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A2086 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3023. Juli 2004
wolle die Politik ein Qualitätsinstitut nach dem Vorbild des staatlichen briti- schen National Institute for Clinical Ex- cellence schaffen, das medizinische Ver- fahren und Arzneimittel Kosten-Nutzen- Analysen unterziehe, berichtete Max Giger vom Schweizer Ärzteverband.
Die Österreicher stellten außerdem ein neues Präventionskonzept vor, das ein Arbeitskreis der Österreichischen Ärztekammer und des Hauptverbandes der Sozialversicherung entwickelt hat.
Erstmals, so Dr. Peter Wöß, Ärztekam- mer für Vorarlberg, orientiere man sich dabei an Versorgungszielen und nicht an einzelnen Untersuchungen. Im Vor- dergrund steht unter anderem die Prävention von Herz-Kreislauf-Er- krankungen, Bluthochdruck, Diabe- tes, Darm-, Gebärmutterhals-, Brust- und Prostatakrebs, Glaukom, Tabak- und Alkoholabhängigkeit. Die zentrale Rolle im neuen Konzept spielen Vöß zufolge die so genannten Vorsorgeärz- te, die die Behandlungen koordinieren, Risikoprofile erstellen und differen- zierte Beratungen anbieten, die auf ge- sunde Lebensführung zielen. Mit einer Umsetzung des neuen Präventionskon- zepts rechnet Wöß in gut einem Jahr.
Angst vor dem gläsernen Arzt
Geteilt wird von den deutschsprachigen Ärzteorganisationen auch die Angst vor dem gläsernen Arzt. „Gefahr droht, wenn die Geschäftsprozesse im Zusam- menhang mit elektronischer Gesund- heitskarte und begleitendem elektroni- schen Arztausweis an die Industrie ver- geben würden“, warnte der stellvertre- tende Hauptgeschäftsführer der Bun- desärztekammer, Dr. med. Otmar Kloi- ber. Diese Hintertür habe sich die deut- sche Regierung mit ihrem zu eng bemes- senen Zeitrahmen für die Umsetzung und der dann drohenden Ersatzvornah- me durch das Bundesgesundheitsmini- sterium offen gelassen. „Das Debakel mit dem Mautsystem Toll Collect hat der Selbstverwaltung die Chance gegeben, es selbst zu versuchen“, sagte Kloiber. Die Ärztekammern hätten dem Gesund- heitsministerium deshalb zugesichert, in- nerhalb der Selbstverwaltung bis 2006 ei- nen elektronischen Heilberufsausweis zur Verfügung zu stellen. Heike Korzilius
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ie Bundesärztekammer (BÄK), Berlin, hat dem neuen Medizini- schen Versorgungszentrum (MVZ) ein ausschließlich von der Ärzteschaft getragenes Versorgungsstrukturmodell entgegengesetzt.Dabei steht ein auf Frei- beruflichkeit und Unabhängigkeit basie- render fachübergreifender Versorgungs- verbund im Mittelpunkt. Das „Versor- gungsstrukturmodell“ der Bundesärzte- kammer müsse sich unterden neuen rechtlichen und finanziellen Rahmen- bedingungen des GKV- Modernisierungsgesetzes (GMG) der Vielgestaltig- keit sowie dem Leistungs- und Vertragswettbewerb konkurrierender Struk- turweiterentwicklungen stellen, so die Bundesärz- tekammer während ihrer jüngsten Klausurtagung in Königstein/Taunus vom 25. bis 27. Juni. Die neuen fachübergreifenden, sek- torenverbindenden und interdisziplinären Ver- sorgungszentren dürften nicht fremdbestimmt wer- den und müssten sich in
die Rechtskonstruktion des SGB V ein- ordnen.
Ärztliche Versorgungszentren sind aus der Sicht der BÄK ein Angebot für alle Ärzte, die sich nicht dem Ein- zelvertragswettbewerb und dem Ein- kaufsdiktat der Krankenkassen unter- werfen wollen. Es soll niedergelasse- nen, selbstständig tätigen und angestell- ten Ärzten sowie dem ärztlichen Nach- wuchs eine neue berufliche Herausfor-
derung und Alternative zu den her- kömmlichen Formen der Berufsaus- übung bieten. Es soll die niedergelasse- nen Ärzte aus ihrer Abhängigkeit von einer Krankenkasse lösen und die Posi- tion des Arztes im Wettbewerb als
„Verkäufer“ stärken.
