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Archiv "Bekanntmachungen: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer: Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch Mülldeponien (Siedlungsabfall)" (25.12.1995)

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(1)

BUNDESÄRZTEKAMMER

Bekanntmachungen

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer

Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch Mülldeponien (Siedlungsabfall)

Vorwort

Der Vorstand der Bundesärztekammer hat den Wis- senschaftlichen Beirat gebeten, in Ergänzung der 1993 veröffentlichten Stellungnahme „Potentielle Gesund- heitsgefährdung durch Emissionen aus Müllverbren- nungsanlagen" eine Stellungnahme zur Frage der Ge- sundheitsgefährdung durch Siedlungsabfalldeponien zu erarbeiten.

In den alten Bundesländern gab es 1972 rund 50 000 erfaßte Deponien, von denen im Jahr 1993 nur noch 546 betrieben wurden. In den neuen Bundesländern mußten 1992 aus Gründen der Umweltgefährdung von etwa 11 000 Deponien alle bis auf 120 stillgelegt wer- den. Im Jahr 1994 betrug das gesamte Müllaufkommen in Deutschland 310 Millionen Tonnen (1993: 300 Mil- lionen Tonnen), davon entfallen etwa 40 Millionen Tonnen auf den Hausmüll. Eine Deponierung im bis- herigen Umfang ist — auch im Hinblick auf die derzeit nicht kalkulierbaren Gesundheitsgefahren — nicht wei- ter durchführbar.

Da die Deponierung allerdings unentbehrlich blei- ben wird, hat der Gesetzgeber entsprechende Rah- menbedingungen formuliert: Die Technische Anlei- tung Siedlungsabfall („TA Si") von 1993 schreibt für den Deponiebetrieb vor, daß abzulagernder Müll nicht mehr als 10 Prozent des Abfallgewichtes in Form orga- nischer Substanzen (Pappe, Lebensmittelreste und an- deres) enthalten darf, um biologisch-chemische Pro- zesse zu minimieren. Die vorliegende Stellungnahme enthält einen Überblick zur toxikologischen Bewer- tung von Siedlungsabfalldeponien unter medizinisch- wissenschaftlichen Gesichtspunkten nach dem Stand des Wissens. Durch den Vergleich der Emissionen von

Dr. med. K Vilmar

Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages

unbehandelten und den entsprechend der TA Si be- handelten Siedlungsabfällen kann gezeigt werden, daß sachgerecht angelegte Deponien — auch im Hinblick auf die kommenden Generationen — derzeit keine er- kennbaren gesundheitlichen Gefahrenquellen für die Bevölkerung darstellen.

Eine Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch Mikroorganismen aus der Kompostierung von Restmüll ist nach bisherigen Erkenntnissen auszu- schließen, kann aber noch nicht abschließend beurteilt werden, da bisher keine Langzeituntersuchungen vor- liegen.

Die Vielschichtigkeit der Müllproblematik läßt sich eindrucksvoll am Beispiel des Autos aufzeigen:

Im Jahre 1994 sind in Deutschland 2,8 Millionen PKW zur Wiederverwertung angeliefert worden. Der Anteil an wiederverwertbarem Metallschrott liegt bei 73 Prozent, der Nicht-Metall-Anteil besteht aus Kunst- stoffen (16,4 Prozent) und Gummi, Glas und Lack. Die Kunststoffe werden in zerkleinerter Form dem Wirt- schaftskreislauf wieder zugeführt, häufig als Brennma- terial für Hochöfen (der Heizwert von einem Kilo- gramm „Plastikmüll" entspricht einem Liter Heizöl).

Die restlichen 10,6 Prozent werden „geschreddert"

und auf Deponien abgelagert.

Die Konsequenzen aus den vorstehenden Zahlen und dem erwähnten Beispiel bestätigen die Dringlich- keit von Vermeidung und Wiederverwertung („Recy- cling") von Müll. Darüber hinaus ist die Anwendung und Durchsetzung der gesetzlichen Vorgaben (TA Si) dringend erforderlich. Es wird aber auch die Notwen- digkeit sehr deutlich, daß sachgerecht angelegte Depo- nien und optimal konstruierte Müllverbrennungsanla- gen zur Verhinderung von Altlasten für die kommen- den Generationen vorerst unentbehrlich sind.

Prof. Dr. med. K.-D. Bachmann

Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 51/52, 25. Dezember 1995 (55) A-3633

(2)

uuimu

•■ • • • . • . • .

- • • •

• • -

Aufschlüsselung des Hausmülls

ge3 0,38% Problemabfälle

0,38% NE-Metalle rn 2,83% Eisenhaltige Metalle u 5,47% Kunststoffe u 2,08% Mineralien

2,08% Textilien

1,13% Materiaherbund in 1,89% Verpackungsverbund n 2,83% Wegwerfwindeln u 3,96% Pappe

12,08% Papier En 9,06% Glas

u 10,00% Feinmüll (bis 8 mm) ci 16,04% Mittelmüll (8-40 mm) ni 29,81% Vegetabile Restabfälle

Abfallzusammensetzung für die Bundesrepublik (1985 /1987)

Gew erbe- abfälle

37%

Hausmüll 53%

Klär- schlamm

10%

100%

90%

80%

70%

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%

Grobcharakterisierung von Siedlungsabfall: Zusammensetzung für die Bundesrepublik Deutschland (1985 bis 1987) (2)

Tabelle 1

Beispiele für Produkte zur Pflege und Reinigung im Hausgebrauch, in der kleingewerblichen Wirtschaft und öffentlichen Einrichtungen*

Produktgruppe Beispiele

Chemikalien zur Pflege und Reinigung Abfluß-/Rohrreiniger/Sanitärreiniger Desinfektionsmittel, Entkalker, Fleckenentferner, Imprägniermittel/

Lederpflegemittel, Nagellackentferner Oberflächenbehandlungsmittel, Abbeizer, Farben/Lacke/Lasuren, Anstrichmittel Pinselreiniger, Rostumwandler Chemikalien für Handwerk, Hobby Dichtungsmassen, Emulsionen, Foto- und deren Rückstände chemikalien, Kaltreiniger, Klebstoffe,

Laugen/Säuren

Fahrzeugpflege und Betriebsmittel Autolacke, Bremsflüssigkeit, Spachtel- massen, Unterbodenschutz

Pflanzenschutz- und Schädlings- Ameisenvertilger, Fungizide, Herbizide/

bekämpfungsmittel Insektizide, Rattengift BEKANNTGABEN DER HERAUSGEBER

Bedarfsgegenstände Medikamente

Vorbemerkung

Die Entsorgung unverwertbarer Ab- fälle ist ein Problem unserer Gesellschaft.

