B. II. Gesundheitsvorsorge und Krankheitsfrüherkennung
> Vorsorgeuntersuchungen für Männer ab Beginn des 45. Lebens- jahres zur Krebsfrüherkennung.
Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen, dem die Gestal- tung der Programme für die ge- setzliche Krankenversicherung im einzelnen übertragen war, mußte bei Auswahl und Inhalt folgende im Gesetz selbst fixierte Anforderun- gen berücksichtigen:
> Es muß sich um Krankheiten handeln, die wirksam behandelt werden können,
> das Vor- und Frühstadium die- ser Krankheiten muß durch diagno- stische Maßnahmen erfaßbar sein,
> die Krankheitszeichen müssen medizinisch und technisch genü- gend eindeutig zu erfassen sein und
> schließlich müssen genügend Ärzte und Einrichtungen vorhanden sein, um die aufgefundenen Ver- dachtsfälle eingehend zu diagnosti- zieren und zu behandeln.
Diese Anforderungen, die für alle im Gesetz genannten Untersu- chungskomplexe gelten, haben Gültigkeit auch für künftige Maß- nahmen zur Krankheitsfrüherken- nung, die durch dieses Gesetz aus- drücklich ermöglicht werden.
Für das Zustandekommen auch der 1971 eingeführten Vorsorgemaß- nahmen im Rahmen der gesetzli- chen Krankenversicherungen ha- ben die Vorsorgeprogramme der Bundesärztekammer Pate gestan- den. Sie lagen — von den Deut- schen Ärztetagen der Öffentlichkeit vorgelegt — im Jahre 1970, als die Vorsorgemaßnahmen gesetzlich fixiert wurden, teilweise bereits mehrere Jahre vor. Sie wurden je- doch nicht in ihrem vollen Umfang in die gesetzlichen Programme übernommen. Insbesondere das Vorsorgeprogramm der Bundesärz- tekammer für Männer war wesent- lich umfangreicher als das gesetz- lich eingeführte. Neben der Fähr- tensuche nach Mastdarm- und Prostatakrebs sah das Bundesärz- tekammerprogramm auch eine sol- che nach Diabetes und Gefährdun-
gen des Herz-Kreislaufsystems vor sowie nach „Warnzeichen" auf wei- tere nach der Todesursachenstati- stik bei Männern besonders häufi- gen Krebserkrankungen insbeson- dere nach Bronchial- und Magen- CA. Die Beschränkung des Pro- gramms auf die obengenannten Krebsvorsorgeuntersuchungen und auf eine Fährtensuche auf Diabetes dürfte mit ein Grund dafür sein, daß dieses Programm von den an- spruchsberechtigten Männern bis- her noch zu wenig genutzt wurde.
Appell des Deutschen Ärztetages
Der 74. Deutsche Ärztetag hat die Einführung von Vorsorgeuntersu- chungen nochmals ausdrücklich begrüßt und darauf hingewiesen, daß der Bevölkerung damit weitere wesentliche Möglichkeiten der Präventivmedizin erschlossen wer- den. Er appellierte
> an die Ärzteschaft, sich dieser neuen Aufgabe bereitwillig anzu- nehmen,
> an die Bevölkerung, die angebo- tenen Möglichkeiten zur Früher- kennung von Krankheiten zu nut- zen,
I> an die Kassenärztlichen Vereini- gungen, im Rahmen der durch die Berufsordnung gegebenen Regeln, diejenigen Ärzte tätig werden zu lassen, die bereit und in der Lage sind, für ihre Person als Kassen- ärzte oder als „ermächtigte" Ärzte an Vorsorgeuntersuchungen teilzu- nehmen, und
> an die Vertragspartner der Kas- senärztlichen Vereinigungen bei der Vereinbarung der Honorare für diese Vorsorgeuntersuchungen, deren Wert für die Volksgesundheit angemessen zu berücksichtigen.
Allen an der Gestaltung der Vor- sorgeprogramme im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung zwischen Ärzten und Krankenkas- sen Beteiligten, empfahl der Deut- sche Ärztetag, die durch den Stand der medizinischen Wissenschaft und das Gesetz gegebenen Mög- lichkeiten voll auszuschöpfen.