Ärztliche Versorgungszentren seien die richtige Alternative zur heute noch weitgehend dominierenden Solopraxis in der ambulanten Versor- gung und eine Ergänzung zu Gemeinschaftspraxen, Praxisgemeinschaften und Ärztehäusern.
Der immer mehr durch die Krankenkassen do- minierte Vertragswettbe- werb dürfe keinen Vor- schub dafür leisten, dass Medizinische Versor- gungszentren fremdbe- stimmt werden und an- gestellt tätige Ärzte in der Rechtsform einer Gesell- schaft mit beschränker Haftung, Personenge- meinschaften, BGB-Ge- sellschaften oder Partner- gesellschaften sowie Ak- tiengesellschaften „ver- dingt“ werden, deren Investoren und Ka- pitalgeber Nichtärzte und renditesu- chende Investoren sind.
Auf der Basis des Konzepts der Ar- beitsgruppe „Weiterentwicklung der ambulant-stationären Kooperation“ der Bundesärztekammer unter Vorsitz des Präsidenten der Ärztekammer des Saar- landes, Sanitätsrat Dr. med. Franz Gadomski, und unter Einschaltung der Krankenhausgremien der BÄK unter
Gesundheitsreform/Bundesärztekammer
Kooperative
Versorgungsstrukturen in der Regie der Ärzteschaft
Die Bundesärztekammer entwirft ein Strukturmodell zur sektorenverbindenden Kooperation.
Sanitätsrat Dr. med. Franz Gadomski: „Das BÄK-Modell löst die Ärzte aus der Abhän- gigkeit von einer Kranken- kasse und stärkt ihre Wett- bewerbsposition.“
Foto:Bernhard Eifrig
der Leitung von Rudolf Henke befür- wortet die Kammer ein berufsrechtlich abgesichertes Modell, das eine gemein- same ärztliche Berufsausübung von nie- dergelassenen Ärzten unter gleichzei- tiger Kooperation mit angestellten Ärzten und mit weiteren medizini- schen Fachberufen ermöglicht. Dadurch soll eine ärztlich getragene Alternati- ve zu Strukturmodellen geboten wer- den, wie etwa dem Primärarzt- und hausarztbasierten Kooperationsmodell, bei der die freiwillige Wahlentscheidung der Versicherten und die strukturierte Versorgung in mehreren aufeinander abgestimmten Stufen begrenzt wird.
Der Hausarzt als Koordinator
Uneingeschränkt bekennt sich die Bun- desärztekammer in ihrer Entscheidung für ärztliche Versorgungszentren zur ge- setzlich verankerten Koordinations- und Leitfunktion des Hausarztes. Dies gelte insbesondere für die Überweisung zum Facharzt und bei der Verzahnung zwi- schen ambulanter und hoch spezialisier- ter fachärztlicher stationärer Versorgung.
Großen Wert legt das Modell darauf, die fachärztliche Versorgungsebene und die Befugnisse der Fachärzte festzule- gen, welche Leistungen ebenfalls wohn- ortnah zum Beispiel im Verbund von Haus- und Fachärzten in ärztlichen Versorgungszentren erbracht werden und welche hoch spezialisierten Lei- stungen ergänzend im Krankenhaus zu erbringen sind. Nur so könne eine sinn- volle Arbeitsteilung gewährleistet und könnten kostentreibende Doppelstruk- turen weitgehend vermieden werden.