Obwohl durch Müllvermeidung und durch Wiederverwertung der Anteil des nicht verwerteten Abfalls erheblich ge- senkt werden kann, ist für den verblei- benden „Restmüll" eine sachgemäße Be- seitigung erforderlich.

Im Januar 1993 hat der Wissenschaftli- che Beirat eine Stellungnahme zu den po- tentiellen Gesundheitsgefahren durch Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen abgegeben, die dem Arzt sachliche Infor- mationen über die potentiellen Risiken durch die Zusatzbelastung liefert. Diese Stellungnahme hat großes Interesse in der Ärzteschaft erweckt, aber auch zu erhebli- cher Kritik geführt, weil sie als einseitige Befürwortung für die Müllverbrennung verstanden wurde. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat nun- mehr beschlossen, auch die toxikologi- schen Aspekte der Müllentsorgung durch Deponien zur Ablagerung von Siedlungs- abfall (im folgenden „Mülldeponien") zu betrachten. Besorgnisse der Bevölkerung hinsichtlich der Gesundheitsgefährdung durch Emissionen aus Deponien führen oftmals zum Widerstand gegen die Errich- tung oder Erweiterung und den Betrieb solcher Mülldeponien. Im Zusammenhang mit der Nutzung stillgelegter und rekulti- vierter Deponieflächen als Freizeitparks und Sportflächen bestehen bei der Bevöl- kerung Bedenken wegen der möglichen Emissionen von Deponiegas und der da- mit verbundenen möglichen Gesundheits-

wird auch die mögliche Kon- tamination des Grundwas- sers durch Deponiesicker- wasser angesehen. Die vor- liegende Stellungnahme soll deshalb die Bevölkerung und auch die Ärzteschaft über das mögliche Gefährdungs- potential durch Emissionen aus betriebenen oder stillge- legten Mülldeponien infor- mieren.

1. Ablagerung von Siedlungsabfällen Zur Beurteilung der Entsor- gung durch Mülldeponien muß berücksichtigt werden, daß Siedlungsabfall nicht nur aus Hausmüll besteht Die einwohnerspezifische jährli- che Siedlungsabfallmenge liegt im allgemeinen zwi- schen 500 bis 700 k e (1). Die Grafik gibt eine Ubersicht über die Hauptfraktionen der heute anfallenden Siedlungsabfälle wieder Hieraus wird deutlieh, daß ein Konzept zur umweltverträglichen Entsor- gung für diese gesamte Abfallpalette tauglich sein muß.

Im Jahre 1972 wurden allein in den al- ten Bundesländern etwa 50 000 Deponi- en (nach heutigem Verständnis „wilde Müllkippen") gezählt (1). Mit dem Ab- fallgesetz (1972) wurden erste Richtlinien zur Errichtung und zum Betrieb von De-

Fieberthermometer B atterien/Autobatterien Leuchtstoffröhren gefahren für Menschen, die sich über län-

gere Zeit auf solchen Plätzen aufhalten oder in der Umgebung wohnen. Beim Be- trieb bestehender Anlagen werden Be- fürchtungen über gesundheitsgefährdende Emissionen von toxischen Stäuben und Gasen sowie Lärmeinwirkungen geäußert.

Außerdem werden hygienische Bedenken gegen Verwehungen von Keimen und Sporen sowie Ungeziefer- und Vogelplage vorgebracht. Als gravierendes Problem

* (aus: Ergänz. zur TA Si, BAnz. Nr. 99/29. 5. 1993)

A-3634 (56) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 51/52, 25. Dezember 1995

(3)

Tabelle 2

Zuordnungskriterien für Deponien (Auszug aus TA Si, Juni 1993, Anhang B)

Parameter

Organischer-Anteil des Trockenrückstandes der Originalsubstanz bestimmt als Glühverlust bestimmt als TOC Extrahierbare lipophile Stoffe der Originalsubstanz Eluatkriterien pH-Wert*

el. Leitfähigkeit TOC**

Phenole Arsen Blei Cadmium Chrom-VI Kupfer Nickel Quecksilber Zink Fluorid AOX***

Wasserlöslicher Anteil

5._ 3 Masse-%

5 1 Masse-%

5 0,4 Masse-%

5,5-13,0 5_ 10 000 p.S/crn s 20 mg/1 5 0,2 mg/1 5_ 0,2 mg/1 5 0,2 mg/1 5 0,05 mg/1

0,05 mg/1 5 1 mg/1 5 0,2 mg/1 5 0,005 mg/1

5 2 mg/1 5 5 mg/1 5 0,3 mg/1 5_ Masse-%

5 5 Masse-%

3 Masse-%

5 0,8 Masse-%

5,5-13,0 50 0001.1S/cm 5 100 mg/1

50 mg/1 0,5 mg/l 5 1 mg/1

0,1 mg/1 5. 0,1 mg/1 5_ 5 mg/1

1 mg/1 5 0,02 mg/1 5 5 mg/1 5_ 25 mg/1 5 1,5 mg/1

5 6 Masse-%

Zuordnungswerte

Deponieklasse I Deponieklasse II (mit mineralischer Dichtung) (mit Kombinations-

dichtung*)

* Kombinationsdichtung: Mineralische Dichtung + Kunststoffdichtungsplatte

** TOC: gesamter organisch gebundener Kohlenstoff

*** AOK: adsorbierbare organisch gebundene Halogenide ponien festgelegt. Ende 1993 wurden

noch 546 Altdeponien in Deutschland be- trieben. Diese entsprechen überwiegend nicht dem mit der Technischen Anleitung Siedlungsabfall („TA Si") von 1993 ge- setzten Standard (3).

