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Archiv "Pathologisches Spielen: Entstehungsbedingungen und Behandlung" (28.02.1991)

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Pathologisches Spielen:

Entstehungsbedingungen und Behandlung

IBM

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

DIE UBERSICHT

Klaus Windgassen und Norbert Leygraf

S

eit jeher betreiben Men- schen Glücksspiele, und ebenso alt dürften die Bemühungen sein, ein Ausufern der Spiellei- denschaft mit den verhängnisvollen Folgen für Individuum wie Gesell- schaft durch Verbote und Straf- androhungen zu verhindern. Der Psychiatrie ist seit langem bekannt, daß Glücksspiel zur Krankheit wer- den kann; schon Kraepelin erwähnte Anfang des Jahrhunderts in seinem Lehrbuch ausdrücklich die „krank- hafte Spielwut" (9). Größere Auf- merksamkeit aber fand diese Proble- matik bei Psychiatern wie Laien erst in den letzten Jahren (Ubersicht bei 2, 7 und 10).

Hierzu dürften auch die verän- derten Bedingungen beigetragen ha- ben, unter denen gespielt wird; fand doch das Glücksspiel bei uns früher (abgesehen von den großen, staatlich konzessionierten Lotterien) über- wiegend in gesellschaftlichen Ni- schen statt: Leichten Zugang zum Kasino hatten nur Wohlhabende, weniger Begüterte konnten allenfalls in privaten Zirkeln um Geld spielen.

Häufig illegal betrieben und dem kri- minellen Milieu verhaftet, vermoch- te dies die breite Bevölkerung nicht anzusprechen. Heute hingegen ver- sucht gezielte Werbung, das Glücks- spiel als attraktives Freizeitangebot für jedermann anzupreisen.

Industrielle Spielformen (Geld- spielautomaten) erlauben die Teil- nahme schon mit geringem Einsatz und im Vorbeigehen an jeder Ecke, sei es in der Schulpause oder auf dem Weg zu Arbeit. Die mit dieser Spielform verbundene Anonymisie- rung des Glücksspiels senkt die Ein-

Wie viele andere menschliche Verhaltensweisen kann auch das Spielen süchtig entarten. Inner- seelische oder zwischenmensch- liche Konflikte bilden meist den Ausgangspunkt dieser verhäng- nisvollen Entwicklung. Die struk- turellen Merkmale des Glücks- spiels und die gesellschaftlichen Bedingungen sind weitere Fakto- ren im Entstehungsgefüge der Er- krankung. Die Behandlung darf sich nicht mit der Bearbeitung pathogenetisch relevanter Konflik- te begnügen, sondern muß auch die psychosozialen Folgen des Spielens berücksichtigen.

gangsschwelle zusätzlich. Der Staat ist zwar einerseits aufgerufen, die Ausbreitung des Glücksspiels zu be- grenzen. Indem er aber — so der Bun- desgerichtshof — „die wirtschaftliche Ausbeutung der natürlichen Spiellei- denschaft des Publikums unter staat- liche Kontrolle und Zügelung zu nehmen" versucht, profitiert auch er vom Glücksspiel und trägt zu dessen Verbreitung bei, etwa durch immer neue Lotterien und Kasinokonzes- sionen. Die beachtliche ökonomi- sche Bedeutung ist einer nüchternen Betrachtung der mit dem Glücks- spiel verbundenen medizinischen Probleme eher abträglich.

Klinik für Psychiatrie (Direktor:

Prof. Dr. med. Rainer Tölle),

Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Glücksspiel als Sucht?

Amilms■

Unser Wissen über die Häufig- keit exzessiven Spielens ist noch un- zureichend. Die entsprechenden An- gaben in der Literatur sind unein- heitlich, zumal aufgrund der unter- schiedlichen Eingrenzungskriterien.

Besonders kontrovers wird aber die Frage der nosologischen Zuordnung pathologischen Spielens diskutiert.

Dabei fällt auf, wie polemisch und emotional diese wissenschaftliche Diskussion über weite Strecken ge- führt wird. Die Auffassung, es han- dele sich um eine Suchterkrankung, wird ebenso vehement vertreten wie bestritten. Man wird gelegentlich an zurückliegende Auseinandersetzun- gen um die Bewertung des Alkoho- lismus als Krankheit oder Laster er- innert. Es hat den Anschein, daß sich in dieser Diskussion Gegenübertra- gungsreaktionen ausdrücken, die für den Umgang mit Suchtkranken allge- mein kennzeichnend sind.

