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Analyse einer Satire Prosa-Dichtung Überlieferung

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Narrative Analyse einer Satire

Von Stefan Leder (Frankfurt/M.)

Die Texteinheit Jtabar^ pl. aljbär, bildet eine literarische Form besonde- rer Bedeutung. Sie steht mit am Anfang der arabischen Prosa1) und ist für weite Teile des Schrifttums bis in nachklassische Zeit prägend.2) Das Erscheinungsbild der mit habar bezeichneten Textformen entzieht sich einer eindeutigen begrifflichen Bestimmung. Die Reichweite, welche der Verwendung des Begriffs zukommt, läßt sich durch zwei Markierungs- punkte verdeutlichen: In der Traditionswissenschaft bezeichnet habar, zum Teil als Synonym zu l^adlt gebraucht,3) den Bericht von einem Ausspruch oder einer Tat (des Propheten oder) eines der Prophetengenossen.4) In der

!) Die frühe Prophetenbiographie und Geschichtsschreibung beruhen auf ah- 6är-Sammlungen, vgl. ABDELAZIZ DUBI, The Iraq school ofhistory of ihe ninth cen- tury — a sketck, in: Historians of the Middle East, ed. by B. Lewis and P. M. Holt.

London 1962, 46-53, S. 47 f. Zur Form des habar in den altarabischen Aiyäm al- 'Arab s. WEBNER CASKBL, Aijäm al-*Arab, Studien zur altarabischen Epik, in: Isla- mica 3-4 (1931) 1-99. Frühe Beispiele für die anekdotische Form des habar (siehe unten) liefert MU'ABBIÖ IBN <AMB AS-SADÜSI (st. 195/810), k. Hadf min nasab

QuraiS, ed. §alähaddin al-Munaggid, Kairo o.J., S. 26f., 33, 57.

2) Die Enzyklopädie von AN-NUWAIBI (st. 732/1332) ist ebenso von ahbär geprägt wie das biographische Werk von YÄQÜT (st. 626i/1229), der Sifä* al-garam bi-ahbärbaladal-1iaramvouAL-FÄsi (st. 832/1429) oder die Kompilationen von IBN

IjAÖAB AL-'ASQALÄNI (st. 852/1449).

3) So. z. B. habar al-ähäd bei al-Buhäri, vgl. A. J. WENSINCK, in: EI2 4/895 und habar al-wähid, ibid. 4/896 (G. H. A. JUYNBOLL). Siehe auch LAKHDAB SOUAMI, Introduction a la theorie du habar chez öähiz, definition et constitution, in: Studia Islamica 53 (1981) 27-49, S. 38.

4) Vgl. LANE, Lexicon, s.v.; EI2 (kadlt) 3/23 b. Unter Anlehnung an die Defini- tion von AS-SUYÜTI, Tadbir ar-rawl (Kairo 1307, S. 4) wird die terminologische Unterscheidung von tyidit, der sich auf den Propheten, und habar, der sich auf Genossen oder Nachfolger beruft, hervorgehoben (Subfci A§-gÄLiH,Ulüm al-fyadU, Beirut 1959" S. 10; NABIA ABBOTT, Studies inArabicLiteraryPapyri, vol. l, Chicago 1957, S.7). Bei AL- AL-BAGDÄDI, kitäb al-Kifäyafi 'ihn ar-riwäya, Haiderabad 1358, z.B. S. 21 (Überschrift) ist diese scharfe Trennung noch nicht auszumachen.

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Prosa-Dichtung in der ahbär Überlieferung 7 Erzählliteratur kann habar ganz allgemein „eine Geschichte" bedeuten und sich mit dem Begriff hikäya decken. Qabei kann es sich, wie bei den al- ffikäyät al-*a$iba wal-ahbär al-gariba,s) um phantasievoll ausgeschmückte, mit märchenhaften Elementen versehene Geschichten, ähnlich der Art, wie sie in der Sammlung Tausendundeine Nacht enthalten sind, handeln, wie auch um Liebesgeschichten, die IBN AN-NADIM unter der Überschrift J(h- bär al-mu$ämmn wal-wuharrißn" aufreiht,6) also unter der Rubrik für Nachtgeschichten und unglaubliche Erzählungen.7) Auf diese beiden Arten von Erzählungen dehnt auch IBN MISKAWAIH (st. 421/1030) die Bezeich- nung ahbär aus. Im Zusammenhang mit seinem Vorhaben, Historie als Exemplum darzustellen, klagt er über — die in der üblichen Geschichts- schreibung angetroffenen — „ahbär, die genauso gebaut sind wie Nachtge- schichten und Mären, welche keinen Nutzen bringen, außer der einschlä- fernden Wirkung und dem Genuß an der gehobenen Unterhaltung, so daß man sich darin verliert und damit zerstreut. . ,"8). — Diese Beispiele genü- gen, um zu zeigen, daß die Wiedergabe von habar durch „Mitteilung" oder

„Nachricht", wie es dem üblichen verbalen Gebrauch der Wurzel entspre- chen würde, nicht allen so bezeichneten literarischen Formen gerecht wird.9)

5) Das Buch der v/änderbaren Erzählungen und seltsamen Geschichten, hrsg. von HANS WEHR, Wiesbaden 1956 (Bibliotheca Islamica, 18). Vgl. auch die in das 3./9.

und 4./10. Jhdt. verweisenden Titel al-Ahbär wal-hikäyät, in: FUAT SEZGIN, Geschichte des arabischen Schrifttums, Bd. l, Leiden 1967, S. 187, 203, 263.

6) IBN AN-NADIM, k. al-Fihrist, ed. Ri<Jä Tagaddud, Teheran 1391/1971, S.

363.

7) Auch für die Heiligenlegende wird die Bezeichnung verwendet, s. JOSEPH NASBALLAH, Catalogue des manuscrits duLiban, vol. l, (Harissa) Libanon 1958, S.

220 Nr. 124: Habar al-fä4il baina l-qiddisin abinä Mär Fransis.

8) The Tajärib al-umam or History of Ibn Miskawaih, Reproduced in facsimile from the ms. at Constantinople in the Äyä $ufiyya Library, vol. l, 5, 6, Leiden 1909-

17, (Gibb Memorial Series, 7, i, 5, 6) Bd. l S. 4.

9) Das hat schon R£GIS BLACHÄBE in seiner vorsichtigen Umschreibung von habar berücksichtigt (Regards sur la littärature narrative en arabe au 1er siede de l'he- gire, in: Semitica 6 (1956) 75-86, S. 86): „ce n'estpas une Information en g neral, mais une 'Information9 d'ordre 'evenementiel' ou 'biographique', une donnee 'historique' . . Demgegenüber behauptet 'AßDEL-'Aziz 'ABDEL-MEGUID in seinem Versuch, habar von anderen Termini für 'Erzählung' abzugrenzen (A Survey ofthe Terms used inArabicfor 'Narrative'and 'Story',m: IslamicQuarterly l (1954) 195-204, S. 202):

„it [habar] is never used in the sense of pure fictionu. Diese Qualifizierung entspricht der normativen Betrachtungsweise der arabischen Klassik, wie sie in den Definitio- nen von habar (SouAMi, wie Anm. 3, bes. S. 36) und in der Äofcar-Kritik (siehe unten IV) zum Ausdruck kommt, wird aber dem literarischen Erscheinungsbild dieser Texte nicht gerecht.

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Die weite Verbreitung dee fyxbar in ganz verschiedenen Bereichen des Schrifttums, wie, um hier nur die wichtigsten Beispiele zu nennen, in bio- graphischen Werken, in der vielfaltigen „schöngeistigen" Bildungsliteratur des adab, in den sprachwissenschaftlich orientierten amäli und in der Geschichtsschreibung, zeigt, daß es sich nicht um eine gattungsbildende literarische Form handelt. Da jedoch die ahbär nicht vereinzelt erscheinen, sondern sich in — zumeist thematisch geordneten — Sammlungen finden, konstituieren sie übergreifende Textzusammenhänge. Diese diskursprä- gende Wirkung der aftbär reflektierte ROSENTHAL unter dem Gesichts- punkt ihres hemmenden Einflusses auf die Geschichtsschreibung, welche

„eine klar formulierte Analyse der Situation geben sollte".10) In diesem Zusammenhang werden drei Kennzeichen festgestellt: 1) Der Einzelbe- richt ermöglicht keine Kausalverbindung zwischen den Ereignissen.11) 2) Die lebendig erzählte Kurzgeschichte von hohem literarischen Wert über- läßt die Analyse dem Leser. 3) Die poetischen Teile des habar haben ein mehr oder weniger großes Eigengewicht und sind für die Ereignisschilde- rung von geringem Wert. Unser Augenmerk richtet sich auf die mittlere dieser drei scharfen Beobachtungen, welche die narrative Eigenart des ha- bar in eine kurze Formulierung faßt: er ist lebendig, elaboriert, unvermit- telt. Bei näherem Hinsehen sagen diese Qualitäten jedoch weniger über die Erzählweise des habar aus, als über das Bild, das er beim Leser/Hörer prägt. An einem Beispiel sollen deshalb diese Eigenheiten, welche tatsäch- lich auf konstitutive Elemente der Komposition weisen, genauer beschrie- ben und die narrative Struktur, oder anschaulicher, die innere Bauform aufgespürt werden, die der ästhetischen Wirkung des habar zu Grunde liegt. Dabei werden über das einzelne Beispiel hinaus typische Merkmale als Teile der Komposition systematisch, d.h. auf andere Beispiele über- tragbar, untersucht. Zwei deutlich hervortretende erzählerische Konzepte, die Illusion der Wirklichkeitsnähe und der Anspruch auf Wirklichkeitsge- halt, finden in einem Ausblick auf ihre Bedeutung für diese Art narratio eine gesonderte Erörterung. Aus einer Textkritik schließlich stellen sich die Fragen nach Urheberschaft und Tradiemng.