Siedlungsabfall enthält auch Produkte mit toxikologisch bedenklichen Inhalts- stoffen (Tabelle 1), die durch Problemab- fallsammlungen nur zu weniger als 50 Prozent getrennt erfaßt werden (4). Mit der TA Si, die bis zum Jahre 2005 umge-

setzt sein muß, wird sich die heutige Pra- xis der Ablagerung schwer definierbarer Mischungen von hygienisch bedenkli- chen, mikrobiell zersetzbaren und mit an- organischen und organischen Stoffen be- lasteten Abfällen grundlegend ändern.

Zur Vermeidung unkontrollierbarer Emissionen aus Siedlungsabfalldeponien dürfen nach der TA Si zukünftig nur noch Abfälle in weitestgehend mineralisierter und hygienisch unbedenklicher Form (MVA-Schlacke) auf Deponien gebracht werden. Künftige Deponien müssen mit zahlreichen weiteren Sicherheitsbarrieren

ausgestattet werden und dürfen nur ober- halb des Grundwasserspiegels angelegt sein. Die in der TA Si festgelegten hohen Anforderungen an die Beschaffenheit des Abfalls (Tabelle 2: „Anhang B der TA Si") sind nach gegenwärtigem Wissens- stand nur durch thermische Verfahren, zum Beispiel Müllverbrennung, einzuhal- ten.

Ob die Anforderungen an zukünftige Ablagerungen auch durch mechanisch- biologische Vorbehandlungstechniken er-

füllt werden können, wird zur Zeit ge- prüft. Die TA Si verfolgt somit das wichti- ge Ziel, Emissionen aus Deponien, die zu mittelbaren und unmittelbaren Gesund- heitsgefahren des Menschen führen kön- nen, weitestgehend zu minimieren. Da in früheren Jahren auf die Schaffung wirk- samer Barrieren wenig Wert gelegt wur- de, haben Alt-Deponien einen mehr oder weniger ausgeprägten Altlastencharakter.

Sie können umweltbelastende und belä- stigende Emissionsquellen darstellen.

Für die Beurteilung der von einer De- ponie ausgehenden möglichen Umwelt-

belastung, Belästigung und/oder Ge- sundheitsgefahren ist hauptsächlich fol- gendes zu beachten:

1. Emissionen von Deponiegas;

Gerüche, 2. Staubemissionen,

3. Emissionen durch Sickerwasser, 4. Lärm,

5. Siedlungsungeziefer und Vögel, 6. Mikroorganismen (Pilze, Bakteri-

en und Viren).

2. Gasförmige Emissionen

2.1. Gasförmige Emissionen aus der Ablagerung unbehandelter Siedlungsab- fälle

Deponiegas ist ein Produkt vielfältiger mikrobieller Stoffwechselprozesse, wel- che innerhalb des Deponiekörpers bei Temperaturen von 40 °C bis 70 °C ablau- fen. Im Laufe von mehreren Jahrzehnten kann aus einer Tonne Siedlungsabfall bis zu 300 m3 Deponiegas entstehen. Haupt- komponenten im Deponiegas sind Me- than (bis zu 55 Vol%) und Kohlendioxid (bis zu 45 Vor/0), in der Regel durch at- mosphärischen Stickstoff und geringe Mengen Sauerstoff verdünnt. Daneben sind chlorhaltige, fluorhaltige und schwe- felhaltige Komponenten nachweisbar. In Tabelle 3 sind einige Stoffe aufgelistet, die im Deponiegas von Siedlungsabfalldepo- nien nachgewiesen wurden, darunter auch Substanzen mit krebserzeugendem Potential (siehe auch Tabelle 4).

Für die gesundheitliche Bewertung der gasförmigen Emissionen aus Sied- lungsabfalldeponien sind Erfassung und Identifizierung toxikologisch relevanter Einzelsubstanzen in Deponiegasen uner- läßlich.

2.2. Gasförmige Emissionen aus der Ablagerung thermisch behandelter Ab- fälle

Bei der Ablagerung von Schlacken aus der Müllverbrennung ist aufgrund weitge- hender Mineralisierung keine nennens- werte Deponiegasbildung zu erwarten.

3. Emissionen durch Austragung über Sickerwasser

3.1. Sickerwasseremissionen aus der Ablagerung unbehandelter Siedlungsab- fälle

Niederschlagswasser, welches einen Deponiekörper durchdringt, löst auf sei- nen Sickerwegen Abfallinhaltsstoffe und transportiert diese in Richtung Deponie- basis. Bei unzureichenden oder fehlenden Dichtungs- und Drainage-Systemen kön- nen Abfallinhaltsstoffe in den Boden und ins Grundwasser gelangen — und zwar so lange, bis die Deponie ausgelaugt ist (Dauer unter Umständen über 100 Jah-

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 51/52, 25. Dezember 1995 (57) A-3635

(4)

BEKANNTGABEN DER HERAUSGEBER

re). Tabelle 5 zeigt eine Auswahl von Pa- rametern für die Stoffbelastung im Sickerwasser. Bei Undichtigkeiten oder Versagen der Basisdichtung kann auch das Grundwasser verunreinigt werden.

Die gebildete Sickerwassermenge bei ei- ner Deponie hängt von zahlreichen Fak- toren ab — insbesondere jedoch vorn Nie- derschlag und der Verdunstung. Über- schlägig kann davon ausgegangen wer-

den, daß in Deutschland bei dem heute üblichen Deponiebetrieb etwa ein Viertel des auf eine Deponie fallenden Nieder- schlages im Jahresmittel als Sickerwasser anfällt — solange die Deponie oberflächig nicht abgedichtet ist. Bei einem mittleren Jahresniederschlag von etwa 720 mm er- gibt sich eine Sickerwassermenge von rund 180 1/m2 Deponiegrundfläche und Jahr, dies entspricht für eine 20 ha große,

oberflächig nicht abgedichtete Siedlungs- abfalldeponie einer Menge von rund 100 m3 pro Tag. Wie im gesamten Abwas- serbereich üblich, werden zur Charakteri- sierung der organischen Belastung vor- rangig Summenparameter herangezogen.