Dabei ist die Einordnung des pathologischen Spielens als Sucht- verhalten keineswegs neu, auch wenn die ebenso häufige wie un- zutreffende Charakterisierung des Glücksspiels als „neue Sucht" dies nahelegt. So vertrat beispielsweise bereits Fischer 1905 (5) in seiner „Ir- renärztlichen Studie über die Spiel- sucht und ihr Verhältnis zur Trunk- sucht und Morphiumsucht" die Auf- fassung, der Spieler stehe „sogar un- ter noch stärkerem Zwange als der Opiophage, der Alkoholist".

Sorgfältige psychopathologische Untersuchungen haben in der Folge- zeit überzeugend dargestellt, daß ex- zessives Spielen das Ausmaß einer Sucht erreichen kann. Dies mag zu- A-660 (52) Dt. Ärztebl. 88, Heft 9, 28. Februar 1991

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nächst überraschen, da hier kein Suchtmittel verwendet wird. Für die Sucht ist nicht in erster Linie die Drogenwirkung charakteristisch;

kennzeichnend ist vielmehr, daß der Betroffene auch entgegen besserer Einsicht nicht mehr dem Verlangen widerstehen kann, aus der unerträg- lich erscheinenden Wirklichkeit in einen rauschhaft-regressiven Zu- stand zu fliehen. Meist wird dies durch die Zufuhr von Alkohol, Me- dikamenten oder illegalen Drogen angestrebt; aber grundsätzlich kann jede menschliche Verhaltensweise süchtig entarten. Stoffgebundene Abhängigkeitsformen sind allerdings zusätzlich noch durch die destrukti- ven, toxischen Wirkungen des Sucht- mittels auf den Organismus beson- ders belastet, was bei der Behand- lung zu berücksichtigen ist. Auch die „klassischen" Süchte wie Alko- hol- oder Medikamentenabhängig- keit lassen sich im übrigen durch ei- ne monokausale, rein somatische Be- trachtungsweise nicht erfassen.

Der süchtige Spieler wird in sei- nem Denken und Erleben vom Glücksspiel beherrscht. Er ist immer weniger in der Lage, Spieldauer und -umfang (beispielsweise nach Verlu- sten) zu bestimmen Wie bei anderen Suchtformen auch, kommt es zu ei- ner Abnahme der Befriedigung bei gleichzeitig steigender Frequenz des Suchtverhaltens; immer geringere Anlässe und Frustrationen treiben den Spieler in die Spielhalle. Versu- che, sich des Spielens zu enthalten, gehen oft mit innerer Unruhe, Drang- und Spannungszuständen, depressiven Verstimmungen oder mitunter auch vegetativen Stigmata einher und scheitern regelmäßig.

Die Betroffenen verlieren schließlich Arbeitsplatz und Freundeskreis, fa- miliäre Bindungen werden zerstört.

Strafbare Handlungen zur Geldbe- schaffung gelten als fast geläufige Komplikationen. Nicht selten findet sich eine Mehrfachabhängigkeit; ne- ben dem krankhaften Spielen liegt

hier eine Abhängigkeit oder zumin- dest ein Mißbrauch von Alkohol und Drogen vor.

Der Nachweis des einen oder anderen Merkmals reicht natürlich nicht aus, um die Diagnose „Glücks- spielsucht" zu stellen. Diese an sich selbstverständliche Anmerkung wird in der Praxis nicht selten vernachläs- sigt. Aber ebensowenig, wie man bei einem Menschen sogleich von Alko- holabhängigkeit sprechen kann, des- sen Partnerschaft durch seinen Alko- holkonsum gefährdet wird oder der als alkoholisierter Verkehrsteilneh- mer den Führerschein verliert, ist je- der glücksspielabhängig, der sich in- folge des Spielens verschuldet. Für die weit überwiegende Mehrheit al- ler Menschen, die mit dem Glücks- spiel in Berührung kommen, bleibt dies ein reizvolles und harmloses Freizeitvergnügen. Und auch von de- nen, die aufgrund ihrer Spielleiden- schaft familiäre oder berufliche Pro- bleme erleiden, ist nur eine Minder- heit süchtig. Nur wenn der Begriff der Spielsucht eng gefaßt wird, be- hält er seinen wissenschaftlichen und therapeutischen Sinn.