Die Handlung der hier untersuchten Erzählung13) läßt sich kurz zusam-

10) FRANZ ROSENTHAL, A History of Muslim Historiography, 2nd revised edi- tion, Leiden 1968, S. 67.

n) Zur Auflösung eines thematischen Zusammenhangs durch die Anekdote in den biographischen Quellen s. auch DONALD P. LITTLE, An Introduktion toMandük Historiography, Wiesbaden 1970, S. 135.

12) ROSENTHAL (wie Anm. 10), s. 66 f.

13) Ich habe sie in drei Quellen gefunden: AZ-ZUBAIB IBN BAKKÄB, al-Ahbär al- muwaffaqiyät, ed. SämiMakki al-'Äni, Badad 1972, S. 58-68 [Z]; AL-BAIHAQI, k. al-

(4)

Prosa-Dichtung in der ahbär Überlieferung 9 menfassen: Dem Kalifen al-Ma'mün wird hinterbracht, daß die Söhne sei- nes Kämmeres 'Ali ibn §älih schamlose Gesellen seien. Daraufhin ver- anlaßt er den Vater, ihm seine Söhne vorzuführen. Ihre Sittenlosigkeit offenbart sich in den unflätigen Sentenzen, mit denen ihre Siegelringe beschriftet sind. Auf den Vorwurf des Kalifen hin bezichtigt der verlegene Vater den ältesten Sohn, für die Schändlichkeiten der Brüder verantwort- lich zu sein. Dieser rechtfertigt sich, indem er in einer ausführlichen Erzäh- lung schildert, wie sein Vater ein Unglück alltäglicher Größenordnung — die Tatsache, daß sich in seinem Speicher kein Zucker befindet — zu einem dramatischen Ereignis gestaltet und in komischer Unverhältnismäßigkeit Sitte und Ordnung verteidigt. Der Kalif zeigt sich von der Erzählung beein- druckt und bereit, den Söhnen ihre Unverschämtheiten zu verzeihen, und bittet darum, diese Geschichte nicht weiter zu verbreiten.

'AH ibn §älih (st. 229/842-3; AL-^ATIB AL-BAGDÄDI, TtfrihBagdädll/Wlf.

Nr. 6335) erbte von seinem Vater den Beinamen Säbib al-Mu$aUä, weil er die Gebetsmatte des Propheten verwahrte. §älib, vornehmer Abstammung aus Balh, war mit Abu Muslim nach Bagdad gekommen und hatte sie aus den bei 'Abdalläh ibn (Ali erbeuteten Wertsachen als Belohnung für seine Dienste bei al-Mansür aus- gewählt und zur Verwahrung erhalten. 'AK war Kämmerer des Kalifen al-Ma'mün (AL-MAS'ÜDI, Murü$ ad-fchab, ed. Charles Pellat, 1-7, Beirut 1965-79, 4/315 § 2727; vgl. auch Index 7/515 mit weiteren Quellenang., dazu noch: IBN AL-ABBÄB AL-Qm>Ä% Ptäb al-kuttäb, ed. $älü} al-Aätar, Damaskus 1380/1961, S. 120) und wird mehrfach auch in dieser Funktion als Gewährsmann zitiert von AZ-ZUBAIR IBN BAKKÄR, in den Ahbär cd-muwaffaqiyät (wie Anm. 13, s. Index) und in Gamha- rat nasab QuraiS wa-ahbärihä, ed. Malunüd Muhammad Säkir, Kairo 1381/1961, S.

52 f., 426,456,463; von GARS AN-NI'MA, Hafawät (wie Anm. 13; s. Index) und ande- ren. PELLAT hebt hervor (Murüg 7/515), er müsse von dem gleichnamigen kätib 'Ali ibn Sälih, der unter ar-RaSid den Diwan al-karätf innehatte (vgl. DOMINIQUE SOURDEL, Le Vezirat 'Abbäside, Bd. l, Damaskus 1959, S. 186 Anm. 5) unterschie- den werden. Dem steht jedoch AT-TABARI'S Angabe entgegen (ed. M. Abu l-Fao!l Ibrahim, Kairo 1960-69, 8/387), 'Ali ibn §älih sei unter al-Amin der Diwan ar-ra- sä'ü übertragen worden. Er war also auch als kätib tätig.

Den Hauptteil der Geschichte bildet die Erzählung des Sohnes, die als Binnengeschichte zwar einem übergreifenden Handlungsfortgang ein- geordnet ist, aber ihren ausfuhrlichsten und gewichtigsten Teil darstellt.

Die Erzählung des Sohnes lobt von einer subtilen Komik, deren gelungene Form sich aus der Kombination von rhetorischer Steigerung und geschick- ter Perspektive ergibt. Der Sohn nämlich schlüpft in die Rolle des Vaters

Mafyäain wal-masäwi, ed. Friedrich Schwally, Giesen 1902, S. 593-598 [B]; OARS AN-NI'MA MUHAMMAD IBN HILAL AS-SÄBI*, al-Hafawät an-nädira, ed. §älib al- AStar, Damaskus 1387/1968, S. 283-292 Nr. 281 [G].

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und gibt dessen Worte in direkter Rede wieder. Es sind deshalb 'Alis eigene Worte, die ihn bloßstellen.

Die folgende Übersetzung gibt, wo immer möglich, den Text von Z wie- der. Neben den in die Übersetzung eingehenden Varianten der anderen Texte werden hier auch alle Textvarianten verzeichnet, auf die später in der Untersuchung der Textgestalt hingewiesen wird (siehe unten IV).

(az-Zubair erzählte mir: Mein Onkel Mu$'ab ibn 'Abdalläh [az-Zubairi] erzählte mir: Er sagte:)

Zu al-Ma'mün wurde gesagt: „Die Söhne des *Ali ibn Sälflbt, Inhaber der Gebets- matte, sind schamlose Schelme; hat doch jeder von ihnen etwas auf seinen Siegel- ring geschrieben, was seine Schamlosigkeit erweist." Da sprach al-Ma'mün zu ihm:

„'Ali, führe mir doch deine Söhne, die älteren und die jüngeren, vor, denn ich möchte ihnen etwas zuweisen und sie [für eine Aufgabe] heranbilden, zu der sie taugen." Da ging er fort und brachte seinen Söhnen diese Nachricht, verbunden mit der Auffor- derung, sich für das Ausreiten zum Palast zurechtzumachen. Da putzten sie sich aufs Schönste heraus [und machten sich] in vollendeter Weise [zurecht], worauf er beim Kalifen um Einlaß bat. Sie kamen herein und grüßten ihn stehend. Dann befahl der Kalif, ihnen die Ringe abzunehmen. Sie wurden [ihnen] abgenommen, und da war auf dem einen [zu lesen]: Das Wichtigste am Besen ist sein Hintern.14) Und auf einem anderen: Mein Vater besiegt Schwachköpfe [xiur] mit seinem Schwert und seiner Lanze.15) Und auf einem ändern: Der. . . dinge kam zu Fall und lag danieder, ging ein in die ... dings und war verhindert.16) Und auf einem anderen: F . . . . von vorn schwächt die Knie — vermeide es im Sommer.17)

Da sagte al-Ma'mün: „Ihr schamlosen Schelme, Gott verwehre euch alles Gute, den Älteren wie den Jüngeren. Jeden Anstand habt ihr aufgegeben und verworfen und Schamlosigkeit und Schelmerei vorgezogen. Dieser euer Vater gehört zu den Schriftkundigen und Gelehrten, durch sein Urteil sucht man Aufklärung und seine rechte Haltung (al-huda) preist man." Dann wandte er sich an 'Ali und sagte: „Was dich, 'AH, betrifft, so ist das [doch] deine Verfehlung, weil du sie in Schamlosigkeit und Torheit belassen hast. Deshalb haben sie das aufgegeben, was du von ihnen — und das stünde sowohl dir als auch ihnen besser an — eigentlich einfordern §olltest."

Da sagte er: „Gott schenke dem Beherrscher der Gläubigen ein langes Leben — nein, bei Gott, ich habe keine Gewalt über sie und kann nichts gegen sie zu tun. Besonders nicht gegen diesen Ältesten; er ist es, der sie verdarb und zur Schande verführte, ihnen ihr übles Tun schön erscheinen ließ und sie vom rechten Weg abbrachte." Da

14) Uss miknasatin istuhü, G 283,13; bei Z korrumpiert; B enthält diese Auf- schriften nicht (s. S. 36). Mit anderen Worten: „Bei manchen ist der Hintern wichti- ger als der Kopf."

15) Abi yaglabu n-naukä (Z: abükum) bi-saifihi wa-rimahihL

16) Tcfasa al-han wa-ntakasa, dahala al-hanata wa-fytabasa; G 2 84,3 benennt die Genitalien klar und deutlich: al-air, al-kuss.

17) an-naik min guddäm (G;"Z: qiyäm) yu&ifu r-rukbatain fa-lä tasta'milhüfi $-

(6)

Prosa-Dichtung in der a|ibär Überlieferung 11 stand der Älteste gesenkten Blickes da und gab keinen Ton von sich.18) Da sagte al- Ma'mün: „Sprich". Er sagte: „Herr, in meiner Sprache, oder wie der gemeine Sklave vor seinem Herrn spricht, so daß er seinen Beweisgrund [beiseite] läßt und die Rich- tigstellung durch seine Antwort [lieber] für sich behält, aus Angst vor dem Herrn?"

Er sagte: „Sag, was du zu sagen hast". Er sagte: „Beherrscher der Gläubigen — Gott mache mich zu deinem Lösegeld — hast du die Vernunft (ra*y) unseres Vaters gerühmt, als du seine Kenntnis der Schrift (fiqh) und Gelehrsamkeit lobtest?" Er sagte: „Ja".

