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alaria tropica,Tuberkulose, Cha- gas-Krankheit, Leishmaniose, Schlafkrankheit – an diesen In- fektionen zeigte die Pharmaindustrie in den letzten Jahren kaum Interesse.Nicht zuletzt deshalb leiden weltweit Millionen Menschen an diesen „ver- nachlässigten“ Erkrankungen. Die vor- handenen Medikamente sind aufgrund von Resistenzen unwirksam oder haben zum Teil erhebliche Nebenwirkungen.
Oft sind sie für Patienten in Entwick-
lungsländern unbezahlbar. Lediglich ein Prozent der zwischen 1975 und 1999 neu entwickelten Medikamente diente der Behandlung dieser Infektionen.
Durch das Engagement von nicht pro- fitorientierten Organisationen kommt offenbar nun Bewegung in die Entwick- lung effektiver und kostengünstiger Medikamente.
„Public-private partnership“ (PPP) – so heißt das Zauberwort, das den Still- stand in der Arzneimittelforschung für
die Krankheiten der Entwicklungslän- der beenden soll. Die Idee: Nicht profit- orientierte Organisationen, die sich über Spenden finanzieren, gehen mit Arzneimittelherstellern Partnerschaf- ten ein und fördern durch Finanzsprit- zen Forschungsprojekte. Die Konzerne stellen im Gegenzug ihre Infrastruktur, ihr Know-how und weitere Gelder zur Verfügung. Ziel: Die Pharmafirmen sol- len sich für die Entwicklung neuer Medikamente engagieren, die sich aus marktwirtschaftlicher Sicht nicht lohnen würden.
Beispiele für Organisa- tionen, die PPPs eingehen, gibt es inzwischen zahlrei- che. Die Vereinigung „Me- dicines for Malaria Ven- ture“ (MMV) aus Genf engagiert sich für die Ent- wicklung und Verbreitung neuer Malariamedikamen- te. Projektpartner im Rah- men von PPPs sind No- vartis, Roche, Sanofi und GlaxoSmithKline. Weitere Partnerschaften außerhalb der Pharmaindustrie be- stehen mit Universitäten und anderen Forschungs- instituten in aller Welt. Seit 1999 hat die MMV 113 Millionen US- Dollar von elf privaten und öffentlichen Spendern erhalten. Mehr als die Hälfte davon stammt von der Bill & Melinda Gates Stiftung. Zum Vergleich: Die Weltbank und die WHO zahlten jeweils etwa vier Millionen US-Dollar. Staatli- che Förderung kam vom englischen und niederländischen Entwicklungshil- feministerium. Beteiligt ist die MMV beispielsweise an den Kombinations- präparaten Lapdap (Chlorproguanil/
Dapson) und CDA (Chlorproguanil/
Dapson/Artesunat). GlaxoSmithKline hat diese Arzneimittel unter anderem in Partnerschaft mit einer Forschungs- gruppe der Universität Liverpool und der London School of Tropical Medi- cine entwickelt.
Die „Global Alliance for TB drug de- velopment“ (TB Alliance) mit Sitz in New York wurde im Jahr 2000 in Kap- stadt gegründet. Sie versucht, die Ent- wicklung wirksamer Tuberkulose-Me- dikamente zu fördern – ebenfalls durch PPPs. Die Finanzierung erfolgt durch 30 öffentliche und private Institutionen wie die WHO, die Weltbank, das US- Entwicklungshilfeministerium und die Rockefeller-Stiftung. Auch die TB Alli- ance erhält einen großen Teil ihrer Unterstützung von der Bill & Melinda Gates Stiftung.
