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Gedenken an NS-Vergangenheit im öffentlichen Raum: Debatten, Darstellungsformen, Orte

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Academic year: 2022

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Christoph Thanner

Gedenken an NS-Vergangenheit im öffentlichen Raum

Debatten, Darstellungsformen, Orte

Lehrgebiet Geschichte der Europäischen Moderne Hausarbeit

Fakultät für

Kultur- und

Sozialwissen-

schaften

(2)

FernUniversität in Hagen Historisches Institut Sommersemester 2020

Akademiestudium im Rahmen des BA Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Geschichte Modul G6 – Politische Kultur- und Sozialgeschichte

Betreuer der Hausarbeit Florian Gregor, M.A.

Gedenken an NS-Vergangenheit im öffentlichen Raum – Debatten, Darstellungsformen, Orte

vorgelegt von:

Christoph Thanner, BA vorgelegt am: 08.10.2020

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2 Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ... 3

2 Entwicklung von Darstellungsformen von NS-Vergangenheit im öffentlichen Raum ... 4

3 Debatten über das Gedenken an mittlerweile verstorbene NS-Täter ... 8

3.1 Josef Vallaster – Kriegerdenkmal der Gemeinde Silbertal ... 8

3.2 Adolf Hitler – Geburtshaus ... 12

4 Umgang mit Personen die sich in Ausübung öffentlicher Ämter / Funktionen ihrer NS-Vergangenheit stellen mussten ... 15

4.1 Taras Borodajkewycz... 15

4.2 Kurt Waldheim ... 17

5 Fazit ... 20

Literaturverzeichnis ... 21

Quellenverzeichnis ... 23

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3 1 Einleitung

Vorbemerkung: Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird ein generisches Maskulinum als Anredeform für alle Geschlechter verwendet.

Die Erinnerung an die NS-Vergangenheit ist nicht nur durch gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen stetem Wandel unterworfen. Für die historische Forschung ist sicherlich von Bedeutung, dass es einerseits immer weniger Zeitzeugen gibt die beispielsweise im Rahmen von Oral History-Projekten Zeugnis des erlebten ablegen können, sich aber andererseits durch Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen immer wieder neue Erkenntnisse ergeben. Wie sich an den Beispielen darstellen lässt, ist die Frage nach einer angemessenen Gestaltung, Art und Weise und Nutzung eines historisch aufgeladenen Ortes immer wieder aktuell.

Wie hat sich also das Gedenken an NS-Vergangenheit im öffentlichen Raum seit dem Ende des 2. Weltkriegs in Österreich entwickelt? Anhand von konkreten Beispielen möchte ich zeigen, dass sowohl die Debatten (und deren Resultate), als auch die Darstellungen und Orte des Gedenkens stets von allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungslinien der Erinnerung beeinflusst waren und sind. Es ist bei der Betrachtung der Debatten wichtig aufzuzeigen, welche Aspekte des Wirkens während der Debatte öffentlich diskutiert wurden und wie diese bewertet wurden. Ebenso ist zu analysieren welche Gruppen, Institutionen oder andere Teile der Zivilgesellschaft versucht haben, auf die Debatte Einfluss zu nehmen und woher dieses Interesse an der Debatte stammt. Wer traf letztlich die Entscheidung und wen banden die Entscheidungsträger in welchem Ausmaß ein und wen nicht? Mit von zentraler Bedeutung ist auch die Betrachtung der Entstehung oder Entwicklung einer eventuell physisch vorhandenen Gedenkstätte als Ort öffentlichen Erinnerns. Auch Darstellungsformen und die physische Gestaltung von Gedenkorten kann nicht abgekoppelt von allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen betrachtet werden. Wurden Räumlichkeiten, Denkmäler oder Orte der Erinnerungskultur über die Jahre hinweg die stets auf die gleiche Art und Weise und im gleichen Ausmaß genutzt? Die Auswahl der konkreten Beispiele soll die Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Die beispielhaft herausgegriffenen Personen können natürlich nur als Symbole für verschiedene Gruppen aus der Zeit der NS-Herrschaft stehen, sind keinesfalls verallgemeinernd zu sehen.

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4 2 Entwicklung von Darstellungsformen von NS-Vergangenheit im öffentlichen

Raum

Für die Entwicklung von Denkmälern in Österreich waren unter anderem bundespolitische Änderungen stets von großer Bedeutung, eine Einordnung und Strukturierung hat Heidemarie Uhl am Beispiel der Steiermark innerhalb dreier Phasen durchgeführt, nach der die Denkmäler entsprechend ihrer Intention und Errichter über die Jahre eingeordnet werden können (vgl.

Winsauer, 2011, S. 17). Der Bundespolitik übergeordnet sind allgemeine gesellschaftliche Entwicklungslinien im Hinterkopf zu behalten, denn sie beeinflussen die politischen Entscheidungsträger mehr als das umgekehrt der Fall ist.

Schon in der ersten, durch Antifaschismus geprägten, Phase bis 1949/1950 nahmen die damaligen Großparteien mit dem Ziel der Schaffung einer Basis für die wiederentstandene Republik und der Bestätigung der Opferthese Einfluss auf die Denkmalkultur und setzten politischen Opfern der NS-Herrschaft sowie Widerstands- und Freiheitskämpfern Denkmäler (ebd. Winsauer, 2011, S. 18). Bereits hier lässt sich feststellen, dass die neuen, insbesondere die lokalen, politischen Machtverhältnisse entscheidenden Einfluss auf Gestaltung, Umsetzung und Verortung von Gedenkstätten jeglicher Art hatten, was auch bedeutet, dass in eher ruralen Gebieten, in denen die vormals Verfolgten keinen nennenswerten politischen Organisationsgrad aufweisen konnten, auch dementsprechend weniger Gedenkstätten für Opfer der NS-Herrschaft errichtet wurden (vgl. ebd., S. 18 f.). Die Parteipolitik erwies sich auch bei der ersten Veränderung dieser Denkmalkultur als treibende Kraft: Die Versuchung der Gewinnung der Minderbelasteten als wieder verfügbares Elektorat war sehr stark (vgl. Forster, 2012, S. 60).

Dazu kam, dass die ÖVP sich mehr in Richtung Gedenken an Gefallene und die SPÖ sich in Richtung Februaraufstand 1934 zu orientieren begann, und so blieb von den damals bedeutenden Parteien nur die KPÖ die konsequent die Linie der Erinnerung an die Opfer beibehielt, darüber hinaus schien es aufgrund der Tatsache, dass Österreich ein sehr stabiles Verhältnis zu den (ehemaligen) Besatzungsmächten pflegte nicht mehr zwingend notwendig, die Opfer des Widerstandes weiterhin mit Nachdruck herauszustreichen (vgl. Winsauer, 2011, S. 19). Der Wille, entnazifizierte wieder zu integrieren hatte zur Folge, dass Opfer und Mitläufer als Österreicher mit einem angeblich gemeinsamen Opferschicksal „vermengt“ wurden, was auch die Nicht-Beschäftigung mit unangenehmen Wahrheiten erleichterte, beginnende Rehabilitierungen und (tendenziell eher im ruralen Raum) kritischere Haltung gegenüber Widerstandskämpfern waren ebenso Teil der neuen Erinnerungskultur (vgl. ebd., S. 20).