Aber bei der gegenwärtigen Dis- kussion um die Frage, ob exzessives Glücksspiel als Sucht aufzufassen ist oder nicht, geht es eben nicht nur um Begriffliches. Bedeutsamer sind die in diese Kontroverse einfließen- den unterschiedlichen Auffassungen über die Entstehungsbedingungen krankhafter Spielleidenschaft. Von den Vertretern des sogenannten Suchtmodells pathologischen Spie- lens werden vor allem strukturelle Merkmale des Glücksspiels sowie ge- sellschaftliche Faktoren betont. Be- sonders ausgeprägt findet sich diese Betrachtungsweise bei den Betroffe- nen selbst und ihren Selbsthilfeorga- nisationen (12). Die hierdurch er- zielte Schuldentlastung ist offen- sichtlich, zumal das Modell einer

„übermächtigen" Sucht der Tendenz der Patienten entgegenkommt, sich als wehrlose Opfer zu erleben.

Die Kritiker des Suchtmodells hingegen stellen individuelle Merk- male der Spielerpersönlichkeiten in den Vordergrund und betonen die fi- nalen Aspekte des Spielverhaltens in den innerseelischen und zwischen- menschlichen Konfliktsituationen.

Hieraus werden therapeutische Stra- tegien abgeleitet, auf die noch einzu- gehen sein wird.

Entstehungs- bedingungen

Unser Wissen über die Entste- hungsbedingungen pathologischen Spielens ist noch sehr lückenhaft.

Zwar kann das Spielverhalten von Gesunden oder Patienten im psycho- logischen Experiment unter kontrol- lierten Bedingungen untersucht wer- den; doch lassen sich die dabei ge- wonnenen Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf „natürliche" Spielsitua- tionen übertragen (1). Eine multi- konditionale Genese ist anzuneh- men, wobei den verschiedenen Fak- toren, je nach Patient, unterschiedli- che Bedeutung zukommt Welches Gewicht insbesondere den gesell- schaftlichen Bedingungen beizumes- sen ist, läßt sich kaum abschätzen.

Dieser Aspekt dürfte jedoch nicht unbedeutend sein. So trat pathologi- sches Spielen in den USA und Groß- britannien (wo das Glücksspiel tradi- tionell in der Bevölkerung weit ver- breitet ist) wesentlich eher und aus- geprägter in Erscheinung als bei uns.

Besonders kontrovers wird ge- genwärtig die Bedeutung strukturel- ler Merkmale des Glücksspiels dis- kutiert (4, 11). Ein kurzes Auszah- lungsintervall und eine hohe Ereig- nisfrequenz, wie sie etwa bei Geld- spielautomaten oder Roulett charak- teristisch sind, sollen die Entwick- lung süchtigen Spielverhaltens be- günstigen. Durch den Einsatz jeweils kleiner Geldbeträge wie beim Auto- matenspiel oder den Ersatz des Gel- des durch Chips wird darüber hinaus die Einschätzung des finanziellen Risikos erschwert. Der gewohnte so- ziale und normative Bezugs- und Orientierungsrahmen kann durch die besondere Atmosphäre der Um- gebung aufgelöst werden, in der ge- spielt wird: Der Spieler ist im Kasino oder einer Spielhalle nur von ande- ren Spielern umgeben und dadurch der gewohnten sozialen Kontrolle weitgehend entzogen. Optische und akustische Reize vermitteln zudem den Eindruck einer eigenen Welt, in der die Gesetze gesellschaftlichen Zusammenlebens

scheinbar keine

Gültigkeit mehr besitzen.