Er sagte: „Er19) soll [die Sklaven] die er besitzt, freilassen, sich in [dreimaliger]

endgültiger Scheidung von allen lossagen, mit denen er Verkehr hat, den Armen spenden, was er besitzt, und zu dreißig Pilgerreisen mit dreißig dazu gelobten Auf- lagen bis zur Ka'ba verpflichtet sein, wenn sein Vater ['Ali ihn gälüi] nicht [einmal]

Tabarzad Zucker20) verlangte, aber sich in seinem Speicher nichts davon befand;

und das zu einer Uhrzeit, da Zucker nicht zu finden und nicht zu kaufen war.21) Da sagte sein Speichermeister zu ihm: 'Wir haben keinen Zucker.' Er ['Ali] sagte:

'Gepriesen sei Gott, der Herr der Welten. Ich sage [jetzt] nicht: »Wir sind Gottes und zu ihm kehren wir zurück«, obgleich es sich um ein Unglück handelt; denn jenes sagt man nur im Falle tödlich ausgehender Unglücke. Vielmehr preise ich Gott in Freud und Leid. Haben uns doch die Unsrigen über Abu Ishäq von 'Ali überliefert:

er sagte: »Die Gott Lobenden loben ihn in Freud und Leid, in Drangsal und Wohlbe- finden«, und ich hoffe, immer einer von diesen zu sein, so Gott will.' Dann wandte er sich an den Speichermeister und sagte: 'Ruf den Verwalter zu mir'. Da rief er ihn. Er sagte: 'Was hinderte dich daran, Zucker zu kaufen, als dieser zur Neige ging?' Er sagte: 'Der Speichermeister hat mich nicht in Kenntnis gesetzt.' Er ['Ali] sagte zum Speichermeister: 'Was hinderte dich daran, ihm Bescheid zu geben?' Er sagte: 'Ich wollte ihm soeben Bescheid geben!' Er sagte: 'Es gibt hier wohl keine wirksamere Bestrafung für euch, als daß ich mich auf einen Fuß stelle und den anderen nicht absetze22) und nicht zwischen beiden wechsele, bis daß ihr beide mir 1000 mann23) Tabarzad Zucker bringt, der keine rauhen Vorsprünge und Unreinheiten hat, nicht brüchig und von ebenmäßiger Form ist.' Dann sprang er auf und sprach:' >Sie erfül- len das Gelübde und furchten einen Tag, dessen Übel sich ausdehnen wird<,24) bei Gott, und nochmals bei Gott, ich bleibe stehen, bis ich mein Gelübde erfüllt habe.'

18) Z59,14: mä yatazamzamu-, B594,4: mä yataramramu lrirkarfin\ G284,11: wa- 'amsaka.

19) G formuliert diesen Schwur im Gegensatz zu Z in der l. Person. Zur Verwen- dung der 3. statt der L Person s. S. 24.

20) Nach Lisän al-'Arab tabarzad: „wie mit dem Beil glatt behauener Zucker".

Wohl aus dem persischen tabar-zad.

21) Z60,8: wa-lam yakuni waqtan yü$adußhi s-sukkaru wa-lä yubä'u-, B594,10:

. . . sukkarun wa-lä yuqdaru 'alä btiyä'i fai'in mwhu\ G285,6: wa-lam yakuni l-waqtu waqtan yüjjadu ßhi bä'i'un wa-lä sukkarun.

22) Z61,2: fa-lä otfa'u; B594,17: wa-an lä atfa'a; G285,14; tumma lä afa'u.

23) l mann = 2 rafl, vgl. WALTHER HINZ, Islamische Masse und Gewichte, Lei- den 1955 (Handbuch der Orientalistik, 1,1), S. 16; also eine ungeheure Menge.

24) Koran 76/7.

(7)

Da eilten seine Sklaven und Schutzbefohlenen, einige seiner Söhne und seine Alten zum Markt. Einer verständigt einen Wächter, einer öffnet eine Gasse, ein anderer tragt25) ein Netz ( # ), einer weckt einen Schläfer, ein anderer ruft einen Händler und einer wirft Steine nach einem [kläffenden] Hund. Sklaven und Sklavin- nen, Anwohner, Wächter und Marktvolk [veranstalteten] dabei ein Geschrei, als wäre es der Jüngste Tag.

Da sagte er: 'Ihr! Hilft mir denn keiner aus meiner Familie? Wo sind die Mäd- chen, Jungfrauen im väterlichen Haus, die ich versorge mit feiner Speise und Klei- dung, und die sich frei ergehen an dem, was sie an behaglichen Verhältnissen und sattem Leben genießen26)? Wo sind der Knaben Mütter, welche kostbare Ehebünd- nisse geschlossen und nach [einem Leben in] niederen Verhältnissen [nunmehr]

Wohlstand erlangt haben? Wo sind die Knaben, für die wir uns mühen und ackern, für die wir kommen und gehen?' Da eilten seine Söhne und Töchter und die Mütter seiner Kinder herbei.27) Und jeder von ihnen stellte sich auf einen Fuß. Da sagte er: Ihr habt wohlgehandelt, möge Gott euch wohltun und entlohnen, dafür habe ich euch mit Wohltaten überhäuft!'28) Da fiel sein Blick auf die älteste seiner Töchter und den jüngsten seiner Söhne, die beide zwischen zwei Standfüßen wech- selten. Da sagte er: Sohn, du wechselst die Füße, während ich es nicht tue? 0 Tochter [auch] du wechselst die Füße, während ich es nicht tue? Gott sprach wahr, und sein Prophet (hat es übermittelt)29), als er sagte: >Unter euren Frauen und Kin- dern habt ihr Feinde, darum nehmt euch vor ihnen in acht<.30) Obacht, Obacht, vor euch31) Obacht!'

Dann sagte er: ' 'AH ibn §älih, in seinem Speicher ist kein Tabarzad Zucker, während sein Einkommen beim Kalifen, Gott stärke seine Macht, tausend tausend Dirham beträgt, und er ein Dorf in Nahrawän besitzt, das dreihundert tausend Dir- ham einträgt, bei mittlerer Ertragslage, und ein Dorf am Zäb Fluß, das hundert tau- send einträgt, und ein Dorf bei Kufa, bekannt als al-'Araba32), das zu den edelsten Dörfern gehört, die einer besitzen [kann], und ein Dorf inTassüg ad-Daskara33). Und wenn nicht der selige Sa'id as-Sa'di, Gott lasse ihn in Frieden ruhen, seine Wasser- zufuhr unterbrochen und die Wasserläufe verdorben hätte, so daß, uns zum Schaden und zu Unrecht, seine Bäche verschüttet und die Gebäude wenige geworden sind, dann hätte keiner ein Dorf wie dieses, obgleich die Pflügler und Pflanzer die wider-

25) Nach G286,6; Z61,8 hat

26) Z61,14: arana\ B595,7 und G286,8 (vom Hrsg. geändert): idda'aina.

27) Z62,7 fügt hier ein qäla ein, das sich auf den Erzähler, also den ältesten Sohn <Alis bezieht.

28) Wie Anm. 27.

29) Nur B595,13 hat ein Verb: ballaga.

30) Koran 64/14.

31) Z62,ll: minka\ B595,14: minkum\ G287,5: minfcumä.

32) B595,16: cd-Mugira; G287,7: al-Muglnya.

33) ad-Daskara ist auch ein großes Dorf westlich von Bagdad (YÄQÜT, Mu'tfam al-Buldän, ed. Wüstenfeld, S. 575). Hier steht es wohl eher im Sinn von „Ebene".

Tassütf, aus dem persischen iosä^ist eigentlich eine Gewichts-TMünzeinheit (ÖAWÄ- LIQI, al-Mu'arrab, ed. A. M. Säkir, Kairo 1361, S. 76; HINZ, wie Anm. 23, S. 34).

(8)

Prosa-Dichtung in der afebär Überlieferung 13 wattigsten Geschöpfe Gottes sind. Wäre es ihnen möglich, den Ertrag festzusetzen, dann würden sie gar nichts geben. Wer dir erzählt, das Dorf gehöre dem Herrn des Dorfes, dem entgegne: >Du lügst, du Mutterlosere Das Dorf besteht aus drei Drit- teln: eines für den Herrscher (stdtän), eines für den Verwalter (wakil) und eines für die Landarbeiter. Dem Herrn des Dorfes bleibt soviel wie an Flüssigkeit in einer leergeschütteten Vase [verbleibt] und wie der Skorpion Mark enthält. [Wenn] zur Dreschzeit die Landarbeiter kommen34), geht der Aufseher35) bei ihnen vorbei, und einer schlachtet für ihn, ein anderer backt ihm Brot und jener schenkt ihm Dattel- wein ein -> doch was ist ihr Dattelwein schon mehr als eine schwarze, ungereinigte [Brühe], ein unreiner Dattelsirup36) und Saft der Flachsseide37)? Gott verfluche die- sen Trank, wie schwer er im Magen liegt und wie schädlich er ist für die kostbaren Dinge! Dann kommt die Zeit des Getreidemessens — und wer ein Auszeichner ist, dem zeichne Gott das Gewand mit Schmach und Schande38), und wer ein Kornmesser ist, den strafe Gott entsprechend seinem Wort: >Wehe denen, die das Maß nicht er- füllen^39) Doch keiner von ihnen besorgt sich um das, was ihm bevorsteht. Einmal hörte ich den Beherrscher der Gläubigen seine Richter, die alle anwesend waren, fragen: >Habt ihr je einen rechtschaffenden Kornmesser gesehen?< Alle sagten:

>Nein.< — Wenn man ihnen junge, noch säugende Ziegenböckchen zur Speise vor- setzt und feinstes Dastumisän40) Brot, und ihnen Geld schenkt, dann haben die, deren Korn gemessen wird, erreicht, was sie wollen. Aber wehe dem Staatsspeicher41), in den nur Abfall und Spreu42), gemischt mit Stroh und Gras43), gebracht wird.'