In dieser ab 1949/1950 startenden Phase verschob sich der Fokus nun ganz deutlich in Richtung Gedenkstätten für Gefallene, in fast jeder Gemeinde wurde eine solche errichtet oder ein

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5 bestehendes Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs angepasst (vgl. Forster, 2012, S. 60 f.). Prägend für die Denkmäler dieser Zeit war die häufige und schlichte Nutzung der Jahreszahlen „1939-1945“ ohne jegliche Kontextualisierung, was so die Erzählung einer gesamthaft leidenden Bevölkerung ermöglichte, ebenfalls ermöglichte der Verzicht auf Kontextualisierung der Ereignisse insbesondere bei Denkmälern die an beide Weltkriege erinnerten, dass wahlweise Österreich, der NS-Staat oder gar die Monarchie als geistiger Hintergrund und Verortung dienen konnten (vgl. Winsauer, 2011, S. 21). Eine mangelnde Kontextualisierung macht auch die Einordnung der auf den Denkmälern aufgeführten als schlichte Opfer denkbar leicht. Emotionen wie Erinnerung und Trauer standen im Vordergrund, wissenschaftliche Klar- und Wahrheit nicht (vgl. Winsauer, 2011, S. 29).

Kriegerdenkmäler sind auffällig oft in, an, oder in unmittelbarer Nähe kirchlicher Einrichtungen zu finden, was die Bedeutung der katholischen Kirche für die Gedenkkultur der Zeit unterstreicht, ein Umstand der wohl auf die Tradition der Militärseelsorge und die allgemeine Verantwortung der Kirche für Todesopfer zurückzuführen ist (vgl. Winsauer, 2011, S. 41).

Außerdem hatte die katholische Kirche wohl den Vorteil, dass sie als Organisation über sehr stabile, kleinteilige und auch Kriege überdauernde Strukturen verfügte und so immer eine starke Rolle einnehmen konnte, während andere Organisationen strukturell und auch personell stärker in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das Gefallenengedenken und damit auch eine persönliche emotionale Bindung war wohl auch ein Grund für die starke Verankerung des Gefallenengedenkens in Österreich, ein Faktor, der mit dem Fortschreiten der demografischen Entwicklung an Kraft verlieren sollte.

Um die 1960er Jahre, sprich nach dem Abzug der Besatzungsmächte, entstanden Denkmäler die, über die zuvor beobachtbare lokale Ebene hinaus, auch das Gedenken eines gesamten Bundeslandes darstellen sollten, hier war der Österreichische Kameradschaftsbund federführend, der das auch dabei war, Denkmäler für Opfer der NS-Herrschaft, mehrmals öffentlich zu diskreditieren und so den Konflikt zwischen den Erinnerungslinien zu schüren, Linien, die eine Art Kompromiss in den „Mahnmählern für die Opfer des Krieges“ finden, wo der Krieg als alles überstrahlendes Übel vorangestellt wird (vgl. ebd., S. 23 f.).

Der gesellschaftliche Wandel in den 1960er Jahren, der sich beispielsweise durch den Beginn kritischen Journalismus, eine politisierte Studentenschaft und erste Verjüngungsprozesse innerhalb der großen Parteien bemerkbar machte, ermöglichte aber auch bedeutende Veränderungen in Erinnerungskultur und Haltung zur Geschichte (vgl. Forster, 2012, S. 61). Im Lichte der Affäre Borodajkewycz in den 1960er Jahren bekannte sich die Republik in Form der Gedenkstätte im Äußeren Burgtor erstmals in Denkmalsform zum Widerstand gegen die NS-

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6 Herrschaft (vgl. Lehnguth, 2013, S. 66). Bemerkenswerterweise befindet sich dieses Denkmal ganz in der Nähe des Heldendenkmal des Ständestaates, das für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs errichtet wurde und später auch für die des Zweiten Weltkriegs als Denkmal diente, eine interessante Symbolisierung der auseinandergehenden Interpretationslinien der Geschichte (vgl. Forster, 2012, S. 61). Die 1960er Jahre waren so also nicht mehr so sehr vom Gefallenengedenken dominiert, der angesprochene gesellschaftliche Wandel sorgte erstmals dafür, dass nicht mehr entweder nur Gedenken an den antifaschistischen Widerstand oder nur an im Krieg gefallene dominant war, sondern dass beides ein Stück weit parallel möglich schien.

Eine bemerkenswerte Entwicklung angesichts der Tatsache, dass die sich dem Gefallenengedenken verpflichtet fühlende ÖVP noch eine politische Führungsrolle im Land innehatte und die KPÖ als Verfechterin des Gedenkens an den antifaschistischen Widerstand in Richtung politische Bedeutungslosigkeit abdriftete.

Die dritte Phase setzt ab den 1980er Jahren ein, in der die bis dahin scheinbar festgesetzten Erinnerungsformen für gefallene Soldaten und Widerständler mit dem Ziel aufgebrochen wurden, bisher noch nicht beleuchtetes in den öffentlichen Fokus zu stellen, des Weiteren fand eine Kontextualisierung der regionalen Kriegshandlungen mit dem NS-Regime und dessen Handlungen statt (Winsauer, 2011). Dem Veränderungsbestreben kam auch die Affäre Waldheim im Jahr 1986 zugute, da sie internationale Reaktionen provozierte, Österreich so voll in den Fokus stelle und zumindest eine kritische Diskussion um eine Neubewertung geradezu unabdingbar machte (vgl. ebd., S. 26). Sie stellte hier sowohl gesellschaftlich als auch wissenschaftlich eine Zäsur dar, denn Opferthese und wissenschaftlicher Fokus auf Verfolge und Widerständler wurden zugunsten einer Auseinandersetzung mit österreichischer Beteiligung an NS-Verbrechen beiseitegeschoben, wodurch es zu einer Anerkennung österreichischer Mitverantwortung kam (vgl. Forster, 2012, S. 62). 1988 wurden in Graz und Leoben Denkmäler für die Vernichtung jüdischen Lebens errichtet, die ersten ihrer Art in Österreich (vgl. Winsauer, 2011, S. 27 f.). Ab den 1990er Jahren wurden dann auch materielle Schritte des Gedenkens an die NS-Vergangenheit in Form von Wiedergutmachung gesetzt, wie beispielsweise der „Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus“ oder der „Allgemeine Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus“, zudem wurden Denkmalprojekte wie die Errichtung des Holocaust- Denkmals in Wien gestartet (vgl. Forster, 2012, S. 63 f.). Je mehr Zeit seit dem Krieg vergangen ist, desto eher zeichnen sich Aufarbeitungsprozesse und Neugestaltungen durch bewusste Involvierung von Expertengruppen, oft bestehend aus unter anderem Historikern und Juristen, und verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft aus, sei es durch aktive „Einmischung“ wie

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7 im Beispiel Silbertal, oder durch Einberufung durch politische Entscheidungsträger, wie in den Fällen Waldheim oder Braunau. Die demografische Entwicklung spielte hier sicherlich auch eine Rolle – Gruppen die zahlenmäßig nicht (mehr) so stark sind haben auch weniger Möglichkeiten, auf Debatten einzuwirken. So können an den später im Text beschriebenen Debatten also sowohl sich auf lokaler als auch auf landesweiter und zum Teil internationaler Ebene abspielende gesellschaftliche Entwicklungen und Öffnungsprozesse abgelesen werden die für Analyse des Gedenkens und die wissenschaftliche Aufarbeitung relevant sind.

