten Seiten, ehemals Direktor des Patho- logischen Instituts der Karl-Marx- Universität Leipzig, 1993 gekündigt.

(2)

niger aktiv, das Angebot, auf einer C3-Stelle weiterzuarbeiten. Aber vie- le der C4-Professoren haben auch die Kriterien erfüllt.

DÄ: Hatten denn Westdeutsche, die sich um eine Professur bewarben, unter dem Strich mehr Chancen? Boo- teten sie Kollegen aus, die in der DDR aus politischen Gründen nicht in die oberste Reihe kamen?

Geiler:Daß westdeutsche Kolle- gen eine größere Chance hatten als ostdeutsche, das war schon so. Die Ostdeutschen waren ja von interna- tionalen Tagungen et cetera ausge- grenzt und wurden das Opfer der fata- len Reisekaderpolitik. Die daraus re- sultierende Benachteiligung ist tra- gisch, denn sie trifft eine ganze Gene- ration. Sie ist aber Schuld der DDR- Politik und nicht des neuen Systems.

DÄ: Waren denn die westdeut- schen Bewerber wirklich besser, oder kam, wie manchmal behauptet, unge- rechterweise die zweite oder dritte Gar- nitur zum Zuge?

Geiler: Daß nur die zweite und dritte Garnitur berufen wurde, kann man pauschal nicht sagen.

Diettrich:Selbstverständlich kam es zu Täuschungen, wo man hinterher gesagt hat: der eine oder andere ist nicht geeignet. Aber Fehlberufungen hat es immer gegeben.

Geiler:Es gab natürlich eine Rie- senmenge an Bewerbungen. Ich habe als Dekan damals 142 Hochschulleh- rerstellen ausgeschrieben – 142! Da ist natürlich in manchen Fachgebieten auch einmal auf die zweite Garnitur zurückgegriffen worden. Das kann man nicht ganz leugnen. Aber was die C4-Professuren anbelangt, die meist mit Westdeutschen besetzt wurden:

das lag daran, daß die Forschung in der DDR nicht so kultiviert werden konnte. Was die ärztliche Betreuung anbelangt, waren unsere ostdeutschen Bewerber mindestens vergleichbar, was die Lehre anbetrifft, sogar meist besser. Aber in der Forschung bestan- den einfach Defizite.

Bach:In den letzten Jahren ha- ben wir aber Neuberufungen in nicht geringer Zahl aus Ostdeutschland zu verzeichnen. Allein an unsere Fakul- tät sind in den letzten Jahren fünf neue Professoren aus dem Osten be- rufen worden.

Geiler:Auf C4-Stellen . . .

Bach: . . . jawohl. Und fast drei Viertel, wenn nicht gar mehr, C3-Pro- fessoren sind Kollegen aus unserem ei- genen Bestand. Noch mal zu dem Vor- wurf der zweiten und dritten Garnitur:

Wir hatten hier in Dresden ja eine Neugründung, und da haben honorige Professoren aus dem Westen für ein hohes Niveau bei den Neuberufungen gesorgt. Unser Problem ist heute eher, daß unsere Ordinarien schon wieder von anderswo Angebote bekommen . . . Diettrich: . . . weil sie so gut sind!

Geiler:Kann ich nur bestätigen.

DÄ:Man hört hin und wieder den Vorwurf, besonders die westdeutschen

Mitglieder der Personalkommissionen hätten sich arrogant und unkollegial verhalten. Stimmt das?

Geiler: Daß eine Fakultät eva- luiert wird, das war uns natürlich fürchterlich fremd. 1991 war die erste Evaluation in Leipzig, und ich erinne- re mich, daß ein Dekan aus einer an- deren Stadt anrief und sagte: „Da ma- chen Sie sich mal auf was gefaßt, die wissen alles besser.“ Ich kann aber nur sagen, daß von Besserwisserei über- haupt keine Rede war. Kommissions- mitglieder haben sich unsere Vorstel- lungen angehört, die Strukturen eva- luiert und uns Ratschläge erteilt. Die waren absolut kollegial.

Bach:Aber ein Kulturschock war das damals schon. Und die personelle Evaluation, das war schon eine schwierige Aufgabe, auch menschlich.

Oft hat sich herausgestellt, daß Be- schuldigte Opfer und Täter zugleich waren, weil das System bekanntlich durch Nötigung und Erpressung von Menschen funktionierte.