Die Struktur des Glücksspiels als ein für die Entstehung krankhaf- Dt. Ärztebl. 88, Heft 9, 28. Februar 1991 (57) A-661

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ter Spielleidenschaft bedeutsamer Faktor ist besonders interessant, weil sich hier Möglichkeiten einer wirksa- men Primärprävention eröffnen, et- wa durch Beschränkung oder Verbot von Spielformen mit besonderem Gefährdungspotential. Allerdings läßt sich durch diese strukturellen Merkmale ebensowenig wie durch die gesellschaftlichen Faktoren er- klären, warum von der Vielzahl der Menschen, die mit dem Glücksspiel in Berührung kommen, nur ein klei- ner Teil dem Spiel verfällt. Man hat deshalb versucht, besondere Merk- male herauszuarbeiten, durch die sich abhängige Spieler von gesunden unterscheiden.

Individuelle Merkmale

iiigamialM111111k 41111111MIZI So fanden sich elektrophysiolo- gische Auffälligkeiten, wie sie ähn- lich bei Kindern mit Aufmerksam- keitsstörungen beschrieben wurden (3, 6). Auch neurochemische Abwei- chungen, insbesondere des noradre- nergen Transmittersystems, sollen gehäuft vorkommen (13). Es wird diskutiert, inwieweit Veränderungen biologischer Parameter den potenti- ellen Spieler dazu prädisponieren, vermehrt risikoreiche Situationen (zu denen das Glücksspiel um Geld zählt) aufzusuchen und so das zere- brale Aktivierungsniveau zu heben.

Jedoch ist dabei zu berücksichtigen, daß sich die Berichte über somati- sche Veränderungen bei Spielern auf Untersuchungen an relativ weni- gen Patienten gründen; sie können deshalb noch nicht als gesichert und repräsentativ gelten. Zudem handelt es sich auch um eher unspezifische Veränderungen.

Die testpsychologischen Befun- de zum Persönlichkeitsprofil sind uneinheitlich, was kaum überrascht.

Da prospektive Studien fehlen, muß jeweils auch offenbleiben, ob es sich bei den gefundenen Persönlichkeits- akzentuierungen nicht mehr um die Folgen des exzessiven Spielverhal- tens handelt als um pathogenetisch relevante Auffälligkeiten. Gemein- sam ist den unterschiedlichen Per- sönlichkeitsstrukturen glücksspielab- hängiger Menschen jedoch die Kon- flikthaftigkeit ihres Erlebens. Sie

läßt sich zumeist weit in der Biogra- phie zurückverfolgen und prägt die Lebensgeschichte dieser Patienten schon lange vor der Manifestation des pathologischen Spielens. Dies ist damit nach Art neurotischer Sym- ptombildung als mißglückter Lö- sungsversuch intrapsychischer und interpersoneller Konflikte aufzufas- sen. Entsprechend umfangreich sind die psychoanalytischen Arbeiten zu diesem Thema. Während die frühe- ren Autoren vor allem sogenannte ödipale Konflikte hervorhoben, ist in neuerer Zeit besonders auf die Selbstwertproblematik dieser Kran- ken hingewiesen worden. Es läßt sich als Ergebnis festhalten, daß die Kon- fliktthematik der Spieler offenbar in- dividuell verschieden ist; gemeinsam ist den Patienten aber die vorüberge- hende Auflösung der Konfliktspan- nungen durch Eintritt in die regres- siv-rauschhafte Welt des Spiels (14).

Behandlung

Therapeutische Angebote wer- den häufig erst dann aufgegriffen, wenn wichtige interpersonelle Bin- dungen zerbrochen sind und sich al- le Hoffnungen zerschlagen haben, durch legale oder illegale Mittel das notwendige Geld aufzutreiben. Da- mit ist zwar noch keine tragfähige Behandlungsmotivation aufgebaut;

gelingt es aber dem Spieler, die ent- mutigende Selbstverurteilung zu überwinden, wird ihm eine aktive Auseinandersetzung mit seiner Pro- blematik möglich. Sieht er in der Spielleidenschaft eine Krankheit und nicht länger „nur" ein Laster, kann er sich eher zur Behandlung durchringen.

Abstinenz als Behandlungsziel?