Solche Summenparameter können nicht toxikologisch bewertet werden. Zur toxikologischen Beurteilung sind die Konzentrationen der relevanten Stoffe Tabelle 3

Konzentrationsbereich und gewichtetes Mittel ausgewählter leichtflüchtiger Inhaltsstoffe im Deponiegas von 12 Siedlungsabfalldeponien

Benzol 4 2

2-Butanthiol 1 1

Trichlormethan

(Chloroform) 11 nicht nachweisbar

Cyclohexan 43 3

Dichlordifluor-

methan 35 21

1.1-Dichlorethen 1 nicht nachweisbar

1,2-Dichlorethen 12 9

Dichlormethan 106 7

Ethylbenzol 20 11

n-Hexan 12 3

Methanthiol 7 5

Schwefelwasser-

stoff 633 48

Tetrachlorethen 6 2

Tetrachlormethan nicht nachweisbar nicht nachweisbar

Toluol 236 32

1,1,1-Trichlorethan 7 0,3

Trichlorethen 6 3

Trichlorfluor-

methan 14 3

Vinylchlorid 48 10

m-Xylol 20 19

o-Xylol 9 5

p-Xylol 20 19

MAK-Wert (*TRK-Wert) Liste 1994

mg/m3

30 3,2*

0,007 1,5

1100 50

1,5 1050

5000

200 8

220 790

230 360

120 440

180

0,00016 1

0,0007 15

340 345

21 65

0,8 190

590 1080

110 270

5600

11 000 5*

2,3 440

0,07 440

2,2 440

Maximale Hintergrundbelastung (12) Immission

(Verdünnung: 1:5000 ---- 400 in Eatf.)

10-3mg/m3 10-3mg/m3 ländlich städtisch

0,4-0,8 1-5 4-40

0,2-0,5

0-2,2 0,2-0,5 0,5-3

0,6-8,6 0,1-1 1-10

4,2-7 1-2 1-5

0,04 1,8-2,4

1,4-21,2 0,2-0,5 1-5

2,2-4 2,8-5,8

0,6-2,4 0,7-9,7

1-1,4

9,6-126 0,05-1 0,1-5

0,4-1,2 0,5-2 2-15

0,5-1 1-3

6,4-47,2 0,5-2 5-50

0,05-1,4 1-3 5-10

0,6-1,2 0,2-1 2-15

0,6-2,8 1-2 1-4

2-9,6 0,1 0,1-1

3,8-4

1-1,8 *0,1-1 *5-50

3,8-4 Inhaltsstoff maximale mittlere Geruchs-

Konzentration Konzentration schwellenwert im Deponiegas (gew. Mittel) in Luft

im Deponiegas (Min.-Wert)

mg/m3 mg/m3 mg/m3

A-3636 (58) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 51/52, 25. Dezember 1995

(5)

fallspezifisch zu bestimmen und entspre- chend zu bewerten.

Die Behandlung der gefaßten Depo- niesickerwässer erfolgte früher vielfach in kommunalen Kläranlagen. Seit der Novellierung des Wasserhaushaltsgeset- zes müssen jedoch die Deponiesicker- wässer so aufbereitet werden, daß die im Anhang 51 der Rahmen-Abwasser-Ver- waltungsvorschrift festgelegten Mindest- anforderungen erfüllt werden (5).

3.2. Sickerwasseremissionen aus Ab- lagerungen thermisch behandelter Abfalle

Angaben über Sickerwasserzusam- mensetzungen aus Schlackedeponien gibt es nur von sogenannten Alt(schlak- ken)deponien, auf denen außer Schlak- ken oft auch Filterstäube aus Abfallver- brennungsanlagen und Hausmüll abgela- gert worden sind. Orientierende Anga- ben zur Sickerwasserzusammensetzung sind in der LAGA-(Länder-Arbeitsge- meinschaft Abfall-)Informationsschrift

"Sickerwasser" (1985) zusammengestellt worden (Tabelle 6). Die organischen Be- lastungen von Sickerwasser aus Schlacke- deponien sind um mehrere Größenord- nungen geringer als aus Deponien unbe- handelter Siedlungsabfälle (vergleiche BSB5 und CSB in den Tabellen 5 und 6).

Salze und andere anorganische Inhalts- stoffe der Schlacke können in vergleich- barer Größenordnung über das Sicker- wasser freigesetzt werden wie aus Depo- nienunbehandelter Siedlungsabfälle.

Analysen von Sickerwasser aus De- ponien, auf denen Schlacken mitabgela- gert wurden, wiesen einen Dioxingehalt im Bereich der Nachweisgrenze auf (Ta- belle 6): Dioxine besitzen eine geringe Wasserlöslichkeit und sind fest an Schlackeoberflächen adsorbiert. Daher werden Schlacken nicht als Sonderabfall eingestuft. Die übrigen Reststoffe der Verbrennung (insbesondere Filterstäu- be) gelangen heute nicht mehr auf Sied- lungsabfalldeponien und müssen, soweit sie nicht verwertet werden, als Sonderab- fall behandelt werden.

4. Sonstige von

Siedlungsabfalldeponien ausgehende Belastungen

Der Bau und Betrieb von Siedlungs- abfalldeponien verursacht noch weitere Auswirkungen auf die Umgebung:

~ Staub, vor allem beim Anliefern, aber auch beim Abladen, Ver- schieben und Verdichten der Ab- fälle auf dem Deponiekörper,

Jioo Brände,

~ Gerüche,

~ Lärm und Abluftemissionen durch Schwerlastverkehr und De- poniefahrzeuge,

~ Bakterien- und Pilzkeime durch Verwehungen und Vogelkot Darüber hinaus besteht ein erhebli- cher Flächen- und Landschaftsbedarf ei- ner Siedlungsabfalldeponie (0,1-0,2 m2/

Tonne Abfall).

5. Toxikologische Bewertung der Emissionen aus Deponien für unbehandelte Siedlungsabfälle

Über die verschiedenen Expositions- pfade (inhalativ, oral, dermal) kann der Mensch mittelbar oder unmittelbar mit Emissionen aus einer Deponie belastet werden. Da jede Siedlungsabfalldeponie aufgrund ihrer jeweiligen Besonderhei- ten einen Sonderfall darstellt, ist eine pauschale toxikologische Bewertung nicht möglich. Die von einer Deponie ausgehende mögliche Gesundheitsge- fährdung erfordert daher eine individuel- le Bewertung.

