POLITIK
Rauchen am Arbeitsplatz
D
er Scherz ist makaber, wirft aber ein Schlaglicht auf die Si- tuation. Sollen Raucher, die ja die Solidargemeinschaft bela- sten, mit einem Aufschlag ihrer Kran- kenkassenbeiträge bestraft werden?Nicht nötig, sagt Professor Michael Kentner, denn starke Raucher erspa- ren im Gegenzug der Rentenversiche- rung acht bis neun Jahressätze an Lei- stungen. Ökonomie für Gesundheits- bewußte.
Solche Rechnungen, wie sie Kentner als Vorstandsmitglied des In- stituts für Arbeits- und Sozialhygiene in Karlsruhe aufmacht, haben Kon- junktur. Seit die Gesundheitsgefahren durch Rauchen unwidersprochenes Allgemeingut geworden sind und Rauchen zunehmend in die Nähe der Asozialität gerückt wird, regt sich ge- rade in den knallhart kalkulierenden Betrieben der Widerstand gegen den blauen Dunst. Der Gegenwind für Ni- kotinverbraucher kommt aus den Buchhaltungs-Etagen.
„Rauchen führt bei Männern über 40 Jahre zu einem zusätzlichen Arbeitsausfall von 83 Prozent und bei Frauen sogar von 140 Prozent", sagt der Arbeitsmediziner Kentner und verweist auf Untersuchungen des Na- tional Health Survey in den USA, dem Mutterland der Anti-Raucher- Programme Dort hätten Metaanaly- sen der Environmental Protection Agency (EPA) auch die Gefahren durch Passivrauchen ermittelt, dem am Arbeitsplatz ein großer Prozent- satz der Mitarbeiter ausgesetzt ist:
3 000 Tote pro Jahr gehen nach diesen (umstrittenen) Studien auf das Konto des unfreiwillig inhalierten Rauchs.
Das Deutsche Krebsforschungszen- trum in Heidelberg kam in ähnlichen
TAGUNGSBERICHT
Studien auf 400 Krebstote hierzulan- de pro Jahr.
Solche Sterbe- und Krankheitszif- fern bedeuten aus kühler Unterneh- mersicht einen immensen Verlust an Know-how und Berufserfahrung, den sich kein Unternehmen auf Dauer lei- sten kann. „Der Input, und in der Fol- ge auch der Output, wird gravierend
Zigaretten während der Arbeitszeit: Rund 9 Milliar- den DM an Verlusten für die Volkswirtschaft.
verändert", warnt der Diplom-Han- delslehrer Ernst-Günther Krause von der Nichtraucher-Initiative Deutsch- land (NID). Auch makroökonomisch entsteht Krause zufolge größter Scha- den: Schon vor 25 Jahren habe der volkswirtschaftliche Ausfall durch rauchbedingte Arbeitsunfähigkeit, Frühinvalidität und Tod an die 20 Mil- liarden DM betragen — hochgerechnet auf heutige Verhältnisse runde 80 Mil- liarden DM. „Verteuert", so Krause,
„werden vor allem die Personalko- sten." In den ersten sechs Wochen der
Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Da Raucher und auch Ex-Raucher viel häufiger fehlen, sind mindestens 12 Milliarden DM, ein Viertel aller Lohn- fortzahlungen, dem Rauchen zuzu- rechnen. Aber auch wenn ein Raucher anwesend ist, verursacht er Ausfallzei- ten und -kosten: Wer während der Ar- beitszeit 20 Zigaretten raucht, ver- bringt mindestens 20 Minuten mit der Handhabung seiner Glimmstengel — macht aufs Jahr gerechnet zehn Tage Untätigkeit in der Produktion. Einen Stundenlohn von 30 Mark im verarbei- tenden Gewerbe zugrundegelegt, ent- spricht diese Fehlzeit 2 400 DM Aus- fall für den einzelnen und 9 Milliarden Mark für die Volkswirtschaft — allein durch „Raucherpausen".
Aber die vehementen Tabakfein- de der NID gehen beim finanziellen Sezieren der Delinquenten noch wei- ter: „Das Einarbeiten von Nachfol- gern unerwartet ausgeschiedener Raucher bindet personelle Kapazitä- ten", bilanziert Handelslehrer Krau- se. Räume, in denen geraucht wird, müssen häufiger gelüftet werden, führen also zu höheren Heizkosten.
Die Einrichtung von Raucherzim- mern, aber auch das Reinigen von Aschenbechern und Möbeln, häufige- res Tapezieren, erhöhte potentielle Brandgefahr: Summa summarum kommen leicht 3 000 DM an Kosten pro Jahr für alle Defizite eines einzi- gen rauchenden Mitarbeiters zusam- men. Passivposten in der Unterneh- mensbilanz, die durch strikte Rauch- verbote vermeidbar wären.
Da gehen, kein Wunder, die USA wieder einmal voran. Schon in einem guten Drittel der Betriebe ist dort Ta- bak tabu. In Deutschland ist das die absolute Ausnahme. Professor Klaus Jork, Allgemeinmediziner und Vor- sitzender des Wissenschaftlichen Ak- tionskreises Tabakentwöhnung in Frankfurt, fordert daher verstärkt Raucherentwöhnungsprogramme für Betriebe. Dabei könne es für aus- stiegswillige Raucher hilfreich sein, sich die vier Negativkriterien vor Au- gen zu führen, die sein Konsum un- weigerlich erfülle: „Gesundheitsrisi- ken, soziale Ablehnung, unangeneh- me Begleiterscheinungen, Kosten".
Plus, immer wahrscheinlicher: Ar- beitslosigkeit. Oliver Driesen
Gift für die Gesundheit und für die Bilanz
Der alltägliche Kleinkrieg zwischen Rauchern und Nichtrauchern im Büro vergiftet nicht nur das Betriebsklima in vielen Unternehmen. Raucher und Passivraucher sind auch leistungs- und konzentrationsschwächer, verursachen Fehlzeiten und Mehrkosten. Gerade unter be- triebswirtschaftlichen Aspekten geraten Tabakkonsumenten zunehmend in die Defensive.
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 24, 16. Juni 1995 (39) A-1741