Neue Therapien gegen Tbc
Die Organisation hat die Verkürzung der Therapiedauer auf zwei Monate zu ihrem mittelfristigen Ziel erklärt. Klini- sche Tests laufen bereits mit der Kom- bination Moxifloxacin (Bayer), Rifam- picin und Pyrazinamid. Diese Medika- tion soll eine Heilung in drei bis vier Monaten ermöglichen. Mit dem Ein- satz von Diarylquinolin (R207910) von Johnson&Johnson im Rahmen einer Kombinationstherapie kann die Be- handlungsdauer möglicherweise auf zwei Monate verringert werden. Nicht optimal, aber immerhin besser als sechs Monate, oder wie es Melvin Spigelman von der TB Alliance ausdrückt: „Das Glas ist zwar immer noch halb leer, aber auch schon halb voll.“ Große Hoffnungen setzt man außerdem auf das Nitroimidazol PA-824. Ursprüng- lich wurde es für die Krebstherapie ent- wickelt. Nun hofft man, ein geeignetes Mittel gegen multiresistente Tuberku- lose gefunden zu haben. Eine Kombi- nation mit antiretroviralen Medika- menten ist offenbar möglich. Durch ein Abkommen mit dem Unternehmen Chiron erlangte die TB Alliance die Rechte an dem Präparat. Eine PPP mit Novartis strebt eine weitere Er- forschung verwandter Substanzen an.
PA-824 befindet sich bislang noch nicht
in klinischer Testung.
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A1492 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 2127. Mai 2005
Arzneimittelforschung
Neue Freunde gegen alte Feinde
Public-private partnerships und gemeinnützige Pharmaunter- nehmen engagieren sich im Kampf gegen Malaria tropica und Tuberkulose. Wichtiger Geldgeber ist Bill Gates.
Microsoft macht’s möglich: vier Milliarden US-Dollar aus der Bill & Melinda Gates Stiftung für die Weltgesundheit
Foto:dpa
Die „Drugs for neglected diseases Initiative“(DNDI) aus Genf wurde 2003 unter anderem von „Ärzte ohne Gren- zen“, dem malaysischen Gesundheits- ministerium und dem französischen In- stitut Pasteur gegründet. Die Geldgeber kommen in erster Linie aus dem öffent- lichen Sektor und sind neben den Grün- dungsmitgliedern die EU und das Gen- fer Kanton. Der Etat für die nächsten zehn Jahre beträgt 255 Millionen Euro.
Ein erster großer Erfolg: Durch ein Ab- kommen zwischen Sanofi-Aventis und der DNDI wird ein neues Malariamedi- kament auf Artemisin-Basis auf den Markt kommen. Das Kombinations- präparat aus Amiodaquin und Artesu- nat wird einerseits kostengünstig sein, andererseits verzichtet Sanofi auf das Patent. Für Simon Croft, Forschungs- und Entwicklungsleiter der DNDI, ist es wichtig, dass privater und öffentlicher
Sektor im Interesse der Menschen an ei- nem Strang ziehen: „Wir müssen das Wissen, das wir haben, teilen.“
Entwicklung nicht rentabler Arzneimittel
Einen neuen Weg beschreitet das Insti- tute for One World Health (IOWH). Es handelt sich um ein gemeinnütziges Pharmaunternehmen. Als nicht profit- orientierte Firma konzentriert sich das IOWH auf die Entwicklung von Arz- neimitteln, die nicht rentabel sind. Im Mittelpunkt stehen hier die Leishma- niose, die Chagas-Krankheit und die Malaria tropica. Erfolge kann das Un- ternehmen in der Therapie der viszera- len Leishmaniose verzeichnen, an der noch immer jährlich circa 200 000 Men- schen sterben. Das Präparat Paro-
momycin hat sich hier als effektiv und nebenwirkungsarm erwiesen. WHO und IOWH erhielten von Pharmacia (jetzt Pfizer) die Rechte an der intra- muskulär injizierbaren Form des Präparates. Eine lukrative Vermark- tung war nicht zu erwarten. Das IOWH führte die klinische Testung durch.
Noch in diesem Jahr soll das Präparat auf den Markt kommen.
Wer selbst keinen Gewinn erwirt- schaftet, ist auf andere angewiesen: Das IOWH finanziert sich aus Spenden.Von den 17,39 Millionen US-Dollar, die das Leishmaniose-Projekt bisher erhalten hat, stammen 17,25 Millionen von der Bill & Melinda Gates Stiftung. Für die Malaria-Forschung des IOWH sagte die Stiftung mehr als 40 Millionen US- Dollar zu. Die herausragende Stellung, die Microsoft in der Computerbranche einnimmt, kommt der Gates-Stiftung mittlerweile in der Arzneimittelfor- schung für „vernachlässigte“ Erkran- kungen zu. Mehr als vier Milliarden US-Dollar flossen bereits in Weltge- sundheitsprojekte. Das Vermögen von Bill Gates wird auf etwa 46 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Dass das Engagement für die Dritte Welt imagefördernd sein kann, hat sich mittlerweile auch in der Arzneimittelin- dustrie herumgesprochen. Das Interes- se an PPPs ist groß. Novartis unterhält ein Forschungslabor in Singapur, in dem sich Wissenschaftler in erster Linie mit Tuberkulose und Dengue-Fieber befas- sen. AstraZeneca hat in Bangalore ein Zentrum zur Entwickung neuer Tuber- kulose-Medikamente eingerichtet.