DÄ: Wurde denn das gesamte Personal durch die Mühlen gedreht?

Bach: Sicher, es fing mit den Führungspositionen an, also den Pro- fessoren, und ist dann sukzessive auf alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst ausgedehnt worden. Vieles hat sich selbst geregelt, weil bestimmte Protagonisten von allein gegangen sind.

DÄ: Wegen der Würdelosigkeit mancher Verfahren, wie deren Kritiker schreiben?

Bach: Nein, die sind gegangen, weil sie wußten, was kommt.

Diettrich, Geiler:So ist es.

Bach:Manche sind durchaus ho- norig abgetreten, unser früherer Rek-

tor beispielsweise. Der hat gesagt:

„Ich weiß, daß es hier nicht mehr wei- tergeht, weil ich mich exponiert ha- be.“ Eine Menge sind aus guten Grün- den gegangen, aber nicht, weil sie so- zusagen den Würdeverlust nicht er- tragen wollten.

Geiler:Vielleicht ein ganz kleiner Teil . . . Natürlich haben viele die Uni- versität direkt 1989 verlassen. Da gab es zunächst Unsicherheiten über die Stellenpläne. Das hat eine große Rol- le gespielt. Dann eröffneten viele eine eigene Praxis. Andere traten auch ei- ne Stelle in Westdeutschland oder im Ausland an. Die Furcht vor der Über- prüfung durch die Personalkommis- sionen hat nur bei denjenigen eine Rolle gespielt, die belastet waren und die gingen, weil sie sich die Überprü- fung als solche ersparen wollten. Wür- de oder Nichtwürde – das hat prak- tisch keine Rolle gespielt.

DÄ: Was konnte man an den Überprüfungen als würdelos oder demütigend empfinden?

Bach: Da gab es sicher mehrere Faktoren. Allein schon die Überprü-

P O L I T I K INTERVIEW

Prof. Dr. med. Gottfried Geiler

Foto: privat Foto: 97. DÄT-Köln 1994 Foto: TU Dresden

Prof. Dr. med. Heinz Diettrich Prof. Dr. med. Otto Bach

(3)

A-1466

P O L I T I K INTERVIEW/FORUM

(18) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 22, 4. Juni 1999 fung von Leistung als Kriterium für

eine berufliche Stellung war unge- wohnt. Zweiter Punkt: Es war im Osten so wie im Westen, daß der Ordinarius ein König war, der in seinem Bereich machen konnte, was er wollte. Und der mußte nun vor die Öffentlichkeit tre- ten und erklären, ob er in der Partei war, was er publiziert hatte und so wei- ter. Die Rolle Ordinarius erfuhr da schon einen Stoß ins Gemüt. Drittens existierte der grundlegende Konflikt, in dem wir alle steckten: Inwieweit war das, was man gelebt hat, opportuni- stisch, unethisch, vielleicht sogar krimi- nell? Das war natürlich schwer für Leute, die bis dahin geglaubt hatten, sie täten alles Rechte und Gute.

DÄ: Ist dieser Wandel denn ei- gentlich heute noch ein Thema an den Medizinischen Fakultäten? Unter- schiede, Rivalitäten zwischen Ost- und Westdeutschen?

Diettrich: Aus meiner Sicht als Kammerpräsident ist das Thema weit- gehend abgeebbt.

Bach:Die „Teilung in den Köp- fen“, wie es in den Medien gern heißt, die spielt bei der jüngeren Generati- on, also den Leuten im akademischen Mittelbau, eine immer geringere Rol- le. Gut ist, wenn die Chefs selbst für eine Mischung Ost-West in ihrem Kli- nikbetrieb sorgen.

Diettrich: Ein Thema gibt es noch, nämlich die Ungleichbezahlung der Ordinarien und anderer, die Un- terscheidung zwischen Ost- und West- tarif.

DÄ:Ist das immer noch so?

Diettrich:Ja, wer aus dem Osten stammt, bekommt nur 85 Prozent der Bezüge.

Bach:Im Mittelbau ist das nicht mehr so. Unsere Oberärzte, die aus dem Westen kommen, werden alle nach Osttarif bezahlt. Die Unterschie- de beziehen sich auf die C4-Professo- ren.

Geiler:Das führt schon zu einer gewissen Verstimmung.

Bach: Das möchte ich relativie- ren. In der Medizin gibt es doch völlig durchwachsene Einkommensverhält- nisse. An meiner Fakultät ist die Fra- ge des Einkommens längst eine des Faches, nicht mehr des Tarifs Ost oder West.