Bei süchtigen Spielern ist die Abstinenz vorrangiges Behandlungs- ziel; denn ihre materielle Existenz- grundlage sowie die zwischen- menschlichen Beziehungen sind der- art gefährdet, daß die psychosozialen Folgen weiteren Spielens in kurzer Zeit eine endgültig aussichtslose Si- tuation herbeiführen können. Die Einsicht in die konflikthaften Moti- vationen des Spielens und bessere Konfliktlösungsmöglichkeiten wären

dann für den Kranken nur noch von geringem Wert. Patienten mit einem zwar problematischen, aber noch nicht süchtigen Spielverhalten kön- nen dagegen vielleicht eher von ei- nem Ansatz profitieren, der unter Verzicht auf ein ausdrückliches Ab- stinenzgebot die dem Spielen zu- grundeliegenden Beweggründe bear- beitet.

Eigenverantwortlichkeit steigern Nichtspielen bedeutet für den Patienten zunächst vor allem Ver- zicht; denn obwohl er unter den Aus- wirkungen seiner Abhängigkeit lei- det, hat das Spiel selbst meist nichts von seiner Faszination verloren. In der Psychotherapie soll dem Patien- ten Einsicht vermittelt werden in die

— zum Teil unbewußten — Determi- nanten seines Spielverhaltens. Wenn er die Funktion des Symptoms „ex- zessives Spielen" in seiner aktuel- len innerseelischen und zwischen- menschlichen Konfliktsituation er- kennt, erlebt er sich nicht mehr nur als wehrloses Opfer des Glücks- spiels. Er kann vielmehr adäquatere Konfliktlösungsstrategien erarbei- ten, als es die Flucht in die Spielhalle darstellt. Individuell muß jeweils entschieden werden, ob ein psy- chodynamischer Behandlungsansatz oder ein verhaltenstherapeutisches Vorgehen, wie es von Hand und Mit- arbeiter (8, 15) als multimodale Ver- haltenstherapie in die Behandlung von Spielern eingeführt wurde, aus- sichtsreicher erscheint. Der Patient ist auch zu ermutigen, befriedigen- dere Möglichkeiten der Tagesstruk- turierung und Freizeitgestaltung zu entwickeln und zu erproben (zumal exzessives Glücksspiel nicht nur viel Geld, sondern auch viel Zeit kostet).

Fortschritte in der Psychothera- pie führen noch nicht zu Lösungs- möglichkeiten der schwerwiegenden materiellen Probleme glücksspielab- hängiger Menschen. Die Neuord- nung der oft desolaten beruflichen und finanziellen Lage erfordert die Beratung durch den Sozialarbeiter und die Anregung des Spielers zu konkreten Maßnahmen wie etwa Umschuldungen. Aber auch hierbei ist auf eigenständiges und eigenver- antwortliches Handeln des Patienten hinzuarbeiten. Ihn zum passiven A-662 (58) Dt. Ärztebl. 88, Heft 9, 28. Februar 1991

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Empfänger von gutgemeinten Hilfe- leistungen zu machen, wäre ebenso- wenig therapeutisch wirksam, wie es die verzweifelten Versuche der An- gehörigen waren, durch eine „letzte"

Begleichung der Schulden dem Spie- ler einen Neuanfang zu ermöglichen.

Der Patient mußt darüber hin- aus üben, alltägliche Versuchungssi- tuationen zu meistern, ohne erneut zu spielen. Für viele Betroffene kann der Kontakt zu einer Selbsthilfe- gruppe Anonymer Spieler hilfreich sein. Unterstützung benötigen im üb- rigen oft auch die Angehörigen, die nicht selten lange Zeit unter dem krankhaften Spielen mehr gelitten haben als der Patient selbst.

Ambulante oder stationäre Behandlung?

Die Entscheidung für die eine oder andere Behandlungsform ergibt sich grundsätzlich nicht aus der Dia- gnose, sondern aus den individuellen Besonderheiten und Erfordernissen.

Alle hier skizzierten Therapieele- mente lassen sich auch in der ambu- lanten Behandlung nutzen. Sie hat den Vorteil, daß der Patient Fort-

schritte in der stetigen therapeuti- schen Auseinandersetzung mit sei- ner realen Lebenswelt erzielt. Da- durch bleiben wichtige soziale Bezie- hungen ungestört, und der Kranke kann seine in der Behandlung ge- wonnenen Einsichten unmittelbar

„vor Ort" überprüfen. Manche Spie- ler aber benötigen die Möglichkeiten einer stärkeren Strukturierung oder Distanzierung vom gewohnten Um- feld, wie sie der stationäre Behand- lungsrahmen bietet. Ob aber diese Patienten tatsächlich in dem ge- wünschten Umfang von Behand- lungskonzepten profitieren, die ins- besondere für Alkoholkranke ent- wickelt wurden und sich vorzugswei- se dort bewährt haben, bleibt abzu- warten.

