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Archiv "Der plötzliche Kindstod (SIDS): Umwelt — wissenschaftlich ausgeklammert" (10.09.1987)

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DEUTSCHES

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ÄRZTEBLATT

Der plötzliche Kindstod (SIDS)

Eine interdisziplinäre ärztliche Aufgabe

Forderung

nach einem Sektionsgesetz Die Arbeit Althoffs über den plötzlichen Kindstod stößt auf gro- ßes Interesse. Umso mehr ent- täuscht den Leser bei 1100 erlebten Fällen das magere Ergebnis. Die drei Todesfälle im tpyischen Alter, die ich miterlebt habe, erlitten Kin- der aus der gehobenen Gesell- schaftsklasse, die bestens versorgt und gepflegt waren. Eine Anzahl ge- sunder Geschwister sprach für ein gesundes Milieu. Alle wurden obdu- ziert, und bei keinem konnten die Pathologen irgendeine Ursache ent- decken. Ich stimme dem Verfasser zu, daß für diese Fälle ein entspre- chendes Sektionsgesetz überfällig ist. Man nannte das „Thymustod".

Dem Ohrenarzt sind plötzliche Todesfälle bei der direkten Laryn- goskopie oder Ösophaguskopie, die viel zu häufig von Pädiatern banaler Ursachen wegen verlangt werden, als paralleles Schreckgespenst be- kannt. Ich habe das zwei mal miter- lebt. Auch diese Kinder entstamm- ten Elternhäusern, in denen sie wohl behütet waren. Bei beiden Kindern (3 Jahre, ein Jahr) waren sorgfältig alle präoperativen Untersuchungen durchgeführt worden mit dem Er- gebnis: gesund. Bei Eingriffen die- ser Art wurde ein letaler Ausgang nach gründlicher zusätzlicher Ober- flächenanästhesie nie beobachtet.

Das mag Zufall sein, aber auch hier könnten entsprechende Sektionsauf- lagen an einer großen Zahl die Klä- rung bringen.

Zusammenfassend bleibt, daß es keine Methode gibt, mit der man solche Todesfälle aus voller Gesund- heit heraus vorher erkennen kann.

In der Arbeit fehlen Vergleichswer- te der anderen gesunden Kinder pro mille 75 Prozent hatten Infekte der oberen Atemwege, ist das nicht beim Säugling nach Verlust des müt- terlichen Immunschutzes normal?

Zu dem Beitrag

von Professor Dr. med.

Helmut Althoff in Heft 50/1986, Seiten 3529 bis 3532

Wie oft haben gesunde Säuglinge enteropathogene Erreger? Viel- leicht auch 14 Prozent? Warum fand man bei Sektionen nichts derartiges?

Solange wir nichts wissen, können wir auch keine sinnvolle Vorsorge treiben. Alle dazu vorgeschlagenen Untersuchungen bringen außer Spe- sen nichts. Deshalb muß die Forde- rung an das Gesundheitsministerium nach einer entsprechenden Sektions- anordnung höhcst dringlich vorge- tragen werden.

Prof. Dr. med. Helmut Güttich Hals-, Nasen- und Ohrenarzt Frühlingstraße 22 c

8035 Gauting

Umwelt —

wissenschaftlich ausgeklammert

Im Grunde muß ein wissen- schaftliches Korreferat zu dem SIDS-Artikel geschrieben werden;

ein Leserbrief reicht nicht. Aber die Redaktion läßt Disskussion zu, im- merhin. Prof. Althoff hat wichtige Themenkreise ausgespart:

■ Selbst das BGA (Prof. Tiet- ze) schreibt, daß nicht ausgeschlos- sen wird, daß Luftverunreinigungen zu denjenigen ökologischen Bedin- gungen gehört, die zusammenge- nommen schließlich hinreichen, um den Tod eines Säuglings herbeizu- führen.

■ T. Hoppenbrouwers (Direc- tor SIDS Research, Los Angels) sagt zusammenfassen: Die Daten über

SIDS sind konsistent mit der Hypo- these, daß Luftverschmutzung zur milden Hypoxie als pathogeneti- sches Moment beiträgt.

■ Die Kindersterblichkeit wäh- rend der SMOG-Wetterlagen in London war erhöht.