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8 3 Debatten über das Gedenken an mittlerweile verstorbene NS-Täter

Josef Vallaster soll hier beispielhaft für jene NS-Täter behandelt werden, deren Gedenken vor allem auf lokaler Ebene sich nach dem Zweiten Weltkrieg erst entwickeln musste. Es soll auch exemplarisch gezeigt werden, wie Aufarbeitung im ländlichen Raum stattgefunden hat und funktionieren kann. Als Kontrast dazu dient die Debatte um Hitlers Geburtshaus, eine Debatte, die mit vielen Facetten ausgestattet, seit Kriegsende bis heute fortbesteht und auch international Beachtung findet.

3.1 Josef Vallaster – Kriegerdenkmal der Gemeinde Silbertal

Josef Vallaster wurde am 5. Februar 1910 in der Gemeinde Silbertal geboren. 1940 kam Vallaster als Bauarbeiter ins Schloss Hartheim im heutigen Oberösterreich und half dort mit, das Schloss im Rahmen der Aktion „T4“ zur Tötungsanstalt umzubauen (vgl. Pichler, 2012, S.

224). Nach Abschluss des Umbaus gelang ihm der „Aufstieg“ zum Brenner (vgl. Weber, 2008, S. 57), Brigitte Kepplinger bezeichnet ihn in ihrer Publikation sogar als „Oberbrenner“ (vgl.

Kepplinger, 2008, S. 84). Nach dem Ende der Aktion „T4“ in Hartheim kam Vallaster schließlich nach Sobibor, laut Jules Schelvis traf Vallaster zusammen mit einigen Kameraden Ende März 1942 in Lublin ein und war von da an Teil der ersten Todesschwadrone in Sobibor (vgl. Schelvis, 2003, S. 74 ff.). Teil von Vallasters Aufgabe im Lager Sobibor war der Betrieb der Bahn zum Zweck des Häftlingstransports, zudem zeichnete er im Lager 3 für die Inbetriebnahme der Gaskammern und die Beaufsichtigung des Ausladens der Leichen verantwortlich (vgl. Schelvis, 2003, S. 74 ff.). Das „Holocaust Research Project“ führt weiters an, dass Vallaster auch durch Hammerschläge getötet hat (vgl. “Aktion Reinhard Leaders &

Staff www.HolocaustResearchProject.org,”, Zugriff: 09.09.2020). Sogar von Kameraden wie Karl August Wilhelm Frenzel wurde er als „grausam“ beschrieben (vgl. Schelvis, 2003, S. 311).

Im Zuge des Häftlingsaufstands in Sobibor am 14. Oktober wurde Josef Vallaster in einer Schuhmacherbaracke getötet (vgl. ebd., S. 191).

Vallaster und seine Taten fanden in mehreren Strafverfahren in Österreich und Deutschland zum Thema Hartheim Erwähnung, nicht zuletzt während der Prozesse in Hagen 1965/1966 in deren Rahmen die Verbrechen in Sobibor thematisiert wurden – sprich, Vallaster war in öffentlichem Rahmen durchaus präsent (vgl. Winsauer, 2011, S. 68).

Ein erstes Kriegerdenkmal existiert in Vallasters Heimatgemeinde Silbertal in Form einer Gedenktafel seit 1924, bereits während des Zweiten Weltkriegs existierte eine provisorische Form des physischen Gedenkens an die gefallenen Soldaten des Orts – ein neues, fixes Denkmal für die Gefallenen des Orts wurde im Gemeinderat erstmals im September 1962 thematisiert,

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9 allerdings zog sich der Prozess bis zur Einweihung des Denkmals, das dann später auch den Anlass zur Debatte gab, bis 1968 hin (vgl. Winsauer, 2011, S. 51 f.). Im Hinblick auf die Ausführungen aus Kapitel 2 ist hier anzumerken, dass die Gemeinde Silbertal dieses Projekt erst relativ spät in Angriff nahm. Ob die Entscheidungsträger in ihrem Prozess möglicherweise gar schon von der Affäre Borodajkewycz beeinflusst wurden kann nicht belegt werden.

Auf dem Platz vor der Kirche verortet und so zentral gelegen, handelt es sich bei dem Kriegerdenkmal um einen schlichten Granitblock, der mit dem Schriftzug „Die Gemeinde Silbertal den Opfern aller Kriege“ versehen ist, darunter stehend die Jahreszahlen „1914- 1918“ und „1939-1945“, die das Denkmal in vier Spalten aufteilen und die die Namen der in den jeweiligen Kriegen gefallenen Soldaten beinhalten. Im Rahmen der Eröffnungsmesse wurde das Denkmal aufgrund der altarähnlichen Form auch als solcher genutzt, der Pfarrer spricht in seiner Predigt von den Gefallenen des Ortes als Pflichterfüller und Märtyrer, verzichtet auf jegliche Kontextualisierung und stellt den Krieg als überstrahlendes Thema in den Vordergrund (vgl. Winsauer, 2011, S. 54 f.). Anhand der vorhergehenden Textpassage lassen sich gleich mehrere Problematiken erkennen: Das Denkmal an sich ist insofern „falsch“, als dass die beiden Weltkriege gar nicht alle Kriege sind. Und wie bei so vielen anderen Denkmälern ähnlichen Formats beschränkt sich die Darstellung und damit oft auch das unmittelbare Gedenken auf militärische Opfer, andere Opfer bleiben gänzlich unerwähnt und es wird nicht an sie erinnert. Eine kontextuale Verortung der beiden Weltkriege leistete wie bereits erwähnt die Einweihung ebenso wenig wie das Kriegerdenkmal selbst. Das Kriegerdenkmal und die Einweihung stehen auch beispielhaft für die Verbindung zwischen katholischer Kirche und militärischem Gedenken. Insgesamt passt das Kriegerdenkmal aber in seine Gattung, eine Vielzahl von Kriegerdenkmälern weist ähnliche Charakteristika auf. Genau diese Charakteristika sind auch die Punkte, die es kritisch zu hinterfragen gilt.

Peter Witte entdeckte 1988 zufällig den Namen Josef Vallaster auf dem Silbertaler Kriegerdenkmal und verifizierte seine Entdeckung durch Gespräche und publizierte sie (vgl.

Winsauer, 2011, S. 70). Einerseits deutet die Tatsache, dass es Witte möglich war, seinen Verdacht durch Gespräche zu bestätigen auf eine gewisse Schlussstrichmentalität hin, andererseits zeigten die Bürger Silbertals durchaus großes Interesse an dem Prozess der Aufarbeitung und Neugestaltung – eine Ambivalenz, die das gesamte Projekt begleiten sollte.

