68 Erdkunde Band VII
folgend, den wechselnden landschaftlichen Bedingun gen angepafit. ? Auf zuchterischer Ebene brachte Reinhard Walz (Gladenbach) ?Beitrage zur altesten Geschichte der altweltlichen Cameliden unter beson
derer Beriicksichtigung des Domestikationszeitpunk tes", mit dem Ergebnis, dafi der Zweihocker (Tram peitier) von pferdezuchtenden Turkvolkern als Last tier, der Einhocker (Dromedar) wahrscheinlich aber in Innerarabien domestiziert worden sei. ? Josefine Huppertz (Bonn) wies Unterschiede in der Tierhal
tung bei den Viehzuchtern Asiens und Afrikas" auf und gelangte bei den drei Gruppen der nordasiatisch
altaischen, der sudwestasiatisch-arabischen und der
ostafrikanisch-hamitischen Hirtenvolker zu den vier Tierhaltungstypen des freien Weidegangs, der freien Lagerhaltung, der Kralhaltung und der Kralwirt
schaft. ? ?The development of ,Extensive' Reindeer Herding in Swedish Lapland" zeigt nach Jan. R.
Whitaker (Edinburgh) interessante neue Entwicklun gen. Der Herdenbetrieb der Lappen ist zwar stets
?extensiv" zu nennen gewesen, unterlag aber doch
einer steten Kontrolle, mit Ausnahme der Mosquito Saison des Friihsommers mit ihrem freien Schweifen der Herden nach dem Kalben; im fruhen August wurde die Herde dann wieder eingesammelt und
taglich gemolken. Letzteres wurde in neuerer Zeit aber uberall eingestellt. Im aufiersten Norden hat
sich ferner in jiingster Zeit eine extrem extensive Herdenwirtschaft herausgebildet, welche die Tiere
einen Grofiteil des Jahres ohne Kontrolle lafit, so dafi moglicherweise hier ein Obergang von der Her denwirtschaft zur Jagd zu erwarten ist.
Mehr als je sind in der volkerkundlichen Proble matik die Fragen des Kulturwandels in den Vorder grund getreten. In Wien klangen sie z. B. in den Ausfuhrungen von Mohamed Awad (Kairo) iiber
?The Assimilation of Nomads by the Sedentary Po pulation of Egypt" an; der Vortrag wies auf die Fragen hin, die der sefihaften Bevolkerung des Nil
tals aus dem standigen nomadischen Zustrom aus Ost
und West (Arabien bzw. Lybien) erwachsen, der seit 60 Jahrhunderten vor sich geht. ? Ein aktueller Umbruch wurde von Joel S. Canby (Baghdad) in
seinem Referat ?Beduin in Transition" veranschau
licht: Untersuchungen unter den Schammar im nord westlichen Irak erweisen einen Obergang vom No madismus zum sefihaften Bodenbau, der von der
okonomischen Sphare her auch alle anderen Lebens bereiche modifiziert. ? Der rapide Kulturwandel Afrikas wurde von Jean-Paul Lebeuf (Paris) am Bei spiel der ?Milieux urbains de PAfrique Equatoriale Fran5aise" gezeigt: schwerste Probleme sind hier aus
der Storung des Gleichgewichts durch die Schaffung
europaischer stadtischer Zentren erwachsen, unabseh
bar in ihren Auswirkungen vor allem im Geistigen, wo Fetischismus und Islam, Christentum und Laizis mus um die Seele der Eingeborenen ringen.
H.H. von der Osten (Uppsala) wies in seinem Vor
trage uber ?Burgen und Bergstadte Zentralanato
liens" nach, dafi seit der vorgriechischen (z. B. hethi tischen) Zeit reine Schutzburgen im allgemeinen immer an der gleichen naturgegebenen Stelle errichtet wurden, wahrend die Lage der Herrensitze und
Zwingburgen je nach den politisdien Notwendig keiten variierte. ? Dafi die natiirlichen Verhaltnisse nicht nur an dem Geprage menschlicher Lebensaufie
rungen formen, sondern auch ein Kausalfaktor phy sischer Erscheinungen sind, unterstrich D. F. Roberts (Oxford) in seinem Vortrag iiber ?An Ecological Approach to Physical Anthropology"; er zeigte, dafi
bei der Erarbeitung von ?Normalwerten" (z. B. fiir Blutdruck, Puis und Atemrhythmus) geographische . Faktoren zu beriicksichtigen sind (der Rezensent darf
in diesem Zusammenhange an die rezenten Hohen
forschungen in Peru ? ?el hombre de Morococha" ? unter Leitung des Limenser Anthropologen Monje
erinnern).