Die deponierten oder in einer Depo- nie entstehenden Stoffe können durch Emissionen in die Luft, den Boden oder

Tabelle 4

Krebserzeugende Stoffe und Stof- fe mit begründetem Verdacht auf krebserzeugendes Potential die in Deponiegas nachgewiesen wurden (Beispiele)

..,.. Eindeutig als krebserzeugend

ausgewiesene Arbeitsstoffe (Gruppe III Ader MAK- Liste 1994)

Acrylnitril Benzol

Chlorfluormethan 1,2-Dibromethan 1,2-Dichtorethan Dinitrotoluole (Isomerengemische) Epichlorhydrin Vinylchlorid

..,.. Stoffe mit begründetem Ver-

dacht auf krebserzeugendes Potential

(Gruppe III B der MAK- Liste 1994)

Chlorethan Dichlormethan Trichlormethan (Chloroform) Tetrachlormethan 1,1,2-Trichlorethan 1,1,2,2-Tetrachlorethan Vinylidenchlorid (1 ,1-Dichlorethen) Trichlorethen Tetrachlorethen

das Wasser gelangen. Durch freigesetzte Gase, Dämpfe oder verwehte Stäube kann die Umgebungsluft von Deponien Fremdstoffe enthalten. Sie können auch in den Boden in der Umgebung von De- ponien durch Abwehen und Deposition fremdstoffbelasteter Stäube eingebracht werden. Durch Auswaschung oder Auslaugung können Stoffe aus dem De- poniekörper in das Grund- und Ober- flächenwasser eindringen.

Für die Abschätzung der möglichen Gesundheitsgefährdung ist die Erfas- sung der emittierten Stoffe und die Er- mittlung der aus den verschiedenen Ex- positionspfaden resultierenden Gesamt- belastung wichtig.

5.1. Belastung durch Inhalation von Gasen und Stäuben

Hauptkomponenten der gasförmigen Emissionen einer Deponie sind Methan und Kohlendioxid, die von zahlreichen anderen Stoffen begleitet sein können.

Die Konzentration dieser begleitenden Stoffe liegt in der Summe meist unter 0,15 Vol%. Die im Deponiegas nachge- wiesenen aliphatischen Kohlenwasser- stoffe sind in den gefundenen Konzentra- tionen toxikologisch unbedenklich. An- dere im Deponiegas nachgewiesene or- ganische Verbindungen (Tabelle 3)-wie halogenierte Verbindungen, monozykli- sche Aramate und sauerstoffhaltige Ver- bindungen - können aber toxikologisch relevant sein. Im Deponiegas finden sich auch geruchsintensive Stoffe, wie schwe- felhaltige Verbindungen, Terpene, Ami- ne, Aldehyde und Ester, die auch unter- halb einer toxischen Konzentration belä- stigend sein können. Unter den im Depo- niegas nachgewiesenen Stoffen waren auch Substanzen mit krebserzeugender Wirkung (Tabelle 4).

Neben gasförmigen Emissionen ist auch eine Stoffexposition über Stäube möglich. Erhöhte Staubbelastungen können bei Siedlungsabfalldeponien auftreten, insbesondere bei der Ablage- rung von feinkörnigen Materialien. Be- sondere Vorsichtsmaßnahmen sind bei der Deponierung von Material mit krebserzeugenden Fasern zu beachten (LAGA-Richtlinien).

In erster Linie ist Deponiebetriebs- personal dem Deponiegas ausgesetzt.

Durch die Umgebungsluft kann jedoch für die Exposition eine erhebliche Ver- dünnung des Deponiegases angenom- men werden. Messungen (6, 7) ergaben bereits an der Deponieoberfläche eine Verdünnung der Hauptkomponente Methan um den Faktor 1 000 bis 10 000.

Unter der Annahme einer 1 OOOfachen Verdünnung für die Einzelkomponenten zeigt ein Vergleich mit den MAK- oder TRK-Werten (Tabelle 3), daß in der

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 51152, 25. Dezember 1995 (59) A-3637

(6)

M:WMbW·W~I\MCCW·W:WW\

Tabelle 5

Zusammensetzung von Sickerwässern aus der Ablagerung unbehandelter Siedlungsabfälle

Im Sickerwasser von Deponien für rohe Siedlungsabfälle zeigen sich die unter- schiedlichen Abbauphasen in der Deponie:

Saure Gärung:

Methanphase:

anaerobe Versäuerung mit hohen Konzentrationen an organi- schen Inhaltsstoffen und Metallen, daran zeitlich ansch- ließend die

anaerobe Methanisierung mit geringeren Konzentrationen an organischen Inhaltsstoffen und Metallen.

a) Parameter, deren Konzentration sich bei Phasenwechsel der Deponie ändern Parameter Phase 1 (Sänre Gärung) Phase 2 (Methanphase)

Bereich Bereich

pH 4,5-7,5 7,5-9

BSB5* mg/l 4000-40 000 20--550

CSB** mg/1 6 000-60 000 500-4 500

TOC*** mg/1 1500-25 000 200--5 000

so

4 mg/l 70-1750 10-420

Cacium mg/1 10-2 500 20-600

Magnesium mg/l 50--1150 40--350

Eisen mg/1 20-2100 3-280

Mangan mg/1 0,3-65 0,03-45

Zink mg/l 0,1-120 0,03-4

Strontium mg/l 0,5-15 0,3-7

* BSB5: Biologischer Sauerstoffbedarf, gemessen nach 5 Tagen

** CSB: Chemischer Sauerstoffbedarf,

*** TOC: gesamter organisch gebundener Kohlenstoff

b) Parameter, deren Konzentration sich bei Phasenwechsel der Deponie nicht ändern

.Parameter

CI mg/l

Natrium mg/1

Kalium mg/1

NH4-N mg/l

org.N mg/1

N (gesamt) mg/l

P (gesamt) mgll

Cyanid mg/1

Phenol mg/1

Kohlenwasserstoffe mg/1

PAK0 mg/1

AOXoo mg/l

Arsen mg/1

Blei mg/1

Chrom mg/1

Quecksilber mg/1

o PAK: Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe

oo AOX: adsorbierbare organisch gebundene Halogenide

Bereich 100--5 000 50-4 000 10--2 500 30--3 000 10-4 250 50--5 000 0,1-30 0,04-90 0,04-44

< 16

0,0001-0,00033 0,32-3,5 0,005-1,6 0,008-1,02 0,03-1,6 0,0002-0,01

A-3638 (60) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 51/52, 25. Dezember 1995

Atemluft des Deponiebetriebspersonals sämtlicheMAK-oder TRK-Werte unter- schritten werden.