Dann sagte er: "Gute Leute, warum halte ich lange Reden über dieses [Pack], und was hat um diese Uhrzeit so eine Aufregung verursacht, daß ich mich derart daran verloren habe? Reicht es denn nicht, daß ich auf einem Fuß stehe?' Sie sagten:

'Das kommt vom Zucker, der nicht in deinem Speicher ist!'44) Er sagte: 'Ach so. Bei Gott, wenn des Verwalters Aufmerksamkeit seiner Frau und seinen Töchtern und ihren Angelegenheiten gilt, wann hat er dann ein Auge frei, sich um meinen Spei- cher zu bekümmern? Mir wurde zugetragen, daß er seine Töchter mit Tausenden

34) Z63,10 G287,15: ya$Vu\ B596,5: ya$ni

35) Z63,10: al-abratad-, B596,5: al-abramad; G288,l: al-amir. Schwally ver- weist in seiner Ausgabe der Mafyäsin auf , Glossar: al-ar$abad. Vgl. auch F.

Steingass, Persian — English Dictionary, s. n. arfiamand.

36) Z63,12 G288,2: ad-dibs-, B596,6: ad-danas.

37) cd-ak&üt; kuMt ist. lat. cuscuta (A. SIGGBL, Arabisch - Deutsches Wörter- buch der Stoffe, Berlin 1950). Lisän al-'arab verzeichnet, daß der Saft dieser Pflanze zur Schwärzung von Dattelweih Verwendung findet.

38) Z64,l: bü-rnadatta wal-hawän; B596,8 G288,4: wa-a'adda lahü l-hawän.

39) Koran 83/1.

40) Landschaft nordöstlich von Basra.

41) Z64,8 B596,12: li-qubbati 8-sultän', G288,9: li-fi>ati s-sulfän.

42) Z64,9 G288,9: al-qa$ar, B596,13: al-qi^l

43) ad-dausar, Bromus (s. Dozy, Supplement s.v. d s r), vgl. syr. dü- sarä (Siggel (wie Anm. 37), s.n.).

44) Verschiedene Formulierungen dieser Antwort siehe S. 34.

(9)

von Dinaren ausgestattet hat und zu seiner Gattin sagte: >Geh hinaus auf die Fest- lichkeiten, nimm teil an den Hochzeitefesten und frage nach Männern, deren Namen man nennt, und suche solche von angesehener Stellung45), von guter Abstammung und vornehmen Sitten fiir deine Töchter. < Und er ließ sie [und seine Töchter] ausge- hen an den Freitagen, damit sie die Vorzüge der jungen Männer46) prüfen und die trefflichsten Familien erwählen. Ist nicht von unbedingt glaubwürdigen Autoritäten Überliefert worden, daß sie das Ausgehen von unverheirateten Mädchen an Freita- gen mißbilligten, für die auch Gottes Gebot, sich [am Freitag] zum Gebet zu begeben460), gilt? Einige von den Anhängern dieser Ketzermode tun sich hervor47), die hänfa tritt heraus [aus der Nachfolge des Propheten], die Häretikerin fallt [vom Glauben] ab, die räfifa zeigt ihre Ablehnung der [wahren] Religion und ihrer Vertre- ter, und sie vernachlässigen ihre religiösen Pflichten. >Gott vernichte sie! Wie kön- nen sie nur so von der Wahrheit abweichen? Sie haben ihre Gelehrten und Mönche an Gottes Statt zum Herrn genommene48) Ist uns nicht vom Propheten, Gott segne ihn und seine Familie, auf mehr als eine Weise überliefert worden, daß er, als er den Menschen predigte, sagte: >Gott hat euch den Freitagsdienst zur Pflicht gemacht, von diesem meinem Platz aus, von diesem Tag an und diesem Jahr [bis zum Jüng- sten Tag]. Und wer die Verpflichtung übergeht, weil er sie leicht nimmt oder leug- net, den lasse Gott einsam sein, und den segne er nicht mit seiner Familie, dem sei keine Pilgerfahrt und keine [Teilnahme am] $ihäd, bis er bereut. Wer aber bereut, den nimmt Gott zu Gnaden an.<'

Dann sagte er: Oute Leute, was hat mich in diesem Übermaß erregt mitten in der Nacht?' Sie sagten: 'Tabarzad Zucker!' Er sagte: 'Jawohl! Bei Gott, ihr habt mir bis jetzt die tausend mann Zucker nicht gebracht. 0 $ubh, Fath, Na$r, Nagah, eilt zu eurem Herrn, er ist ermüdet, erschöpft und ermattet vom langen Stehen. Bei Gott, ich nehme an, die Plejaden stehen genau über meinem Kopf! Die Nacht ist dahin und ließ dem Unheil ihren Platz. Wehe euch, seht ihr nicht, ich verzehre mich nach einem bißchen Schlaf— in der Frühe muß ich unbedingt wieder in den Palast!'49) Da eilten die verbliebenen Diener50) [fort], sie öffneten die Tore der Läden und weck- ten die Marktleute und nahmen, was jene hatten, ohne den Preis auszuhandeln.

Damit kamen sie zurück.

Er sagte: 'Was ist das?' Sie. sagten: 'Das, was du zu besorgen befahlst.' Er sagte: 'Entspricht es den Eigenschaften, die ich genannt habe?' Sie sagten: 'Ja.' Er

45) Z65,4 G289,6: al-mawädV\ B597,2: al-marädi<.

46) Z65,6: ma$ciis lies: al-uzzäb\ B5972: mahäsin al-gurrät\ G289,8: mahäsin al-'uzzäb.

46b) as-sa'i ilä dikrihi; vgl. Koran 62/9.

477)

di'a-, G289,10: . . . mm hädihl l-bida.

48) Koran 9/30, 31.

49) Wie Anm. 27.

50) Z66,10: ha$™>uhüC*) - $$ ; B597,17: buramuhü al-Jiä$$a; G290,10:

baqlyat hadamihi.

(10)

Prosa-Dichtung in der ahbär Überlieferung 15 sagte: 'Habt ihr im Angesicht der Verkäufer das Gewicht bestimmt51) und ein Preis- angebot52) verlangt?1 Sie sagten: 'Nein.' Er sagte: Ihr Gottesfeinde, ihr wollt mich in meiner Religion zunichte machen. Nein, bei Gott, soll sich doch keiner unrechte Aneignung von mir erhoffen'.53) Ich bleibe, wie ich bin [auf einem Fuß], bis ihr ihn regelrecht gekauft habt, ohne Bedingung und Vorbehalt der Rückgabe, ohne eine einschränkende Ausnahme und ohne einschränkende Bestimmung zur Eigentums- übertragung. Weg damit, denn Gott mag dergleichen nicht.' Da kehrten sie zurück, feilschten mit den Händlern und setzten den Preis fest. Dann meldeten sie es ihm.

Er sagte: 'Wiegt in meiner Anwesenheit/ Da brachten sie eine Waage.54) Er sagte: 'Wer von euch wiegt?' Sie sagten: 'Wen du bestimmst.' Er sagte: 'Du Nash!' [Währenddessen] war die Morgenröte schon fast heraufgezogen [und er sagte]:

'Wieg und tu ein bißchen mehr darauf. Hat doch der Prophet, Gott segne ihn, seine Familie und seine Genossen, einmal55) eingekauft und zu dem, der die Waage bediente, gesagt: >Wieg und tu ein bißchen mehr darauf< (zin fa-r$ah). Bei Gott, wenn beim großzügigen Auswiegen (rutfhän) nur der Dispeus vom Schwur gälte, so wäre es, wie die Gelehrten [und] Schriftkundigen zu tun verlangten.'56) Da begann der Bursche zu wiegen und er sagte: 'Wehe, beeüe dich, der Morgen ist nahe, und ich bin dahin, oder fast.'

Und als er ausgewogen hatte, befiel ihn eine Ohnmacht, so daß er nicht mehr wußte, ob er das Haupt auf die Erde bettete oder auf ein Kissen. Ebenso erging es seinen Söhnen und seiner Familie, die mit ihm ausgeharrt hatten. Keiner von ihnen erwachte, um das vorgeschriebene Morgengebet zu verrichten, erst die Sonnenhitze weckte sie. So, Beherrsher der Gläubigen, ist der, dessen Schriftenkenntnis, Gerechtigkeit und Vernunft du gepriesen hast."

Da sagte al-Ma'mün: „Gott strafe dich! In jedem Fall ist das Ganze höchst erstaunlich. Wenn du das erfunden57) und deinem Vater hier an diesem deinem Platz nur angedichtet hast, dann gibt es auf der Erde nicht deinesgleichen und auf der Welt nichts Vergleichbares. Wenn du aber wahr58) und als Augenzeuge erzählt und aus dem Gedächtnis gesprochen59) hast, dann hast du vortrefflich erzählt und die Ausdrucksweise wohlgetroffen60), und dein Vater ist unvergleichlich. Du machst

51) Z66,14 B597,14: warattumühu-, G290,12: wazantumühu. Zur Mengenbestim- mung beim gültigen Kauf vgl. AT-TAHÄWI, al-Muhta^ar, ed. Abu 1-WafaV al-Afgäni, Kairo 1370, S. 84.

52) istau$abtumühu', vgl. Üjäb und qabül in: TH. W. JUYNBOLL, Handbuch des islamischen Gesetzes, Leiden 1910, S. 264.

53) Z66,15: mä tumi'a (fama'un) minnl \ß] mn4aw4imatin (= bi^rn4^rn^M)\

B598,l: lä yufma'u minnifi ha4imaJtin\ G291,l: . . . .

54) qabbän, die römische campana mit Laufgewicht.

55) Z67,7: yauman; G291,6: tauban.

56) Wie Anm. 27.

57) Z68,l: -in kunta kadabta 'alä abika; B598,12 G291,15: la-'in kunta wal·

ladta hö4ä 'alä (*an) abika.