3. Beteiligung von Ärzten an Vorsorge- untersuchungen
Ausgehend vom Aufruf des Deut- schen Ärztetages im Rahmen der durch die Berufsordnung gegebe- nen Regeln, an den Vorsorgeunter- suchungen alle Ärzte zu beteiligen, die dazu bereit und in der Lage sind, verabschiedete der Deutsche Ärztetag eine Ergänzung der Wei- terbildungsordnung von 1970. Da- nach können Vorsorgeuntersu- chungen, die in verschiedene Fachgebiete fallen, solche Ärzte durchführen, zu deren Fachgebiet wesentliche Teile des Programms gehören, sofern sie die notwendi- gen Kenntnisse, Erfahrungen und Einrichtungen auch für die Durch- führung des übrigen Programms besitzen. Der Vorstand der Bun- desärztekammer legte hiervon aus- gehend Mitte Juli 1971 im einzel- nen fest, welche ärztlichen Fach- gruppen sich an den Vorsorgepro- grammen beteiligen können und gab den Landesärztekammern zur Ergänzung ihrer Berufsordnungen detaillierte Empfehlungen.
Da die Vorsorgeuntersuchungen im Rahmen der kassenärztlichen Ver- sorgung durchgeführt werden, liegt es bei den Kassenärztlichen Verei- nigungen und den gemeinsamen Selbstverwaltungseinrichtungen der Ärzte und Krankenkassen, ei- ner hinreichenden Zahl erfahrener Ärzte nicht nur aus freier Praxis sondern auch aus den Bereichen öffentlicher Gesundheitsdienst und Krankenhaus die Teilnahme an den Untersuchungen zu ermöglichen;
diese Ärzte sind für ihre Person an der Durchführung zu beteiligen.
Einigen Schwierigkeiten der Betei- ligung von Krankenhausärzten an den Vorsorgeuntersuchungen dürf- ten durch eine revidierte Empfeh- lung der Deutschen Krankenhaus- gesellschaft wohl begegnet werden können. Voraussetzung zur Teil- nahme für ermächtigte Kranken- hausärzte ist danach eine vom Krankenhausträger „ausgespro- chene" Genehmigung zur Vornah- me von Vorsorgeuntersuchungen im Nebenamt. Die Bereitschaft der Deutschen Krankenhausgesell-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Sondernummer 26a vom 19. 7. 1974 1939
B. II. Gesundheitsvorsorge und Krankheitsfrüherkennung
schaft, den ermächtigten Kranken- hausärzten — abweichend von der früheren DKG-Auffassung — die Li- quidationsberechtigung zuzuerken- nen, beruht unter anderem auf der von einigen ihrer Gremien getroffe- nen Feststellung, daß eine Reihe von Krankenhausträgern und Kran-
kenhäusern in der Praxis von der ursprünglichen Empfehlung der DKG vom 25. Juni 1971 abgewi- chen seien. Abweichende Einstel- lungen waren auch im Berichtsjahr zu beobachten; es sollte nicht ver- kannt werden, daß von verschiede- nen Seiten die Absicht verfolgt wird, die Durchführung von Vorsor- geuntersuchungen zur Dienstauf- gabe (mit entsprechenden Folgen für die Honorierung) von Kranken- hausärzten zu machen.
Die Kassenärztlichen Vereinigun- gen haben darauf hingewiesen, daß entsprechend den Absätzen 2 und 3 des neugefaßten Paragra- phen 10a des Bundesmantelvertra- ges/Ärzte bzw. durch die entspre- chenden Bestimmungen des Arzt- Ersatzkassen-Vertrags generelle Ermächtigungen für qualifizierte nachgeordnete Ärzte hinsichtlich der Neugeborenenuntersuchungen ausgesprochen worden sind. Diese Bestimmungen lauten wie folgt:
(2) Die Neugeborenen-Erstunter- suchungen nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen können die- jenigen Ärzte ausführen, die die Geburt leiten, auch wenn sie zur kassenärztlichen Tätigkeit nicht zu- gelassen oder an ihr nicht betei- ligt sind.
(3) Die Neugeborenen-Basisunter- suchung nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen können in Entbin- dungs- und Krankenanstalten die- jenigen Ärzte ausführen, die die Säuglingsstation leiten oder ver- antwortlich betreuen, auch wenn sie zur kassenärztlichen Tätigkeit nicht zugelassen oder an ihr nicht beteiligt sind.