■ SIDS Epidemiologie im Raum Peine/Salzgitter und Goslar/

Oker zeigt bis 1984 Werte, die als auffällig hoch zu deuten sind (Luft- belastungsgebiete).

■ Die Dissertation von U. Ros- sel zeigt, daß in Berlin in stärker luftbelasteten Stadtteilen wesentlich höhere SIDS-Raten auftraten.

■ Auch die Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung Rechtsmedizin in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium verfolgt wissenschaftlich die Korrelation von SIDS in Niedersachsen mit den luft- hygienischen Daten (Schadstoffe).

Zusammengefaßt: Ich bin nicht der Meinung, daß Luftverschmut- zung SIDS allein verursacht, aber es kann ein wesentlicher Faktor im Pathomechanismus sein. Forschung, die allein das innere System des Säuglings betrachtet, ist defizitär.

Forschung, die die Umwelt mit ein- schließt, ist wirklich multidiszipli- när. Aber diese „Disziplin" hat Prof. Althoff leider nicht ausrei- chend behandelt.

Dr. med. Wolfgang Baur Praktischer Arzt

Lohnbachstraße 5 3387 Vienenburg 2

Rauchgewohnheiten in der Familie

Zu dieser Originalarbeit möchte ich bemerken, daß die dort ange- sprochenen Ärzte im Notfalldienst beziehungsweise als Leichenschauer auch auf die Rauchgewohnheiten in der Familie der SIDS-Säuglinge ach- ten sollten. In langjähriger Praxis habe ich gelegentlich Säuglinge mit A-2388 (48) Dt. Ärztebl. 84, Heft 37, 10. September 1987

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Pharyngo-Tracheitis in verrauchten Räumen angetroffen, einmal auch einen toten Säugling vorgefunden.

Es muß angenommen werden, daß Säuglinge durch Nikotin- und Rauchvergiftung schwerste Schäden davontragen können. Auch als To- desursache muß man eine solche dis- kutieren.

Dr. med . Theodor Breuninger 7032 Sindelfingen

Schlußwort

Die Erfahrungen von Herrn Professor Dr. Güttich, daß der plötzliche Kindstod auch in Familien auftritt, die der „gehobenen" Ge- sellschaftsklasse zugehören, sind si- cher unstreitig. Andererseits zeigte sich bei den eigenen untersuchten Kindstodfällen, daß Kinder aus Fa- milien mit niedrigem sozio-ökono- mischem Standard unverhältnismä- ßig häufiger zur Untersuchung ge- langten. Ob dies unter anderem auch dadurch bedingt ist, daß sich Ärzte bei der Leichenschau in sol- chen Fällen wegen des ungünstigen Milieus kritischer einstellen, einen natürlichen Tod zu bescheinigen, läßt sich aus der allgemeinen Todes- ursachenstatistik nicht eruieren.

Daß bei autoptischen Untersu- chungen keine eindeutige Todesur- sache bei SIDS-Kindern gefunden wird, hängt von folgenden Kriterien ab:

a) vom jeweiligen Umfang der mor- phologischen Diagnostik,

b) von der bekannten Problematik, daß Todesursachen nicht immer nur rein morphologisch definiert, son- dern im Sinne einer funktionellen Pathomorphologie gedeutet werden sollten,

c) gerade im Säuglingsalter gelten andere pathophysiologische Bewer- tungskriterien als etwa im Erwachse- nenalter.

Aus diesen Kriterien können subjektiv bedingte unterschiedliche Wertmaßstäbe resultieren.

Man kann plötzliche Kindsto- desfälle nicht mit jenen Reflextodes- fälle -1 vergleichen, die im Rahmen diagnostischer und/oder operativer

Maßnahmen im Bereich des Kehl- kopfes akut sterben. Bei letzteren muß man vermuten, daß mechanisch gesetzte Vagusirritationen einen re- flektorischen Herzstillstand auslö- sen, vergleichbar mit den sogenann- ten Bolustodesfällen. Die autopti- schen Befunde bei SIDS-Fällen wie interstitielles und alveoläres Lun- genödem, Hirnödem, subseröse Hä- morrhagien, Parenchymveränderun- gen der Leber sowie frühe Schock- zeichen sprechen gegen einen sehr kurzfristigen reflexartigen Sterbe- vorgang.