58) G291,16. haqqan wa-*iyänan\ Z68,2: 'iyänan au kafäfan.

59) B598,14 G292,l: wa-wa'aita.

*°) a$adta l-h,ikäya wa-'afysanta l-ibära.

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deine Schändlichkeiten durch deine trefflichen Fähigkeiten wett61). Doch erwähne [davon] nichts nach diesem Zusammensein, denn uns schmäht seine Schande mehr als ihn.41 Das sagte [der Erzähler der ganzen Geschichte]: Da machte 'AH Anstalten zu sprechen. Da sagte er: JLaß nur kein Wort über deine Lippen kommen!"

Abu 'Abdalläh [az-Zubair] sagte: „Ich fragte meinen Onkel M119'ab: Warst du wirklich bei dieser Szene (matjlw) anwesend? Man merkt deutlich, daß sie gemacht ist ( #-$ )." Er sagte: »Nein, aber es hat mir jemand, der anwesend war, zwei Jahre nach dem Tod von al-Ma'mün erzählt/

I Komik — Satire — Parodie

Der ungenannt belassene Sohn 'Alis deutet seine Erzählung am Ende selbst mit dem Hinweis, daß seines Vaters Handeln genau der Frömmig- keit, die seine Rede vorgab, entgegen wirkte, weil keiner der Beteiligten mehr vermochte, das vorgeschriebene Morgengebet zu verrichten. Auch unabhängig von diesem Hinweis ist eindeutig, daß 'Ali hier als eine komische Figur erscheint. Er ist dies in doppeltem Sinne; denn das jeder Komik zu Grunde liegende Mißverhältnis von Schein und Sein, Wollen und Tun, läßt sich in zwei Aspekten fassen. 'Alis Strafaktion richtet sich auch gegen ihn selbst, insofern er sich körperliche Qualen zufügt, und mag des- halb schon komisch-unverhältnismäßig erscheinen, wenn man davon absieht — und so will es der Erzähler —, daß diese seelische Bestrafung Abhängiger einem grausig pathologischen Muster folgt. Eine Dimension weiter reichender Komik aber entfaltet sich in 'Alis Rede, mit der er seine Aktion begleitet. Aus seinen ersten Worten gibt sich die thematische Grundlage, aus der heraus sich die Situation entwickelt, zu erkennen. Er zeigt, daß er den zuckerleeren Speicher als ein Unglück betrachtet — selbst schon lachhafte Übertreibung einer eigentlich belanglosen Widrigkeit —, und daß er dies vom Besonderen in das Allgemeine hebt, indem er seine subjektive Wahrnehmung in eine Ebene allgemeiner,Wahrheit—der Wahr- heit von Offenbarung und Sunna — zu integrieren sucht. Während ersteres das Moment ist, das die weitere Handlung auslöst (Handlungsschema)62), ist letzteres das Grundmotiv der Erzählung. Die oben erwähnte Diskrepianz zwischen Intention und Tun läßt sich genauer als der Antagonismus zwi- schen zwei Verhaltensebenen oder Bezugssystemen beschreiben: zwischen seiner 'natürlichen Person' die von seinen Gefühlen beherrscht wird, und seiner 'kulturellen Person', die sich mit den frommen Leitbildern identifi-

61) Z68,4 B598,15: la-tagmuru-, G292,2: la-tu'mi

62) Vgl. TH. FRINGS, M. BBA'UN, Brautwerbung, Leipzig 1947 (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Ak. d. Wiss. Leipzig 96,2 [1944-48]), S. 5f.

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Prosa-Dichtung in der ahbär Überlieferung 17 ziert.63) Die Beurteilung, welche der beiden Seiten in 'AK die andere domi- niert, und welche Handlungsintention durch eine komische Wendung ver- kehrtVird,. hängt von dem Ausgangspunkt ab, den der Betrachter ein- nimmt.

Die Erzählung des Sohnes für sich genommen zeigt, wie cAli in buch- stäblichem Sinne zu Fall kommt, weil die Tradition, auf die er sich beruft, in ihm zu einer Instanz geworden ist, welche ein funktionales Reagieren auf die reale Welt behindert. Sein Verhalten ist ganz in Prinzipien befangen, die sein Handeln aus dem ursprünglichen Zusammenhang seiner sponta- nen Regungen löst. So hält er seinen Ärger mit frommen Klagen zurück und verlangt zur 'Erziehung' der Schuldigen nicht nur ein Nachholen des Ver- säumten zur Unzeit, sondern fuhrt mit seiner der ganzen Familie verord- neten Selbstbestrafung den Schmerz vor, den ihm das regelwidrige Verhal- ten der Diener bereitet;64) sein langatmiger Exkurs über die Verteilung der Ernteerträge ist Ausdruck seines Ärgers über eine mögliche Benachteili- gung; seine Klage über die lose Erziehung, welche sein Verwalter an dessen Töchtern übt, knüpft sich in Wahrheit an seinen Zorn über dessen Nachläs- sigkeit. Die aufgedeckte Missetat veranlaßt ihn, in seiner monologischen Ansprache den Zustand der Welt zu beklagen, deren Ordnung er durch das ignorante und eigennützige Treiben der Untergebenen in Gefahr sieht. So lehrt er bei dieser Gelegenheit die Unbeugsamkeit des Gesetzes und tadel- lose Pflichterfüllung bis zur eigenen Erschöpfung, da die Treue gegenüber dem Vorbild der Sunna ihn bewegt, den endlich herbeigebrachten Zucker abzulehnen, weil er nicht rechtmäßig erworben war. Schließlich sinkt er zu Boden, und wenn man absieht von der mit ihm dahinsinkenden Familie, so wie der Erzähler davon absieht, der Tyrannei des 'Ali besondere Aufmerk- samkeit zu schenken, dann liegt er da als ein Anti-Held, dessen komisches Scheitern an der in seinen Augen verkehrten Welt oder seiner verkehrten Natur einen tragischen Aspekt hat.

Aus dem Kontext der Rahmengeschichte kehrt sich jedoch die Komik, welche der Erzählung des Sohnes für sich genommen anhaftet, um. Aus dem Gesamtzusammenhang entwickelt sich eine andere Perspektive, die

63) Vgl. die Ausführungen zur „komischen Fremdbestimmtheit des Handelns"

von KABL HEINZ STIEBLB, Komik der Handlung, der Sprechhandlung, der Komödie, in: Das Komische, Poetik und Hermeneutik, VH, hrsg. von W. Preisendanz, R. War- ning, München 1976, S. 237-268, S. 238, 240f..

64) Er muß alle Mitglieder seines Hauses mobilisieren, um in einer gewaltigen Gehorsamsprüfung die Ablehnung oder Indifferenz gegenüber der patriarchischen Ordnung zu kompensieren, die er hinter der Nachlässigkeit der ihm Unterstellten wittert.

2 Islam LXIV, Heft l

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sich aus der Absicht des Erzählers ergibt, 'Ali zu entlarven und in ihm ein Gegenbild zu den Qualitäten zu zeichnen, welche der Kalif an seinem Käm- merer lobt. Statt des für seine Bildung und Moral geachteten Hoibeamten erscheint 'Ali als ein ungehaltener Pedant, dessen Räsonieren engstirnig und dessen Frömmigkeit leere Prätention ist. Das fromme Vorbild wird für ganz banale Belange bemüht, so daß hinter dem vermeintlich hohen Streben nach Übereinstimmung mit dem Glaubensgebot eine unwürdige Kleinlichkeit erkennbar wird. 'AH erscheint als ein Gebildeter ohne Ein- sicht und ein Frommer ohne Mitleid, dessen unsinniges Verhalten jede Sou- veränität vermissen läßt.

Als echte Satire erweist sich die Erzählung dadurch, daß über die Ent- larvung der Person hinaus eine Polemik gegen die Grundwerte fromme Bil- dung und patriarchische Autorität vorliegt, welche 'Ali beide beansprucht und nach außen hin verkörpert. Hier erscheinen sie zu sinnentleerter Form entstellt und an 'Ali zeigt sich, daß ihnen, wenn nicht mit dem rechten Geist erfüllt, keinerlei Würde anhaftet und die Sitte zur Unsitte wird. Die- ser Deutung gibt der Kalif in der (Rahmen-)Erzählung selbst Ausdruck, indem er bittet, die Schilderung der nächtlichen Szene nicht zu verbreiten;

denn, wie er sagt, „uns schmäht seine Schande mehr als ihn". Über 'Alis Person hinaus sind die Werte der Lächerlichkeit preisgegeben, welche er verkörpert.

Von subtiler Wirkung ist die Perspektive der Darstellung. Sie läßt den lachhaften Kontrast zwischen dem vermeintlich hohen Sinn des Frommen und den Banalitäten, in die er sich verstrickt, aus 'Alis eigenen Worten auf- leuchten. Hier, wie grundsätzlich im habar, gestaltet sich die Rede des jeweiligen Sprechers wie die Wiedergabe der tatsächlich gesprochenen Worte.65) In der Wiedergabe der Worte von 'Ali durch den erzählenden Sohn liegt ein Kunstgriff vor; er bewirkt, daß der Leser/Hörer 'Alis Reden und Tun ohne Vermittlung einer anderen Instanz zu betrachten meint. Die Komik der geschilderten Situation erscheint in einer lebendigen Szene und wird durch die Nachahmung gesteigert. Deutlich spürbar aber ist auch die parodistische Absicht, die immer mit einer Verzerrung und Brechung des

„Gegenstandes" einhergeht. Diese Verfremdung — Distanzierungsgestus66)

— verweist auf das Wirken des Erzählers und ist ein Element, das einem Anspruch auf Wahrheit des Erzählten entgegensteht67) und dem Zeugnis- charakter des Augenzeugenberichts widerspricht.