Ein besonderes Problem stellt die Exposition gegenüber krebserzeugen- den Stoffen dar. Wegen deren potentiel- ler Schädlichkeit auch in niedrigen Kon- zentrationen ist eine gezielte analytische Bestimmung erforderlich. Durch ent- sprechende Schutzmaßnahmen kann die Exposition vermindert oder vermieden werden.

Auch Anwohner in der Umgebung einer Deponie sind möglicherweise rele- vanten Immissionen ausgesetzt. Erste Hinweise darauf können beobachtete Geruchsbelästigungen sein. Systemati- sche Erfassungen der Immissionen im Umgebungsbereich einer Deponie sind nicht verfügbar. Eine grobe Abschätzung der zu erwartenden Immissionsmeßwerte zeigt (Tabelle 3, 6. Spalte), daß in der Re- gel die Zusatzimmission von Stoffen, mit Ausnahme der schwefelhaltigen Kompo- nenten, im Bereich oder weit unter der Hintergrundbelastung liegt (Luftqua- litätskriterien WHO, 1994). Eine Ge- sundheitsgefährdung der Allgemeinbe- völkerung durch Immissionen gasförmi- ger Deponie-Inhaltsstoffe ist nach gegen- wärtigem Kenntnisstand (und üblicher- weise normalem Deponiebetrieb) nicht erkennbar.

Für krebserzeugende Stoffe ist das Risiko für die im Umgebungsbereich ei- ner Deponie lebende Bevölkerung in Relation zur Hintergrundbelastung durch detaillierte Ausbreitungsrechnung und gegebenenfalls durch gezielte Im- missionsmessung im Einzelfall abzu- schätzen.

Deponiegas wird in der Regel abge- saugt und häufig in speziellen Fackeln verbrannt oder in Gasmotoren genutzt, um:

... Vegetationsschäden zu verhin- dern,

... Geruchsbelästigung auf der De- ponie sowie im Deponieumfeld durch Gasaustritte und Gasmigra- tion zu vermeiden,

... Vorsorge zu treffen gegen die Bil- dung explosionsgefährlicher De- poniegas/Luft-Gemische in Räu- men und Schächten umliegender Gebäude (je nach geologischer Gegebenheit, zum Beispiel Kluft- gestein, kann sich Deponiegas mehrere hundert Meter weit aus- breiten); Untere Zündgrenze für Methan in Luft: 5 Vol%,

... die vorhandene Energie zu nut- zen.

Hierbei können Dioxine und Furane entstehen. Messungen haben gezeigt, daß der für Müllverbrennungsanlagen gelten-

(7)

Tabelle 6

Stoffbelastung von Sickerwasser aus Schlackedeponien (Schlacken aus Abfallverbrennungsanlagen)

Parameter Einheit Sickerwasser- Sicker- Eluat- zusammensetzung (13) wasser- analysen(4)

von bis analysen (14)

de Emissionsgrenzwert für Dioxine/Fu- rane von 0,1 ng TE/m 3 eingehalten wird (TE = Toxizitäts-Äquivalent). 1

5.2. Belastung durch Deponiebrände Besonders auffällige Emissionen ent- stehen bei offenen und verdeckten (Schwelbrände) Deponiebränden auf Mülldeponien, insbesondere auch, wenn Altreifen und Kunststoffabfälle in Brand geraten.

Grundsätzlich sind Emissionen, die bei Bränden auf Mülldeponien auftre- ten, ähnlich zu bewerten wie Emissionen bei Bränden in Wohn-, Geschäfts- und Gewerbegebieten, weil alle Güter, die dort in Brand geraten, letztlich auch als Abfälle auf Mülldeponien abgelagert werden.

Es ist deshalb bei älteren Mülldeponi- en dafür zu sorgen, daß konsequent die Anforderungen an den Brandschutz und die Brandbekämpfung gemäß DIN 14096 (9) unter Berücksichtigung der deponie- spezifischen Besonderheiten beachtet werden (10, 11). Bei den zukünftigen Schlackedeponien, geführt nach der TA Si, sind Deponiebrände ausgeschlossen.

5.3. Belastung durch Sickerwässer Wasserlösliche Stoffe oder mit Wasser mischbare Stoffe können je nach Qua- lität der Basisabdichtung aus dem Depo- niekörper über einen unkontrollierten Sickerwasseraustritt in die Umwelt ge- langen und Grund- und Oberflächen- wasser in erheblichem Ausmaß belasten.

Im Umgebungsbereich von Alt-De- ponien ist deshalb der Austrag von Stof- fen in Grund- und Oberflächenwasser sorgfältig zu überwachen. Durch Sicker- wasser belastetes Grundwasser ist gege- benenfalls von der Nutzung für die Trinkwasserversorgung auszuschließen.

Zusammenfassung und Empfehlung

Deponien werden zur Entsorgung nicht wiederverwertbarer Abfälle auch künftig benötigt. Ebenso wie bei anderen Entsorgungsverfahren entstehen auch bei der Deponierung unbehandelter Abfälle potentiell umweltgefährdende Emissio- nen, die für die menschliche Gesundheit bedeutsam sein können. Insbesondere durch die inhomogene Zusammenset- zung des Siedlungsabfalls und dessen or-

1) Toxizitäts-Äquivalent: PCDD/PCDF lie- gen fast immer als Gemische vor. Da nur für wenige PCDD/PCDF ausreichende Daten verfügbar sind, wird die toxische Potenz der Einzelkomponenten beziehungsweise Gemi- sche in Relation zu 2,3,7,8-TCDD (TE = 1) abgeschätzt (8).

ganische Abfallbestandteile läßt sich das langzeitige Reaktionsverhalten solcher Deponien jedoch kaum abschätzen. Das Risikopotential wächst zusätzlich durch unkontrollierte Neubildung persistenter und potentiell toxischer Verbindungen (zum Beispiel halogenierter Kohlenwas- serstoffe) und mangelhafte natürliche oder technische Barrieresysteme.