DÄ:Hätte man aus heutiger Sicht etwas ganz anders machen sollen bei

der Neugestaltung der Medizinischen Fakultäten nach der Wende?

Diettrich: Man hat die Wende- und Nachwendezeit meiner Meinung nach nicht genügend dafür genutzt, einmal etwas Neues zu probieren. Es wäre wohl richtig gewesen, vom alten westdeutschen Hochschulsystem et- was abzurücken.

DÄ:Inwiefern?

Diettrich: Beispielsweise durch die stärkere zeitliche Begrenzung von Stellen . . .

Geiler:. . . oder die Frage, ob ein Hochschullehrer denn Beamter sein muß, die hätte man aufgreifen kön- nen . . .

Bach:. . . oder die Studentenaus- bildung – wenn man sich überlegt, was

für ein akrobatischer Lindwurm die Reformierung der Approbationsord- nung ist . . .

DÄ: Haben die Veränderungen für den wissenschaftlichen Nach- wuchs Ihrer Meinung nach mehr Nachteile oder mehr Vorteile mit sich gebracht?

Geiler: Mehr Vorteile. Was die Mitarbeiter als Nachteil sehen, ist die Stellenlimitierung. Der Vorteil ist, daß unsere Institute nun apparativ sehr modern eingerichtet sind, daß man endlich ins Ausland gehen kann.

Diese Einbindung in die „scientific community“, die erleben die jungen Leute als großen Gewinn.

(Das Gespräch führten Norbert Jachertz und Sabine Rieser.)

Personalwandel zugunsten Westdeutscher...

... meint der Autor dieses Beitrags.

er mit der Vereinigung beider deutscher Teilstaaten im Jahr 1990 verbundene Struktur- und Personalwandel in nahezu allen Lebensbereichen Ostdeutschlands ging auch an den akademischen Lehr- anstalten nicht spurlos vorüber. Die Medizin war in fachlicher Hinsicht da- von kaum betroffen, unterschieden sich Organisation und Lehrinhalte wie auch Forschungsgegenstand im Grundsatz kaum vom Standard in der alten Bundesrepublik. Als gravieren- der erwies sich der Personalwandel bei den Hochschullehrern, dem die Bestimmungen des Einigungsvertra- ges, Abschnitt III, Kapitel 1, Abs. 1-5 zugrunde lagen.

Die personellen Veränderungen waren zu Beginn quantitativ nur schwer zu bewerten. Sie können nun- mehr als weitgehend abgeschlossen gelten und haben sich in einem Zeit- raum von fünf Jahren (1992 bis 1997) vollzogen. Dieser wird begrenzt durch die Aufnahme der Tätigkeit der Eh- ren- und Personalkommissionen auch an den medizinischen Fakultäten Ost- deutschlands sowie den weitgehenden Abschluß der Neuberufungen, abge-

sehen von dem nun üblichen Hoch- schullehrerwechsel als Folge von Neu- und Umberufungen. Das Ergeb- nis der Umsetzung oben erwähnter Bestimmungen des Einigungsvertra- ges ist in Grafik 1zusammengestellt.

Zur Methode: Die medizinischen Hochschullehrer der DDR des Jahres 1990 wurden namentlich erfaßt und nach den damals üblichen Berufungs- merkmalen als Ordinarien (Direkto- ren), ordentliche (o.) Professoren, außerordentliche (ao.) Professoren, Dozenten und außerordentliche (ao.) Dozenten klassifiziert. Ebenso wurde versucht, gesondert die habilitierten, nicht berufenen Wissenschaftler zu erfassen. Die namentliche Erfassung ermöglichte einen direkten Vergleich mit den Personalverzeichnissen der Universitäten in den neuen Ländern.

Gleichzeitig wurde herausgearbeitet, wie sich die bis Ende 1997 erfolgten Berufungen auf Hochschullehrer der alten und neuen Bundesländer ver- teilen.

Die dazu erforderlichen Anga- ben entnahmen wir folgenden Quel- len: Kürschners Deutscher Gelehr- tenkalender 1992, Personalverzeich-

Gegenmeinung

D

(4)

nisse der ostdeutschen Universitäten des Jahres 1997/98, Charité-Annalen 1982 bis 1990, Hochschulnachrichten der Deutschen Medizinischen Wo- chenschrift (DMW) der Jahre 1991 bis 1997/98 sowie des Ärzteblattes Sach- sen (ÄBS) 1992 bis 1998 und dem Pu- blikationsorgan des Hochschullehrer- verbandes „Forschung & Lehre“ 1994 bis 1998. Außerdem ist Kollegen zu danken, die uns in Kenntnis des geni- us loci ihre Daten zur Verfügung stell- ten.