65) Dieser Auffassung gibt auch der Kalif anschließend Ausdruck, indem er für seine Beurteilung die Alternative „wahr" — „unwahr" erwägt; siehe unten HL

66) THEODOR VERWEGEN, Theorie der Parodie, München 1973, S. 8f.

67) Deshalb reflektiert auch der Verfasser AZ-ZUBAIR IBN BAKKÄR in einem Nachwort die Möglichkeit der „Erfindung" der Geschichte; siehe unten IQ.

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Prosa-Dichtung in der ahbär ÜberKeferung 19 Innere Bauform

Ohjie besondere Vorüberlegung ist zu bemerken, daß die ausgiebige Verwendung der direkten Rede den Eindruck vermittelt, eine Welt wirkli- cher, lebendiger Personen zu betrachten. Diese Wirklichkeitsnähe68) ist ein trügerischer Schein; denn obgleich sich ein unvermittelter, durch kei- nen Erzähler gestellter Einblick in die Welt der sprechenden und handeln- den Figuren zu bieten scheint, verfugt der Erzähler doch zu jedem Augen- blick über seine Figuren. Der Eindruck der „Erzählerlosigkeit" — ein Cha- rakteristikum dieser Art von narratio, welche die ahbär beherrscht—ist das Ergebnis eine Reihe von erzählerischen Einstellungen. Sie haben gemein- sam die kunstvolle Vermeidung der Erzählergegenwart im Text zum Ziel.

Als einzelne Elemente sind sie in der inneren Bauform der narratio verbun- den.

Für eine Beschreibung dieser Bauelemente — im wesentlichen unter den Aspekten: Staffeltechnik, Erzählerperspektive, Funktion der Figuren- rede und Zeitgeflecht—ist es vorteilhaft, den Begriff des fiktiven Erzählers einzuführen. Mit ihm soll die Instanz im Text bezeichnet werden, welche die Figuren konstituiert.69) Damit bietet sich der Vorteil, die Frage nach dem konkreten Autor und seinem Vorhaben, welche allein mit Bestimmt- heit wirklich sind70), aber im Text nicht manifest, beiseite zu lassen und zunächst die Textintentionalität zu erfragen. Von besonderer Bedeutung ist dieses Verfahren für die literarische Form des habar, denn hier bleiben die außertextlichen Zusammenhänge oft dunkel, und der Urheber der Erzäh- lung ist häufig nicht eindeutig zu bestimmen71). Wenn im folgenden also von Erzähler die Rede ist, wird damit nicht der Autor bezeichnet, sondern ein im Text erscheinender, fiktiver Erzähler, der selbst schon eine erzählte Figur ist.

68) Schon W. CASKEL (wie Anm. 1) hat die „Wirklichkeitsnähe" in der altarabi- schen Epik als künstlerischen Grundsatz gesehen (S. 38) und mit der szenischen Darstellung in Verbindung gebracht („alles ist Dialog und Szene").

69) COBDULA KAHBMANN, GUNTEB REISS, MANFBED SCHLUCHTEB, Erzähl- textanalyse, Bd. l, 2. veränderte Aufl., Kronberg 1981, S. 40 und passim.

70) KÄTHE HAMBUBGEB,-Z>te Logik des Erzählens (1966), 2. Aufl., Stuttgart 1968, S. 115: „Es gibt nur den erzählenden Dichter und sein Erzählen". Die schein- bar selbstverständliche Aussage steht im Zusammenhang ihrer Ablehnung, eine vom Autor geschaffene Instanz (fiktiver Erzähler) zu interpretieren. Der Dichter mache keine Aussage über die erzählte Welt, sondern erzähle diese („Funktionszu- sammenhang'', S. 113). Für die Untersuchung des fyabar, dessen Verhältnis zur Fik- tion ein anderes ist als das moderner Formen der Prosadichtung, ist dieser Ansatz jedoch unergiebig.

71) Siehe unten IV.

2*

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A Erzählerebenen

Bezieht man den Isnäd in die Textbetrachtung ein, so läßt sich die ganze Erzählung als eine Abfolge von gestaffelten Redesituationen beschreiben. Hier genügt es, den Gewährsmann im Auge zu behalten, der als Erzähler, im Gegensatz zu den im Isnäd genannten Überlieferern, genannt wird72). Aus seinem am Anfang stehendem qäla entfaltet sich die Gesamterzählung. Er fuhrt zunächst die Figuren Kalif, 'Ali ibn $älih und seine Söhne vor. Eine der auf dieser Erzählerebene l erscheinenden Figu- ren, der älteste Sohn von 'Ali, entwickelt ihrerseits eine ausführliche Erzählung, in welcher 'Ali ibn Sälifr, seine Familie und seine Diener auftre- ten und miteinander sprechen. Genaugenommen handelt es sich hier um 'Ali ibn §älih', denn er ist nicht dieselbe Figur wie auf Erzählerebene 1.

Wie in der Interpretation der Satire schon hervorgehoben, wird hier ein Gegenbild zu dem 'Ali entworfen, den der Kalif als seinen Kämmerer kennt. Eingebettet in diese Erzählerebene 2 sind die monologischen Reden von 'Ali, das eigentliche Kernstück der Erzählung. Diese wiederum enthal- ten auch direkte Rede erzählter Figuren (Kalif/Richter, Verwalter/Ehe- frau) und fuhren eine eigene Welt erzählter Figuren (Landarbeiter etc.) vor. 'Ali konstituiert hier eine Erzählerebene 3. Während die Rahmenge- schichte mit der Versammlung beim Kalifen also die Erzählerebene l bil- det, wird die Binnengeschichte, in der 'Alis Sohn die nächtliche Szene im Haus seines Vaters und die Jagd nach dem fehlenden Zucker schildert, von den Ebenen 2 und 3 gebildet.

Mit der Staffelung „erzählten" Erzählens — die eingeschachtelten Er- zähler sind ja selbst erzählte Figuren — wechselt der jeweilige Erzähler und damit auch der Deutungsbezug seiner Erzählung im Gesamtkontext. Diese Wirkung erhält eine besondere Dichte, wenn sich die gleichen Figuren auf mehreren Ebenen bewegen. Es ist diese Differenz des Sinns, welehe die oben angeführten unterschiedlichen Interpretationen der Figur 'Ali nahele- gen. Die satirische Absicht erscheint nur in einem Kontext, der erhellt, daß der Erzähler diese zu seiner Rechtfertigung verfolgt. Sieht man von dem Rahmen ab, so richtet sich die Aufmerksamkeit ganz auf 'Ali und seine Art, den erlebten Konflikt zu bewältigen.

Aus dem Wechsel der Erzähler folgt in unserem Beispiel neben der Ver- änderung des Deutungsbezugs auch eine Veränderung des erzählerischen Wirkens. Die Art, in der sich die Szene am Kalifenhof entfaltet, d. h. durch einen „unsichtbaren" Erzähler ausgebreitet wird, und die Weise, wie 'Ali

72) Ungeachtet seiner konkreten Benennung, die in allen drei Textzeugen variiert (siehe unten IV).

(16)

Prosa-Dichtung in der ahbär Überlieferung 21 das jährliche Konimessen z.B. beschreibt, unterscheiden sich nicht nur durch die Person des Erzählers, sondern auch durch dessen Vermittlung

Figuren, von denen er erzählt.

B Mittelbarkeit

Nach dem einleitenden qäla ist der Erzähler in seiner Schilderung der Begebenheit am Kalifenhof nicht mehr auszumachen. Er ist weder körper- lich anwesend, noch ist seine Beziehung zu den Figuren geklärt oder seine Informationsquelle angedeutet. Er scheint ein objektives Medium, eine Art Apparat, der uns mit dem Geschehen in Verbindung setzt. Ganz im Gegen- satz dazu steht 'Ali auch dort, wo er erzählt, im Vordergrund. Ihm ist daran gelegen, die wahre Bedeutung des Tuns seiner Figuren zu erhellen, und in seinen Ausführungen sind deutlich seine persönlichen Ansichten zu ver- nehmen.

Man ist versucht, daraus zu schließen, daß es sich im ersten Fall um eine objektive Wiedergabe handelt und das Gegenbeispiel eine subjektive Schilderung der Welt oder Ich-Erzählung darstellt. Diese Folgerung führt aber in eine ganz falsche Richtung; denn die Gesamterzählung (Erzähler 1) ist gar nicht dazu angetan, sie für ein literarisches Zeugnis objektiver Wie- dergabe, wie den Bericht, zu halten, und die Frage der „Glaubwürdigkeit"

wird denn auch am Ende des Textes eigens erörtert. Ebenso ist auch die Darstellungen 'Alis nicht wirklich „subjektiv** zu nennen; denn obgleich er aus seiner Sicht erläutert, läßt er sich selbst als einen eigenen Gegenstand der Erzählung ganz aus und gibt ständig eine Objektivität vor. Das Komische ist ja gerade, daß man die subjektive Färbung hinter der vor- gegebenen Objektivität erspürt. Außerdem wäre 'Alis Erscheinen als eigene Person der Gesamtkomposition nicht dienlich, weil er für den erzäh- lenden Sohn eine (lächerlich) agierende Figur bleiben muß.

Diesen Einwänden entsprechend wäre also für den ersten Fall von einem „vorgegebenen Bericht** zu sprechen, und im zweiten eine „ver- steckte Ich-Erzählung** auszumachen. Diese eher verschwommenen Be- griffe können Interesse nur für eine genauere Definition wecken, welche die Kunstfertigkeit dieser scheinbar widersprüchlichen Erzählhaltungen auf- deckt. Die Beschreibung der zu Grunde liegenden Elemente von Erzähl- kunst verlangt eine kurze Vorüberlegung.

