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Archiv "Unternehmen „Gläsernes Sprechzimmer“" (05.02.1982)

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DEUTSCHES ZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Unternehmen

„Gläsernes Sprechzimmer"

Eine Aktion des

Bundesarbeitsministeriums kontra Datenschutz:

Unter der Bezeichnung

„Datenkatalog

zum Mitgliederverzeichnis"

der Krankenkassen wird die totale Entblößung von Patient und Arzt anvisiert

Im politischen und publizistischen Kampf des Jahres 1981 um das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz ist eine Aktion des Bundes- arbeitsministers, die weitaus schwerere Folgen haben würde, so gut wie unbemerkt geblieben. So wie Feldzugspläne durch Code- Bezeichnungen („Unternehmen Barbarossa") getarnt wurden, dient auch in diesem Falle der Name „Mitgliederverzeichnisse"

nicht der Kennzeichnung, sondern der Verhüllung. Treffend wäre

„Unternehmen Gläsernes Sprechzimmer".

Im Juni vergangenen Jahres schickte der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung den Spitzenverbänden der RVO-Kas- sen „Überlegungen" zum Erlaß einer Rechtsverordnung gemäß

§ 319 a Satz 2 der RVO. Diese durch das Krankenversicherungs- Kostendämpfungsgesetz 1977 in die Reichsversicherungsord- nung eingefügte Bestimmung sieht die Führung von Mitglieder- verzeichnissen bei den Krankenkassen vor mit dem Ziel verbes- serter Transparenz auf dem Ausgabensektor. Am 15. Juli und am 14. Oktober fanden Besprechungen im Ministerium statt, bei denen die Vorschläge von den Kassenvertretern „nicht einheit- lich beurteilt" wurden, wie es in einem Schreiben des Ministe- riums vorsichtig ausgedrückt wird.

Die Jubel-Abstinenz der Kassen war verständlich, denn während der Gesetzgeber die Erfassung nur solcher Daten verlangt, die für die Erfüllung der Versicherungsaufgaben notwendig sind, legte eine vom Minister eingesetzte Arbeitsgruppe einen 42 DIN-A4- Blätter umfassenden Entwurf eines „Datenkataloges zum Mitglie- derverzeichnis" vor, der 212 Katalognummern umfaßt. Nach sei- nen Absichten soll zum Beispiel nicht nur, wie bisher auf der Krankenkarte der Kasse, Beginn und Ende einer Arbeitsunfähig- keit vermerkt werden, sondern auch der behandelnde Arzt mit seiner KV-Nummer, die von ihm angegebene Diagnose im Klar- text oder nach dem sogenannten TCD-Schlüssel, der für jeden greifbar am Schlüsselbrett hängt, schließlich auch die Anzahl und die Art verordneter Arznei- oder Heilmittel sowie die Kosten je Verordnungsblatt.

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 5 vom 5. Februar 1982 21

(2)

Die Information:

Bericht und Meinung

Krankenkassen: Datenkatalog

Ob Wurzelbehandlung 4 oben links oder Schwangerschaftsbe- treuung, ob Früherkennungsmaß- nahme oder Fango-Packung: alles soll im „Mitgliederverzeichnis"

seinen Niederschlag finden. Es wäre „das definitive Ende des So- zialgeheimnisses", wie der Daten- schutzexperte Professor Dr. W.

Steinmüller (Regensburg) es in anderem Zusammenhang genannt hat. „Mit dem Beitritt zur gesetzli- chen Krankenversicherung, der für weite Kreise durch gesetzli- chen Zwang begründet ist, müßte der Versicherte auf seine Men- schenwürde verzichten."

Gesetzgeber legt Wert auf besondere Sorgfalt beim Datenschutz

Der Gesetzgeber hatte, sei es, Un- rat witternd, sei es, um mit einem

„salvavi animam meam" seine Hände in Unschuld zu waschen, in der Begründung des neuen

§ 319 a RVO ausdrücklich erklärt:

> Bei der Führung des Mitglie- derverzeichnisses und der Erfas- sung der für die Durchführung der Versicherung notwendigen perso- nenbezogenen Daten ist besonde- re Sorgfalt auf die Beachtung des Datenschutzes zu legen, da es sich gerade bei Angaben über ge- sundheitliche Verhältnisse um höchstpersönliche Rechtsgüter der Versicherten handelt.

Vielleicht glaubte er den gesetz- lich krankenversicherten Bürger hinter den Paragraphenwällen von Grundgesetz (Artikel 2 Absatz 1), von Strafgesetzbuch (§ 203), von Bundesdatenschutzgesetz und Sozialgesetzbuch auch tatsäch- lich ausreichend geschützt. Dem Bundesarbeitsministerium ist es allerdings gelungen, den Begriff der höchstpersönlichen Rechts- güter so kollektivistisch auszule- gen, daß daraus eine Rechtsgüter- gemeinschaft der Versicherten mit der Verwaltung zu werden droht.

Die Panne von Lindau als Regel- fall?