Während Ende 1993 noch über 500 Altdeponien mit inhomogener Zusam- mensetzung der abgelagerten Abfälle - häufig ohne hinreichende Barrieren - be- trieben wurden, fördert die Technische Anleitung Siedlungsabfall (TA Si, 1993)

pH-Wert Leitfähigkeit Abdampfrück- stand

BSB5*

TOC**

Chlorierte Dioxine/

Furane***

Nitrat Ammonium Sulfat Chlorid Natrium Kalium Magnesium Calcium Fluorid Sulfid Blei Chrom gesamt Kupfer Zink Cadmium Nickel Quecksilber

mit Übergangsregelungen bis zum Jahr 2005, Abfälle nur noch in mineralisierter Form abzulagern. Nach derzeitigem Er- kenntnisstand sind die dann gültigen An- forderungen nur durch thermische Ab- fallbehandlungsverfahren zu erreichen.

Ferner müssen Siedlungsabfalldeponien nach den gesetzlichen Bestimmungen

zukünftig mit mehrfachen Sicherheits- barrieren ausgestattet sein.

Demgegenüber stellen Altdeponien durch die Ablagerung hygienisch und to- xikologisch bedenklicher Stoffe umwelt- belastende Emissionsquellen mit Altla- stencharakter dar: denkbar sind Gesund- heitsgefährdungen durch Deponiegase, Sickerwässer, Staub und Mikroorganis- men. Im Einzelfall werden die lokalen Expositionsbedingungen in der Umge- bung von Altdeponien durch die Bela- stungspfade Luft, Wasser und Nahrung zu beurteilen sein. Hierbei ist neben der Feststellung der Zusatzbelastung durch

<2 0,4 341 730 164 305 7 463 1,1 k.A.

< 0,1-18

< 0,05

< 0,05-0,25

< 0,02-3,2

< 0,02

< 0,05

< 0,0005

Mülldeponien auch die Hintergrundbela- stung für die Abschätzung möglicher ge- sundheitlicher Beeinträchtigungen zu be- werten.

Eine grobe Abschätzung der Immissi- onskonzentrationen im Deponiegas gibt keinen Hinweis auf eine generelle Ge- fährdung der Allgemeinbevölkerung in

6 10 7,5 12,5

uS/cm 19 000 53 000 k.A. k.A.

mg/1 15 000 30 000 29 950 2 389

mg/1 < 1 350 k.A. k.A.

mg/1 10 44 10,00

ng/1 0,1 0,21

mg/1 N < 20 70 19

mg 10 140 31

mg/1 70 1 300 199

mg/1 6 500 20 000 15 625

mg/1 2 200 8 200 4 848

mg/1 2 000 10 000 5 763

mg/1 10 80 39

mg/1 100 1 400 799

mg/1 0,4 1,3 0,75

mg/1 - 0,2 k.A.

mg/1 < 0,10 0,9 0,27

mg/1 < 0,05 0,10 < 0,08

mg/I < 0,05 0,30 0,10

mg/l < 0,05 0,30 0,14

mg/1 < 0,02 0,15 -

mg/1 < 0,05 0,60

mg/1 k.A. k.A. 0,10

* BSB5 : Biologischer Sauerstoffbedarf, gemessen in 5 Tagen

** TOC: gesamter organisch gebundener Kohlenstoff

*** Chlorierte Dioxine/Furane: nur 7-, 8-CI PCDD/PCDF nachweisbar

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 51/52, 25. Dezember 1995 (61) A-3639

(8)

BEKANNTGABEN DER HERAUSGEBER

11.

der Umgebung von Altdeponien. Spezifi- sche Emissionen, zum Beispiel durch De- poniebrände, können jedoch im Einzel- fall zu einer besonderen Belastung führen. Hauptkomponenten im Depo- niegas, das ständig über Jahrzehnte hin- weg in Altdeponien gebildet wird, sind Methan und Kohlendioxid. Die Abschät- zung einer möglichen Gesundheitsge- fährdung durch gasförmige Emissionen chlor-, fluor- und schwefelhaltiger Ver- bindungen kann nur durch Ermittlung der jeweiligen Stoffkonzentrationen und deren toxikologische Bewertung erfol- gen. Stoffgemische erschweren die Beur- teilung. Dies gilt insbesondere für Emis- sionen von Substanzen mit krebserzeu- gendem Potential im Deponiegas oder in Form von Stäuben.

Weitere für die Umwelt relevante Emissionen aus Deponien sind Sicker- wässer, die die Qualität von Grund- und Oberflächenwasser nachhaltig beein- trächtigen können. Während deren Bil- dung beim zukünftigen Deponiebetrieb (nach TA Si) durch geeignete Abdich- tungsmaßnahmen minimiert wird, kön- nen bei derzeit in Deutschland betriebe- nen Deponien mit unzureichender Ab- dichtung Sickerwässer anfallen, die mit Schadstoffen belastet sind und entspre- chend behandelt werden müssen. In der Umgebung von Altdeponien ohne hin- reichende Basisabdichtung können Nut- zungsbeschränkungen für Grund- und Oberflächenwasser notwendig werden.

Erhebliche Belästigungen können von Geruchsemissionen und Lärm ausgehen.

Schlußfolgerung

Der Wissenschaftliche Beirat unter- stützt aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes die Bestimmungen der TA Si, daß Siedlungsabfall künftig nicht mehr als „biochemisch unkontrol- liert umsetzbares Material" abgelagert werden darf, da Erfahrungen mit den verschiedenen Sicherheitsbarrieren feh- len und das Langzeitverhalten von De- ponien nicht hinreichend beurteilbar ist.

Bei den derzeit betriebenen Sied- lungsabfalldeponien, die noch nicht den Bestimmungen der TA Si entsprechen, kann langfristig eine Gesundheits- und Umweltgefährdung nicht ausgeschlossen werden. Deshalb ist die Kontrolle und Behandlung von Sickerwasser und Depo- niegas nach dem Stand der Technik er- forderlich.