Aus Grafik 1 ist ersichtlich, daß 1990 genau 963 medizinische Hoch- schullehrer tätig waren. Dies stimmt weitgehend mit den An-

gaben von Beleites (1) und Burkhardt (2) über- ein. Die Angaben letzte- rer stützen sich auf das Archiv des Ministeriums für Hoch- und Fach- schulwesen der DDR aus dem Jahr 1989. Von diesen 963 medizini- schen Hochschullehrern waren zum Jahresende 1997 noch 437 tätig, das heißt 45,4 Prozent. Bei einem Vergleich des Be- rufungsstatus zeigt sich, daß zu diesem Zeitpunkt

37 Prozent der Instituts- und Klinikdi- rektoren, 39,7 Prozent der ordentli- chen Professoren, 44,1 Prozent der außerordentlichen Professoren, 53,6 Prozent der ordentlichen Dozenten und 61,1 Prozent der außerordentli- chen Dozenten in den öffentlichen Dienst der Länder übernommen wor- den waren. Mit geringen Abweichun- gen entspricht dies der Situation der nichtärztlichen Hochschullehrer an Universitäten und Medizinischen Akademien (Grafik 2). Während die Zahl der erfaßten Hochschul- lehrer als vollständig anzusehen ist, konnten wir mit 575 die habilitierten Wissenschaftler nur unvollständig er- fassen. Von ihnen verließ nahezu ein Drittel die Universitäten, vorzugs- weise, um sich niederzulassen, 21,4 Prozent wurden zum Professor beru- fen, während die übrigen ihren Status unverändert beibehielten (rund 48 Prozent).

Da die SED-Zugehörigkeit ein entscheidendes Kriterium sowohl bei der politischen Evaluierung durch die

Personalkommission als auch für die Kündigung darstellte, ist sie von Inter- esse. Entsprechende Angaben ließen sich für 595 der 1 067 ärztlichen und nichtärztlichen Hochschullehrer zu- sammenstellen. Diese sind als reprä- sentativ anzusehen, da sie die Situati- on an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Karl-Marx-Universität Leipzig sowie die der Medizinischen Akademien Dresden und Magdeburg einbeziehen.

39,6 Prozent der erfaßten medizi- nischen Hochschullehrer waren Mit- glieder der SED (siehe dazu die Gra- fik im Inhaltsverzeichnis dieses Hef-

tes), etwas mehr als doppelt soviel, wie es dem Durchschnitt bei DDR- Ärzten (16 Prozent) entspricht. Er- wartungsgemäß war der Anteil mit 74 Prozent bei den Instituts- und Klinik- direktoren am höchsten, bei den außerordentlichen Dozenten mit we- niger als zehn Prozent am niedrigsten.

Entsprechend verhält es sich bei den ausgeschiedenen Hochschullehrern.

Der Anteil der Direktoren ist am höchsten, der der außerordentlichen Dozenten mit SED-Parteibuch am ge- ringsten. Wenn auch die Anzahl der direkt gekündigten Hochschullehrer relativ gering ist, so befindet sich un- ter den ohne nähere Angaben Ausge- schiedenen etwa ein gleich großer An- teil, der durch die individuelle Ent- scheidung, die Universität zu verlas- sen, einer Kündigung zuvorgekom- men ist. So verloren 78 Prozent der Direktoren und ordentlichen Profes- soren mit SED-Mitgliedschaft ihre Profession, während es bei den partei- losen Hochschullehrern beider Kate- gorien 50 Prozent waren. Die Zahlen

belegen, daß sowohl für die Kündi- gungen wie auch den spontanen Weg- gang die SED-Mitgliedschaft eine entscheidende Rolle spielte.

Im Einigungsvertrag wurden mögliche Kündigungsgründe fixiert als mangelnde fachliche Qualifikati- on, mangelnde persönliche Eignung, mangelnder Bedarf, Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit sowie Tätigkeit für das frühere Mi- nisterium für Staatssicherheit/Amt für nationale Verteidigung. Die bei- den letztgenannten Gründe rechtfer- tigen eine fristlose Kündigung (4).

