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Archiv "Der plötzliche Kindstod (SIDS) — Eine interdisziplinäre ärztliche Aufgabe" (10.12.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Medizin

Zur Fortbildung

Der plötzliche Kindstod (SIDS) — Eine interdisziplinäre ärztliche Aufgabe

Helmut Althoff Der plötzliche Säuglingstod, der unverändert häufig

vorkommt, verlangt sowohl eine umfassende post- mortale Aufklärung als auch zur Verhinderung eine Präventivstrategie in den ersten Lebensmonaten.

Aus der Abteilung Rechtsmedizin

(Vorstand: Professor Dr. med. Helmut Althoff) der Medizinischen Fakultät der Rheinisch- Westfälischen Technischen Hochschule Aachen

D

er Begriff plötzlicher Kindstod

— im anglo-amerikanischen Schrifttum als SIDS (Sudden In- fant Death Syndrome) bezeichnet, entspricht nicht einer Todesursa- che, sondern kennzeichnet die Si- tuation, daß ein Kind plötzlich und unerwartet gestorben ist. Auch in vielen Staaten mit hohem sozio- ökonomischen Standard und niedriger Säuglingssterblichkeit beträgt der Anteil in der Säug- lings(Spät/Nach-)sterblichkeit 14 bis 27 Prozent. Erkenntnisse über die Inzidenz beruhen auf regiona- len Untersuchungen beziehungs- weise Hochrechnungen, für die USA jährlich 10 000 bis 25 000 To- desfälle, in England 1500 bis 5000, in der Bundesrepublik 1300 bis 3000. Die Frequenz des SIDS auf 1000 Lebendgeborene wird auf zwei bis drei geschätzt.

Der plötzliche Kindstod wird über- wiegend im ersten Lebensjahr, am häufigsten um den 3. Lebensmo- nat, beobachtet; nach eigenen Un- tersuchungen bei 1100 Todesfäl- len ereigneten sich ca. 60 Prozent in den ersten vier Monaten, 72 Prozent im ersten Lebenshalbjahr und 91 Prozent im ersten Lebens- jahr (1)"). Knaben sind mit etwa 60 Prozent häufiger betroffen als Mädchen. In länger anhaltenden Schönwetterperioden liegt die Frequenz deutlich niedriger. Nur

selten wird die Phase des Todes- eintritts unter dem Bild einer ge- nerellen, zentralen Funktionsstö- rung beobachtet. Man geht davon aus, daß der Tod während der al- tersbedingten langen Schlafpha- sen ohne auffällige, dramatische Symptomatik sowohl tags- wie auch nachtsüber eintritt. Ob das Kind dabei schläft, ist retrospektiv nicht sicher zu entscheiden.

Derartige Todesfälle stellen nicht nur ein rein postmortales diagno- stisches Problem für Rechtsmedi- ziner oder Pathologen dar; auch andere klinische Fachdisziplinen—

nur teilweise unmittelbar mit SIDS-Fällen konfrontiert — werden im „Vorfeld" des SIDS tätig. Da- durch eröffnen sich vielfältige ärztliche Aufgaben, die kurz skiz- ziert und im Sinne eines interdis- ziplinären strategischen Konzepts verstanden werden sollen.

Ärzte im Notfall- oder Bereitschaftsdienst — Ärzte, die die

Leichenschau durchführen Vom raschen, ärztlichen Einsatz versprechen sich die Eltern einen Erfolg, die ihre Kinder leblos vor- finden. Fast immer ist jedoch der schon länger zurückliegende To- deseintritt zu diagnostizieren. Pro-

bleme ergeben sich bei der Aus- stellung der Todesbescheinigung, weil meistens eine Krankheitsvor- geschichte nicht bekannt ist oder von den Eltern negiert wird, und weder die Auffindungssituation noch der äußerliche Zustand des Kindes ausreichende Entschei- dungshilfen bieten, um Todesart und Todesursache festzustellen.