Das Strukturmodell der Bundesärz- tekammer geht von folgenden Grund- voraussetzungen aus:
> Sicherung der Freiberuflichkeit der Existenzrisiken tragenden nieder- gelassenen Vertragsärzte und ihrer be- ruflichen Unabhängigkeit;
> Weisungsfreiheit von Kostenträ- gern und berufsfremden Dritten und bürokratischen vertraglichen Abhän- gigkeiten;
> Erhaltung und Wiedergewinnung der Definitions- und Steuerungsbefug- nisse der ärztlichen Selbstverwaltung und der ärztlich geleiteten Formen der gemeinsamen Berufsausübung;
> Erhaltung der freien Arztwahl so- wohl im ambulanten als weitgehend auch im stationären Sektor. Durch die zu Jahresbeginn 2004 in Kraft getretene Gesundheitsreform sind die Entwick- lungschancen für ärztlich getragene Ver- sorgungszentren rechtlich sowie finan- ziell begrenzt. Dies bedeutet jedoch aus der Sicht der Bundesärztekammer nicht, dass anonyme Medizinische Versor- gungszentren dominieren und das Ver- tragsgeschehen ökonomisch normieren dürfen. Dies gelte sowohl für die haus- arztzentrierte Versorgung als auch die Verstärkung von bonifizierten Haus- arztmodellen;
> ärztlich getragene Versorgungs- zentren müssten sich auch den im GMG verankerten Optionen offensiv stellen, insbesondere:
> verstärkte krankenhauszentrierte Versorgung und die Möglichkeit, voll- und teilstationären Leistungen des Krankenhauses durch fachärztliche Lei- stungen niedergelassener Vertragsärz- te und die Akutrehabilitation zu er- gänzen;
> finanziell geförderte, fachüber- greifende ambulant-stationäre Versor- gungsformen;
> Einschaltung in die Integrierte Versorgung, die in der Startphase mit einem separaten Finanzierungstopf bis zu 680 Millionen Euro jährlich geför- dert werden soll (§§ 140 a–h SGB V).
Die Bundesärztekammer hat das Re- formmodell darauf angelegt, einer wei- tergehenden Zersplitterung der Versor- gung vor allem im vertragsärztlichen Sektor durch eine Bündelung des Ange- bots und eine bessere Abstimmung ent- gegenzuwirken. Insgesamt müsse in ei- nem von Ärzten getragenen Zentrum die Service- und Beratungsfunktion gestärkt und die Eigenkompetenz der Ärzte in den Vordergrund gerückt werden.
Kongeniale
Organisationsstrukturen
Ein offensiver Integrationswettbewerb müsse sich auch moderner Organisati- onsstrukturen und Führungsprinzipien bedienen, insbesondere erprobter Pra- xisverbünde und ärztlicher Kooperati- onsgemeinschaften – auch im Verbund und in Kooperation mit dem Akutkran-
kenhaus. Bei einer sektorübergreifen- den Versorgung müssten die Kranken- häuser als Einrichtungen der statio- nären und semi-stationären Versorgung und der Notfall- und Feuerwehrinter- vention einbezogen werden.
Ärzte, die sich in ärztlich getragenen Kooperationsformen und in Zentren zusammenschließen, sollten in der Lage sein, postuliert die BÄK, hausarzt- zentrierte, integrierte und fachspezifi- sche Versorgungsformen sowie Disease- Management-Programme kompetent aus einer Hand zu bedienen – und zwar un- ter Umständen auch parallel zuein- ander durch unterschiedliche Einzel- verträge zwischen verschiedenen au- tonomen Krankenkassen. Dies erforde- re neben dem ärztlichen Zusammen- schluss und seiner Ausrichtung auf die verschiedenen Vertragstypen ein pro- fessionelles Vertragsmanagement, das die Vor- und Nachteile der optionalen Vertragsmodelle beurteilen kann, ge- eignete Vergütungsbedingungen und eine funktionierende Abrechnung mit einer Vielzahl von Krankenkassen.
Voraussetzung sei allerdings, dass die neuen Kooperations- und Versorgungs- strukturen mit kongenialen berufs- rechtlichen, sozial- und vertragsrechtli- chen Regulativen begleitet werden. Das Vergütungsrecht (EBM; GOÄ; Kran- kenhausvergütungsrecht) müsse ent- sprechend novelliert werden.
Dies betrifft insbesondere eine rasche und konsequente Umsetzung der durch den 107. Deutschen Ärztetag am 20. Mai in Bremen beschlossenen (Muster-)Be- rufsordnung durch die Landesärzte- kammern und durch die Länderparla- mente, eine gezielte Reform der Zulas- sungsverordnung für Vertragsärzte und eine punktuelle Änderung der Amtli- chen Gebührenordnung für Ärzte.
Eine Installierung von modernen Organisations- und Kooperationsstruk- turen als Antwort auf den forcier- ten Wettbewerb im Gesundheitswesen reiche allerdings nicht, so die Bundes- ärztekammer, um den Konkurrenz- kampf mit anderen vergleichbaren Einrichtungen zu bestehen. Selbstver- ständlich müsse auch ein funktionieren- des Qualitätsmanagement implemen- tiert werden, um die Qualität des Ver- sorgungsangebots tagtäglich neu zu belegen. Dr. rer. pol. Harald Clade P O L I T I K
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