„In keinem Teil des Staates sind über so viele Bürger so viele und so brisante Daten zusammenge- tragen" wie in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), stell- te eine Studie des Wissenschaftli- chen Instituts der Ortskranken- kasse fest. Nun sollen Zahl und Brisanz dieser Daten noch poten- ziert werden. Der Große Bruder soll unsichtbar in jedem Sprech- zimmer, neben jedem Kranken-

bett sitzen.

Die Flucht des vom mündigen Bür- ger zum verwalteten Sozialversi- cherten Degradierten in die dem behördlichen Zugriff entzogene private Krankenversicherung wäre in Anbetracht der immer höher ge- setzten Pflichtgrenze nur einem kleinen Teil der Bevölkerung mög- lich.

Aber auch die Freiheit des Arztes würde mit der des Patienten be- graben werden. Er würde genau- so transparent gemacht, und die gespeicherten Daten würde man benutzen, um seine Untersu- chungs- und Behandlungsmetho- den an die Meßlatten bestimmter Normen zu legen, bürokratisch festgelegter „Behandlungsprofi- le". Das ist keine Horrorvision.

Der Anfang wurde schon ge- macht, als bei den Vorarbeiten zum KVEG gefordert wurde, die Verweildauer bei Krankenhaus- entbindungen in der Regel auf sechs Tage zu begrenzen.

Jericho-Posaune

„Kostendämpfung" soll sogar Gesetzesmauern stürzen Was sollte die Verwaltung daran hindern, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, wie lange eine Be- handlung, ob ambulant oder sta- tionär, wie lange die Arbeitsunfä- higkeit bei einer bestimmten Er- krankung dauern darf, welche Arz- neimittel und in welchen Pak- kungsgrößen verordnet werden dürfen. Wobei Abweichungen von der Norm wegen Alters oder son- stiger Umstände durch einen pro-

zentualen Zuschlag berücksichtigt werden könnten.

Für die Gesetzesmauern, die den Bürger vor derartigen Übergriffen vermeintlich schützen, gibt es eine Jericho-Posaune, die sie zum Ein- sturz bringen soll. Sie heißt „Ko- stendämpfung". In der Zeitschrift des Bundesverbandes der Be- triebskrankenkassen plädierte Horst Piepenberg (Bonn) für eine

„Verbesserung der Leistungs- und Kostentransparenz" in der GKV.

Die von der RVO gebotene Wirt- schaftlichkeit und Zweckmäßig- keit der kassenärztlichen Versor- gung sei unkontrollierbar wegen der „unvollständigen Aufzeich- nungen". Es stelle sich die Frage,

„ob dieser Zustand bei den in der GKV herrschenden Finanzierungs- schwierigkeiten beibehalten wer- den kann". Empfehlungen der Konzertierten Aktion im Gesund- heitswesen seien gut, aber „ein differenzierteres Wissen um das Leistungsgeschehen vor Ort" sei Voraussetzung für die Steuerung von Ausgabenzuwachs.

Umkehr des Datenschutzes als Waffe der Bürokratie gegen die zu Schützenden Vor der politischen Notwendigkeit einer solchen der analytischen Forschung dienenden Datenerhe- bung und Datennutzung haben einige Juristen bereits kapituliert.

„Wo so verstandene Forschung zugleich zu Eingriffen in die Infor- mationsrechte der betroffenen Pa- tienten und Versicherten führt, implizieren die Datenschutzvor- schriften zugleich eine Eingriffser- mächtigung für die der übergeord- neten Aufgabe zugeordnete For- schung" (Steinmüller). Also die Umkehr des Datenschutzes zur Waffe der Bürokratie gegen die zu Schützenden. Die in manchen Be- stimmungen vorgesehene Zustim- mung des Patienten zur Datennut- zung wird heute schon umgangen, indem man ihn Vordrucke unter- schreiben läßt, gegen die er prak- tisch wehrlos ist.

22 Heft 5 vom 5. Februar 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A/B

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Die Information:

Bericht und Meinung

> Allerdings, die Rechtsgrundla- ge, auf die das Ministerium sich stützt, ist nicht besonders tragfä- hig. Die Krankenkassen haben in der Vergangenheit bewiesen, daß sie ihre Aufgaben auch ohne den Schwall neuer personenbezoge- ner Daten zu erfüllen in der Lage sind. Für ihre Erhebung bietet der

§ 319a RVO keine genügende rechtliche Handhabe. Diese kann nicht durch eine Rechtsverord- nung, sondern nur durch den Ge- setzgeber geschaffen werden. Die Begrenzung der zu speichernden Daten auf solche, die zur rechtmä- ßigen Erfüllung der Aufgaben der Kassen notwendig sind, legt auch

§ 9 des Bundesdatenschutzgeset- zes fest. Es soll dadurch ein unnö- tiges Eindringen in den Persön- lichkeitsbereich verhindert wer- den.

Die Krankenkassen sollen sich auf Bonner Anregung nicht nur über Rechtsvorschriften hinwegsetzen, sie sollen sich auch für Erfassung und Verarbeitung der Daten eines einheitlichen Grundrasters bedie- nen, um einen Datenaustausch über Krankenkassenarten hinweg zu ermöglichen. Das bedeutet in der Konsequenz eine weitere An- gleichung des Leistungs- und Bei- tragsberech nu ngssystems.