In die breite Vorarlberger Öffentlichkeit kam die Thematik um Vallaster durch einen Artikel von Seff Dünser in den „Vorarlberger Nachrichten“, vom 14. Juni 2007 der, eine detaillierte Biografie Vallasters umfassend, den Umgang Österreichs und speziell Vorarlbergs mit der NS- Vergangenheit kritisiert und auch die damalige Forschungslage aufgreift, der Autor beschreibt

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10 auch die Tendenz sich bevorzugt in der Opferrolle zu sehen und möglicherweise unangenehme Wahrheiten zu verschweigen und zu verdrängen (vgl. Dünser, 2007a). Eine Woche nach diesem Artikel legt Dünser nach und beschreibt die Reaktionen auf die Enthüllungen des ersten Artikels, in diesem Artikel kommt auch der Bürgermeister der Nachbargemeinde Schruns zu Wort, der sich positiv zu einer Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Allgemeinen und auch der Person Josef Vallasters äußert und sich persönlich für eine Entfernung des Namens auf den Kriegerdenkmal ausspricht (vgl. Dünser, 2007b). Erstmals spricht sich somit ein Vertreter der Politik für eine Veränderung aus. Ebenfalls kommt im Artikel der damalige Bürgermeister Silbertals, Willy Säly, zu Wort: „Ist überhaupt erwiesen, was da passiert sein soll? Ich zweifle daran. Ich finde es nicht gut, dass bei uns in dieser Weise geschnüffelt wird. Deshalb möchte ich keine Stellungnahme abgeben.“ (ebd.)

Auf den zweiten Artikel Dünsers hin landet die Debatte Ende Juni in Form einer Anfrage vierer Landtagsabgeordneter der „Grünen“ an den Landeshauptmann im Vorarlberger Landtag, eine Anfrage, die die Forderung nach einer Anbringung eines Hinweises auf die Rolle Vallasters am Kriegerdenkmal enthält und auch noch weitere Schritte der Aufarbeitung fordert (vgl. Bösch et al., 2007, S. 1 ff.). Von einer grundlegenden Überarbeitung oder gar Entfernung des Kriegerdenkmals in Silbertal ist nicht die Rede.

Der Artikel und die Anfrage setzen Säly Kritik aus, und der Kulturvermittler Bruno Winkler empfahl ihm die Gründung einer Geschichtswerkstatt nicht nur zur Aufarbeitung des Themenkomplexes Josef Vallaster, sondern auch zu den Themen dörfliche Erinnerung und Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im allgemeinen – ein Vorschlag, auf den Säly kurzerhand eingeht (vgl. Winsauer, 2011, S. 75). Die Geschichtswerkstatt umfasst sieben Bürger Silbertals, Säly selbst, und Winkler als Koordinator und Moderator (vgl. Winkler, o.J.).

Angemerkt sei, dass sich an der Geschichtswerkstatt und am Prozess der Aufarbeitung und Lösungsfindung an sich keine politischen Verantwortungsträger des Landes Vorarlberg beteiligten.

Wichtigstes Ziel für Winkler ist die Verflechtung von Wissen, sprich es sollen Erfahrung in Form von Oral History wie Beispielsweise die Einladung von Zeitzeugen wie Jules Schelvis, und Forschung in Form von Archivwissen und Zusammenarbeit mit Experten, wie etwa Florian Schwanninger von der Dokumentationsstelle Schloss Hartheim, zusammengebracht werden (vgl. Winsauer, 2011, S. 76). Ein durchaus sinnvolles Vorgehen eingedenk der Tatsache, dass Zeitzeugen und Personen, die Oral History-Zeugnisse beitragen können, immer weniger werden und so mündliche Berichte, die ergänzend zu Dokumenten, Unterlagen und ähnlichem für Aufarbeitung und Forschung nützlich sein können, verlorengehen.

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11 Thematisch liegt der Schwerpunkt auf der Platzierung Vallasters in einem historischen Rahmen, wobei andere Akteure innerhalb des NS-Regimes ebenso betrachtet werden sollen (vgl. ebd., S.

77). Eine weitere Leitfrage der Geschichtswerkstatt beschäftigt sich damit, wie ein Dorf Erinnerungskultur entwickeln kann (vgl. Winkler, o.J.).

Die Geschichtswerkstatt organisiert 19 Veranstaltungen wie Exkursionen, Vorträge oder Filmvorführungen, in deren Zuge auch die Bilanz der Geschichtswerkstatt, die in Form der Publikation „Von Silbertal nach Sobibor. Über Josef Vallaster und den Nationalsozialismus im Montafon“, verfasst von Wolfgang Weber, veröffentlicht wird, im Anschluss an die Präsentation des Berichts wird auch ein Grundkonzept für einen neuen Erinnerungsort in Silbertal vorgestellt (vgl. Winsauer, 2011, S. 82 ff.). Schlussendlich werden sechs Parameter festgelegt die der neue Erinnerungsort zu erfüllen hat, dazu gehört, dass der neue Erinnerungsplatz ein zentraler Treffpunkt im Ort sein soll, dass es eine integrierte Erklärung für die Neugestaltung geben soll, und dass auch Opfern von Euthanasie, Flüchtlingen und Zwangsarbeitern gedacht wird (vgl.

Winsauer, 2011, S. 94). Nicht nur dass ein größerer Kreis von Opfern nun Würdigung erfahren soll ist als großer erinnerungskultureller Schritt zu werten, auch eine Erklärung für die Neugestaltung zeugt von einer reflektierten Vorgehensweise.

Das alte Denkmal wurde schon am 25. Juni 2009 entfernt, da Bürgermeister Säly nach Drohungen und Untergriffen auf neonazistischen Onlineplattformen Imageschädigung, Tourismusrückgang und die Nutzung des Denkmals als Pilgerstätte für Neonazis fürchtet (vgl.

ebd, S. 91). Der neue Erinnerungsplatz wird am 5. und 6. November 2010 eröffnet, Hauptteil des von einer Künstlerin gestalteten Platzes sind im Boden eingelassene, begehbare Steinplatten in die die Namen der Euthanasieopfer, Zwangsarbeiter, des Flüchtlings, sowie die Erklärung der Veränderung eingraviert sind, der neue Erinnerungsplatz versucht auch durch die Trennung der Soldaten des Orts auf zwei Steinplatten eine Differenzierung zwischen den Weltkriegen zu schaffen (vgl. ebd, S. 96). Es kann hier auch bewusst von Eröffnung und nicht von Einweihung gesprochen werden, da es keine Messe oder kirchliche Segnung des neuen Platzes gab, außerdem waren keinerlei kirchliche Würdenträger anwesend (vgl. ebd., S. 101). Finanziert wurde der neue Erinnerungsplatz durch Privatpersonen, Unternehmen, und öffentliche Gebietskörperschaften, auffallend ist, dass weder die Katholische Kirche, noch Kameradschaftsbund oder andere militärnahe Organisationen sich an der Finanzierung beteiligt haben (vgl. ebd, S. 99 ff.). Ein Symbol dafür, dass moderne Denkmäler und Gedenkorte von einem breiteren Spektrum an Institutionen und Organisationen getragen werden.