Verdachtsdiagnosen wie „Erstik- ken im Brechakt, unter Bettzeug oder in Bauchlage" sind vorder- gründig. Auch ohne äußerlich sichtbare grobe Verletzungszei- chen kann ein gewaltsamer, nicht natürlicher Tod vorliegen. Bei der Ausstellung der Todesbescheini- gung obliegt dem Arzt die wichti- ge Schlüsselfunktion für die spä- tere Entscheidung, ob ein derarti- ger Todesfall durch Obduktion eingehender untersucht wird oder nicht, oder wie dieser Todesfall in die Todesursachenstatistik ein- geht. Seit 1979 kann in der Todes- bescheinigung auch der Begriff

„plötzlicher Kindstod" verwendet werden, zwar nicht im Sinne einer Todesursache, sondern zur medi- zinalstatistischen Erfassung.

Vor der Dokumentation einer fikti- ven Todesart und Todesursache sollte dem Arzt bewußt sein, daß

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 50 vom 10. Dezember 1986 (31) 3529

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Der plötzliche Kindstod

viele Eltern ein großes Interesse an der Aufklärung des für sie völlig unbegreiflichen Todes ihres Kin- des erwarten. Mit der Entschei- dung „nicht natürlicher Tod" oder

„Todesart nicht aufgeklärt" wird die Tätigkeit der Ermittlungsbe- hörden ausgelöst. In einigen Bun- desländern ist der hinzugerufene Arzt sogar verpflichtet, den ver- dächtigen, nicht natürlichen Tod unabhängig von der Todesbe- scheinigung zu melden.

Gynäkologen und Geburtshelfer

Viele epidemiologische Studien haben auf mütterliche und kind- liche Risikofaktoren aufmerksam gemacht, unter anderem mehrfa- che, rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften, Komplikatio- nen während der Schwanger- schaft, etwa Blutungen, drohen- der Abort, vorzeitige Wehentätig- keit, Infektionskrankheiten der Kindesmutter sowie deren niedri- ges Lebensalter. Als kindliche Ri- sikofaktoren wertet man neben anderen Faktoren Unreife bei vor- zeitiger Geburt, Zwillings- oder

Mehrlingskind mit Hypotrophie- zeichen, zweites Kind in der Fami- lie, Retardierung der postnatalen Entwicklung.

Uns erscheint von besonderer Be- deutung, in welchem Zustand die Kinder in die jeweiligen Familien entlassen und wie intensiv die Kin- desmütter über eine optimale Ge- sundheitsfürsorge, Ernährung und Einhaltung der Vorsorgeun- tersuchungen informiert werden, beziehungsweise inwieweit An- weisungen erfolgen, bei welchen Krankheitssymptomen ein Arztbe- such dringend geboten ist. Bei nachträglichen eigenen Anamne- serecherchen in 100 Familien von SIDS-Fällen wurde ermittelt, daß nur bei einem kleinen Teil (9 Pro- zent) alle bis zum Tode der Kinder empfohlenen Vorsorgeuntersu- chungen eingehalten wurden. Als Gründe konnten ermittelt werden:

Unwissenheit über die Kosten- übernahme, die eigene Einschät-

zung, das Kind sei nicht ernstlich krank, ärztliche Untersuchungen seien überflüssig, eigene Hausmit- tel würden zur Behandlung ausrei- chen, die generelle Nachlässig- keit, häufig kombiniert mit einem nicht optimalen Intelligenzniveau und Ausbildungsstand der Mütter sowie teilweise notdürftigen Wohnverhältnissen (6).

Eine entsprechende, ärztlich moti- vierte Milieutherapie erscheint deshalb lohnenswert. Dies hat die Arbeitsgruppe von Emery und Car- penter (2) bereits vor Jahren er- kannt und empirisch nachgewie- sen, daß sich nämlich die Fre- quenz plötzlicher Kindstodesfälle entscheidend reduzieren läßt, wenn regelmäßige Kontrollen in Familien mit Risikokindern oder mit ungünstigen sozioökonomi- schen Verhältnissen stattfinden.