Hoher „Erfassungs- aufwand", aber keinerlei Kostendämpfung

Eines würde der starke Ausbau der Datenerfassung den Kranken- kassen mit Sicherheit nicht brin- gen: eine Kostendämpfung. Das Gegenteil wäre der Fall. Selbst die Befürworter müssen zugeben, daß

„systembedingt" ein hoher „Er- fassungsaufwand" ausgelöst wer- den würde. Der Bundesarbeitsmi- nister habe bereits Modellversu- che ausgeschrieben, um Lösun- gen zu finden, diesen Aufwand zu reduzieren. Den Ärzten ist die Auf- gabe zugedacht, gleich zu Beginn eines Behandlungsfalles im Quar- tal eine laufende Fallnummer auf dem Abrechnungsschein einzutra-

Krankenkassen: Datenkatalog

gen und diese Nummer dann auf alle im Quartal anfallenden Ver- ordnungsblätter und Bescheini- gungen zu übertragen . . .

Der Lohn der Mühe wäre „multi- funktional", nämlich versicherten- wie arztbezogen. Beim Versicher- ten ließe sich häufige Inanspruch- nahme des Arztes, häufige Ar- beitsunfähigkeit, Einnahme be- stimmter Arzneien kontrollieren, und man könnte eine „Optimie- rung der Behandlung in medizini- scher und wirtschaftlicher Hin- sicht" vornehmen. Beim Arzt wür- den alle von ihm erbrachten und veranlaßten Leistungen erfaßt, was eine „wertvolle Hilfe" im Prüf- verfahren sein könne.

Das große Ärgernis bleibt der sachliche und personelle Mehr- aufwand, der mit Erfassung und Auswertung dieser Datenschwem-

me verbunden ist. Eine Kranken- kasse hat ausgerechnet, daß allein die maschinelle Erfassung von nur fünf Sachleistungsbereichen für ihre 100 000 Mitglieder rund 700 000 DM Kosten jährlich verur- sachen würde. Ganz zu schweigen von den Kosten der Umstellung der heutigen EDV-Programme und -geräte. Weitere Kosten entstün- den dadurch, daß die Kassen ge- zwungen wären, teuere Daten- schutzmaßnahmen vorzusehen, auch wenn damit nur die Illusion eines Datenschutzes erreicht würde.

Die Krankenkassen, die dem Bun- desarbeitsminister bis zum 30. No- vember vorigen Jahres ihre Stel- lungnahme zu seinem Unterneh- men Gläsernes Sprechzimmer vor- legen sollten, haben um Verlänge- rung dieser Frist bis Ende März 1982 nachgesucht. Tauchte doch auch noch ein Problem auf, das man für längst gestorben hielt: Ein

„Mitgliederverzeichnis" nach den Vorstellungen des Ministeriums ist nur maschinell möglich; die gefor- derten Daten ließen sich am ratio- nellsten erfassen, wenn der Versi- chertenausweis eingeführt würde, der sich lange Zeit des ministeriel- len Wohlwollens erfreute. Sch

NACHRICHTEN

Drogen: KVen mahnen zur Wachsamkeit

In Rundschreiben haben die Kassenärztlichen Vereinigungen Westfalen-Lippe und Hessen die Kassenärzte aufgefordert, ihren Teil dazu beizutragen, „daß die Drogenszene nicht noch weiter ausufert". Bei der Verordnung be- stimmter Arzneimittel, die als Er- satz- oder Einstiegsdrogen miß- braucht werden könnten, sei ins- besondere bei jüngeren oder dem Arzt nicht bekannten Patienten äu- ßerste Wachsamkeit geboten. „Ex- treme Vorsicht" sei angebracht, wenn der Patient auf die Verord- nung solcher Präparate dränge.

Ferner hat die KV die Kassenärzte mit Hinweis auf die Zunahme von Rezeptdiebstählen und -fälschun- gen zur sicheren Aufbewahrung von Rezeptformularen aufgefor- dert. An die Bevölkerung wird die Bitte gerichtet, Verständnis und Einsicht zu zeigen, wenn Ärzte sich bei der Verordnung bestimm- ter Präparate Zurückhaltung auf- erlegen. PH-WL

Auch Alt-Studenten

können sich befreien lassen

Studenten können sich auch dann von der Krankenversicherungs- pflicht in einer Ortskrankenkasse befreien lassen, wenn sie bereits ein oder mehrere Semester stu- diert haben. Die Befreiung kann zu Beginn jedes Semesters beantragt werden, wenn der Student ander- weitig ausreichend versichert ist.

Dies entschied das Bundessozial- gericht in Kassel (Aktenzeichen:

12 RK 77/79) in einem von einem Bremer Studenten angestrengten Rechtsätreit.

Das Oberste Sozialgericht stellte fest, daß es nicht Rechtens sei, wenn eine AOK die Befreiung von der Versicherungspflicht verwei- gert, weil der Student diese nicht bereits vom ersten Semester an beantragt hatte. HC Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 5 vom 5. Februar 1982 23

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