Bei den künftigen, entsprechend der TA Si geführten Deponien werden die Emissionen über Sickerwasser erheblich vermindert, Emissionen über Deponie- gas entfallen. Diese Deponien verursa-

chen keine erkennbare gesundheitliche Gefährdung. Da jedoch keine der For- men der Müllentsorgung völlig frei von Risiken ist, muß allen Maßnahmen zur Müllvermeidung und -verwertung Priorität eingeräumt werden.

Literatur

1. SRU, Sondergutachten „Altlasten" des Sachverständigenrates für Umweltfragen.

Metzler-Poeschel-Verlag, Stuttgart, 1989 2. Thomanetz E: Persönliche Mitteilung, In-

stitut für Siedlungs-/Wasserbau, TU Stutt- gart, 1994

3. TA Siedlungsabfall: Dritte Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz;

Technische Anleitung zur Verwertung, Be- handlung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen. Beil. BAnz. Nr. 99, 14. Mai 1993

4. Doedens H, v. Felde D: Durchführung und Auswertung von Untersuchungen zur Ent- sorgungssituation schadstoffhaltiger Ab- fälle aus Haushalten und Kleingewerbe in Niedersachsen. Gutachten des ISAH der Univ. Hannover im Auftrage der NGS, 1994

5. Allgemeine Verwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Rahmen-Ab- wasser VwV) in der Fassung der Bekannt- machung vom 25. 11. 1992 (BAnz. Nr.

233b), geändert durch VwV vom 31. 1. 1994, BAnr S. 1076

6. Bruckmann P, Mulder W: Der Gehalt an organischen Spurenstoffen in Deponiega- sen. Müll und Abfall, 1982; 339-346 7. Doedens H: Untersuchungen über Ge-

ruchsimmissionen in der Umgebung der Deponie Blankenhagen. Unveröffentlich- tes Gutachten des ISAH der Univ. Hanno- ver, 1986

8. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärz- tekammer: Potentielle Gesundheitsgefah- ren durch Emissionen aus Müllverbren- nungsanlagen. Deutsches Ärzteblatt 1993;

90: A,52-60 (Heft 1-2)

9. DIN 14096 T 1 Brandschutzordnung: Re- geln für die Erstellung Teil A (4.83) DIN 14096 T 2 Brandschutzordnung: Re- geln für die Erstellung Teil A (4.83) DIN 14096 T 3 Brandschutzordnung: Re- geln für die Erstellung Teil A (4.83) 10. Sicherheitsregeln für Deponien (Sicher-

heitsrichtlinie 17.4), Kapitel 9: Brand- schutz. Bundesverband der Unfallversi- cherungsträger der öffentlichen Hand - BAGUV, München, Ausgabe Oktober 1981

Hessische Brandschutzrichtlinie: Brand- schutz für Deponien - Handlungsanwei- sungen und Regelungen für den Brandfall auf Deponien - Richtlinie, Hess. Ministeri- um für Umwelt, Energie und Bundesange- legenheiten (Hrsg.), August 1992 12. Rippen G: Handbuch Umweltchemikali-

en. Ecomed Verlag, Landsberg, 1994 13. Bayerisches Landesamt für Umweltschutz,

München: Auslaugverhalten von Rück- ständen aus Abfallverbrennungsanlagen - Rückstandsdeponie Großmehring. Schrif- tenreihe des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz, München 1983, 55 14. Leuchs W: Untersuchung von Abfällen

und Rückständen zur Beurteilung bei der Ablagerung und Verwertung. In: Abfall- wirtschaft in Forschung und Praxis, Bd. 36, Fortschritte der Deponietechnik 1990 (Hrsg.: Fehlau/Stief, ESV 1991 nach Fich- tel et al. [Schlacken aus der MVA Ingol- stadt])

Mitglieder des Arbeitskreises "Gesund- heitsgefährdung der Bevölkerung durch Mülldeponien (Siedlungsabfall)"

Prof. Prof. h.c. Dr. med. H.-W. Schlipköter (Federführend) Direktor des Medizini- schen Instituts für Umwelthygiene und des Instituts für Hygiene an der Heinrich- Heine-Universität Düsseldorf

PD Dr. med. vet. J. Abel

Medizinisches Institut für Umwelthygiene - Abteilung für Toxikologie - an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Prof. Dr. med. K.-D. Bachmann Vorsitzender des Wissenschaftlichen Bei- rates der Bundesärztekammer, Münster Prof. Dr. K. W. Bock

Institut für Toxikologie, Eberhard-Karls- Universität Tübingen

Dr.-Ing. U. Brettschneider

Ingenieurbüro Grombach, Bad Homburg v.d.H.

Prof. Dr.-Ing. habil. H. Doedens

Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik, Universität Hannover Prof. Dr. med. H. Eckel

Präsident der Ärztekammer Niedersach- sen, Vorsitzender des Ausschusses „Ge- sundheit und Umwelt" der Bundesärzte- kammer

PD Dr. med. K.-G. Eckert

Walther-Straub-Institut für Pharmakolo- gie und Toxikologie, Ludwig-Maximilians- Universität München

Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. H.-P. Gelbke Leiter der Abteilung Toxikologie, BASF Ludwigshafen

Prof. Dr. med. H. Greim

GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Institut für Toxikologie. Neu- herberg

PD Dr. Dr. med. A. Kappos

Leitender Medizinaldirektor, Abt. für Ge- sundheit und Umwelt der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Ham- burg

Prof. Dr. med. Dr. h.c. G. Lehnert Direktor d. Instituts und der Poliklinik f.

Arbeits- und Sozial- und Umweltmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg Prof. Dr. med. F. K. Ohnesorge Institut für Toxikologie, Medizinische Einrichtungen der Heinrich-Heine-Uni- versität Düsseldorf

Prof. Dr. med. R. Schiele

Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Klinikum der Fried- rich-Schiller-Universität, Jena

Prof. Dr.-Ing. K. G. Schmidt

Institut für Umwelttechnologie und Um- weltanalytik e. V., Duisburg

Dr.-Ing. E. Thomanetz

Institut für Siedlungswasserbau, Wasser- güte u. Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer Herbert-Lewin-Straße 1 50931 Köln

A-3640 (62) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 51/52, 25. Dezember 1995

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