Darüber hinaus können gemäß § 10 Absatz 4 des Bundesmantelvertra- ges/Ärzte Kassenärztliche Vereini- gungen im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkas-
sen über den Kreis der ohnehin zu- gelassenen oder beteiligten (bzw.
ermächtigten) Ärzte hinaus weitere Ärzte zur Durchführung von Früh- erkennungsmaßnahmen ermächti- gen, welche die in den Richtlinien geforderten Voraussetzungen per- sönlicher und apparativer Art erfül- len. In Frage kommen beispielswei- se die an Gesundheitsämtern täti- gen Ärzte. Denkbar ist ebenfalls eine Ermächtigung qualifizierter Vertrauens- und Betriebsärzte.
Die Bundesärztekammer begrüßt alle Maßnahmen, die darauf hinzie- len, das gesamte Potential der ver- fügbaren, zur Mitwirkung bereiten Ärzte aller Tätigkeitsbereiche in Anspruch zu nehmen. Der Erfolg der gesetzlich eingeführten Vorsor- gemaßnahmen wird entscheidend auch von der Beteiligung möglichst vieler interessierter und befähigter Ärzte abhängen, um auch in die- sem Bereich den Grundsatz der freien Arztwahl beizubehalten. Die Durchführung der Vorsorgemaß- nahmen im Rahmen des kassen- ärztlichen „Sicherstellungsauftra- ges" ist einem großen und häufig kritischen Interesse der Öffentlich- keit begegnet. Um so wichtiger war es zu zeigen, daß die Ärzteschaft und ihre Selbstverwaltung durch- aus in der Lage sind, diese Aufga- be zu erfüllen.
4. Inanspruchnahme von Vorsorge- untersuchungen
Der Erfolg der Vorsorgemaßnah- men ist vor allem von der mög- lichst breiten Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen durch unsere Bevölkerung abhän- gig. Der erste Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die In- anspruchnahme der Früherken- nungsmaßnahmen hat gezeigt, daß die gebotenen Möglichkeiten bis- her noch nicht genügend genutzt werden. Es werden noch erhebli- che Anstrengungen notwendig sein, die Bevölkerung durch Auf- klärung und Gesundheitserziehung dahin zu bringen, daß die zur Ver- fügung stehende Vorsorgemöglich- keit auch genutzt wird. Die nach dem Gesetz den Krankenkassen
und den Kassenärztlichen Vereini- gungen obliegende besondere Auf- klärungspflicht der Versicherten muß auch weiterhin sowohl durch breitgestreute Allgemeininforma- tion als auch durch die individuelle Aufklärung und Ansprache erfüllt werden. Auch die Landesärztekam- mern sind durch den Vorstand der Bundesärztekammer gebeten wor- den, alle möglichen und geeigne- ten Schritte zu unternehmen, um das Gelingen der Vorsorgeuntersu- chungen auf breiter Basis zu för- dern. Angeregt wurden ständige In- formationen über die gesamte ärzt- liche Fachpresse, die Pressestellen und ebenso über Wartezimmerzeit- schriften sowie durch Aushang in den Arztpraxen.
Für eine Annahme der Vorsorgeun- tersuchungen durch die Bevölke- rung ist desweiteren die Form der Durchführung und der Ankündi- gung dieser Untersuchungen wich- tig. Die Bundesärztekammer hat dazu empfohlen, besondere Vor- sorgesprechstunden einzurichten, um lange Wartezeiten zu vermei- den. Der 76. Deutsche Ärztetag be- tonte noch einmal, daß die Ankün- digung der Vornahme von Früher- kennungs- und Vorsorgeuntersu- chungen in der Praxis zulässig ist und im Einklang mit den einschlägi- gen Berufsordnungsbestimmungen steht.
Neben vermehrter Information kön- nen in Zukunft auch zusätzliche Vorsorgemaßnahmen bzw. ergän- zende Programme einen günstigen Einfluß auf die Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen ha- ben.
5. Fortbildung über die Früherkennungs- programme
Der Erfolg der Vorsorgemaßna- men hängt auch von der exakten und systematischen Durchführung durch den Arzt ab, so wie das die jeweiligen Richtlinien des Bundes- ausschusses Ärzte und Kranken- kassen für die einzelnen Vorsorge- programme festlegen. Das Informa- tionsbedürfnis der Ärzteschaft über die Vorsorgeuntersuchungen wird
1940 Sondernummer 26a vom 19. 7. 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT