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Archiv "Pro & Kontra: Beihilfe zum Suizid" (05.10.2012)

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A 1968 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 40

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5. Oktober 2012

PRO &

KONTRA

Als „Integrationsfigur der Ärzte- schaft in schwierigen Zeiten“ wür- digte der Vorstand der Bundesärzte- kammer den im November 2011 verstorbenen Präsidenten, Prof. Dr.

med. Jörg-Dietrich Hoppe. Nur ein knappes Jahr zuvor hatte Prof. Hop- pe seine in der Tat überragende in- tegrierende Kraft, auch divergieren- den ethischen Haltungen innerhalb der Ärzteschaft gerecht zu werden, erneut unter Beweis gestellt. In der Frage des ärztlich assistierten Sui- zids bezog er öffentlich eine weise Position: „Die Beihilfe zum Suizid gehört nicht zu den ärztlichen Auf- gaben. Sie soll aber möglich sein, wenn der Arzt das mit seinem Ge- wissen vereinbaren kann.“

Derzeit allerdings kann von Inte- gration unterschiedlicher Auffas- sungen innerhalb der Ärzteschaft in der Frage der Zulässigkeit des as- sistierten Suizids kaum die Rede sein. Schon die Entscheidung des Deutschen Ärztetages in Kiel 2011 zu diesem zentralen ärztlichen An- liegen war überhastet, ja geradezu handstreichartig zustande gekom- men. Dabei hätte der Ärzteschaft ein Moratorium, und damit Zeit für eine dem Ernst und der Komplexi- tät ihres Gegenstandes angemesse- ne innerärztliche Debatte besser zu

Gesicht gestanden. Denn immerhin steht Umfragen zufolge ein Drittel der deutschen Ärztinnen und Ärz- ten der Frage des assistierten Sui- zids offen gegenüber.

Geradezu verwunderlich ist es deshalb, wenn Hoppes oben zitierte Haltung zum ärztlich assistierten Suizid während eines zu seinen Ehren veranstalteten Symposiums zur Palliativmedizin gänzlich uner- wähnt bleibt. Damit wird in Fragen der Lebensendemedizin innerhalb der deutschen Ärzteschaft ein Kon- sens unterstellt, den es so nicht gibt.

Als ein „Stück aus dem Toll- haus“ bezeichnete Hoppes Nachfol- ger, Prof. Dr. med. Frank-Ulrich Montgomery, unlängst den vom Bundesministerium der Justiz vor- gelegten Referentenentwurf zum Verbot kommerzieller Sterbehilfe.

Es handelte sich um einen Gesetz- entwurf, dem Hoppe wohl weitge- hend zugestimmt hätte. Schließlich kam in ihm zum Ausdruck, dass die Entscheidung zur Suizidassistenz nur auf der Grundlage einer Gewis- sensentscheidung des Arztes erfol- gen kann. Diese setzt ihrerseits ein gewachsenes und wechselseitiges Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und seinem Arzt voraus.

Nicht betont werden muss an dieser Stelle, dass kein Arzt und keine Ärztin zu einer solchen Hilfeleis- tung jemals verpflichtet werden kann und darf.

Wenn nach und trotz eingehen- den Dialogs mit einem aussichts - los kranken Patienten und nach seiner umfassenden Aufklärung über alle palliativmedizinischen Op - tionen sich sein Wunsch nach selbstbestimmter Lebensbeendigung als nachhaltig und plausibel dar- stellt, ist für organisierte oder gar kommerzialisierte Sterbehilfe kein Raum.

Der Gesetzentwurf sowie der ur- sprüngliche Begründungstext aus dem Justizministerium, der auch den Kranken intensiv betreuende Ärztinnen und Ärzte sowie Pflege- kräfte zu den „nahe stehenden Per- sonen“ zählte, bei denen Suizidbei- hilfe nicht geahndet werden sollte, wies in die richtige Richtung: Die Entscheidung zur Suizidassistenz darf nur auf der Grundlage einer Gewissensentscheidung des Arztes und eines engen Vertrauensverhält- nisses zum Patienten erfolgen.