Die Eltern werden zudem durch entsprechende Checklisten ange- wiesen, bei bestimmten Auffällig- keiten ihrer Kinder umgehend ei- nen Arzt aufzusuchen, zum Bei- spiel bei Trinkschwierigkeiten, er- schwertem schnellen oder rö- chelnden Atmen, bei ungewöhn- licher Schläfrigkeit oder Apathie, Husten, behinderter Nasenat- mung, Erbrechen, Durchfall, star- kem Schwitzen, hohem Fieber, un- gewöhnlichem Schreien. Gynäko- logen und Geburtshelfer könnten auf Eltern bezüglich einer optima- len Versorgung ihres Kindes nach- drücklich einwirken und auch nachbehandelnde Pädiater infor- mieren.

Perinatologen

Bei der Suche nach bedeutungs- vollen ätiologischen und patholo- gischen Faktoren für SIDS-Fälle ließen peri natologische/päd iatri- sche Beobachtungen die Vorstel- lung aufkommen, es gäbe nicht nur ein einheitliches, ursächliches Strukturprinzip (12), man könne auch gefährdete Kinder anhand kritischer und lebensbedrohlicher Phasen rechtzeitig erkennen und entsprechende Therapiemaßnah- men einleiten. Bei Langzeitpoly-

graphien stellte man nämlich fest, daß nicht nur Risikokinder, son- dern auch andere Kinder verlän- gerte Apnoe-Episoden aufwiesen und einige wenige später unter dem Bild des SIDS starben. Inzwi- schen unterscheidet man drei Ap- noeformen (4):

a) die zentrale oder diaphragmale Apnoe mit Sistieren des Atem- stroms sowie der Atembewegun- gen und Fehlen der Änderung des intratrachealen Drucks. Als Ursa- che wird eine Störung des zentra- len Antriebs oder der Ausfall peri- pherer Chemorezeptoren disku- tiert;

b) die durch Obstruktion der Luft- wege verursachte Apnoe mit Si- stieren des Luftstroms trotz beste- hender Atembewegungen. Die Ur- sache kann in den oberen Atem- wegen (Rhinitis) lokalisiert sein oder peripher in den Bronchien und Bronchiolen;

c) die gemischte Apnoe wird durch eine Kombination von zen- tralen und obstruktiven Ursachen bewirkt. Sie soll besonders beim plötzlichen Säuglingstod bedeut- sam sein.

Die auf diesem Sektor seit Jahren intensivierte Forschung spiegelt unterschiedliche Erfahrungen:

Auf der einen Seite steht die For- derung nach einer kontinuier- lichen Überwachung des Kindes mit der Möglichkeit des frühen Er- kennens und Eingreifens; auf der anderen Seite ist unklar, welche Kinder für diese Überwachung ausgewählt und wie lange sie kon- trolliert werden sollen (3, 5, 9, 10).

Es ist noch nicht zuverlässig er- wiesen, daß Kinder mit verlänger- ten Apnoe-Phasen gehäuft plötz- lich und unerwartet sterben. Zu- dem werden schwere Apnoepha- sen von Kindern auch ohne äußere Hilfe überwunden. Es konnte bis- lang nicht zufriedenstellend ge- klärt werden, warum Kinder mit dieser Art funktionellen Fehlver- haltens nicht bereits gehäuft in den ersten Wochen nach der Ge- burt sterben. Für derartige Funk- tionsstörungen wurde der Begriff

„near miss SIDS" geprägt.

3530 (32) Heft 50 vom 10. Dezember 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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02 beg `:u221°^.--„,.