GlaxoSmithKline betreibt ein For- schungszentrum mit 100 Mitarbeitern in Tres Cantos bei Madrid eigens zur Ent- wicklung neuer Medikamente für die Erkrankungen von Entwicklungslän- dern, insbesondere Malaria und Tuber- kulose. Im Rahmen von PPPs beteiligen sich die TB Alliance und die MMV. Sie bezahlen die Hälfte der Mitarbeiter in Tres Cantos. Das Engagement des Phar- ma-Riesen erklärt Lynn Marks, Vize- Präsident für die Medikamentenent- wicklung gegen Infektionskrankheiten bei GlaxoSmithKline, mit der sozialen Verantwortung des Konzerns: „Es ist nicht genug, ein gutes Unternehmen zu sein. Wir wollen ein großartiges Unter- nehmen sein.“ Dr. med. Birgit Hibbeler P O L I T I K
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A1494 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 2127. Mai 2005
DÄ:Wie kamen Sie dazu, ein gemeinnütziges Pharma- unternehmen zu gründen?
Hale:Unser Schwerpunkt waren die vernachlässigten Erkrankungen der Entwick- lungsländer. Daher war es unmöglich, Risikokapital auf- zutreiben. Wir mussten uns zunächst um Spenden küm- mern und den Weg der Ge- meinnützigkeit einschlagen.
Das hat außerdem den Vor- teil, dass niemand One World Health kaufen oder damit fu- sionieren kann. Als Non-pro- fit-Unternehmen sind wir un- abhängig und können unsere eigenen Ziele verfolgen.
DÄ: Warum konzentrie- ren Sie sich momentan auf Leishmaniose?
Hale: In unserem ersten Projekt wollten wir uns auf parasitäre Erkrankungen konzentrieren, denn diese Krankheiten hängen eng mit Armut zusammen. Ich selbst habe die verheerenden Aus- wirkungen von Leishmaniose in einer der ärmsten Regio- nen Indiens, Bihar, gesehen.
Mit Paromomycin hatten wir zudem ein Erfolg versprechen- des Präparat. Weil es bereits jahrzehntelang für andere In- dikationen auf dem Markt gewesen war, wussten wir, dass es nebenwirkungsarm ist. Der wohl wichtigste Grund war, dass die indische Regie- rung ein Programm zur Aus- rottung der Leishmaniose plante und nur auf ein wirk- sames Medikament wartete.
DÄ:Die Gelder des IOWH stammen in erster Linie von der Gates-Stiftung. Fühlen Sie sich da nicht abhängig?
Hale:Wir sind der Gates- Stiftung sehr dankbar für die Unterstützung unserer Ent- wicklungsprojekte für Medi- kamente und Impfungen. Al-
lerdings benötigen wir neben den derzeitigen Fördergel- dern weitere Mittel. Dafür wollen wir auch andere Geld- quellen erschließen. Das trägt dazu bei, unseren Bestand langfristig zu sichern.
DÄ:Welche Zukunftsplä- ne haben Sie?
Hale: Unser Nahziel ist die Zulassung von Paro- momycin gegen Leishmanio- se in Indien noch in diesem Jahr. Stellen Sie sich die Schlagzeile vor: „Non-profit- Pharmaunternehmen be- kommt Medikamentenzulas- sung.“ Die Entwicklung von Präparaten gegen Malaria und Durchfallerkrankungen steht außerdem auf unserer Agenda.
Dr. Victoria Hale ist pharmazeuti- sche Chemikerin. Sie gründete in San Francisco das gemeinnützige Pharmaunternehmen „Institute for One World Health“. Erster großer Erfolg: Paromomycin ge- gen Leishmaniose. Noch in die- sem Jahr soll das Präparat in In- dien die Zulassung erhalten.
Foto:OneWorldHealth
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