Zusammenfassend hat die Gemeinde Silbertal mit dem neuen Erinnerungsplatz, sowohl was den Prozess als auch was die bauliche Gestaltung betrifft, vor allem für Vorarlberg Neuland

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12 betreten hat. Es ist ein Platz entstanden, der erst durch kritische Betrachtung des eigenen Geschichtsbilds in dieser Form möglich wurde. Ablehnende Stimmen waren bei einem Projekt wie diesem durchaus zu erwarten, eine Aufarbeitung der Erinnerungskultur war aber trotzdem richtig.

Durch die Beteiligung der Einwohner des Orts wurde versucht, allgemeine Identifikation herzustellen, was angesichts der Tatsache, dass sich nicht alle Bewohner des Orts mit dem Bau identifizieren können, nur bedingt gelungen ist (vgl., ebd, S. 109). Das Kriegerdenkmal der Gemeinde Silbertal wurde zwar wie bereits erwähnt vergleichsweise spät errichtet, die Aufarbeitung des Personenkomplexes Vallaster und Neugestaltung des Denkmals unter Beteiligung von Experten und Zivilgesellschaft passt aber sehr gut in ihre bzw. seine Zeit.

Ebenfalls in die Zeit passt die Tatsache, dass ein breites Gedenken an mehrere Opfergruppen stattfindet. Durch die herausragende Stellung der „Vorarlberger Nachrichten“ verfing sich das Thema schnell, zusammen mit der Berichterstattung durch den ORF war das Thema für die gesamte Vorarlberger Bevölkerung präsent.

3.2 Adolf Hitler – Geburtshaus

Zum Zeitpunkt von Hitlers Geburt wurde das Gebäude in der Stadt Braunau als Gasthaus geführt (vgl. Bevanda, 2018 S. 59). Im Mai Jahr 1938 kaufte Martin Bormann dem Eigentümer die Liegenschaft für 150.000 Reichsmark ab (vgl. Kaufvertrag Martin Bormann und Josef/Maria Pommer, 1938). In der Ausgabe der „Neue Warte am Inn“ vom 1. Juni 1938 ist von den Plänen für das Haus zu lesen: Die „Stätte, die jeder Deutsche besucht haben will“, sollte in den Zustand zurückversetzt werden den es hatte, als Hitlers Eltern noch dort wohnten – schlussendlich sollte ein Erinnerungsort bestückt mit Bildern und Erinnerungsgegenständen entstehen (vgl. Neue Warte am Inn, 1938, S. 3). Am 20. April 1943 wurde das neu gestaltete Geburtshaus inkl. Bücherei und Kunstgalerie eröffnet, während der letzten Kriegstage versuchte der Gauleiter das Geburtshaus noch zu sprengen, was allerdings vereitelt wurde (vgl.

Bevanda, 2018, S. 61 f.).

Gut zur in Kapitel 2 beschriebenen ersten Phase passt die Vorgehensweise, dass bereits im November 1945 in Hitlers Geburtshaus auf Veranlassung des Bezirkshauptmanns (SPÖ) und des Bürgermeisters (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) eine Ausstellung eingerichtet wurde, die mit Bildern aus Konzentrationslagern bestückt, die Toten ehren und deutliche Mahnung sein sollte, 1946 ging das Haus dann an die Bank für Oberösterreich und Salzburg, ein Jahr darauf an die Gemeinde Braunau, zwei Jahre später klagte die Witwe des ehemaligen Besitzers auf

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13 Rückgabe des Gebäudes, ein Rechtsstreit der 1954 mit dem Vergleich, dass die Erbin gegen Zahlung von 150.000 Schilling an die Republik das Gebäude zurückbekam, endete (vgl. ebd., S. 63).

Bis 1965 wurde das Haus als Bücherei, dann als Bank und als Klassenräumlichkeit für eine Höhere Technische Lehranstalt genutzt (vgl. Forster, 2012, S. 70). 1972 wurde das Haus vom Bundesministerium für Inneres angemietet, der Mietvertrag schloss die Errichtung einer Gedenkstätte welcher Art auch immer aus und alle Versuche in diese Richtung wurden anwaltlich unterbunden, nur Verwaltungs- oder Sozialeinrichtungen war eine Nutzung gestattet – schließlich nutzte ab 1974 die Lebenshilfe das Gebäude in Form einer Tagesstätte für Behinderte (vgl. Bevanda, 2018, S. 63). Den Willen der Eigentümerin den Mietvertrag ernst zunehmen zeigt die Besitzstörungsklage gegen die Republik im Jahr 1983 aufgrund einer Mahntafel an der Hausfassade auf der auf die Schecken des Faschismus hingewiesen wurde (vgl. ebd., S. 64). Seit das Untermietverhältnis zwischen Lebenshilfe und dem Innenministerium 2011 beendet wurde, stand das Haus leer (vgl. EB Enteignung Liegenschaft Salzburger Vorstadt, 2016, S. 1). Von einem Kaufangebot der Republik und einer möglichen Enteignung berichtete erstmals Anfang 2015 der „Kurier“ (vgl. Lindorfer, 2015). Um in Zukunft eine verantwortungsvolle Nutzung im Hinblick auf sicherheitspolitische, rechtliche und nicht zuletzt historische Fragen sicherzustellen, installierte die damalige Innenministerin bereits im Juli 2015 eine Kommission, bestehend unter anderem aus Politikwissenschaftlern, Historikern und Juristen (vgl. Bevanda, 2018, S. 70). Nachdem die Kommission im Abschlussbericht eine Enteignung durchaus in den Raum stellte entschloss sich die Republik daraufhin, eine Enteignung per Gesetz voranzutreiben, denn laut Gesetzesentwurf stelle ein Mietverhältnis nicht langfristig sicher, dass die Nutzung nicht nationalsozialistisch geprägt ist, im selben Gesetzesentwurf bekannte sich die Republik zu ihrer schon im Staatsvertrag festgeschriebenen Verantwortung dafür zu sorgen, dass Hitlers Geburtshaus nicht von Neonazis missbraucht wird, zudem wies sie auch explizit auf die erinnerungskulturelle und ideologische Wichtigkeit des Gebäudes hin (vgl. EB Enteignung Liegenschaft Salzburger Vorstadt, 2016, S.

1). Das Gesetz zur Enteignung und Übertragung des Eigentums an die Republik Österreich passierte den Nationalrat schließlich am 14. Dezember 2016 (vgl. Bevanda, 2018, S. 69). Zwar wurde die Enteignung im Februar 2017 gerichtlich vollzogen, die ehemalige Eigentümerin legte jedoch Rechtsmittel ein und so zog sich das Verfahren bis zur Bestätigung der Enteignung als verfassungskonform durch den VfGH am 30. Juni 2017 hin (vgl. Kirchmair, 2018, S. 69). Der Rechtsstreit, wurde dann noch vor dem OGH und dem EuGH für Menschenrechte verhandelt

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14 und endete erst im Juni 2019 (vgl. Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 3. April 2019).