Um dies zu verdeutlichen, lässt sich auch Prof. Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, ehemals Bundesminister der Justiz und bis vor kurzem Vor- sitzender des Deutschen Ethikrates, zurate ziehen: „Ethische Normen können, im Unterschied zum Recht, keine generelle Verbindlichkeit be- anspruchen . . . Recht ist das Rege- lungsinstrument des Staates, Ethik dasjenige des verantwortlich han- delnden auf sein Gewissen hören- den einzelnen Menschen.“

Dr. med. Michael de Ridder: Der Inter-

nist, Intensivmedizi- ner und langjährige

Chefarzt einer Ret- tungsstelle ist Autor

des Buches „Wie wollen wir sterben?“.

Foto: Georg J. Lopata

PRO

Beihilfe zum Suizid

PRO &

KONTRA

Kommerzielle Sterbehilfe ist verboten, private Suizid- beihilfe jedoch straffrei. Doch wie sollen sich Ärztinnen und Ärzte verhalten, wenn ihre Patienten sich wün- schen zu sterben? Soll Suizidbeihilfe durch Ärzte in Ausnahmesituationen legitim sein? Besteht die Gefahr des Missbrauchs und eines Dammbruchs?

Ein Pro und ein Kontra Foto: Mauritius

P O L I T I K

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 40

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5. Oktober 2012 A 1969 Ein Suizid bleibt ein Widerspruch

zum Leben und ärztliche Beihilfe zum Suizid stellt keine Form menschlicher Zuwendung dar. Dies zu verwechseln hätte dramatische Konsequenzen. Vielmehr gilt es, ei- ne Antwort auf die Frage zu finden, welchen Stellenwert wir jener zwi- schenmenschlichen Hilfestellung – der Palliativmedizin – zumessen, die alles Erdenkliche tut, um Lei- den zu mindern, die Sterben zulässt, aber nicht herbeiführt.

Zentrales Ziel der Palliativmedi- zin ist der Versuch, Sterbende dabei zu unterstützen, sich in Würde dem Tod zu nähern, sich auf ihn vorzube- reiten, und ihn, wenn möglich, be- wusst erleben zu können. Hierzu ge- hören das Abwenden von Übelkeit, Angst und Atemnot, aber auch die körperliche Pflege sowie das Lin- dern von Hunger- und Durstgefüh- len, aber auch menschliche Zuwen- dung, seelsorgerischer Beistand und die ausdrückliche Bereitschaft, den Sterbenden und sein unmittelbares Umfeld nicht alleine zu lassen. Na- türlich kann es durchaus angebracht sein, eine Behandlung zu begrenzen oder gar zu beenden, aber auch dar - auf können Ärzte im Rahmen pallia- tivmedizinischer Begleitung reagie- ren. Die Möglichkeiten reichen bis

hin zur palliativen Sedierung, die je- de spürbare Wahrnehmung außer Kraft setzen kann. Wesentlich ist, dass die Möglichkeiten der Palliativ- medizin ausdrücklich weder medizi- nisch noch juristisch mit Sterbehilfe oder assistiertem Suizid gleichzuset- zen sind und keine Beihilfe zur Selbsttötung darstellen.

Der assistierte Suizid ist etwas vollständig anderes. Er zielt darauf ab, einen Lebenden bei der Durch- führung einer eigenverantwortli- chen Selbsttötung zu unterstützen.

Daraus ergeben sich zwingend die Übernahme der Verantwortung für den Tod eines Menschen und ein Urteil über Wert oder Unwert eines Lebens. Aufgrund der Irreversibili- tät dieser Entscheidung kommt eine solche Handlung einer endgültigen Absage an das Menschsein nahe.

Ungeklärt bleibt, inwieweit sich der Anspruch auf Selbstbestim- mung auch auf Entscheidungen zum selbst gewählten Ende des Lebens erstrecken kann und inwiefern an- dere Menschen eine entsprechende Verfügung umsetzen dürfen. Gera- de an diesem Punkt setzen bioethi- sche Kontroversen der Gegenwart an und lassen sich weder durch plausibel erscheinende Einzelfälle noch durch eine Neudefinition von Mitmenschlichkeit auflösen.