4;`..` . • *.ze,

rill exogene Antigene

Viren, Bakterien, alimentäre Faktoren

r

respiratorische Störung Infekt der oberen/unteren

Atemwege;

Obstruktionsmechanismen, Dys- und Atelektasen,

alveoläres und inter- stitielles Ödem;

Reduktion der Ventilation, pulmogene Hypoxie,

Hirnödem anatomische,

patho-anatomische, entwicklungsphysiologische

und pathophysiologische disponierende Faktoren

im Säuglingsalter

** ... **

zentrale Regulationsstörungen Enteropathie

Malabsorption;

Malnutrition, Dyspepsie, Enteritis..

Toxikose, Inam

Elektrolyt- und Stoffwechsel- entgleisung;

Leberschwellung kardiale Insuffizienz,

Hirnödem

Abbildung: Vorstellungen zur multifaktoriellen Pathogenese beim plötzlichen Säug- lingstod

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Der plötzliche Kindstod

Eine kontinuierliche Langzeit- überwachung außerhalb einer Kli- nik bedeutet kein verläßliches strategisches Konzept, um SIDS- Fälle zu vermeiden. Die entwickel- ten Heim-Monitore haben unter- schiedliche Funktionskonzepte.

Der Einsatz wird bei Risikopatien- ten oder Kindern mit festgestellten prolongierten Apnoen befürwor- tet. Die Gegner bezweifeln aller- dings die Effektivität, da diese Geräte bislang nur die zentral be- dingte Apnoe und auch diese nicht immer rechtzeitig genug er- fassen. Außerdem müssen Eltern bereit und fähig sein, gezielte und rechtzeitige Reanimationsver- fahren anzuwenden. Eine sehr in- tensive vorausgehende ärztliche Belehrungs- und Übungsaktion ist notwendig. Fehlalarme lassen sich nicht vermeiden und können für das Familienleben über lange Zeit eine erhebliche Belastung bedeu- ten. Erfolgversprechend könnten Geräte sein, die neben zentral ausgelösten, verlängerten Apnoe- phasen auch obstruktiv verursach- te erfassen.

Vor der Verordnung eines Heim- Monitors muß daher die beabsich- tigte Effizienz genau geprüft wer- den. Eingehende, auch eigene Anamneseerhebungen bei Eltern haben im übrigen ergeben, daß vor dem Tode nur sehr selten (1 bis 7 Prozent) Störungen und/oder Behinderungen der Atmung oder Trinkschwierigkeiten auffällig wurden (6).

Zentralnervöse und/oder obstruk- tive Atemregulationsstörungen werden von uns neben anderen Faktoren als konditionierender Kausalfaktor, aber nicht als einzi- ge Ursache des SIDS angesehen.

Die bisherigen Erkenntnisse spre- chen für ein multifaktorielles Ge- schehen (8) (Abbildung).

Kinderärzte

Pädiater reagieren meistens ge- nauso betroffen wie die Eltern, da sie sich den plötzlichen und uner- warteten Tod wegen fehlender,

vorbestehender, schwerer Krank- heitssymptome nicht erklären können. Vom Kinderarzt wird eine fundierte Aufklärung erwartet, wo- durch das Kind zu Tode gekom- men ist, warum dies nicht recht- zeitig erkannt beziehungsweise vorausgesehen und gegebenen- falls verhindert werden konnte.

Gelegentlich resultieren daraus Vorwürfe mit rechtlichen Konse- quenzen.

Die heute weitverbreitete Mei- nung, alle SIDS-Kinder seien vor ihrem Tode völlig gesund gewe- sen, oder hätten lediglich banale, für ein tödlich ausgehendes Krankheitsgeschehen nicht rele- vante Symptome gezeigt, ist in dieser Verallgemeinerung unseres Erachtens nicht zutreffend, auch nicht die Vorstellung, der Tod sei von einem zum anderen Augen- blick akut eingetreten.

Subjektive Bewertungskriterien der Eltern spielen eine Rolle, in- wieweit ein Kind vor dem Tode auffällig war oder nicht. Nach ei- genen Anamneseerhebungen wur- den bei 24 Prozent der Kinder vor deren Tod keinerlei Auffälligkeiten beobachtet, bei den übrigen mehr oder weniger unspezifische, teil- weise aber auch deutliche Krank- heitssymptome.