Tatsächlich gekündigt wurde den medizinischen Hoch- schullehrern überwie- gend wegen persönli- cher Nichteignung, zu einem nur kleinen Pro- zentsatz wegen Zusam- menarbeit mit dem Ministerium für Staats- sicherheit und praktisch gar nicht wegen mangel- hafter fachlicher Quali- fikation. Die auch mit westdeutschen Wissen- schaftlern besetzten Eva- luierungskommissionen konnten letztere nur in Einzelfällen nachweisen.

Dazu muß man wissen, daß bei Ärz- ten eine Berufung grundsätzlich nicht ohne vorangegangene Habilitation erfolgte, die mit der Verleihung des Titels Dr. med. habil. und später Dr.

sc. med. ihren Abschluß fand, und daß sich die Zeiten der Anwartschaft auf eine Berufung bei SED-Mitgliedern und Parteilosen nicht prinzipiell un- terscheiden (5).

Der Vorwurf der „persönlichen Nichteignung“ wurde vor allem an der Zugehörigkeit zur SED und an der Wahrnehmung entsprechender Funk- tionen festgemacht. In den arbeitsge- richtlichen Verfahren wurde aber mehrheitlich vom Vorwurf der per- sönlichen Nichteignung Abstand ge- nommen. Da die frei gewordenen Stellen entweder bereits wieder be- setzt waren beziehungsweise das Be- rufungsgeschäft angelaufen war, er- folgte nunmehr eine Kündigung man- gels Bedarfs, und die Mehrzahl der Rechtsstreitigkeiten endete mit ei- nem Vergleich. Auch in den Fällen, in denen das Gericht eine Wiederein-

P O L I T I K FORUM

Grafik 1

Medizinische Hochschullehrer an Universitäten und Medizinischen Akademien der DDR und ihr Verbleib nach 1989

1 000 800 600 400 300 200 100

0 Direktoren o. Professoren ao. Professoren Dozenten ao. Dozenten insgesamt 102

174 276

81 123 204

56 71 127 140121 261

58 37 95 437526

963 Grafik 1

tätig ausgeschieden Summe

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stellung forderte, kam es in der Mehr- zahl der Fälle nicht dazu.

Auf Kündigungen wegen Ver- stoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit sind wir nicht ge- stoßen. Ebenso taucht der Vorwurf der IM-Tätigkeit, mit Ausnahme der Medizinischen Fakultät der Hum- boldt-Universität in Berlin, nicht häu- figer auf als im Durchschnitt der Be- völkerung der DDR. Die Kündigung wegen persönlicher Nichteignung er- folgte, soweit es aus dem uns zur Ver- fügung stehenden Material hervor- geht, in etwa 20 Prozent der Fälle.

Den Mitteilungen in der DMW und in „Forschung & Lehre“ ist zu entnehmen, daß bis zum Jahreswech- sel 1997/98 genau 859 Professoren neu berufen wurden. Bei 815 von ihnen war es möglich, Angaben zu ihrem Status vor der Berufung zu eruieren.

Von den 350 leitenden Positionen, mehrheitlich C4-Professuren, wurden bisher 183 (= 52,3 Prozent) durch Be- rufungen aus den alten Bundeslän- dern besetzt. Von den

Berufungen hatten zu- vor 67 den Status eines Privatdozenten (PD).

Bei den übrigen Hoch- schullehrern, überwie- gend C3-Professoren, ist der Anteil der aus dem Osten Berufenen mit 80,9 Prozent deutlich höher. Immerhin befin- den sich unter ihnen 90 Wissenschaftler, die zu DDR-Zeiten nicht beru- fen waren. Von den 575 habilitierten Wissen- schaftlern schafften nur

14 den Sprung zum Instituts- oder Kli- nikdirektor, also in deutlich geringe- rer Zahl als habilitierte aus den alten Bundesländern. Von den 167 Direkto- ren aus Ostdeutschland hatten 62,3 Prozent diese Funktion bereits vor der Wiedervereinigung ausgeübt. In diesem Kontext wäre das Schicksal der ehemaligen Personalkommissi- onsmitglieder von Interesse. Die Mehrzahl von ihnen mußte sich als Anerkennung für ihre Tätigkeit mit der C3- oder außerplanmäßigen Pro- fessur begnügen. Inwieweit die fachli- che Qualifikation bei ihnen für einen weiteren Aufstieg nicht ausreichte, muß offenbleiben.