Die Frage nach dem spezifischen Wirken des Erzählers betrifft seine Vermittlung zwischen der erzählten Welt und dem Leser/Hörer. Für die Gestaltung eines Erzählstoffes ist diese Vermittlung ein zentraler Ansatz- punkt. Die Mittelbarkeit eines Textes ist umso größer, je mehr Aufmerk- samkeit die Person des Erzählers auf sich zieht. Die vom Erzähler einge-

(17)

nominelle Stellung, von der er auf die Figuren blickt und sich an den Adres- saten wendet — in der Literaturwissenschaft behandelt als Frage nach dem.

point de vuen) — läßt sich, unabhängig davon, ob ein Ich-Erzähler erscheint oder nicht, in drei Aspekten untersuchen.74) Alle drei Aspekte sind hier nur in der Bezeichnung ihre extremen Pole zu beschreiben:

Der erste Aspekt (a) betrifft den Erzähler als Person. Ist er eine der handelnden Personen, oder steht er ganz außerhalb der erzählten Welt und ist als eine mit dieser Welt nicht identische Person erkennbar oder anzu- nehmen?

Die Sicht, welche der Erzähler auf seine Figuren innehat, wird im zwei- ten Aspekt (b) beschrieben. Besitzt er eine Einsicht in ihre Wünsche, Gefühle, etc., also in ihre Innenwelt, oder gibt seine Erzählung nur ihr Han- deln und reden wieder?

Schließlich ist (c) die Orientierung zu erfragen, die der Erzähler dem Leser/Hörer verschafft. Wird seine Aufmerksamkeit durch eine beglei- tende Kommentierung gelenkt? Gibt es eine Deutungsinstanz oder nicht?

Nach der unter diesen Aspekten zu fassenden Erzählsituation ist für die jeweilige Erzählerebene gesondert zu fragen., Es erweist sich, daß in diesem Bezugsfeld die beiden ersten Erzählerebenen identische Merkmale aufweisen, die auf geringer Mittelbarkeit beruhen.

a) Der hinter den Figuren zurücktretende Erzähler gibt keine Anwe- senheit in der erzählten Welt zu erkennen. Seine Verbindung zu dem Ge- schehen wird nicht deutlich. Er betrachtet es wie ein unbeteiligter Zeuge, der sich nicht nur unsichtbar an einem Ort des Geschehens aufhält, son- dern dem Schauplatz folgt. Das Zusammenkommen am Kalifenhof zwi- schen Kalif, 'Ali und seinen Söhnen hat eine Vorgeschichte (Information des Kalifen, Vorbereitungen im Hause 'Alis), von welcher der Erzähler

74) Für diese Betrachtung greife ich den Ansatz auf, den FRANZ K. STAN- ZEL, Theorie des Erzählens, Göttingen 2. Aufl. 1982, für seine Typologie von Er- zählungen entwickelte. Das an den komplexen Formen des Romans erarbeitete

74) Für diese Betrachtung greife ich den Ansatz auf, der von FRANZ K. STAN- ZBL, Theorie des Erzählens, Göttingen 1979KjRir seine Typologie von Erzählungen ausgearbeitet wurde. Das an den komplexen Formen des Romans erarbeitete Instrumentarium ist auf die ahbär nicht ohne Adaptation übertragbar. Besonders der ausschließlichen Ausrichtung auf die Romanerzählung, welche die Analyse von Erzähltexten im Allgemeinen unberücksichtigt läßt, wurde durch eine Veränderung im Ansatz Rechnung getragen, ohne das alternative System von JAAP LINTVELT, Essai de typologie narrative, le 'point de vue', Paris 1981, der S. 149 diesen Mangel an STANZELS Arbeit hervorhebt, zu übernehmen. Ihm ist entgegenzuhalten, daß im vorliegenden Beispiel, durch die untergeordnete Bedeutung des Erzähler-Ichs, die Gültigkeit von STANZELS Ansatz Bestätigung findet.

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Prosa-Dichtung in der ahbär Überlieferung 23 ebenso genaue Kenntnis hat. Dasselbe gilt für das Geschehen auf dem Markt, von dem 'Alis Sohn erzählt. Da der Erzähler nicht beteiligt ist, gibt Sr'keiner Anteilnahme Ausdruck. 'Alis Sohn z.B., der von der qualvollen Standpauke seines Vaters erzählt, erwähnt mit keinem Wort, daß ihm als einem Anwesenden (?) das lange Ausharren auf einem Fuß schwer gefallen wäre.

b) Nur die Taten und Reden der Figuren werden ohne jede Deutung berichtet. Der Erzähler erwähnt keine innere Reaktion des Kalifen, wie Neugier oder Ärger, als dieser von den Unarten der Söhne 'Alis erfahrt.

Auch das Vorhaben, das er mit der Einladung an sie verbindet, bleibt im Dunkeln, nur der von ihm ausgesprochene Vorwand erscheint im Text. — Weder 'Alis Ärger noch irgendeine andere Gemütsregung findet anders als indirekt, durch die in seiner Rede spürbare Erregung, Ausdruck.

c) Für die Wahrnehmung des Geschehns gibt es keine personalisierte Instanz, die außerhalb der Figurenrede das Geschehen bewertet oder deu- tet. Sowohl die Unflätigkeiten der Söhne wie 'Alis Handeln werden ohne zusätzliche Qualifikationen erzählt.

Zusammenfassend lassen sich beide Erzählerebenen als die Erzählung eines neutralen Beobachters beschreiben. Dies gilt nicht für die Figuren- rede, die als eine sehr anschauliche Ergänzung der äußerst zurückhalten- den Erzählerrede gewichtig vertreten ist. Auf sie ist weiter unten zurückzu- kommen. Eindeutig auf die Neutralität des Erzählers verweist auch die Einführung der direkten Rede durch die stereotype Inquitformel qäla.

Keine nuancierenden verba discendi geben eine Deutung der Redeinten- tion.

Die Erzählerebene drei ist mit stärkerem Hervortreten des Erzählers gestaltet. Dort, wo 'Alis Rede sich aus den auf Erzählerebene 2 angesiedel- ten Gesprächsszenen löst, ist die Erzählsituation wie folgt zu beschreiben:

a) Als Erzähler erscheint ein Ich. Dies darf jedoch nicht darüber hin- wegtäuschen, daß eine körperlich-existentielle Verankerung in der Welt, von der er erzählt, nicht auszumachen ist. Zwar ist seine Verbindung zu ihr eindeutig — er erzählt von der Welt der ihm Unterstellten —, doch gibt er sie nicht als die seine zu erkennen. Zu den Landarbeitern wie zu dem Verwal- ter bleibt eine Distanz, die* auch seine Kommentierung ihres Tuns nicht überbrückt, weil er sich selbst in keiner Weise einbezieht.

b) Ohne jeden Einblick in die innere Welt der Figuren wird ihr Han- deln gedeutet. Der Ich-Erzähler kennt ihre Wünsche und Intentionen nicht, die Motivationen, mit denen ihre Handlungen in der Erzählung verbunden erscheinen, sind von ihm gedeutet.

c) Der Erzähler vermittelt in seiner Schilderung merklich seine sub- jektive Sicht. Das Geschehen beim Bestimmen der Ernteabgaben wird

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kommentiert. Auch die Figurenrede ist, wo sie auftritt (Frage des Kalifen an die Richter; Aufforderung des Verwalters an die Ehefrau) dem Räsonie- ren des Erzählers untergeordnet. Sie wird vermittelt eingeführt, ind^m er sich zu ihr in Beziehung setzt („ich habe gehört; mir wurde erzählt*).

Ein erzähltes Ich (Ich als erzählte Figur) als eine eigene, klar umris- sene Figur wird jedoch mit Ausnahme der Schilderung seiner Einkommens- verhältnisse75) nicht sichtbar. Eine Spannung zwischen erzählendem und erzähltem Ich, wie sie die autobiographische Erzählung kennzeichnet, kann sich deshalb nicht entwickeln. Die Erzählung ist die eines peripheren, am Rande der erzählten Welt stehenden Ich, dessen Beziehung zu den Figuren nie direkt bezeichnet wird. Es ist deshalb hervorzuheben, daß die Erzählerebene 3 weniger durch ein erzählendes Ich als durch eine aukto- riale (d.h. merklich vermittelnde) Erzählsituation geprägt ist.

Die Differenzierung der Erzählhaltungen ist auch im sprachlichen Aus- druck zu verfolgen. Die syntaktische und stilistische Sprachgebung kontra- stiert entsprechend der vorgenommenen Unterscheidung auf den verschie- denen Erzählerebenen. Die hier nach dem von DOLO^EL entwickeltem Modell76) vorgenommene Beschreibung ermöglicht außer einem Einblick in den Zusammenhang von Erzählhaltung und Sprachgebung auch eine wei- tere Differenzierung des gewonnenen Bildes.

Die Unterscheidung der sprachlichen Formgebung orientiert sich an sechs Kriterien. Sie lassen sich kennzeichnen durch die Verwendung von:

a) mehreren Personalformen, b) mehreren Tempora, c) temporaler wie lokaler Adverbien in deiktischer — auf den Erzähler weisenden — Funktion und d) der Anrede (Allokution). Ferner gehören dazu das Vorhandensein e)

75) Hier deutet sich eine (autobiographische) Ich-Erzählung an. Zwar spricht 'Ali von sich selbst in der 3. Person, doch ist dies nur eine verkleidende Höfliehkeits- form des tatsächlich gemeinten Ich. Diese in allen drei Textzeugen erscheinende Form ist nur mit der Absicht zu deuten, die Ich-Erzählung im autobiographischen Sinn zu meiden.