Kritisch ist anzumerken, daß die Indikation gegenwärtig noch oft we- nig patientenorientiert gestellt wird.

Weniger die Etablierung gemeinde- ferner Spezialeinrichtungen oder gar die Umwidmung anderweitig nicht mehr benötigter Krankenhausbetten als eine weitere Verbesserung der am- bulanten Behandlungsangebote ver- spricht hier Abhilfe. Dabei sind eine

verstärkte Integration von ambulan- ter und stationärer Behandlung sowie Selbsthilfeformen anzustreben.

Zweifellos bleibt das Glücksspiel für die meisten Menschen, die mit ihm in Berührung kommen, nur ein reiz- voller Zeitvertreib. Einige aber wer- den abhängig; hier ist therapeutische Hilfe nötig und möglich. Behand- lungsbedürftig sind jedoch nicht nur die im engeren Sinne süchtigen Spie- ler. Auch Menschen mit problema- tischem Spielverhalten sind gefährdet und können durch rechtzeitige und geeignete Behandlungsangebote vor einer Suchtentwicklung bewahrt wer- den. Legislative und administrative Maßnahmen können darüber hinaus präventiv wirksam werden.

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med.

Klaus Windgassen Klinik für Psychiatrie der

Westfälischen-Wilhelms-Universität Albert-Schweitzer-Straße 11 W-4400 Münster

„Münchner Nomenklatur II” - Befundwiedergabe in der gynäko- logischen Zytologie

Die „Münchner Nomenklatur II" zur Wiedergabe der Befunde in der gynäkologischen Zytologie stellt eine Ergänzung und Anpassung der bisher im deutschen Sprachraum verwendeten Nomenklatur (Münch- ner Schema von 1975) unter Berück- sichtigung der internationalen Ent- wicklung der letzten Jahre dar. Da- nach sollen die zytologischen Befunde grundsätzlich durch Beschreibung in Worten wiedergegeben und gewertet werden, wie es in der histologischen Diagnostik üblich ist. Zusätzlich ist je- doch eine Klassifizierung der zytologi- schen Befunde in diagnostische Grup- pen vorgesehen. Die Gruppen dienen neben der Befundklassifizierung auch der statistischen Erfassung und der Qualitätssicherung.

Wesentlicher Bestandteil des zy- tologischen Befundes ist die Beurtei- lung der Qualität des Abstrichs, das heißt die Aussage, ob das Zellmate- rial auf dem Objektträger für die Be- urteilung „ausreichend" ist oder ob es nur „bedingt ausreichend" oder

„nicht ausreichend" ist. Bei nur be- dingt oder nicht ausreichend beur- teilbaren Präparaten ist die Ursache dafür anzugeben.

Im übrigen hat sich für die zyto- logischen Befundgruppen (I, II, IIID, IVa, IVb, V und III) vom Inhalt her gegenüber dem Münchner Sche- ma von 1975 nichts Wesentliches ge- ändert. Die Befundbeschreibungen wurden unter Berücksichtigung des neuesten Wissensstandes ergänzt und redaktionell überarbeitet.

FÜR SIE REFERIERT

Die Deutsche Gesellschaft für Zytologie hat die „Münchner No- menklatur II" ihren Mitgliedern ab 1. Januar 1990 zur Anwendung emp- fohlen. Die Münchner Nomenklatur II ermöglicht eine Wiedergabe der Befunde sowohl in konventioneller Weise als auch, unter Verwendung eines entsprechendes Codes, über Computerausdruck. sot

Soost, H.-J.: Münchner Nomenklatur II — Befundwiedergabe in der gynäkologischen Zytologie. Gynäkol. Praxis 14 (1990) 433-438.

Prof. Dr. H.-J. Soost, Ordinarius für Klini- sche Zytologie (Emeritus) der Techni- schen Universität München, Prinzregen- tenplatz 14, W-8000 München 80

Dt. Ärztebl. 88, Heft 9, 28. Februar 1991 (61) A-665

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