Ein Vergleich der Infektions- beziehungsweise Ente ropathiefre- quenz zwischen SIDS-Fällen und le- benden altersgleichen Kindern kann sicher interessante Parallelen auf- decken. Es erscheint mir zweifel- haft, ob man daraus prinzipiell ablei- ten kann, daß respiratorische Infek- te oder Enteropathien für den plötz- lichen Kindstod keinerlei Bedeutung haben. Jeder ärztlich Tätige weiß, wie unterschiedlich intensiv die Symptomatologie und die pathophy- siologischen Auswirkungen einer Erkrankung unter Berücksichtigung der jeweiligen Disposition sein kön- nen; das gilt sowohl für Erwachsene, insbesondere aber für das frühe Säuglingsalter. Gerade bei virusbe- dingten oder bakteriell ausgelösten Infekten kennt man die Abhängig- keit der krankheitswertigen Folgen vom Erregertyp beziehungsweise ei- ner adäquaten oder nicht adäquaten zellulär gebundenen beziehungswei- se humoralen immunologischen Re- aktionsform, man denke diesbezüg- lich nur beispielhaft an das Water- house-Friderichsen-Syndrom oder die Epiglottitis phlegmonosa acutis- sima. Wie begrenzt erscheinen kli- nisch-diagnostische Möglichkeiten, um einen solchen foudroyanten Ver- lauf vorauszusehen!

Unser Gesundheitssystem ver- ursacht hohe Kosten unter anderem für sogenannte Vorsorgeuntersu- chungen im Rahmen der Krebsfrüh- erkennung. Mir erscheint das Argu- ment von Herrn Professor Güttich nicht genügend stichhaltig, eine vor- geschlagene Präventivstrategie nur unter Kostengesichtspunkten für in- effizient zu halten, wenn die Chance besteht, die Frequenz plötzlicher

Säuglingstodesfälle zu reduzieren.

Die von ihm vertretene Meinung reflektiert die Einstellung der letz- ten Jahrzehnte, SIDS-Fälle wegen ihrer Unvorhersehbarkeit und bis- lang nicht optimal aufgeklärten Ätiologie beziehungsweise Pathoge- nese schicksalhaft hinzunehmen.

Daß Präventivkonzepte erfolgreich sein können, läßt sich durch entspre- chende Erfahrungen in England be- legen.

Herr Dr. Breuninger und Herr Dr. Baur seien hingewiesen auf sehr umfangreiche Eigenuntersuchungen bezüglich etwaiger Zusammenhänge zwischen schädigenden Umweltein- flüssen und plötzlichem Kindstod, über die in Kürze in der Zeitschrift Wissenschaft und Umwelt berichtet wird. Seit der Jahrhundertwende ist bekannt, daß Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege bei ungünstiger Witterung und in Regio- nen mit erhöhter Luftverunreini- gung gehäuft auftreten. Die von Hoppenbrouwers et al. (1981) vor- gestellten Untersuchungen sind un- ter wissenschaftlichen umwelthygie- nischen Kriterien nicht aussagefähig genug, da unter anderem der An- stieg der SIDS-Frequenz sieben Wo- chen nach hohen Belastungen zur Grundlage einer retrospektiven Deutung gemacht wird.

Leider stehen bislang keine ge- eigneten Analysemethoden zur Ver- fügung, um bei SIDS-Fällen post- mortal eine präfinale Inhalation sub- toxischer NO 2- und SO 2-haltiger Atemluftkonzentrationen nachzu- weisen. In Zusammenarbeit mit der Abteilung Hygiene und Arbeitsme- dizin der RWTH-Aachen (Vorstand Prof. Dr. H. Einbrodt) wurden in den letzten zwei Jahren 54 autop- tisch von uns untersuchte SIDS-Fäl- le und zwei altersgleiche Kontrollfäl- le einer umfangreichen chemisch-to- xikologischen Untersuchung unter systematisierten Bedingungen unter- zogen. Es wurden die Konzentratio- nen von Arsen, Blei, Kadmium, Quecksilber und Pentachlorphenol in Gehirn, Lunge, Leber, Muskel und Rippe bestimmt, ferner im Blut der Kohlenmonoxyd-Hämoglobin- gehalt. Außerdem erstreckte sich die Untersuchung der Organe auf andere Noxen, zum Beispiel Medi- Dt. Ärztebl. 84, Heft 37, 10. September 1987 (51) A-2389

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