Die weltweit übereinstimmend ho- he Frequenz von SIDS-Fällen im Lebensalter von 2 bis 4 Monaten erscheint sicher nicht rein zufällig, auch nicht die jahreszeitliche Ab- hängigkeit. In den ersten Lebens- monaten bestehen noch viele al- terseigentümliche ungünstige dis- positionelle Faktoren, unter ande- rem Trimenonanämisierung, Re- duzierung der mütterlichen Im- munglobuline, begrenzte kardio- respiratorische Kompensationsfä- higkeit, leicht störbarer Elektrolyt- und Wasserhaushalt.

Kinderärzte können im Rahmen ei- ner vorbeugenden Strategie, ähn- lich wie Gynäkologen, Geburtshel- fer und Perinatologen, auf Mütter bezüglich des Gesundheitsverhal- tens in der Familie einen entschei- denden Einfluß nehmen. Sie ken- nen in etwa die Lebensverhältnis- se in einer Familie und könnten Fürsorgeaktivitäten entwickeln, vielleicht durch eine zeitlich dicht gestaffelte Vorstellung von Pro- blemkindern. Man sollte darauf hinwirken, daß häufiger als bis- lang Vorsorgeuntersuchungen in den ersten 6 Monaten angeboten und eingehalten werden und der jeweilige Untersuchungsumfang erweitert wird, ähnlich wie es Emery und Carpenter in Sheffield praktiziert haben (2).

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 50 vom 10. Dezember 1986 (33) 3531

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Der plötzliche Kindstod

Sehr lohnenswert erscheint auch die Zusammenarbeit mit entspre- chenden Elterninitiativen, die in England schon seit vielen Jahren erfolgreich tätig sind. In der Bun- desrepublik gibt es seit 1981 eine von betroffenen Eltern gegründete Gesellschaft zur Erforschung des plötzlichen Kindstods (GEPS mit zentraler Geschäftsstelle in Stutt- gart). Die Aktivitäten dieser lo- benswerten Initiative sind finan- ziell begrenzt, da ein mangelndes Interesse an einer entsprechenden Förderung besteht, zum Beispiel auch beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit.

Zu der GEPS hat sich vor zwei Jah- ren ein wissenschaftlicher Beirat konstituiert, der bestrebt ist, von verschiedenen Fachdisziplinen die bislang schon bestehenden Forschungsaktivitäten zu intensi- vieren und zu koordinieren. Kin- derärzte könnten auf die Hilfsak- tionen der Gesellschaft hinweisen.

Nach eigener morphologischer Er- fahrung kann bei der Mehrzahl der SIDS-Fälle (75 Prozent) ein Infekt der oberen Atemwege nachgewie- sen werden, der zumindest die Vorstellung obstruktiver Ventila- tionsstörungen rechtfertigt. Diese

Erkenntnis könnte Pädiater veran- lassen, derartige Infekte rechtzei- tig zu diagnostizieren und adäquat zu therapieren, ferner den Eltern zu raten, Kinder möglichst sofort vorzustellen, wenn sie durch Krämpfe, Anfälle, schnelles, er- schwertes oder röchelndes Atmen auffällig werden oder ungewöhn- lich schläfrig wirken, wenn sie die Nahrung wiederholt verweigern, ungewöhnlich still sind, wieder- holt erbrechen oder wäßrige Durchfälle haben. So ergäbe sich zumindest der Ansatz eines pro- phylaktischen Konzepts. Gesund- heitsbehörden könnten sich in diese Aktivitäten einschalten.

Pathologen

und Rechtsmediziner

Das Bestreben in der Kindstod- Forschung zielt darauf ab, mög- lichst alle SIDS-Fälle zu obduzie-

ren, da nur so weitere Erkenntnis- se zur kausalen und formalen Pathogenese zu gewinnen sind.