76) LOBOMIB DoLoiEL, Die Typologie des Erzählens: 'Erzählsituationen', "Point ofview' in der Dichtung, in: Jens Ihwe (Hrgs.), Literaturwissenschaft und Linguistik, Ergebnisse und Perspektiven, Bd. 3: Zur linguistischen Basis der Literaturwissen- schaft, , Frankfurt 1972 [Ars Poetica 8,3], S. 376-392 [= Übersetzung eines 1967 in englischer Sprache erschienenen Aufsatzes]; id., NarrativeModes in CzeehLitera- ture, Toronto 1973; ein Anwendungsbeispiel seiner Methode bieten R. UND H. ZEL- LER, Erzähltes Erzählen, Funktionen der Erzählhaltungen in C. F. Meyers Rahmennovel- kn, in: Wolfgang Haubrich u.a. (Hrsg.), Erzählforschung 2, Göttingen 1977 [Zeit- schrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Beiheft 6], S. 98-113. DOLO^EL stellt ein System von sechs Erzählmodi vor, die in jeweils spezifischer Weise mit den nach sechs Kriterien festgestellten sprachlichen Merkmalen zu beschreiben sind.

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Prosa-Dichtung in der ahbär Überlieferung 25 eines subjektiven Aspekts, der eine subjektive Beziehung zum Erzählten .erhellt, und f) einer subjektiven Sprachgebung durch die Verwendung spe- zifischer stilistischer Mittel. Mit Ausnahme von e) und f) sind die Kriterien an der sprachlichen Oberflächenstruktur abzulesen.77)

Die Erzählerebene l kennzeichnen folgende Merkmale: Der Erzähler verwendet nur Verbformen der 3. Person und des Präteritums78), zeitliche und räumliche Bestimmungen erscheinen nicht als Deixis, sondern in elenktischer Funktion, die nur die zeitlich-räumliche Ordnung in der Epi- sode bezeichnet. Höreranrede kommt nicht vor, eine subjektive Beziehung zum Erzählten ist genauso wenig zu vermerken wie die Verwendung per- sönlicher Stilmittel. Es handelt sich um die Erzählung einer neutralen,

»objektiven 3. Person".

Auch die Erzählerebene 2 ist auf diese Weise zu kennzeichnen. Eine Ausnahme stellt aber die im Präsens gehaltene kurze Passage dar, in der 'Alis Sohn das Treiben der Diener auf dem Markt schildert („. . . einer ver- ständigt die Wächter, einer öffnet die Gasse..."). Die Zeitform ist ein epi- sches Präsens79), das aus Gründen der rhetorischen Formgebung das ein- deutig vergangene Geschehen in die scheinbare Gegenwart versetzt. Die besonderen Eigenschaften dieser Formgebung für die Darstellung der Zeit wird weiter unten beschrieben. Die Wahnehmung (der Zeit) des Gesche- hens wird in diesen Zeilen durch das gestaltende Eingreifen des Erzählers gesteuert, so daß unter Beibehaltung der obigen Unterscheidungsmerk- male hier das Wirken einer „rhetorischen 3. Person" festzustellen ist.

In der Erzählerrede 'Alis kommen alle drei Personalformen, Verbfor- men der Vergangenheit und Gegenwart, sowie die zeitlichen und räumli- chen Bestimmungen in deiktischer Funktion zur Anwendung. Auch Hörer- anrede wird gebraucht („wer dir sagt. . . dem entgegne"). Der subjektive Aspekt läßt sich am besten damit beschreiben, daß der Leser/Hörer 'Alis Beteuerung, er ginge bei der Verteilung der Ernteerträge leer aus, nicht glaubt; vielmehr ist deutlich, daß er furchtet und klagt, um das Sei- nige betrogen zu werden. Der vernehmliche Stolz auf seinen Besitz („. . . gehört zu den besten Dörfern . . .") und die Schärfe, mit der er gegen die Landarbeiter zu Felde zieht („. . . die widerwärtigsten Geschöpfe Gottes . . .") deuten auf die Subjektivität seiner Aussage. Die subjektive Sprach-

77) Eine subjektive Färbung durch sozial oder lokal geprägten Ideolekt ist untergründig oft auch in „neutralen" Texten vorhanden. Hier ist aber mit subjekti- vem Aspekt an eine semantische Kategorie gedacht, während subjektive Sprachge- bung in den Bereich der Stilistik gehört.

78) qüa lü-Ma'mün, in$arafa, fa-sttfaddü etc.

79) Vgl. HAMBURGER (wie Anm. 70), S. 84f.

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gebung wird in der Verwendung von Stilmitteln der Ansprache deutlich.

Dazu gehören der saij\ in denAli von Zeit zu Zeit fällt80), wie der rheto- rische Schwung der Ellipse, mit der er das freitägliche Ausgehen der Töchter seines Verwalters mit Unglauben und Ketzerei in Verbindung bringt.81 Die ganze Rede ist in einer hohen Stillage gehalten. Alle diese sprachlichen Merkmale sind kennzeichnend für die auktoriale L Person des Erzählers.

Für eine erste Schlußfolgerung ist festzuhalten, daß in der Gesamtkom- position das Nebeneinander (genauer: die Staffelung) von zwei Erzählhal- tungen wirkt. Sie bilden nach Maßgabe der sprachlichen Kriterien die zwei extremen Pole aller möglichen Erzählmodi. Während für die „objektive 3.

Person" keines der im Kriterienkatalog verzeichneten Merkmale gilt, ist die „auktoriale 1. Person" durch das Erscheinen aller dieser Merkmale geprägt. Dieser Gegensatz birgt eine strukturelle Übereinstimmung, die sich auch in der auf Erzählhaltungen basierenden Typologie offenbart: Bei- des sind einfache Formen. Eine auktoriale Erzählsituation mit einem Erzähler in der 1. Person ist die einfachste Verwirklichungsform des aukto- rialen Modus; denn die vermittelnde, kommentierende und wertende Instanz ist in einem Erzähler-Ich konkretisiert, so daß die Subjektivität der Darstellung ohne jeden Spürsinn zu orten ist. Gleichzeitig handelt es sich um eine das erzählende Ich soweit wie möglich marginalisierende Form der Ich-Erzählung. Dementsprechend ist die neutrale Erzählhaltung im vollständigen Zurücktreten hinter dem Geschehen ebenso einfach in der Form wie vollkommen in der Ausgrenzung jeder sich zu erkennen gebenden subjektiven Färbung.

C Figurenrede und Handlung

Die neutrale Erzählhaltung verlangt eine so strenge Zurückhaltung, daß eine komplexe Handlung vielleicht präzise, kaum aber unter Einbezie- hung lebendig wirkender Personen dargestellt werden könnte, gäbe es nicht das Mittel der Figurenrede. Sie entzieht sich der Bestimmung der Erzählerperspektive, weil der Erzähler hinter den scheinbar selbständig sprechenden Figuren zurücktritt. Das nur durch die stereotype Inquitfor- mel vom Erzähler verbundene Personengespräch ist deshalb streng genom- men kein narratives, sondern ein dramatisches Bauelement. Sein sprachli- ches Erscheinungsbild deckt sich zwar prinzipiell mit dem für die „aukto-

80) AZ-ZUBAIR IBN BAKKÄR, ol-Muwaffaqlyöt, S. 61,15f.; 62,l f.; 66,8.

81) ibid., S. 65,8.

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Prosa-Dichtung in der a^bär Überlieferung 27 riale 1. Person** festgestellten,82) doch lassen sich deren semantische und stilistische Merkmale an den meisten Redestücken nicht erkunden, weil den wenigsten Figuren eine subjektive Rede zugestanden wird. Dieses Erscheinungsbild hat seine Ursache darin, daß die Figurenrede häufig nicht der Darstellung von Ansichten einer Figur dient, sondern im Erzähl- zusammenhang funktionalisiert wird. Sie wird so eingesetzt, daß sie den Erzählerbericht teilweise ersetzen kann. Sie dient dazu, ihn zu minimalisie- ren, mit dem Ziel, die dem Erzähler zu Gebote stehenden Verfugung über die (fiktive) erzählte Welt zu kaschieren.

Eine Art derFunktionalisiemng der direkten Rede ist die Vorbereitung der Handlung durch den Befehl. Ein Beispiel ist die Aufforderung 'Alis an den Verwalter, den Speichermeister zu rufen. Der anschließende minimale Erzählerbericht („Da rief er ihn") beschränkt sich auf die einfache Angabe der Handlungsausfuhrung. Der Erzähler hätte diese Sequenz knapper, aber eben erzähltechnisch nicht identisch, durch: „'AK ließ den Speicher- meister rufen" gestalten können. In gleicher Funktion steht 'Alis Aufforde- rung an die Diener, den Zucker zu wiegen. Der Erzählerbericht („Da brach- ten sie die Waage,... Da begannen sie zu wiegen") gilt nur der Handlungs- ausfiihrung. Den Sinnbezug in der erzählten Situation stellt die Figuren- rede her.83)

Reduziert wird die Erzählerrede auch dadurch, daß Handlung z. T. aus- schließlich in der Figurenrede erscheint. Z.B. gelobt 'Ali, sich auf einen Fuß stellen und so stehen bleiben zu wollen. Von seinem Tun berichtet der Erzähler nur: „Da sprang er auf und sagte ..." (es folgt ein Koranvers zur Bekräftigung des Gelübdes).

Der Zeitablauf kommt lediglich in der Figurenrede zur Sprache. Nicht der erzählende Sohn weist daraufhin, daß während der Suche nach Zucker und über cAlis Reden die Nacht verging; es ist (AU selber, der im Gespräch mit den Dienern vom Stand der Plejaden und dem Dahinschwinden der Nacht spricht und den Zeitablauf in die Erzählung einfuhrt.

D Zeitgeflecht

Die Untersuchung der Zeitbezüge setzt an bei der Frage nach der Diffe- renz zwischen der in der Erzählung wirklichen Zeit (und Sukzession), d.h.

82) Da DoLOiEL für die Texte „mit Sprecher" die Unterscheidung von Figuren- rede und Erzählerrede (Ich-Erzählung) berücksichtigt, bleibt die „auktoriale 1. Per- son* der Erzählerrede von der „subjektiven 1. Person" der Figurenrede geschieden.

83) Vgl. auch die in 'Alis Erzählerrede eingebettete Aufforderung des Verwal- ters an seine Frau.

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