Eine Kommission, im Juni 2016 vom nunmehrigen Innenminister Wolfgang Sobotka zur Erarbeitung von Vorschlägen zur zukünftigen Nutzung einberufen, spielte mehrere Szenarien durch und gab Handlungsempfehlungen ab: Von einer Nutzung als Museums- oder Bildungsstätte riet sie ab, da das Haus so die Verbindung zu Hitler behalten würde und somit ein nicht erwünschtes Interesse bei gewissen Gruppen aufrechterhalten werden würde. Eine langfristige Nutzung durch eine soziale Institution, die hohes Vertrauen in der Bevölkerung genießt, würde in laut Kommission ein Gegenstück zur NS-Zeit darstellen, so die Verbindung aufbrechen und auch medial Ruhe einkehren lassen. Eine behördlich-administrative Nutzung würde darüber hinaus noch staatliche Präsenz zeigen. Zudem empfahl sie im Hinblick auf Symbolkraft und Wiedererkennung einen Umbau. Im Bericht wurde von einem Abriss abgeraten, da so schnell der Vorwurf der Leugnung der Geschichte des Hauses aufkommen würde (vgl. Abschlussbericht, 2016, S. 4 ff.). In der von Judith Forster durchgeführten Befragung ist die Einrichtung eines kritischen Museums die am positivsten bewertete Variante, ein Abriss die am wenigsten präferierte Variante des Umgangs (vgl. Forster, 2012, S. 144). Im November 2019 wurde bekanntgegeben, dass nach einem Umbau eine Polizeiinspektion einziehen soll (vgl. Polizei wird ins Hitlerhaus einziehen, ORF online, 2019). Die Debatte um die Gestaltung und Nutzung von Hitlers Geburtshaus kommt auch nicht ohne Spitzfindigkeiten aus: Der Gehsteig und der Platz vor dem Haus sind nämlich nicht in Privatbesitz, sondern gehören der Stadtgemeinde Braunau, die dort 1989 einen Gedenkstein aufstellen ließ (vgl.

Forster, 2012, S. 70). Nach Konsultation eines Arbeitskreises entschied die Stadtgemeinde Braunau, dass der Stein in seiner jetzigen Form am aktuellen Ort bleiben soll (vgl. Hitler- Geburtshaus: Stadt Braunau lässt Gedenkstein unverändert - Wiener Zeitung Online, 2020.).

An der Nutzung von Hitlers Geburtshaus lässt sich also beispielsweise gut die erste Phase des Umgangs mit Erinnerung an die NS-Vergangenheit erkennen, gesellschaftlich wurde damals unter anderem bereits die Opferthese gepflegt. Durch die Einschränkungen des Mietvertrags ging die Nutzung in den Jahren bis zum Auszug der Lebenshilfe Oberösterreich in eine etwas andere Richtung. Faktoren wie ein eigens eingebrachtes Gesetz gefolgt von einem jahrelangen Rechtsstreit, mehrere explizite Hinweise auf die Verantwortung der Republik im Gesetzesentwurf und die Hinzuziehung mehrerer Expertengremien seitens der politischen Entscheidungsträger lassen auf eine große Sensibilität, wohl auch bedingt durch den Namen Hitler, schließen.

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15 4 Umgang mit Personen die sich in Ausübung öffentlicher Ämter / Funktionen

ihrer NS-Vergangenheit stellen mussten

Die Debatten rund um Taras Borodajkewycz und Kurt Waldheim sollen beispielhaft aufzeigen wie Debatten um die NS-Vergangenheit von in der Öffentlichkeit stehenden Personen im damals vorherrschenden gesellschaftlichen Klima geführt wurden. Der Vergleich zweier Personen des öffentlichen Lebens ermöglicht auch einen Vergleich wie sich das Gedenken über Jahre gesehen entwickelt hat.

4.1 Taras Borodajkewycz

Taras Borodajkewycz trat 1934 in die NSDAP ein und war während der NS-Herrschaft in lehrender Funktion an der Universität Prag tätig, erst nach seiner Rehabilitierung als Minderbelasteter 1955 begann er an der damaligen Hochschule für Welthandel in Wien zu lehren (vgl. Dolezal et al., 2019, S. 275). Der spätere Diplomat Gerald Kriechbaum beschrieb ihn als nicht prominent, gleichzeitig als unter Studierenden ob seiner nachsichtigen Haltung zu Prüfungsleistungen beliebt, zudem als „menschenfreundlich“ und „sympathisch, wenn auch traditionalistisch“ (vgl. Kropiunigg, 2015, S. 19 f.). Ferdinand Lacina, der die Affäre mit seinen Vorlesungsmitschriften ins Rollen brachte, beschrieb die Atmosphäre und den Umgang an der Hochschule für Welthandel als dermaßen autoritär, dass kritische Diskurse über Professoren nicht stattfanden – auch andere Personen die über Macht und Einfluss verfügt hätten, entschieden sich in einer Atmosphäre von nach wie vor gesellschaftlich weithin akzeptiertem Schweigen über die Nazivergangenheit dazu, das Thema nicht weiter zu verfolgen (vgl.

Kropuinigg, 2015, S. 24 ff.). Borodajkewyczs Antisemitismus sowie seine nach wie vor bestehende Affinität zum Nationalsozialismus wurden während seiner Vorlesungen immer wieder sichtbar, die Affäre um seine Person begann aber erst 1962, mit der Veröffentlichung von Mitschriften Lacinas (vgl. Dolezal et al., 2019, S. 275). Borodajkewycz und seine Ansichten wurden zwar bereits Ende 1957 im Nationalrat thematisiert, was jedoch folgenlos blieb, jedoch ist anzumerken, dass Borodajkewycz seine Inhalte freilich nicht ohne Billigung der Hochschulleitung weitergeben konnte – der damalige Kanzler der Hochschule, Walter Heinrich, fiel schon seit den 1930er Jahren durch undemokratische Äußerungen auf (vgl.

Kropuinigg, 2015, S. 23 ff.).

Die Mitschriften zu Borodajkewyczs Vorlesungen stammten von dem späteren SPÖ-Politiker und damaligen Studenten Ferdinand Lacina, sie wurden vom späteren SPÖ-Parteikollegen Lacinas Heinz Fischer in den sozialdemokratischen Medien „Arbeiter-Zeitung“ und „Die Zukunft“ angreifend publiziert – daraufhin wurde Fischer von Taras Borodajkewycz wegen

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16 Ehrenbeleidigung geklagt und auch zu einer Geldstrafe verurteilt (vgl. Dolezal et al., 2019, S.

275). Als ein wichtiger Ausgangspunkt der Affäre kann die von zwei SPÖ-Abgeordneten im Jänner 1965 an den Unterrichtsminister gestellte Anfrage gesehen werden, die darin die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Borodajkewycz verlangten (vgl. Kropuinigg, 2015, S. 42). Die Reaktionen darauf folgten prompt: Bereits am folgenden Tag bezog die Hochschülerschaft der Hochschule für Welthandel mit einer offiziellen Stellungnahme Position pro Borodajkewycz, Anfang Februar verteidigte sich der Professor selbst in einem Schreiben an den Rektor, zudem verklagte er die beiden Abgeordneten wiederum wegen Ehrenbeleidigung und begehrte die Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität (vgl. ebd., S. 43 f.). Einen weiteren für die Affäre entscheidenden Punkt stellte die Darstellung der Auseinandersetzung in der ORF-Satiresendung „Das Zeitventil“ am 18. März 1965 dar, in der ein fiktives Interview mit Borodajkewycz auf Basis von Lacinas Mitschriften geführt wurde (vgl. ebd., S. 44 f.).