Die Angaben dokumentieren auch, daß sich die Gesamtzahl der medizinischen Hochschullehrer mit Übernahme des zentralistischen Hoch- schulwesens der DDR durch die Bun- desländer kaum verändert hat. Dies gilt mit Einschränkungen auch für die Anzahl der wissenschaftlichen Mitar- beiter und den akademischen Mittel- bau, der in den übrigen Disziplinen im Durchschnitt um gut ein Drittel redu- ziert wurde (3).

Persönliche Wertung

Sachlich betrachtet, ordnet sich der Vereinigungsprozeß nahtlos in die geschichtliche Erfahrung ein, daß so- ziale und politische Umbrüche stets mit einem Wechsel der Eliten einher- gehen. Bemerkenswert ist allein das quantitative Ausmaß, das selbst die Entlassungen nach der Machtüber- nahme durch die Nationalsozialisten weiter überschreitet. In Leipzig waren

es zum Beispiel zwei von 91 Medizin- professoren, die damals relegiert wur- den, also 2,2 Prozent. Jetzt waren es etwa 20 Prozent – ohne Berücksichti- gung derjenigen, die die Kündigungs- welle nicht abwarteten beziehungs- weise sich der demütigenden Eva- luierung durch die Personalkommis- sionen nicht unterziehen wollten. Si- cher hätte dieser Wechsel auch sozial- verträglicher erfolgen können. Da die Mehrzahl der Betroffenen entweder das Emeritierungsalter erreicht hatte beziehungsweise vier bis sechs Jahre davor stand, wäre der Prozeß des Eli- tewechsels in etwa dem gleichen Zeit- raum verlaufen, vor allem dann, wenn

das Alter des Ausscheidens auf 63 Jahre fixiert worden wäre. Einer Un- tersuchung von Deregoski et al. (4) zufolge standen in den 90er Jahren et- wa zwei Drittel des Hochschullehrer- bestandes der DDR vor der Emeritie- rung aus Altersgründen. Dies hätte den Steuerzahler weniger gekostet (keine Prozeß- und Anwaltskosten, keine Abfindungen und Einsparung von Vergütungen nach Westtarif), mehr Zeit für die Neuberufungen ge- lassen und das Resultat der berufli- chen und sozialen Ausgrenzung ver- mieden beziehungsweise deutlich ab- geschwächt.

Eine Forderung der Wendezeit lautete, die gekündigten und aus- geschiedenen Hochschullehrer durch die zweite und dritte Reihe der DDR- Wissenschaftler zu ersetzen. Dies hat sich leider nur in Ansätzen realisiert.

Bei den Neuberufungen genossen westdeutsche Wissenschaftler der zweiten und dritten Reihe die Prä- ferenz. Das hängt damit zusammen, daß die westdeutschen Berufungskriterien un- kritisch von den ost- deutschen Hochschu- len übernommen wur- den. Ostdeutsche Nach- wuchswissenschaftler konnten natürlich kei- nen Aufenthalt an For- schungsstätten vor allem in den USA und Publi- kationen in amerika- nischen Zeitschriften nachweisen. Außerdem haben zahlreiche fähige junge Wissenschaftler wegen einer ungewissen beruflichen Zukunft die Universität verlassen. Zudem ist erklärlich, daß die in den Berufungsgremien tätigen westdeutschen Hochschullehrer den Nachwuchs aus ihrem früheren Tä- tigkeitsfeld besser kennen als den vorgefundenen. Der Verdrängungs- effekt, der sich in den geisteswissen- schaftlichen Fakultäten innerhalb von zwei Jahren vollzog, wird in der Medi- zin tradierter ablaufen, aber letztlich unvermeidlich sein.

Literatur beim Verfasser

Prof. Dr. med. em. Arno Hecht Gutenbergstraße 19

08209 Auerbach A-1470

P O L I T I K FORUM

(22) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 22, 4. Juni 1999

Grafik 2

Nichtmedizinische Hochschullehrer an Universitäten und Medizinischen Akademien der DDR und ihr Verbleib nach 1989

120 90 60 40 30 20 10

0 Direktoren o. Professoren ao. Professoren Dozenten ao. Dozenten insgesamt 9 8

17 3

12 15 5

12 17 25

18 43

18 9

27 60 59

119 Grafik 2

tätig ausgeschieden Summe

Referenzen

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