Würden wir Sterbehilfe tolerie- ren, hätte dies massive Auswirkun- gen. Dies wird schon daran erkenn-

bar, dass mögliche Missbrauchssze- narien ignoriert und damit intuitiv akzeptiert werden müssten. Men- schen könnten sich nicht mehr dar - auf verlassen, dass ärztliche Hand- lungen ausschließlich zum Schutz ihres Daseins durchgeführt werden, die essenzielle Vertrauensbasis zwi- schen Arzt und Patient wäre nach- haltig beschädigt. Darüber hinaus würde eine solche Entscheidung in einer permanenten Kontrolldiskussi- on münden. Denn man kann dann niemals absolut sicher sein, dass der Suizidwunsch eines Patienten nicht doch einer vorübergehenden seeli- schen Krise entspringt, die überwun- den oder durch anderweitiges Han- deln gelindert werden könnte. Die Absichten eines Patienten und des zum Suizid verhelfenden Arztes zweifelsfrei festzustellen, ist kaum möglich.

Das Leben ist ein unverdientes, wunderbares Geschenk, das wir mit unserem Geburtstag annehmen und mit dessen natürlichen Gefährdun- gen wir umgehen lernen müssen.

Die moderne Medizin wird an der Endlichkeit unseres Daseins nichts ändern. Sie wird manchmal heilen, oft lindern und immer trösten. Dies ist keine resignierte Beschreibung ärztlicher Handlungsoptionen, son- dern die Antwort auf die Heraus - forderungen eines selbstbestimm- ten Lebens, das um die eigenen menschlichen Grenzen weiß.

Zum Thema: Der Schritt vom Ändern des Therapieziels und dem Unterlas- sen von aktiven therapeutischen Maßnahmen bis hin zur ärztlichen Unter- stützung eines Suizids bei schwerstkranken Menschen wird in der Ärzte- schaft seit Jahren kontrovers diskutiert. Eindeutig positionierte sich jedoch der diesjährige 115. Deutsche Ärztetag zur organisierten Sterbehilfe. Mit großer Mehrheit forderten die Delegierten ein generelles Verbot. Sorge be- reitete ihnen, dass die „zunehmende Kommerzialisierung der Sterbehilfe befürchten lässt, dass sich verzweifelte Menschen immer häufiger für ei- nen organisierten Suizid entscheiden“, heißt es in der Ärztetags-Entschlie- ßung. „Deshalb muss der Gesetzgeber alle Facetten der gewerblichen und organisierten Sterbehilfe strafrechtlich sanktionieren, also auch die Organi- sationen mit erfassen, bei denen rechtlich keine Gewinnerzielungspraxis nachweisbar ist.“

Die Bundesregierung hat reagiert und einen Gesetzentwurf zum Verbot gewerbsmäßiger Sterbehilfe auf den Weg gebracht. Kommerzielle Suizid- helfer machen sich dem Entwurf zufolge strafbar. Im privaten Rahmen aber steht die Beihilfe zum Suizid, wie der Freitod selbst, weiterhin nicht unter Strafe. Für Kontroversen hatte der Referentenentwurf aus dem Bun- desjustizministerium im Sommer gesorgt, weil in seinem Begründungstext Mediziner oder Pflegekräfte zu den „nahe stehenden Personen“ gezählt worden waren, bei denen eine Suizidbeihilfe nicht geahndet werden sollte.

Für Ärzte sollte dies dann gelten, „wenn eine über das rein berufliche Ver- hältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung“ ent- standen ist, wie dies zum Beispiel beim langjährigen Hausarzt der Fall sein kann. Dieser Satz wurde aus dem Kabinettsbeschluss mittlerweile

entfernt. ER

Prof. Dr. med. Dr.

Eckhard Nagel:

Der Chirurg und Phi- losoph ist Ärztlicher

Direktor des Uni - versitätsklinikums

Essen sowie Mit- glied des Deutschen

Ethikrates.

KONTRA

Foto: epd

P O L I T I K

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