Bereits vor Ausstrahlung der Satiresendung kam Borodajkewycz der Aufforderung der Hochschulleitung nach, eine Diskussion mit sozialistischen Studenten zu führen – die Studenten sagten ihre Teilnahme am für den 23. März aber kurzfristig ab, sodass die anwesenden Medienschaffenden und Anhänger des Professors eine durchaus emotionale, von Zwischenrufen und sogar Beleidigungen geprägte Pressekonferenz erlebten (vgl. ebd., S. 47 ff.).

Am 29. März zu ersten Zusammenstößen zwischen Demonstrationsgruppen (vgl. ebd., S. 58).

Am 31. März fanden parallel zur Nationalratsdebatte die bis dahin schwersten Demonstrationen für und gegen Prof. Borodajkewycz statt, in deren Zuge ein Demonstrant zu Tode kam (vgl.

Fischer, 2015, S. 121). Der vom Neonazi Günter Kümel tödlich verletzte ehemalige Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger gilt heute als das erste politische Todesopfer der Zweiten Republik (vgl. Dolezal et al., 2019, S. 276). Kirchwegers Begräbnis wurde von 25.000 Menschen und reichlich politischer Prominenz besucht (vgl. Kropuinigg, 2015, S. 79).

Borodajkewycz konnte seine Position schließlich noch bis 1971 behalten (vgl. Dolezal et al., 2019, S. 276).

Die Affäre um Borodajkewycz ist in mehrerlei Hinsicht signifikant, da in ihrem Zuge das erste Mal der öffentliche Konsens des Integrierens von Altnazis, gefördert durch zwei der damaligen drei Großparteien, in Frage gestellt wurde, und, da die Veröffentlichung ja von Studenten ausging und Studierende auch einen Teil der Demonstrationen trugen, somit eine junge Generation eine Verdrängung der NS-Vergangenheit nicht weiter widerspruchslos hinzunehmen bereit war und einen Impuls in Richtung Aufarbeitung gab (vgl. ebd.). Die Affäre um Taras Borodajkewycz führte so erstmals, auch befördert durch den demografischen Wandel und mehr

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17 als zuvor investigative Medien, in der Zweiten Republik zu einem gesellschaftlichen Ruck. Ein Ruck der noch lange nachhallen sollte, nicht zuletzt deshalb, weil in die Affäre involvierte wie Ferdinand Lacina und Heinz Fischer bedeutende politische Karrieren hinlegen sollten und so ihre Einstellungen und erinnerungskulturellen Ansichten an machtvollen Stellen im Staat zum Ausdruck bringen konnten. International fand die Affäre Borodajkewycz allerdings kaum Beachtung.

4.2 Kurt Waldheim

Nach der Affäre um den Hochschulprofessor Borodajkewycz war die Kontroverse um Kurt Waldheim während des Bundespräsidentschaftswahlkampfs 1986 ein Ereignis mit großer Tragweite das den Umgang mit der nationalsozialistischen Geschichte Österreichs beeinflusste.

Kurt Waldheim wurde im März 1985 von der ÖVP nominiert, die in ihm als ehemaligem Außenminister und UNO-Generalsekretär einen Kandidaten mit international großer Bekanntheit und auch international äußerst respektablem Format sah (vgl. Lehnguth, 2013, S.

92). Waldheim war zwar von der ÖVP unterstützt und nominiert, er war allerdings kein Parteimitglied (vgl. Khol, Faulhaber und Ofner, 1987, S. 15). Schon bald nach der Nominierung wiesen Umfragen einen deutlichen Vorteil für Waldheim gegenüber seinem Konkurrenten Kurt Steyrer (SPÖ) aus, der als Regierungsmitglied zu sehr mit den Problemen im Land in Verbindung gebracht wurde (vgl. Lehnguth, 2013, S. 92). Nachdem Waldheim sich bereits im Herbst 1985 erste Fragen zu seiner Vergangenheit gefallen lassen musste, kam die Affäre dann im März 1986 durch Enthüllungen der New York Times und des Nachrichtenmagazins

„profil“ richtig ins Rollen – Redakteur Hubertus Czernin konnte Waldheims Wehrstammkarte ausfindig machen aus der hervorging, dass er Mitglied des SA-Reitersturms war und auch dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund angehört hatte, Informationen, die durch weitere amtliche Unterlagen bestätigt wurden, die New York Times veröffentliche Informationen die besagten, dass Waldheim 1942/43 Teil der Stabsabteilung der Heeresgruppe Löhr gewesen war, die sich im Kampf gegen jugoslawische Partisanen durch Brutalität auszeichnete sowie in Griechenland an Massendeportationen mitgearbeitet hatte (vgl. ebd., S.

93). Der World Jewish Congress (WJC), der Medien weltweit mehr als ein Jahr lang Unterlagen zu Waldheim zugespielt hatte, geriet durch sowohl durch Waldheim-Befürworter, als auch Waldheim-Kritiker ins Kreuzfeuer der Kritik, da der WJC anhand der veröffentlichen Unterlagen versuchte, Waldheim zweifelsfrei Kriegsverbrechen nachzuweisen – etwas, das die Unterlagen so nicht hergaben (vgl. ebd., S. 93 f.). Die Affäre spielte sich also von Beginn an

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18 auch in internationalen Medien ab, was das gesellschaftliche Interesse hochhielt und alle Beteiligten zu Reaktionen zwang.

Waldheim seinerseits gab stets nur das zu, was durch Dokumente zweifelsfrei nachzuweisen war, alles andere stritt er ab oder gab an, sich an beinahe nichts mehr erinnern zu können – zudem verteidigte er sich stets mit dem Argument der simplen Pflichterfüllung (vgl. ebd., S. 94 f.). Das Argument der Pflichterfüllung ist aus erinnerungskultureller Sicht ein durchaus bedeutendes. Vorgebracht von Mitgliedern aus allen Teilen der Gesellschaft und des Landes deutet es einerseits auf einen Unwillen hin, sich mit der Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen und andererseits auf einen umso größeren Willen, den vielzitierten Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen.

Die ÖVP ging auf die Kritik an ihrem Kandidaten inhaltlich nicht ein sondern attackierte mit antisemitischen Untertönen ausländische Medien und den WJC und fuhr eine „Jetzt erst recht- Patriotismus“-Linie, ein Vorgehen, dem sich in der Partei nur wenige widersetzten, die SPÖ ihrerseits streute bei jeder Gelegenheit Zweifel an Waldheims Glaubwürdigkeit, ob Parteifunktionäre jedoch an der Affäre beteiligt oder Veröffentlichungen zentral von der Partei gesteuert waren wie es von ÖVP-Seite durchaus behauptet wurde, ist nicht zu belegen (vgl.

ebd., S. 96 ff.). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mehrere Gruppen wie Journalisten, Antifaschisten und nicht zuletzt Historiker und die SPÖ aus unterschiedlichsten Gründen Interesse an einer Veröffentlichung der Waldheim-Unterlagen hatten und sowohl die ÖVP als auch die SPÖ von den Enthüllungen nicht gerade überrascht wurden (vgl. ebd., S. 101 f.).