Neben der Arbeit der Sektionen wurde in allge meinen Zusammenkiinften eine grofiere Anzahl aus gezeichneter Filme vorgefiihrt, von denen die folgen den besonders aufschlufireich in ihrer Beziehung zur Umwelt waren: ?Les pecheurs de Niger" (J.Roucb, Paris); ?The Ovambo of Southwest Africa" (E.Loeb, Berkeley); ?Das Leben der Buschmanner in der Kala hari" (M. Gusinde, Washington).
Hermann Trimborn
Der 30. Internationale Amerikanisten-Kongreji
Der vom 18. bis 23. August 1952 in Cambridge
(England) veranstaltete 30. Internationale Ameri
kanisten-Kongrefi vereinigte 130 Wissenschaftler aus
24 Nationen.
Das Schwergewicht des Kongresses lag bei den Re feraten iiber die Archaologie Mittel- und Sudameri
kas. Daneben wurden aber auch andere Themata,
wie z. B. iiber die Ethnologie der nord- und sudame rikanischen Naturvolker, iiber Anthropologic, Geo graphie, Linguistik, Soziologie usw. behandelt.
Als das wichtigste Referat ist das des mexikani schen Gelehrten E. Noguera, der zusammen mit dem Engla'nder Thompson iiber die neuesten Ergebnisse der Ausgrabungen in der Ruinenstadt Palenque, im
Maya-Gebiet Mittel amerikas, sprach, anzusehen.
Durch Zufall fand man dort in einer der Pyramiden einen Gang, der zur Aufdeckung von Grabern im Innern der Pyramide fiihrte. Da man bisher allge mein glaubte, dafi die altamerikanischen Pyramiden
im Gegensatz zu denen in Agypten nicht als Grab denkmaler gedient hatten, sondern nur als ein un
terer Teil der auf ihrer Spitze errichteten Tempel anzusehen seien, wurde durch diese Entdeckung die Frage nach der Bedeutung der altamerikanischen Pyramiden von neuem aufgerollt.
Auf dem archaologischen Sektor wurden weiterhin noch in einer Reihe von Ref era ten Ergebnisse von Forschungen iiber kleinere Spezialfragen vorgetra gen. Hierauf im einzelnen einzugehen, wiirde zu weit fiihren. Es darf jedoch allgemein gesagt werden, dafi es gelungen ist, weitere Liicken in unserem Wis
sen iiber die vorspanischen Hochkulturen Altameri kas zu schliefien.
Fragen der Kultur der Naturvolker Sudamerikas waren mehrere Referate gewidmet, die zum Teil auf
theoretischen Studien basierten, wie z. B. bei O. Zer ries und /. Haekel, oder wie bei /. Caspar, E. Scha den und H. Bald us auf eigener Feldarbeit.
Berichte und kleine Mitteilungen 69 Fiir den Geographen von besonderem Interesse
waren die Ausfiihrungen von A. G. Haudricourt iiber den Mais in Indochina und Amerika, von M. W. Smith: On the development of agriculture
with data from the N. W. Coast and U. S. A., von
R. W. Underbill: Modern use of the narcotic peyote by American Indians und von R. N. Salaman: The Potato in Peruvian Archeology. Womit nicht gesagt
sein soil, dafi nicht auch in einer Reihe anderer Re ferate geographische Fragestellungen, wie der Ein flufi der Umwelt auf bestimmte Kulturtypen usw.,
anklangen.
/. Roeder und Prinz Viktor zu Wied-Neuwied be richteten iiber die vor kurzer Zeit wiederentdeckten Originalzeichnungen des Malers Carl Bodmer3 des Begleiters des Prinzen Max zu Wied-Neuwied, auf dessen Nordamerika-Reise in den Jahren 1832?34.
Es handelt sich um an Ort und Stelle aufgenommene
Skizzen vom ? damals noch unverfalschten ? Le ben der Prarie-Indianer.
Der norwegische Ethnologe Thor Heyerdahl sprach in drei Vortragen iiber die wissenschaftlichen Hintergriinde seiner Reise mit dem Flofi Kon-Tiki.
Trotz der anschliefienden regen Diskussion konnte man sich allgemein des Eindrucks nicht erwehren,
dafi Heyerdahl der wissenschaftliche Beweis fiir seine Hypothese, dafi namlich die Besiedlung Polynesiens
durch amerikanische Auswanderer geschehen sei, bis jetzt noch nicht gelungen ist, und dafi es dazu noch der intensiven Erforschung der verschiedensten Ein zelfragen bedarf. Als ein positives Ergebnis seiner Reise darf aber schon jetzt angesehen werden, dafi die Wissenschaft dieser Frage, die bisher zu wenig
beachtet wurde, nun erhohte Aufmerksamkeit zu wendet.
