A 602 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 12|
23. März 2012BÖRSEBIUS
Hinter den Kulissen
G
reg Smith hat Freunde und Feinde. In den letzten Tagen sind aber ganz sicher noch einige Greg-Smith-Hasser dazugekommen, vorwiegend aus dem Topmanage- ment seines Arbeitgebers. Der Lon- doner Banker des US-amerikani- schen Investmenthauses Goldman Sachs legte seinen Oberen ein rich- tig schönes Ei ins Nest.Insider Smith schmiss der Bank seine Kündigung quasi öffentlich vor die Füße. In der renommierten Zeitung „New York Times“ rechne- te er unter dem Titel „Warum ich Goldman Sachs verlasse“ mit sei- nen Chefs gründlich ab. Die Bank versuche systematisch, ihre Kunden über den Tisch zu ziehen, die Fir- menkultur sei „giftig und zerstöre- risch“. Er sei es leid, nur dann Kar- riere machen zu können, wenn den Anlegern Papiere verkauft werden, die die Bank loswerden müsse oder wenn ihnen überteuertes Zeugs an- gedreht würde. Außerdem würden
die Kunden ziemlich geringschät- zig behandelt, zumindest intern, so hätten mehrere Goldman-Sachs- Manager ihre Klienten als „Mup- pets“ bezeichnet.
Das sei ja alles gar nicht so, wie- gelte die US-Bank ab. In einer E-Mail an seine Mitarbeiter bedau- erte der Boss von Goldman Sachs, Lloyd Blankfein, dass „die Einzel- meinung über Goldman Sachs von einer Zeitung verstärkt wird“. In ei- nem offiziellen, gleichwohl knap- pen Statement wies die Bank darauf hin, wie wichtig doch zufriedene Kunden seien, und daher könne an den Vorwürfen nichts dran sein. Die Goldman-Sachs-Aktie reagierte al- lerdings mit einem deutlichen Mi- nus auf die Veröffentlichung und hat für die letzten zwölf Monate eh keine gute Performance vorzuwei- sen. Etwa ein Viertel des Börsen- wertes büßte sie ein, wahrlich kein ansprechender Erfolgsausweis. Na ja, und außerdem, so ganz aus der
Luft gegriffen sind die Vorwürfe si- cher nicht. Anlässlich einer Anhö- rung vor dem amerikanischen Kon- gress musste sich die Bank eine Mail um die Ohren hauen lassen, in der ein Goldman-Sachs-Banker einen Deal als „schmutziges Geschäft“ ti- tulierte, und vor zwei Jahren konnte die Bank Vorwürfe, Kunden mit ei- nem komplizierten Derivategeschäft in die Irre geführt zu haben, nur mit einer Zahlung von 550 Millionen Dollar „erledigen“.
London, USA, Deutschland?
Geht es hier um einen Einzelfall, der uns nicht weiter tangieren soll- te, oder beschreibt Greg Smith ein allgemeines Phänomen, das auch für Deutschland gilt? Auch wenn hier nichts verallgemeinert werden darf, glaube ich schon, dass hinter den Kulissen das Kundeninteresse oft genug nicht das Ziel Nummer eins ist, sondern eben das der Bank. Viele deutsche Bankberater beklagen hinter vorgehaltener Hand, sie müssten dem Kunden nach wie vor Produkte verkaufen, bei denen ihnen nicht geheuer sei.
So gesehen bleibt zu hoffen, dass Greg Smith auch hierzulande ein
Zeichen setzt.