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as scheinbar Unbegreif- liche für Jugendliche fassbarer machen – das will das Schulprojekt „Ver- rückt? Na und!“ des Leipzi- ger Vereins für Öffentlich- keitsarbeit in der Psychiatrie„Irrsinnig Menschlich e.V.“.
Kern des Projekts ist die di- rekte Begegnung zwischen Jugendlichen und psychisch Kranken. Schüler und Lehrer beschäftigen sich nicht nur
abstrakt mit dem Thema.
Psychiatrie-Erfahrene, deren Angehörige und Therapeuten lassen sie an ihrer Sicht der Dinge teilnehmen. Bei dem Konzept wurden Erfahrun- gen aus Kanada und Öster- reich genutzt: Als dort Ärzte und Psychologen an Schulen über psychische Erkrankun- gen aufklären wollten, ver- stärkten sich die Ängste der Schüler. Dagegen reagierten
sie positiv auf die persönli- chen Erfahrungsberichte Be- troffener. Durch die Begeg- nung lernen die Jugendlichen, dass es zwischen ihnen und psychisch Kranken mehr Ver- bindendes als Trennendes gibt. Wie zum Beispiel die 15- jährige Sonja: „Die waren to- tal normal, hören dieselbe Musik, haben die gleichen Po- ster an der Wand, die gleichen Klamotten an.“
„Verrückt? Na und!“ richtet sich an 14- bis 20-jährige Jugendliche an Realschulen, Gymnasien und Berufsschu- len. Seit Februar 2001 haben 750 Schüler an 25 Schulen hauptsächlich in Sachsen an dem Projekt teilgenommen.
Inzwischen gehen bei Irrsinnig Menschlich e.V. jede Woche mehrere Anfragen von inter- essierten Schulen aus dem ge- V A R I A
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1725. April 2003 AA1151
Schulprojekt „Verrückt? Na und!“
Ermutigende Ergebnisse
Das Anti-Stigma-Projekt ermöglicht durch die
direkte Begegnung zwischen Jugendlichen und
psychisch Kranken, Vorurteile abzubauen.
ins Leben gerufen hat. Davon, dass das Schulprojekt langfri- stig Vorurteile abbauen kann, war auch das Pharmaunter- nehmen Lilly überzeugt, das
„Verrückt? Na und!“ 2001 mit dem „Lilly Schizophrenia Awards“ auszeichnete – 24 Projekte hatten sich um den Preis beworben.
Die Vorgehensweise des Projekts ist einfach. Zunächst werden die Jugendlichen, in Gruppen von 15 bis 20 Schülern, für das Thema sensi- bilisiert und setzen sich mit ihrem Selbstbild und ihren Le- benszielen auseinander. Wer bin ich, was ist die menschliche Psyche, was sind die Belastun- gen, die einen Menschen aus der Bahn werfen können? Da- bei werden Grundkenntnisse über psychische Er-
krankungen vermit- telt. In einem zwei- ten Schritt überle- gen die Schüler ge- meinsam, welche Vorstellungen sie von psychisch Kran- ken haben und wo- her diese stammen.
Sie lernen, ihre Ein- stellungen kritisch zu hinterfragen. Zu- letzt kommt es zur Begegnung mit
Menschen, die eine psychische Krankheit durchgemacht ha- ben. Die Begegnung kann ver- tieft werden durch einen Be- such in einer psychiatrischen Klinik. Manuela Richter-Wer- ling von Irrsinnig Menschlich e.V. ist immer wieder über- rascht, „wie interessiert und le- bensklug die Jugendlichen sind, gleich an welcher Schule wir unsere Aktion durch- führen“.
Die Ergebnisse der ersten wissenschaftlichen Evaluati- on des Projekts sind vielver- sprechend. 120 Schüler wur- den vor und nach dem Projekt nach ihrer Einstellung ge- genüber Menschen mit Schi- zophrenie befragt. Bereits vorher zeigten die befragten Schüler eine positivere Ein- stellung zu psychischen Er- krankungen, als aus der er- wachsenen Allgemeinbevöl- kerung bekannt ist. Doch es gab auch Vorurteile: So mein-
te die Mehrheit der Jugendli- chen vor dem Projekt, es wür- de ihnen Angst machen, sich mit jemandem zu unterhalten, der Schizophrenie hat. Da- nach waren diese Schüler fast ausnahmslos bereit, den Kon- takt aufzunehmen.
Eine der wichtigsten Ursa- chen für die Stigmatisierung psychisch Kranker liegt darin, dass schon die Erwähnung des Wortes Schizophrenie bei vielen negative Assoziationen auslöst. Auch hierbei hat das Schulprojekt eine notwendi- ge Korrektur bewirkt: Vorher dachten die Jugendlichen bei dem Begriff Schizophrenie häufig an eine „geistige Be- hinderung“ und schätzten die Betroffenen als „schwachsin- nig“ ein. Danach beurteilten
sie die Betroffenen eher als
„missverstandene Menschen“, deren Erkrankung jeden tref- fen kann.
Aufgrund der großen Reso- nanz aus ganz Deuschland will der Verein Irrsinnig Mensch- lich ein bundesweites Netz- werk von betroffenen und en- gagierten Menschen aufbauen, die „Verrückt? Na und!“ vor Ort an Schulen durchführen – Interessierte werden gesucht.
Auch finanzielle Hilfen sind willkommen,da sich das Schul- projekt nur durch Spenden fi- nanziert. Petra Bühring V A R I A
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samten Bundesgebiet und dem deutschsprachigen Ausland ein. Der Verein setzt sich seit seiner Gründung im Frühjahr 2000 für die Entstigmatisie- rung psychisch Kranker ein.
Gegründet wurde er auf Initia- tive des Psychiaters Prof. Dr.
Mathias C. Angermeyer und der Soziologin Beate Schulze von der Universität Leipzig.
Die Projekte des Vereins sind in das weltweite Anti-Stigma- Programm eingebunden, das die World Psychiatric Associa- tion 1996 in rund 80 Ländern
Ohne Berührungsängste: Sven Ramos be- richtet den Schülern von seiner Erkrankung.
Foto: Irrsinnig Menschlich e.V.
Informationen:
Irrsinnig Menschlich e.V. – Verein für Öffentlichkeitsarbeit in der Psychiatrie. Dr. Manuela Richter- Werling, Johannisallee 20, 04317 Leipzig, Telefon/Fax: 03 41/
2 22 89 90
E-Mail: info@irrsinnig-menschlich.
de; Internet: www.irrsinnig- menschlich.de