In Abendsitzungen wurden einige Filme iiber mittelamerikanisches Volksleben gezeigt. Von beson
derern Interesse war auch ein Farbfilm iiber die Rui nen von Bonampak. 1947 erst entdeckt, fand die Wissenschaft in Bonampak zum ersten Male in einer Stadt des sogenannten alteren Reiches der Maya sehr gut erhaltene Wandmalereien, die bis ins kleinste Detail das Leben dieser Zeit darstellen.
Im Fitz-William-Museum zu Cambridge! waren anlafilich der Tagung indianische Codices aus Mittel amerika und die oben erwahnten Zeichnungen Bod
mers ausgestellt.
In der Schlufisitzung wurde beschlossen, den nach sten Amerikanisten-Kongrefi 1954 in Sao Paulo (Bra silien) abzuhalten.
Fiir die Teilnehmer des Kongresses war die Wie der- und Neuankniipfung personlicher Beziehungen zu den Fachkollegen der anderen Lander von nicht geringerer Bedeutung als das Bekanntwerden mit den neuen Forschungsergebnissen. Udo Ober em
Bonner Ostforscher-Tagung
Die Deutsche Gesellschaft fiir Ost europakunde E. V. hat ihre Mitglieder und allgemein die deutschen Ostforscher zu der diesjah rigen Jahrestagung nach Bonn eingeladen.
?Wir deutschen Ostforscher wollen keine Politik machen", sagte Prof. Dr. Dr. Otto Schiller namens
des Vorstandes; ?wir wollen aber das Unsere bei tragen, damit die Manner, welche deutsche Politik machen, dies auf Grund der bestmoglichen Informa tionen iiber den Osten tun." In fiinf Sektionen wurde nacheinander vom 23. bis 25. Oktober 1952 getagt
(stets etwa 150 Teilnehmer).
Die Slawistische Sektion (Vorsitz: UProf. Dr. M.
Braun, Gottingen) stellte die Bedeutung der Sprach wissenschaft heraus, die bereit ist, auch dem Geogra
phen zu helfen (z. B. Ortsnamenforschung). Die Geistes- und kulturgeschichtliche Sektion (Vorsitz:
UDoz. Dr. Werner Markert, Gottingen) besprach
?Die Diskussionen um ein neues Geschichtsbild".
Hier brachte Legationsrat Dr. Kossmann (Auswa'r
tiges Amt), dem fiir das Zustandekommen dieser Ta gung grofier Dank abgestattet wurde, seine geogra phische Konzeption von der Bedeutung der Peri pherie im Rahmen des wachsenden Raumes ?Europa"
zum Ausdruck.
Die Wirtschaftswissenschaftliche Sektion (Vorsitz:
UProf. Dr. K. C. Thalheim) richtete den Scneinwer fer auf die brennende Frage der Wiederbelebung des
westdeutschen Osthandels. Hierzu sprach der zustan
dige Vertreter des Bundeswirtsdhaftsministeriums, Gesandter Dr. Hans Kroll: Auch im Rahmen des USA-Embargos kann Osthandel zum Tragen kom men, wenn Deutschland Gleichberechtigung erhalt, wozu Ansatze vorhanden sind. Geographisch war in diesem Zusammenhange die Frage von Bedeutung, ob der Riesenraum der Ostblockstaaten bereits Aut arkic besitze oder erreichen konne bzw. anstrebe, da Staatsplanwirtschaft ihrer Natur nach aufienhandels feindliche Tendenz habe.
Die Gesellschaftswissenschaftliche Sektion (Vorsitz:
Dr. Klaus Mehnert, Stuttgart) verglich die Wirklich keit der SU mit den aus Philosophic und Natur wissenschaften abgeleiteten Theorien. Die Sektion
fiir Ostmittel- und Siidost-Europa (Vorsitz: UProf.
Dr. Hans Koch, Miinchen) untersuchte den Struktur wandel, der durch das stark vergrofierte Gewicht der
Sowjetmacht eingetreten ist, sowie jungste Gegen
stromungen (Titoismus).
Ein Hohepunkt der Tagung war der offentliche Vortrag von Prof. Dr. Dr. Otto Schiller iiber ?Das Agrarsystem der SU in seiner Bedeutung fiir die
iibrige Welt". Dies Thema ist von grofier geogra phischer Bedeutung sowohl in den Auswirkungen
(Flurbereinigung, Grofifelder, Agrostadte usw.) als auch bezuglich der Strukturanalyse geographischer Voraussetzungen (natiiriiche Zwergbetriebe, kiinst
liche Bewasserung, regional gesteuerte Produktion usw.). Der Vortrag bewegte sich jedoch wie die ge samte Tagung in nicht geographischen Blickrichtun gen; und das aufierst wichtige Gebaude der Deutschen Gesellschaft fiir Osteuropakunde besitzt offenbar
noch kein geographisches Erdgeschofi.
Werner Leimbach