Behindert werden derartige Aktivi- täten in der Bundesrepublik da- durch, daß der Gesetzgeber es bis- her versäumt hat, ein adäquates Sektionsrecht zu schaffen, das den Erfordernissen unseres heuti- gen Gesundheitswesens ent- spricht.

Nicht immer werden postmortal vergleichbare und gleichwertige Resultate festgestellt. Pathomor- phologische Veränderungen kön- nen verschiedenartig und unter- schiedlich intensiv ausgeprägt sein und unterliegen bezüglich der Deutung ihrer Wertigkeit sub- jektiver Einschätzung, die mit dem jeweiligen wissenschaftlichen Er- kenntnisstand korreliert. Es erge- ben sich Abhängigkeiten von der jeweiligen Untersuchungsmetho- dik und vom Know-how des Unter- suchers, außerdem erfolgen pathophysiologische Interpreta- tionen häufig nach Kriterien des Erwachsenenalters. Viele Obduk- tionen sind leider erst im größeren Zeitabstand zum Todeseintritt durchführbar (7).

Deshalb zielt das Bestreben der heutigen Kindstod-Forschung dar- auf ab, Obduktionen möglichst frühzeitig und mit einem umfas- senden Untersuchungsspektrum durchzuführen, um überregional vergleichbare Erkenntnisse zu realisieren. Aufeinander abge- stimmte, systematisierte Untersu- chungen von SIDS-Fällen könnten zu quantifizierbaren Kriterien füh- ren und bei Berücksichtigung der besonderen Eigentümlichkeiten des Säuglings übereinstimmende pathophysiologische Interpreta- tionen möglich machen (11). Bei- spielhaft konnten wir durch die eingehende mikroskopische Un- tersuchung der Nasen-Rachen- region bei 40 Prozent von 400 plötzlich gestorbenen Säuglingen eine akute diffuse, teils nekrotisie- rende Rhinopharyngitis, und bei weiteren 35 Prozent herdförmige Entzündungsprozesse in dieser Region objektivieren, die häufig mit

solchen in peripheren Atemwegen kombiniert vorkamen. In anderen Todesfällen mit fehlendem patho- morphologischen Befund ließen sich mikrobiologisch enteropatho- gene Erreger nachweisen.

Bei kritischer Abwägung und Wer- tung eigener Befunde bei 1100 plötzlichen Kindstodesfällen läßt sich feststellen, daß bei 75 Prozent ein mehr oder weniger ausgepräg- ter Infekt der oberen und/oder pe- ripheren Atemwege beim Todes- eintritt bestand und 14 Prozent mi- krobiologisch identifizierte ente- ropathogene Erreger im Darmin- halt aufwiesen. Aus der retrospek- tiven Sicht des Morphologen läßt sich vorstellen, daß Obstruktions- mechanismen der oberen und pe- ripheren Atemwege apnoeische und/oder dyspnoeische Phasen oder eine beginnende infektiös-to- xische Schocksymptomatik auslö- sen könnten.

Die Frage, wie und mit welchem Einfluß alterseigentümliche prä- disponierende Faktoren und funk- tionelle Fehlleistungen, zum Bei- spiel eine Reifungsretardierung des zentralen Nervensystems oder anderer Organe beziehungsweise des immunologischen Systems ei- ne zusätzliche Rolle spielen, bleibt noch offen. Für uns ergibt sich, daß dem plötzlichen Säuglingstod kein einheitliches, ätiologisches und pathogenetisches Prinzip zu- grunde liegen kann, sondern daß es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Eine inter- disziplinär ausgerichtete For- schungsaktivität zwischen den ge- nannten Fachdisziplinen erscheint nicht nur erstrebenswert, sondern auch erfolgversprechend bei dem Bemühen, die Zahl der plötzlichen Kindstodesfälle zu reduzieren.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Helmut Althoff

Vorstand der Abteilung

Rechtsmedizin der RWTH Aachen Klinikum

Pauwelsstraße 5100 Aachen 3532 (34) Heft 50 vom 10. Dezember 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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