Waldheim musste in einen zweiten Wahlgang, wo 53,9% der Stimmen auf ihn entfielen (vgl.

ebd., S. 104). Nicht nur konnte sich zweifellos Waldheims Altersgruppe mit dem Argument der Pflichterfüllung identifizieren, bemerkenswerterweise stimmten auch viele Wähler die im ersten Wahlgang die von den „Grünen“ nominierte Kandidatin Freda Meißner-Blau unterstützt hatten, im zweiten Wahlgang für Waldheim (vgl. ebd., 103 f.). Mit dem Wahlerfolg war die Affäre aber keineswegs beendet, denn das US-Justizministerium setzte Waldheim im April 1987 auf die „Watch List“, wodurch ihm zukünftig die Einreise (als Privatperson) verunmöglicht wurde (vgl. ebd., S. 105). Weder die globale noch die lokale Entwicklung der Erinnerungspolitik spielten zudem in Waldheims Hände – beispielsweise wurde in Washington D.C. 1981 das Holocaust Memorial Museum eröffnet (vgl. ebd., S. 107). Aus der Affäre Borodajkewycz hätte zudem gelernt werden können, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung mit einem Rückzug auf die Opferthese und das Argument der Pflichterfüllung nicht länger zufriedengab und offen für eine historische Aufarbeitung war.

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19 Waldheim hoffte noch, mit der Einberufung einer Historikerkommission, die die verfügbaren Unterlagen und die Vorwürfe gegen ihn untersuchen sollte, die Affäre zu beenden – die Kommission kam in ihrem Abschlussbericht 1988 zu dem Ergebnis, dass unter anderem eine persönliche Beteiligung an Kriegsverbrechen nicht nachgewiesen werden konnte, er aber bestens über die Kriegsaktivitäten Bescheid wusste – final klären konnte die Historikerkommission die Frage nach schuldhaftem Verhalten nicht (vgl. ebd., S. 108 f.). Die Einberufung einer Historikerkommission stellte für die damalige Zeit im erinnerungskulturellen Kontext ein Novum dar, wie die Beispiele Silbertal und Braunau zeigen, kommen sie in späteren Jahren in verschiedenen Formen vor.

Waldheim selbst, aber auch hochrangige ÖVP-Politiker kritisierten den Bericht und die Kommission scharf, nur wenige ÖVP-Mitglieder, Vertreter der SPÖ, der Grünen und zivilgesellschaftlicher Gruppen forderten Waldheim mehr oder weniger direkt zum Rücktritt auf, eine Forderung, der Waldheim nicht nachkam (vgl. ebd., S. 110 f.). Viele österreichische, aber vor allem internationale Medien konnten für Waldheims Verhalten kein Verständnis aufbringen, nur wenige österreichische Printmedien wie die „Kronenzeitung“ und „Die Presse“ – die ihn in der Vergangenheit schon unterstützt hatten – ergriffen Partei für Waldheim (vgl. ebd., S. 111). Aufgrund der Tatsache, dass Waldheim für den Rest seiner Amtsperiode weitgehend diplomatisch abgekanzelt wurde, musste Bundeskanzler Franz Vranitzky Teile seiner Aufgaben schultern, schließlich erklärte Waldheim im Mai 1991, keine weitere Amtszeit anzustreben (vgl. ebd., S. 111).

Die Affäre Waldheim stellt aus mehreren Gründen den größten erinnerungsgeschichtlichen Bruch in Österreichs Nachkriegsgeschichte dar, derart im international im Fokus stand Österreich wohl nur mehr in den Jahren rund um die erste Schwarz-Blau Regierung. Es ging um das höchste Amt im Staat was an sich schon großen parteipolitischen Einfluss bedingt, noch dazu ging mit Waldheim eine zuvor als international renommiert geltende Persönlichkeit ins Rennen. Zudem war die Öffentlichkeit wohl auch für das Gedenken an die NS-Vergangenheit sensibilisiert, jährte sich 1988 doch der Anschluss Österreichs zum fünfzigsten Mal. Wie bereits erwähnt setzte in den 1980er Jahren auch die erinnerungsgeschichtliche Periode ein, in der starre Erinnerungsmuster aufgebrochen wurden und weitaus mehr Arbeit in Kontextualisierung der Ereignisse investiert wurde, wofür die Affäre Waldheim sich aufgrund der Vielschichtigkeit der Karriere Waldheims, der Situation und der Tatsache, dass sich die Gesellschaft mehrheitlich reif für die Anerkennung der österreichischen Mitverantwortung sah, sehr gut eignete.

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20 5 Fazit

Die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung im Hinblick auf Erinnerung, nicht nur an die NS- Zeit, sondern auch allgemein, bedeutet, dass sich der Blick auf Orte des Gedenkens und Erinnerns ändert. So wie die damals errichteten Erinnerungsorte Zeugen ihrer Zeit sind und als solche kritisch reflektiert werden müssen, sind die gegenwärtig errichteten Orte des Gedenkens Zeugen unserer Zeit und unseres Blickes auf das Geschehene.

Einer Zeit des Gedenkens an den antifaschistischen Widerstand folgte eine starke Orientierung hin zu den Gefallenen die das Land dank der sehr zahlreichen Installation von Denkmälern, der Verankerung auf lokaler Ebene und der Tatsache, dass viele Menschen ihre persönliche Geschichte mit Gefallenen verknüpfen konnten, lange prägte. Eine Zeit folgte, in der politisch aktive Studenten und investigative und Medien die Gesellschaft prägten, so ist es nur folgerichtig, dass die so an die Öffentlichkeit getragene Affäre Borodajkewycz 20 Jahre nach Kriegsende das Land aufrüttelte, und Fragen nach einem angemessenen Umgang mit der NS- Vergangenheit aufwarf. Zum noch größeren Bruch Österreichs mit seiner Geschichte trug die Affäre Waldheim rund 20 Jahre später bei, Österreich „genoss“ internationale Aufmerksamkeit wie wohl erst rund um die erste Schwarz-Blaue Regierung um die Jahrtausendwende wieder.

Die Affäre Waldheim war aber insofern hilfreich, als dass der jahrelang ins Ausland widergegebenen Opferthese deutlich wie nie zuvor Kritik und widerfuhr und so in Österreich historisch-wissenschaftliche Forschungen abseits der bisherigen Pfade möglich wurden und diese dazu beitrugen, dass angemessen an verschiedenste Gruppen die unter der NS-Herrschaft litten, erinnert wird. Die Frage an wen erinnert wird und gleichzeitig auch an wen nicht ist wichtiger denn je. Wie die Debatten um das Kriegerdenkmal in Silbertal und Hitlers Geburtshaus in Braunau zeigen, engagierte sich nun auch die Zivilgesellschaft direkt in den Prozessen der Aufarbeitung und Erinnerung sowie bei der Klärung der Frage nach der zukünftigen Nutzung und Gestaltung von Erinnerungs- und Gedenkorten. Auch die Entscheidungsträger setzten auf breite Involvierung verschiedener Gruppen und Experten, was einerseits die wissenschaftliche Qualität erhöht und andererseits auch dazu beiträgt, das Ergebnis langfristig breit in der Bevölkerung zu verankern und so das unglaublich vielschichtige Gedenken an Opfer der NS-Herrschaft zu sichern.

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